Urteil des VG Stuttgart vom 22.04.2008
VG Stuttgart (zuschlag, befreiung, teleologische reduktion, verfassungskonforme auslegung, betrag, besondere härte, reduktion, soziale vergünstigungen, begründung, höhe)
VG Stuttgart Urteil vom 22.4.2008, 13 K 3584/07
Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht; Zuschlag zum ALG II
Leitsätze
Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist § 6 Abs. 3 Nr. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag
mittels teleologischer Reduktion dahingehend auszulegen, dass er nicht die gesamte Gruppe derjenigen, die einen
Zuschlag zum Arbeitslosengeld II nach § 24 Abs. 1 SGB II beziehen, von der Befreiung ausschließt, sondern nur
diejenigen, deren Zuschlag höher ist als der Betrag der jeweils zu zahlenden Rundfunkgebühr.
Tenor
Der Bescheid des Südwestrundfunks vom 18.04.2006 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.03.207 werden
aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für den Zeitraum von April 2006 bis einschließlich Januar
2007 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt. Rechtsanwalt P. wird ihr zur
Prozessvertretung beigeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Mit der Klage begehrt die Klägerin die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.
2
Sie war bereits von Februar 2005 bis einschließlich Januar 2006 von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Am
05.03.2006 stellte sie erneut einen Antrag auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Diesem Antrag legte
sie einen Bescheid des Job-Centers vom 22.12.2005 bei, wonach sie im Zeitraum von Februar 2006 bis Juli
2006 ein Arbeitslosengeld II einschließlich eines Zuschlags nach § 24 SGB II in Höhe von monatlich 18 EUR
bezog. Der Antrag der Klägerin wurde mit Bescheid des Beklagten vom 18.07.2006 mit der Begründung
abgelehnt, die Voraussetzungen für eine Befreiung seien nicht erfüllt, da sie ein Arbeitslosengeld II
einschließlich eines Zuschlags beziehe. Mit Schreiben vom 16.05.2006 legte die Klägerin gegen diesen
Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, nach einer von ihr beigefügten neuerlichen
Berechnung des Job-Centers, die diese im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Sozialgericht S. erstellt habe,
betrage der ihr im zweiten Jahr nach Bezug von ALG II (vom 29.01.2006 bis 28.01.2007) gezahlte Zuschlag
nach § 24 SGB II nur noch 10 EUR.
3
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führt
er aus, nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV könnten nur Empfänger von Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag nach §
24 SGB II von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 6 Abs. 3
RGebStV liege bei der Klägerin nicht vor.
4
Am 04.05.2007 hat die Klägerin Klage erhoben und einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
gestellt.
5
Zur Begründung trägt sie vor, zwar enthalte § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV eine spezielle Regelung, wonach
Bezieher von Leistungen nach SGB II keine Zuschläge nach § 24 SGB II beziehen dürften, dies sei aber in
ihrem Fall kein Rechtfertigungsgrund, sie nicht zu befreien. Der Zuschlag solle Diskrepanzen zwischen ALG I
und II verhindern, dieser Sinn und Zweck werde jedoch durch den SWR hinfällig gemacht. Durch die Einheit der
Sozialordnung stehe fest, dass soziale Vergünstigungen nicht durch den Wegfall anderer Vergünstigungen
hinfällig gemacht werden dürften. Es sei zu beachten, dass sie ab 29.01.2006 nur noch einen Zuschlag von 10
EUR beziehe und damit 7,03 EUR Rundfunkgebühren vom Existenzminimum abgezogen werden müssten.
Dies könne nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein. Daher müsse dem Härtefallantrag nach § 6 Abs. 3
RGebStV stattgegeben werden. Es sei nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem
Gleichheitsgebot zu vereinbaren, wenn sie durch den Zuschlag derart benachteiligt werde. Schließlich habe sie
nun 7,03 EUR weniger zur Verfügung, als wenn sie keinen Zuschlag erhielte. Dies sei unverhältnismäßig und
zudem rechtswidrig, da so ihr staatlich garantiertes Existenzminimum, das in der Gewährung des Regelsatzes
durch SGB II seinen Ausdruck finde, negiert und unterlaufen werde. Außerdem wäre sie schlechter gestellt, als
andere SGB II und SGB XII Bezieher, die keinen Zuschlag erhielten.
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Sie beantragt,
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den Bescheid des Südwestrundfunks vom 18.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
30.03.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie für den Zeitraum April 2006 bis
einschließlich Januar 2007 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
8
Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Zur Begründung trägt er vor, da die Klägerin einen Zuschlag nach § 24 SGB II erhalte, lägen die
Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV nicht vor. Da es sich bei der Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht um eine soziale Leistung zu Lasten aller zahlenden Rundfunkteilnehmer handele, sei
eine enge Auslegung dieser Vorschrift geboten. Der Gesetzgeber habe mit der Reform des
Rundfunkgebührenbefreiungsrechts zum 01.04.2005 eine Erleichterung des Verfahrens bezweckt, weil keine
Berechnungen mehr vorgenommen oder sonstige Überlegungen angestellt werden sollten, sondern nur an
vorhandene oder sonstige soziale Leistungen angeknüpft werde. In § 6 Abs. 1 RGebStV seien nunmehr über
zehn verschiedene Befreiungstatbestände mit zum Teil umfangreichen Unterpunkten geschaffen worden. Bei
der Rundfunkgebührenbefreiung handele es sich nicht nur um eine soziale Leistung zu Lasten aller zahlenden
Rundfunkteilnehmer, sondern auch um (und dies gerade im Befreiungsverfahren) eine Massenverwaltung. Bei
einer solchen müssten aber nicht alle denkbaren Fälle berücksichtigt werden. Dem Gesetzgeber stehe im
Bereich der Sozialleistungen, zu denen auch die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gehöre, ein weiter
Ermessensspielraum zu. Dieses Ermessen schließe die Befugnis ein, im Interesse der
Verwaltungsvereinfachung pauschalierende Regelungen zu schaffen, die naturgemäß nicht jedem Einzelfall
Rechnung tragen könnten. Auch eine Berufung auf die Härtefallregelung des § 6 Abs. 3 RGebStV scheide aus.
Die zehn Grundtatbestände der Befreiungsregelung des § 6 Abs. 1 RGebStV seien nach dem Willen des
Gesetzgebers abschließend und mangels Regelungslücke keiner Analogie fähig. Mit der Regelung des Absatz
1 hätten umfassend und abschließend die Befreiungsmöglichkeiten geregelt werden sollen, auch wenn im
Einzelfall Härten entstünden. Der Gesetzgeber sehe wie in der wortgleichen Vorgängerschrift des § 2
Befreiungsverordnung nur einen besonderen Härtefall als Befreiungsgrund an, der vom allgemeinen Härtefall
abzugrenzen sei. Die geringfügige Überschreitung von Einkommensgrenzen sei weder unter der alten, noch
unter der neuen Befreiungsverordnung ein Befreiungsgrund. Eine geringfügige Überschreitung sei kein
atypischer Sachverhalt, der eine besondere Härte darstelle. Selbst wer nur einen Zuschlag nach § 6 Abs. 1 Nr.
3 RGebStV erhalte, der unter der Rundfunkgebühr liege, bei dem liege keine Härte vor. Da der Gesetzgeber die
Befreiung wegen geringen Einkommens zum 31.03.2005 ausdrücklich habe entfallen lassen und nur noch an
Bescheide habe anknüpfen wollen, könne eine Befreiung wegen geringen Einkommens nicht über die
Härtefallregelung des § 6 Satz 3 wieder eingeführt werden.
11 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Behördenakten sowie auf den Inhalt
der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dem zugestimmt haben (vgl.
§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Südwestrundfunks vom 18.04.2006 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 30.03.2007 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 VwGO).
14 Der Beklagte hat zu Unrecht die von der Klägerin begehrte Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
abgelehnt. Denn die Ablehnung führt zu einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG.
15 Zwar ergibt sich die Pflicht zur Befreiung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der hier als Rechtsgrundlage
einschlägigen Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (i.d.F. des Gesetzes zum 9.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 14. Februar 2007 -
GBl. v. 23.02.2007 Seite 108 ff. - nachfolgend: RGebStV). Danach sind nämlich gerade nur Empfänger von
Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag nach § 24 SGB II von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
16 Dieser Wortlaut ist jedoch mittels teleologischer Reduktion dahingehend auszulegen, dass er nicht die gesamte
Gruppe derjenigen, die einen Zuschlag nach Arbeitslosengeld II beziehen, von der Befreiung ausschließt,
sondern nur diejenigen, deren Zuschlag höher ist als der Betrag der jeweils zu zahlenden Rundfunkgebühr.
17 Denn die Gleichbehandlung aller Empfänger eines Zuschlags nach § 24 SGB II in Bezug auf die Befreiung von
der Rundfunkgebührenpflicht würde einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. Der allgemeine
Gleichheitssatz gebietet es nämlich, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Zwar ist der
Gleichheitssatz nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf,
nicht vornimmt. Entscheidend ist aber, ob für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise
die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind,
dass der Gesetzgeber sie bei seiner Regelung beachten muss (BVerfGE 86, 81 bis 89 m.w.N.). So liegt es
hier. Im Wege der teleologischen Reduktion ist daher eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift
gegen ihren Wortlaut vorzunehmen (vgl. dazu BVerfGE 88, 145, BVerfGE 35, 263 und BGH, Urt. v. 19.07.2007
- III ZR 305/06 - ZfBR 2007, 788 bis 791).
18 Indem § 6 Abs. 1 Nr. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag alle Empfänger eines Zuschlags nach § 24 Abs. 1
SGB II von der Befreiung von der Rundfunkgebühr ausschließt, behandelt er zwei Personengruppen gleich,
deren Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund geboten gewesen wäre, nämlich diejenigen, deren
Zuschlag höher ist als die jeweilige Rundfunkgebühr und diejenigen, deren Zuschlag geringer ist als diese. Der
sachliche Grund für die gebotene Ungleichbehandlung ist darin zu sehen, dass andernfalls der vom
Bundesgesetzgeber mit der Regelung des § 24 Abs. 1 SGB II verfolgte Zweck in sein Gegenteil verkehrt
würde.
19 Derjenige, dessen Zuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB II geringer ist als die jeweilige Rundfunkgebühr, verfügt
nämlich, weil er nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag nicht von der
Rundfunkgebührenpflicht befreit wird, im Ergebnis über einen geringeren Betrag zum Lebensunterhalt als
derjenige, der gar keinen Zuschlag erhält. Der Bundesgesetzgeber hat aber mit der Bewilligung eines
Zuschlags nach § 24 Abs. 1 SGB II alle diejenigen, die Arbeitslosengeld II während eines Zeitraums von zwei
Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I beziehen, besser stellen wollen, als alle anderen
Arbeitslosengeld II Bezieher. „Erwerbsfähige Hilfsbedürftige, die nach Beendigung des Bezugs von
Arbeitslosengeld in die neue aus Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammengeführte Leistung kommen“ haben
„zur Abfederung finanzieller Härten einen zeitlich befristeten, degressiven Zuschlag“ erhalten sollen. Damit hat
Berücksichtigung finden sollen „dass der ehemalige Arbeitslosengeldempfänger durch häufig langjährige
Erwerbstätigkeit - im Unterschied zu solchen Empfängern der neuen Leistung, die nur jeweils kurzfristig bzw.
noch nie erwerbstätig waren -, vor dem Bezug der neuen Leistung einen Anspruch in der
Arbeitslosenversicherung erworben hat“ (so die amtliche Gesetzesbegründung - BT-Drs. 15/1516 Seite 57/58).
Der deshalb auch salopp „Verarmungsgewöhnungszuschlag“ genannte Zuschlag hat also in „vertretbarem
Umfang einen Teil der Einkommenseinbußen abfedern (sollen), die in der Regel beim Übertritt in die neue
Leistung entstehen werden“ (so die amtliche Begründung a.a.O.).
20 Dabei hat der Gesetzgeber aber wohl nicht in Rechnung gestellt und auch nicht stellen müssen, dass durch die
Bewilligung eines solchen Zuschlags und die damit verbundene Einkommenserhöhung möglicherweise
gleichzeitig - zumindest was die Pflicht zur Zahlung von Rundfunkgebühren angeht - auch auf der anderen
Seite für den Hilfeempfänger wieder höhere Leistungsverpflichtungen entstehen könnten. Denn zum Zeitpunkt
des Erlasses des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - BGBl. I S. 2954 - am
24.12.2003 ist die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht noch auf der Grundlage der
Rundfunkgebührenbefreiungsverordnungen der Länder erfolgt, die eine Befreiung wegen geringen Einkommens
vorgesehen haben (so z. B. § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Bad.-Württ. Befreiungsverordnung), welches durch maximal
den eineinhalbfachen Satz der Sozialhilfe definiert worden ist. Dabei hat der einfache Satz zu diesem Zeitpunkt
bei 297 EUR (vgl. die Bekanntmachung des Sozialministeriums über die Höhe der Regelsätze in der Sozialhilfe
vom 22. Mai 2003 - GABl. vom 30. Juli 2003 -) gelegen.
21 Die vom Bundesgesetzgeber gewollte Besserstellung aller derjenigen, die einen Zuschlag nach § 24 Abs. 1
SGB II erhalten, schlägt aber durch den Ausschluss aller Zuschlagsbezieher von der
Rundfunkgebührenbefreiung in eine Benachteiligung gerade derjenigen um, die einen Zuschlag erhalten, der
unter dem Betrag der Rundfunkgebühr liegt. Diese erhalten dann im Ergebnis nicht einmal - wie die
Arbeitslosengeld II Bezieher ohne Zuschlag - den ungeschmälerten Arbeitslosengeld II Betrag, sondern einen
noch darunter liegenden Betrag, obwohl der Landesgesetzgeber durch die Befreiungsregelung des § 6 Abs 1
Nr. 3 RGebStV den Betrag von jetzt 347 EUR für den dort erfassten Personenkreis als Existenzminimum
definiert hat, das nicht durch die Rundfunkgebühr geschmälert werden darf. Alle anderen Bezieher des
Zuschlags erhalten aber zumindest einen Betrag, der - wenn möglicherweise auch nur ganz geringfügig - über
dem normalen Arbeitslosengeld II liegt. Dieses Ergebnis ist mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten
Betrachtungsweise nicht vereinbar und beinhaltet einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Nicht ohne Bedeutung für diese Beurteilung ist, dass die beanstandete Gleichbehandlung Auswirkungen auf
das grundgesetzlich geschützte Recht auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) haben kann (vgl. dazu
BVerfGE 88, 87/96 und BVerfGE 82, 126/146).
22 Dieser Verstoß gegen Art. 3 GG ist auch nicht als Folge einer zulässigen Typisierung, Generalisierung oder
Pauschalierung hinzunehmen, zu welchen der Gesetzgeber zur Regelung von Massenverfahren berechtigt ist,
ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl.
BVerfGE 100, 138/174 und BVerfGE 71, 146/157).
23 Denn eine zulässige Typisierung setzt voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären
(BVerfGE 100, 138, 174 m.w.N.), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der
Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfGE 100, 138, 174 m.w.N.).
24 Die aufgezeigte Härte wäre nicht nur unter Schwierigkeiten, sondern relativ einfach zu vermeiden. Denn die
Höhe des Zuschlags ist dem Berechnungsbogen, der dem Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld
II als Anlage beigefügt ist, ohne Weiteres zu entnehmen (insoweit liegt hier allerdings ein atypischer Fall vor,
da die Berechnung offenbar zunächst fehlerhaft gewesen ist).
25 Da es somit schon an dem ersten Kriterium der Zulässigkeit einer Typisierung fehlt, kann offen bleiben, ob von
der Härte, wie das OVG NRW (Beschl. v. 28.11.2007- 16 E 1358/06 -, zitiert nach Juris) und wohl auch das
OVG Schleswig Holstein (Beschl. v. 23.07.2007- 20 7/07 -, zitiert nach Juris) offenbar annehmen, nur eine
kleine Anzahl von Personen betroffen ist. Dies dürfte zumindest zweifelhaft sein, zumal die Frage, was in
diesem Zusammenhang unter „klein“ zu verstehen ist, nicht leicht zu beantworten ist, und die Zahl der
Betroffenen je nach der Höhe der Arbeitslosenquote schwankt. Es kann darüber hinaus auch offen bleiben, ob
der Verstoß gegen den Gleichheitssatz als nicht sehr intensiv zu bezeichnen ist. Auch dies erscheint
zweifelhaft, wenn man bedenkt, welche Bedeutung jeder einzelne Euro bei einem Gesamteinkommen von 347
EUR hat.
26 Der aufgezeigte Verstoß gegen Art. 3 Satz 1 GG ist deshalb durch eine verfassungskonforme Auslegung im
Wege der teleologischen Reduktion in der Weise zu korrigieren, dass nicht die gesamte Gruppe derjenigen
Arbeitslosengeld II Empfänger, die einen Zuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB II erhält, von der
Rundfunkgebührenbefreiung ausgeschlossen ist, sondern nur der Teil, dessen Zuschlag höher ist als die
Rundfunkgebühr.
27 Dem steht nicht entgegen, dass angesichts des klaren Wortlauts der Norm für eine erweiternde Auslegung kein
Raum ist (so VG Sigmaringen, Urt. v. 27.04.2006 - 2 K 155/06 - zitiert nach Juris und VG Berlin, Urt. v.
28.03.2007 - A 126.06 - zitiert nach Juris). Denn teleologische Reduktion bedeutet in der Regel, den Wortlaut
des Gesetzes zu unterschreiten, indem ihm eine Einschränkung hinzugefügt wird (vgl. dazu Hans-Friedrich
Brandenburg, Die teleologische Reduktion, Seite 4, und die durch die Entscheidung des BVerfGE 35, 263 bis
280 und BVerfGE 88, 145 bis 168 und vom BGH, ZfBR 2007, 788 bis 791 entschiedenen Beispielsfälle). Denn
sie wird in der Regel dann erforderlich, wenn sich der Gesetzgeber zu präzise ausgedrückt hat (vgl.
Brandenburg, a.a.O., Seite 70) und kommt deshalb häufig gerade bei Ausnahmebestimmungen (um die es sich
auch bei § 6 Abs. 1 Nr. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag handelt) zur Anwendung. Dies hat seinen Grund
darin, „dass es offenbar Schwierigkeiten bereitet, insbesondere Ausnahmen gesetzgeberisch angemessen zu
formulieren“ und dass sie deshalb leicht „system - inkongruent“ sind (so Brandenburg a.a.O. Seite 68).
28 Für die vorgenommene Auslegung im Wege der teleologischen Reduktion spricht zudem nicht nur, dass
dadurch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verhindert werden kann, sondern auch, dass damit die
Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit dem Zweck eines Bundesgesetzes beseitigt werden kann. Dies
liegt insbesondere deshalb nahe, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Landesgesetzgeber dieses
Ergebnis seiner Regelung gesehen und bewusst billigend in Kauf genommen hat.
29 Zwar ist das Nieders. OVG (vgl. Beschl. v. 23.04.2007 - 4 PA 101/07 - NdsRpfl 2007, 357, 358) dieser Ansicht,
weil es seiner Meinung nach offensichtlich ist, dass Zuschläge nach § 24 SGB II geringer als die monatlichen
Rundfunkgebühren ausfallen können (im Ergebnis so auch OVG NRW, Beschl. v. 28.11.2007, a.a.O.).
30 Dagegen spricht zum einen aber, dass auch das OVG Schleswig Holstein (Beschl. v. 23.07.2007 a.a.O.) dies
als einen Ausnahmefall bezeichnet. Zum anderen ist, zumindest was die Gesetzgebungsverfahren für die
Baden-Württembergischen Zustimmungsgesetze zum 8. bzw. 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrages angeht,
den Gesetzesmaterialien keinerlei Hinweis dafür zu entnehmen, dass der Landtag als Gesetzgeber - hier eines
bloßen Zustimmungsgesetzes zu einem von den Ministerpräsidenten ausgehandelten Staatsvertrag - diese
Problematik überhaupt erkannt hat. Die Gesetzesbegründungen (vgl. LT-Drs. 13/3784 Seite 39 und 14/558
Seite 45) zu den jeweiligen Zustimmungsgesetzen enthalten dazu jedenfalls keine Ausführungen. Gegen die
Behauptung der Offensichtlichkeit spricht zudem die Formulierung des § 24 Abs. 2 SGB II, die abstrakt
beschreibt, wie die Höhe des Zuschlags zu berechnen ist. Einen konkreten Betrag nennt diese Regelung
hingegen nicht. Im Gegensatz dazu enthält aber die Regelung des § 24 Abs. 3 SGB II, durch welche die Höhe
des Zuschlags begrenzt wird, konkrete Beträge. Diese sind jedoch so hoch, dass sie nicht gerade Anlass zu
der Annahme bieten, der Betrag des Zuschlags könnte in einigen Fällen sogar unter dem Betrag der jeweiligen
Rundfunkgebühr liegen.
31 Wegen des so im Wege der teleologischen Reduktion gewonnenen Ergebnisses kann auch offen bleiben, ob
Fälle der vorliegenden Art unter die Härtefallklausel des § 6 Abs. 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag fallen (so
VG Sigmaringen, Urt. vom 27.04.2006 - 2 K 155/06 - zitiert nach Juris, VG Regensburg, Urt. v. 01.08.2006 - R
O 2 K 05.1472 - zitiert nach Juris -, VG Berlin, Urt. v. 28.03.2007 - A 126.06 - zitiert nach Juris, und
Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 22.03.2006 - 4 PA 38/06 - zitiert nach Juris, welches diese seine
Rechtsprechung aber inzwischen aufgegeben hat - vgl. Urt. v. 23.04.2007 -, 4 PA 101/07 - zitiert nach Juris).
32 Zwar kann dagegen nicht der Umstand sprechen, dass im Gegensatz zu der früheren Regelung des § 2
Rundfunkgebührenbefreiungsverordnung nunmehr Anknüpfungspunkt für die Gebührenbefreiung nicht mehr das
niedrige Einkommen, sondern der dieses bestätigende Leistungsbescheid ist (so aber VGH Baden-
Württemberg, Urt. v. 06.11.2006 - 2 S 1528/06 - zitiert nach Juris und OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v.
23.07.2007 a.a.O.). Denn der Grund für die Befreiung ist letzten Endes doch die Bedürftigkeit und nicht deren
Bescheinigung. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Härtefallregelung getroffen, um für die Fälle, in
denen eine „vergleichbare Bedürftigkeit“ wie bei den unter § 6 Abs. 1 RGebStV fallenden Personenkreisen,
vorliegt, eine Befreiungsmöglichkeit zu schaffen (vgl. die amtliche Begründung, LTDrs. 13784 Seite 39).
Zweifelhaft erscheint allerdings, ob in den Fällen, in denen ein Zuschlag gezahlt wird, der unter der
Rundfunkgebühr liegt, gerade eine solche vergleichbare Bedürftigkeit vorliegt. Denn unbestreitbar wird durch
den Erhalt des Zuschlags - so gering er auch immer sein mag - die maßgebliche Einkommensgrenze
überschritten.
33 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
34 Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.
35 Die Berufungszulassung erfolgt aufgrund § 124 a Abs. 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.