Urteil des VG Stuttgart vom 08.01.2013

VG Stuttgart: aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, bestimmtheit, verfügung, interview, meinungsfreiheit, report, bad, zukunft

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 8.1.2013, 11 S 1581/12
Leitsätze
1. Einem Ausländer, der als exponierter PKK-Funktionär wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung
an einer kriminellen Vereinigung als Rädelsführer eine mehrjährige Freiheitsstrafe verbüßt hat,
kann nach § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine politische Betätigung zugunsten der PKK untersagt
werden. Das Verbot kann auch öffentliche Reden umfassen, die lediglich einen mittelbaren PKK-
Bezug aufweisen.
2. An die Bestimmtheit eines politischen Betätigungsverbots sind wegen des
Grundrechtsbezugs, der Strafbewehrung (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und der zwangsweisen
Durchsetzbarkeit hohe Anforderungen zu stellen.
3. Bei der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO kann in Fällen, in denen die
Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen und zudem die Möglichkeiten der politischen
Betätigung des Ausländers bereits durch andere Maßnahmen (wie Aufenthaltsbeschränkung
und Meldeauflage nach § 54a AufenthG) faktisch eingeschränkt sind, dem Aussetzungsinteresse
Vorrang einzuräumen sein (hier bejaht).
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart
vom 5. Juli 2012 - 11 K 732/12 - wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für
beide Rechtszüge auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der am …1956 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörigkeit. Im Jahr 1976 lernte er während des Studiums in Ankara Abdullah
Öcalan kennen. 1978 schloss er sich der damals neu gegründeten PKK an. Wegen seiner
Aktivitäten für diese wurde er 1980 festgenommen. Die wegen "Separatismus" zunächst
verhängte Todesstrafe wurde 1991 in eine Freiheitsstrafe von 40 Jahren umgewandelt.
Auch während seiner Haftzeit trat der Antragsteller für die Rechte des kurdischen Volkes
und die Ziele der PKK ein; er nahm beispielsweise an Hungerstreiks und dem so
genannten „Todesfasten“ teil, unterstützte verschiedene Aufrufe und verfasste Artikel
sowie sonstige Schriften. 1997/98 war er an Gesprächen von Vertretern des türkischen
Staates mit der PKK-Führung beteiligt; der Kontakt zu Abdullah Öcalan erfolgte damals
unter anderem über ihn. Nach insgesamt mehr als 20 Jahren Haft wurde er am 03.09.2000
auf Bewährung entlassen.
2 Am 04.11.2002 reiste der Antragsteller erstmals in das Bundesgebiet ein. Auf seinen
Asylantrag vom 03.02.2003 hin und nach entsprechender Verpflichtung durch Urteil des
Verwaltungsgericht Stuttgart vom 30.04.2004 - A 3 K 12874/03 - stellte das Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 01.07.2004 fest, dass ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegt.
3 Am 08.08.2006 wurde der Antragsteller aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters
beim Bundesgerichtshof wegen des Verdachts der Rädelsführerschaft in einer kriminellen
Vereinigung festgenommen. Ein Antrag der Türkei vom 10.12.2007 auf Auslieferung des
Antragstellers, welcher damit begründet worden war, dass dieser als Mitglied des
Führungskomitees der PKK innerhalb Europas und wegen der damit verbundenen
Leitungsfunktionen für Terroranschläge der PKK auf dem türkischen Staatsgebiet
verantwortlich sei, wurde letztlich von der Bundesregierung am 14.05.2009 abgelehnt. Mit
Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 10.04.2008 wurde der Antragsteller
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Rädelsführer
zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zur Begründung
wurde ausgeführt, der Antragsteller sei von Juni 2005 bis zu seiner Festnahme
verantwortlicher Leiter des PKK-CDK-Sektors Süd in Deutschland gewesen. Die
Sektorleiter seien in Deutschland von der Europaführung der PKK/CDK bestimmt und
überwacht worden. Als Sektorverantwortlicher habe der Antragsteller unter anderem die
typischen Leitungsaufgaben erledigt und die organisatorischen, finanziellen, persönlichen
sowie propagandistischen Angelegenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich geregelt.
Durch seine Amtsführung habe er den organisatorischen Zusammenhalt dieser
Vereinigung gefestigt und bei deren Aktivitäten bestimmend mitgewirkt. Nach Aufhebung
dieses Urteils im Strafausspruch durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom
10.11.2008 wurde die Freiheitsstrafe mit Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom
09.03.2009 auf drei Jahre und zwei Monate verringert.
4 Am 07.10.2009 wurde der Antragsteller aus der Haft entlassen.
5 Bereits mit Bescheid vom 14.08.2009 hatte das Regierungspräsidium Stuttgart den
Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgewiesen, seinen Aufenthalt
ab dem Zeitpunkt der Haftentlassung auf das Stadtgebiet Stuttgart beschränkt und ihn
verpflichtet, sich ab dem Folgetag seiner Haftentlassung einmal täglich zwischen 11.00
Uhr und 13.00 Uhr bei einem bestimmten Polizeirevier zu melden. Die dagegen vom
Antragsteller eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (VG Stuttgart, Urteil vom
25.01.2010 - 11 K 3543/09 -, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 -,
BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 -).
6 Mit Bescheid vom 10.02.2012 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter
Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziff. 2) die politische Betätigung zugunsten der
PKK (Ziff. 1) und drohte für jeden Fall einer Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von
1.000 EUR an (Ziff. 3). Die Verfügung unter Ziffer 1 des Bescheids lautet - in der Fassung
einer mit Ergänzungsbescheid vom 11.05.2012 erfolgten Berichtigung:
7
“Ihnen wird die politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)
sowie zugunsten der von dieser dominierten Organisationen (namentlich der YEK-KOM
und deren Ortsvereine) untersagt. Das Verbot gilt auch, soweit die PKK unter den
Aliasbezeichnungen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK auftritt. Verboten sind
hiernach insbesondere die Teilnahme an öffentlichen politischen Versammlungen und
Aufzügen, die Übernahme und Ausübung von Ämtern sowie politische Reden,
Pressekonferenzen und schriftliche Veröffentlichungen.“
8 Hiergegen erhob der Antragsteller am 05.03.2012 Widerspruch. Auf seinen Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit
Beschluss vom 05.07.2012 - 11 K 732/12 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 10.02.2012 in der Fassung des Ergänzungsbescheids
vom 11.05.2012 wieder her und ordnete die aufschiebende Wirkung im Hinblick auf Ziffer
3 des Bescheids an.
9 Gegen diesen am 13.07.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am
20.07.2012 Beschwerde eingelegt und diese am 06.08.2012 begründet. Der Antragsteller
begehrt die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
10 Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Stuttgart vom 05.07.2012 ist fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet
worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig, hat jedoch in der Sache
keinen Erfolg. Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung das
Beschwerdeverfahren beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine
andere Entscheidung.
11 1. Dies gilt zunächst für die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen die Annahme des
Verwaltungsgerichts, die Erfolgsaussichten des vom Antragsteller gegen den Bescheid
vom 10.02.2012 eingelegten Rechtsbehelfs seien zumindest als offen anzusehen.
12 Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht dargelegt, es bestünden Zweifel an der
hinreichenden Bestimmtheit des Verbots der politischen Betätigung unter Ziffer 1 des
Bescheids. In den Gründen des Bescheids seien einzelne politische Betätigungen des
Antragstellers in der Zeit von November 2009 bis September 2011 genannt worden. Dazu
sei weiter ausgeführt worden, dass auch vergleichbare politische Betätigungen in der
Zukunft von dem Betätigungsverbot erfasst würden. Die aufgeführten politischen
Aktivitäten des Antragstellers ließen jedoch nicht in jedem Einzelfall erkennen, dass es
sich hierbei um eine politische Betätigung zugunsten der PKK oder einer der von dieser
dominierten Organisationen gehandelt habe. Bei fünf der im Bescheid vom 10.02.2012
angeführten Aktivitäten bestünden insoweit Zweifel, so bei der dem Antragsteller
vorgehaltenen Teilnahme an einer Veranstaltung am 29./30.05.2010 in Achern, bei Reden
anlässlich einer Veranstaltung in Rüsselsheim am 11./12.06.2010 und anlässlich der Feier
zum zehnjährigen Bestehen des Kurdischen Kulturvereins in Ludwigsburg (gemeint:
Ludwigshafen) am 19.06.2010, der Teilnahme des Antragstellers an einem Symposium in
Köln zum Thema "Was wollen die unterdrückten Völker und Minderheiten" und bei zwei
Interviews, die in der Ausgabe Nr. 156 (Juli/August 2011) des "Kurdistan Report" bzw. in
der Yeni Özgür Politika vom 02. und 03.09.2011 erschienen seien. Weil im Bescheid somit
Veranstaltungen als Beispielsfälle für politische Betätigungen zugunsten der PKK
angeführt würden, die tatsächlich in der überwiegenden Zahl keine entsprechende
politische Betätigung erkennen ließen, sei für den Antragsteller als Adressat des
streitgegenständlichen Bescheids nicht ersichtlich, was genau von ihm gefordert werde.
Darüber hinaus bestünden Zweifel, ob die Antragsgegnerin ihrer Ermessensentscheidung
einen zutreffenden Sachverhalt zugrundegelegt habe, weil sie davon ausgegangen sei,
dass es sich bei den im Bescheid vom 10.02.2012 ausdrücklich benannten
Veranstaltungen um politische Betätigungen des Antragstellers zugunsten der PKK
gehandelt habe. Nach Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Hinblick auf
Ziffer 1 des Bescheids vom 10.02.2012 lägen die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 2
LVwVG nicht mehr vor, so dass auch im Hinblick auf die Androhung eines Zwangsgelds
unter Ziffer 3 des Bescheids die aufschiebende Wirkung anzuordnen sei.
13 Die insoweit von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe sind nicht geeignet, zu einer
anderen Beurteilung zu führen. Vielmehr bestehen auch nach Auffassung des Senats
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 10.02.2012, welche einer weiteren
Prüfung im Hauptsacheverfahren bedürfen. Dabei ist abzustellen auf die im
Beschwerdebegründungsschriftsatz der Antragsgegnerin vom 06.08.2012 - noch innerhalb
der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO - erfolgte Änderung der
Gründe des Bescheids vom 10.02.2012 und der Ermessenerwägungen (vgl. zur
Berücksichtigung neuer Tatsachen im Beschwerdeverfahren: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl.
2011, § 147 Rn. 39, vgl. auch Rn. 30 ff., 36; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 146 Rn.
81 ff., 83, jew. m.w.N.).
14 Zwar liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Verbots der politischen Betätigung
nach § 47 Abs. 1 AufenthG gegenüber dem Antragsteller hier grundsätzlich vor (a). Ob der
erste Teil - Ziffer 1 Satz 1, 1. Halbsatz - der Verfügung, wonach dem Antragsteller "die
politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)" untersagt wird, in
Verbindung mit der Konkretisierung in Satz 3 des Tenors noch als hinreichend bestimmt
anzusehen sein kann, kann hier letztlich offen bleiben. Denn insoweit bestehen jedenfalls
nicht zuletzt mit Blick auf die durch die Antragsgegnerin erfolgte Abänderung des
Bescheids und der Ermessenserwägungen im Beschwerdeverfahren weitere Zweifel an
der Rechtmäßigkeit dieses Teils der Verfügung (b). Auch die Frage, ob die Erstreckung
des Betätigungsverbots auf "von der PKK dominierte Organisationen, namentlich der YEK-
KOM und deren Ortsvereine" in Satz 1, 2. Halbsatz der Verbotsverfügung rechtmäßig ist,
bedarf weiterer Klärung im Hauptsacheverfahren (c).
15 a) Zunächst ist klarzustellen, dass eine politische Betätigung des Antragstellers zugunsten
der PKK prinzipiell gemäß § 47 Abs. 1 AufenthG untersagt werden kann.
16 Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer sich im Rahmen der allgemeinen
Rechtsvorschriften politisch betätigen. Die politische Betätigung eines Ausländers kann
nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift aber unter anderem beschränkt oder untersagt
werden, soweit sie die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder
das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen
Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige
erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
17 Die politische Betätigung, die der Antragsteller in der Vergangenheit für die PKK ausgeübt
hat und deren Fortsetzung zu erwarten ist, gefährdet die öffentliche Sicherheit im Sinne
des § 47 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Trotz seiner strafrechtlichen Verurteilung, der
langjährigen Haftstrafe sowie der Ausweisungsverfügung vom 14.08.2009 und der mit
dieser verfügten Meldeauflage sowie der Beschränkung seines Aufenthalts auf den Bezirk
der Stadt Stuttgart ist der Antragsteller seit seiner Haftentlassung weiter ständig in einer Art
und Weise politisch tätig, die als herausgehoben aktive Unterstützung der PKK bzw. deren
Nachfolgeorganisationen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK (im Folgenden "PKK")
anzusehen ist.
18 Dazu gehören zum Beispiel die im Bescheid vom 10.02.2012 und in dem Bericht des
Landesamts für Verfassungsschutz vom 02.05.2012 angeführten Reden des Antragstellers
aus Anlass der jährlichen PKK-Gründungsfeier (am 22.11.2009 und im November 2011 in
Stuttgart), der Feier anlässlich des Geburtstags von Öcalan (am 04.04.2010 in Stuttgart,
vgl. zu letzterem schon Senatsurteil vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - im Verfahren
bezüglich der Ausweisung des Antragstellers), von Veranstaltungen zum Gedenken an
Märtyrer (wie im Juni 2010 in Köln, am 17./18.10.2010 in Hanau und am 01.11.2011 in
Heilbronn), aber auch im Zusammenhang mit der Wahl der örtlichen Vorsitzenden des
"Volksgebietsrats" - eines Gremiums, mit welchem die PKK eine verstärkte Einbindung
ihrer Anhänger in organisationsinterne Entscheidungsprozesse anstrebt (vgl. dazu im
Einzelnen, Senatsurteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -juris) - am 27.02.2011 in Gießen.
Die betreffenden Veranstaltungen haben schon von ihrem Anlass bzw. ihrer Thematik her
für die Besucher erkennbar den Charakter einer Propagandaveranstaltung für die PKK.
Bereits die bloße Teilnahme an einer dieser Feiern bzw. Versammlungen fördert den
Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger und kann daher als Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung - etwa im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG - anzusehen
sein (vgl. dazu Urteil des Senats vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412,
m.w.N.; Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslR 2011, 105). Dies gilt
insbesondere auch für die so genannten Märtyrergedenkveranstaltungen, welche ein
wesentliches Element zur Herstellung eines engen und emotionalen Zusammenhalts der
PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten darstellen und damit zur Verbreiterung und
Stärkung der PKK-Basis führen (vgl. dazu Urteile des Senats vom 07.12.2012 und vom
16.05.2012, jew. a.a.O.; Senatsbeschluss vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -; vgl. zum
Märtyrerkult auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 -Buchholz 402.45
VereinsG Nr. 53). Dass sich der Antragsteller mit seinen Redebeiträgen bei den
angeführten Veranstaltungen für die PKK politisch betätigt hat, liegt auf der Hand.
Angesichts des Charakters der Versammlungen bzw. Feiern kommt es auch nicht etwa
darauf an, ob er dabei ausdrücklich Werbung für die PKK gemacht oder sich lediglich an
sich unverfänglichen allgemeinen politischen Themen - mit denen sich aber auch die PKK
befasst - wie der Lage der Kurden oder der aktuellen politischen Entwicklung in der Türkei
gewidmet hat.
19 Entsprechendes gilt für Auftritte des Antragstellers, bei denen sich der PKK-Bezug
unverkennbar aus den näheren Umständen ergibt wie z.B. daraus, dass die Einladungen
oder Eintrittskarten mit PKK-Symbolen versehen sind, dass neben oder auf der Bühne
oder in den Veranstaltungsräumen Plakate oder Fahnen der PKK bzw. ihrer Nachfolge-
oder Unterorganisationen und Fotos von Öcalan oder von PKK-Märtyrern hängen u.ä.
20 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dürften aber auch öffentliche Reden
des Antragstellers zur Situation der Kurden bei Feiern und Veranstaltungen, welche nicht
aus einem von vornherein der PKK zurechenbaren Anlass und ohne eindeutige Plakate
oder Fahnen durchgeführt werden, als Aktivität zugunsten der PKK anzusehen sein. Dazu
zählen seine Auftritte am 11. bzw. 12.06.2010 in Rüsselsheim, am 19.06.2010 anlässlich
des zehnjährigen Bestehens des Kurdischen Kulturvereins in Ludwigshafen und am 29.
bzw. 30.05.2010 in Achern bei einer Solidaritätsveranstaltung für die Eröffnung eines
kurdischen Kulturvereins in Straßburg. Der Antragsteller hat zwar bei diesen Vorträgen
wohl keine "offene Werbung" für die PKK gemacht. Es ist aber zu berücksichtigen, dass er
dem Personenkreis, der solche Veranstaltungen besucht, als PKK-Funktionär bekannt ist.
Gibt man seinen Namen und das Stichwort "PKK" bei google ein, erscheinen unzählige
Treffer, auch in deutscher Sprache. Ausweislich der Feststellungen des
Oberlandesgerichts Frankfurt im Urteil vom 10.04.2008 war er von Juli 2005 bis zu seiner
Festnahme am 08.08.2006 verantwortlicher Leiter des PKK/CDK-Sektors "Süd", eines von
nur drei Sektoren in Deutschland. Er war der "Verbindungsmann" zwischen der
Europaführung der PKK und den Sektorleitern in Deutschland. Wegen seiner
Vergangenheit, insbesondere auch seiner Beteiligung an Gesprächen der türkischen
Regierung Ende der 1990-er Jahre mit der PKK bzw. mit Öcalan, die er z.B. in dem im
Kurdistan-Report Nr. 146 (Juli/August 2011) abgedruckten Interview ausführlich
geschildert hat, und wegen seiner fortdauernden Aktivitäten für die PKK in Deutschland ist
davon auszugehen, dass sein Name mit der PKK in Verbindung gebracht wird. In
wikipedia wird er als "Führungsfunktionär der Arbeiterpartei Kurdistans" vorgestellt. In dem
Vorspann zu einem Ende Februar 2012 gegebenen Interview mit dem Antragsteller,
welches in dem Internet-Portal "DIEKURDEN.DE" erschienen ist, wird ausgeführt, dass
dieser als "einer der einflussreichsten PKK-Verantwortlichen in der EU" gesehen werde.
Soweit ersichtlich, hat sich der Antragsteller bis heute nie von der PKK und deren Zielen
distanziert; dies wird von ihm auch nicht behauptet. Vielmehr hat er sich unter anderem in
der beschriebenen Art und Weise durch Auftritte an diversen Feiern aus Anlass der PKK-
Gründung bzw. zur Feier des Geburtstags von Öcalan und an Veranstaltungen zum
Gedenken von PKK-Märtyrern weiter öffentlich mit der PKK identifiziert. In seinen
Redebeiträgen heroisiert er offensichtlich die Guerillakämpfer der PKK und verherrlicht
Öcalan, welcher als Identifikations- bzw. Symbolfigur für die PKK - einschließlich deren
bewaffneten Kampfes - anzusehen ist (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010,
a.a.O.; Senatsurteil vom 07.12.2011, a.a.O.).
21 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass weiterhin jede der angeführten
politischen Aktivitäten des Antragstellers der PKK zugerechnet wird und dass diese
geeignet sowie - von ihm bewusst - darauf gerichtet sind, Ansehen und Rückhalt der PKK
bei den Zuhörern zu stärken und für diese zu werben. Selbst wenn er in Reden lediglich
zur allgemeinpolitischen Lage der Kurden in der Türkei Stellung nimmt, zum Beispiel über
Maßnahmen der türkischen Staates gegen Kurden in den vergangenen Jahren berichtet,
zur Wahl einer legalen kurdischen Partei auffordert oder ähnliches, wird dies als
Stellungnahme für die PKK und damit als Werbeaktion für diese verstanden.
22 Dass insbesondere mit den angeführten Aktivitäten für die - seit 1993 in Deutschland
verbotene - PKK eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 47 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 AufenthG einhergeht, ist nicht zweifelhaft (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,
Beschluss vom 10.03.1999 - 11 S 1688/98 -InfAuslR 1999, 231). Die PKK ist weiter dem
Terrorismus zuzurechnen (vgl. dazu ausführlich Senatsurteile vom 16.05.2012 und vom
07.12.2011, jew. a.a.O., m.w.N.). Abgesehen davon dürfte die Antragsgegnerin auch zu
Recht davon ausgegangen sein, dass eine entsprechende politische Betätigung
außenpolitischen Interessen oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen der
Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen kann (vgl. dazu Haibronner, Ausländerrecht,
Stand: August 2012, § 46 AufenthG Rn. 21 ff.; kritisch GK-AufenthG, Stand: Oktober 2012,
§ 47 AufenthG Rn. 22 ff.) und daher auch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 Nr.
2 AufenthG erfüllt sind. Dies bedarf jedoch hier keiner abschließenden Klärung.
23 b) Zweifel an der Rechtmäßigkeit des gegen den Antragsteller verfügten
Betätigungsverbots unter Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids der Antragsgegnerin
bestehen aber zunächst insoweit, als diesem danach im ersten Teil (Satz 1, 1. Halbsatz)
"die politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)" untersagt wird -
wobei das Verbot nach Satz 2 der Verfügung auch gilt, soweit die PKK unter den
Aliasbezeichnungen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK auftritt.
24 aa) Zum einen ist fraglich, ob die Verfügung insoweit den Anforderungen an die
Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG) genügt.
25 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Regelung eines
Verwaltungsakts inhaltlich derart bestimmt sein muss, dass der Adressat in der Lage ist zu
erkennen, was von ihm gefordert wird; sie muss eine geeignete Grundlage für
Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung sein können. Wenn auch die Verwendung
unbestimmter Rechtsbegriffe zulässig sein kann und bei einem Verbot der politischen
Betätigung wie dem vorliegenden angesichts der Vielzahl der unterschiedlichsten Arten
der in Betracht kommenden Aktivitäten kaum vermeidbar ist, muss trotzdem hinreichend
eindeutig sein, welche Tätigkeiten untersagt werden. In Anbetracht des durch das Verbot
der politischen Betätigung nach § 47 AufenthG bewirkten Eingriffs in Grundrechte des
Betroffenen - wie insbesondere die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit
- und der Strafbewehrung von Verstößen durch § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind an die
Bestimmtheit hier hohe Anforderungen zu stellen (vgl. näher allgemein zur Bestimmtheit:
BVerwG, Urteile vom 02.07.2008 - 7 C 38.07 - NVwZ 2009, 52, vom 02.12.1993 - 3 C
42.91 - BVerwGE 94, 341, vom 15.02.1990 - 4 C 41.87 - NVwZ 1990, 658, und vom
26.01.1990 - 8 C 69.87 -NVwZ 1990, 855, jew. m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom
05.10.1999 - 10 S 1059/99 - NVwZ 2000, 91; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008,
§ 37 Rn. 5 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2010 - 1 BvR 1106/08 -
juris; zur Bestimmtheit im Rahmen von Anordnungen nach § 47 AufenthG bzw. den
entsprechenden früheren Regelungen: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.03.1999,
a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.04.2002 - 2 O 33/02 - juris; VG München,
Urteil vom 20.02.2002 - M 28 K 01.2231 - juris, Beschluss vom 29.03.2000 - M 26 S
99.4956 - juris; VG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2012 - 8 K 1265/11 - juris).
26 Im vorliegenden Fall wird das Verbot der politischen Betätigung zugunsten der PKK in
Satz 3 der Verfügung - in der Fassung des Berichtigungsbescheids vom 11.05.2012 - zwar
weiter konkretisiert. Danach werden dem Antragsteller insbesondere die Teilnahme an
öffentlichen Veranstaltungen und Aufzügen, die Übernahme und Ausübung von Ämtern
sowie politische Reden, Pressekonferenzen und schriftliche Veröffentlichungen untersagt.
Die beispielhaft aufgezählten Aktivitäten sind ihm dabei nicht insgesamt, sondern nur
insoweit verboten, als er sich damit zugunsten der PKK politisch betätigt. Für Reden des
Antragstellers dürfte das zum Beispiel bedeuten, dass dieser nicht nur solche Auftritte zu
unterlassen hat, bei denen er offen für die PKK wirbt, sondern in dem dargelegten Umfang
(vgl. unter a) auch Reden zur allgemeinpolitischen Lage der Kurden o.ä. Wie allerdings im
Einzelfall untersagte und noch erlaubte Tätigkeiten bzw. Aktivitäten genau voneinander
abgegrenzt werden können, lässt sich derzeit weder dem verfügenden Teil des Bescheids
in seiner aktuellen Fassung noch den Gründen hinreichend zweifelsfrei entnehmen.
27 Letztlich kann und muss die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Klärung im
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dort wird auch zu prüfen sein, ob und
gegebenenfalls welche Folgerungen sich aus der - inzwischen geänderten (vgl. dazu
nachfolgend bb) - Begründung des Bescheids vom 10.02.2012 für die Frage der
Bestimmtheit der Verfügung ergeben könnten.
28 bb) Selbst wenn man davon ausginge, dass das gegenüber dem Antragsteller verfügte
Verbot der politischen Betätigung zugunsten der PKK unter Ziffer 1 Satz 1, 1. Halbsatz des
Bescheids vom 10.02.2012 hinreichend bestimmt wäre, sind die Erfolgsaussichten des
Widerspruchs bzw. einer nachfolgenden Klage des Antragstellers derzeit als offen
anzusehen. Denn mit Blick auf die Beschwerdebegründung der Antragsgegnerin spricht
einiges dafür, dass das Ermessen insoweit fehlerhaft ausgeübt und die Verbotsverfügung
daher als rechtswidrig anzusehen ist.
29 Liegen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor, steht die Entscheidung
über den Erlass und über den Umfang eines entsprechenden Verbots im pflichtgemäßen
Ermessen der Behörde, welches nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist (vgl. § 114
Satz 1 VwGO). Dabei hat die Ausländerbehörde eine einzelfallbezogene Würdigung und
Abwägung der öffentlichen Interessen und der persönlichen Belange des Betroffenen
unter besonderer Beachtung der im konkreten Fall berührten Grundrechte und
Menschenrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) und
der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), sowie dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmen (vgl. dazu auch BVerfG, Kammerbeschluss
vom 08.12.2010, a.a.O.). Gegenwärtig bestehen Zweifel daran, ob die
Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin den an sie zu stellenden Anforderungen
genügt.
30 Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin zur Begründung des
Betätigungsverbots nur noch vier politische Aktivitäten des Antragstellers anführt. Im
Beschwerdeverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 06.08.2012 ausdrücklich erklärt, der
"Sachverhalt auf Seite 5 zweitletzter Absatz bis Seite 7 vierter Absatz der
Ausgangsverfügung ... vom 10.02.3012 zu den einzelnen sicherheitsrechtlichen
Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg" werde durch
die folgende Beschwerdebegründung ersetzt. Dies gelte gleichermaßen im Hinblick auf
die Ergänzung der Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO unter
Zugrundelegung eines geänderten Sachverhaltes, der ebenfalls durch diese
Beschwerdebegründung wie folgt ersetzt werde. Sodann werden nur noch vier der
ursprünglich angeführten Aktivitäten genannt und weiter erläutert, nämlich die Reden des
Antragstellers bei der Veranstaltung am 30.05.2010 in Achern und am 19.06.2010 in
Ludwigshafen sowie seine im Kurdistan Report Nr. 145 (Juli/August 2011) und in der Yeni
Özgür Politika vom 02. und 03.09.2011 abgedruckten Interviews. Im Folgenden wird
zudem dargelegt, dass der Antragsteller durch "die neue Begründung" in die Lage versetzt
werde zu erkennen, was von ihm gefordert werde.
31 Angesichts der damit von der Antragsgegnerin noch herangezogenen vier Erkenntnisse
über vergangene Betätigungen des Antragstellers für die PKK - welche zugleich als
Beispiele für in Zukunft untersagte Aktivitäten des Antragstellers dienen sollen -, dürfte die
Verfügung der Antragsgegnerin unter Ziffer 1 Satz 1, 1. Halbsatz des angegriffenen
Bescheids in seiner derzeitigen Fassung als ermessensfehlerhaft anzusehen sein. So
bestehen Zweifel, ob die Entscheidung auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage
beruht. Außerdem dürfte die Antragsgegnerin von falschen rechtlichen Maßstäben
ausgegangen sein. Denn von den noch angeführten vier Betätigungen bestehen bei den
Interviews Zweifel daran, ob diese zu Recht als Beispiel für in Zukunft untersagte
Tätigkeiten angeführt wurden.
32 Zwar kann nach § 47 AufenthG auch eine politische Betätigung in Form von
Zeitungsartikeln und Interviews beschränkt bzw. untersagt werden. Zum einen ist dafür
aber Voraussetzung, dass das betreffende Interview bzw. der Zeitungsartikel tatsächlich
als politische Betätigung zugunsten der PKK anzusehen ist. Zum anderen ist auch in
diesem Zusammenhang eine sorgfältige Würdigung der durch die jeweilige Aktivität
konkret zu erwartenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine
umfassende Abwägung der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit mit dem
öffentlichen Interesse an einer möglichst weitgehenden und effektiven Eindämmung der
Unterstützung terroristischer Aktivitäten und politischer Betätigungen für verbotene
Vereine wie die PKK vorzunehmen.
33 Zumindest bei dem in der Yeni Özgür Politika vom 02. und 03.09.2011 veröffentlichten
Interview mit dem Antragsteller bestehen die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel
daran, ob dieses eine politische Betätigung zugunsten der PKK darstellt. Denn nach dem
in Übersetzung vorliegenden Auszug beklagt der Antragsteller darin vor allem, wie seitens
deutscher Behörden mit ihm umgegangen werde. Eine Person wie er, welche persönlich
keine Straftaten begangen habe, werde in Deutschland bestraft, weil sie für die PKK tätig
und die PKK hier verboten sei. Man verbringe deswegen Jahre im Gefängnis. Seine
Menschenrechte seien missachtet worden. Mit seiner Bestrafung sei das Problem auch
nicht gelöst worden, Ungerechtigkeiten und die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte
dauerten noch an. Er sei sich sicher, wenn er in der Türkei gewesen wäre, wären ihm
diese Ungerechtigkeiten nicht widerfahren. Diese Praktiken hätten mit der inneren
Sicherheit Deutschlands gar nichts zu tun. Es gebe jede Menge Menschen, die ihrer
Menschen- und Asylrechte beraubt würden. Abgesehen davon, dass jedenfalls diese
Passage des Interviews für sich genommen nicht als Betätigung zugunsten der PKK
anzusehen sein dürfte, könnte eine Untersagung auch solcher Äußerungen des
Antragstellers zu seinem persönlichen Schicksal einen unverhältnismäßigen Eingriff in
seine Meinungsfreiheit darstellen. Allein der Umstand, dass er sich der Sache nach gegen
das Verbot der PKK in Deutschland wendet, dürfte wohl nicht zu einer anderen
Beurteilung führen (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 27.01.2011 - 16637/07, Aydin - NVwZ
2011, 1185).
34 Bei dem im Kurdistan-Report Nr. 156 abgedruckten Interview steht ebenfalls die Person
des Antragstellers im Vordergrund. Er schildert - sehr ausführlich -seinen persönlichen
Werdegang innerhalb der PKK. Allerdings enthält dieses Interview viele Aussagen, die
auch vor dem Hintergrund, dass sie vom Antragsteller als bekanntem (ehemaligem) PKK-
Funktionär stammen, als Werbung für die PKK zu verstehen sein dürften und deren
Untersagung daher auch in Ansehung von Art. 2 und 5 GG bzw. Art. 10 EMRK zulässig,
insbesondere verhältnismäßig sein könnte. Diese Frage bedarf aber ebenfalls weiterer
Prüfung im Hauptsacheverfahren.
35 c) Erst recht bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung unter Ziffer 1
des Bescheids vom 10.02.2012 hinsichtlich des zweiten Halbsatzes des Satz 1. Danach
wird dem Antragsteller auch die politische Betätigung zugunsten der von der PKK
"dominierten Organisationen (namentlich der YEK-KOM und deren Ortsvereine)“
untersagt. Dabei sollen unter den "Ortsvereinen" offensichtlich alle kurdischen Vereine zu
verstehen sein, die Mitglied bei der YEK-KOM, der "Föderation Kurdischer Vereine in
Deutschland e.V" sind. Abgesehen von den auch insoweit bestehenden Zweifeln an der
hinreichenden Bestimmtheit, ist dieses Verbot in der derzeitigen Fassung aber jedenfalls
zu weitgehend.
36 Zum einen kann ohne weitere Klärung und gegebenenfalls Beweiserhebung nicht allein
aufgrund der Mitgliedschaft eines kurdischen Vereins bei der YEK-KOM angenommen
werden, dieser sei "von der PKK dominiert". Allerdings unterstützt die YEK-KOM, deren
Sitz in Düsseldorf und die ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in
Europa“ (KON-KURD) ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine
angeschlossen sind, die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibt eine intensive
Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen für die PKK. Deshalb geht der Senat
davon aus, dass der Umstand, dass ein kurdischer Ortsverein Mitglied bei der YEK-KOM
ist, für eine PKK-Nähe des betreffenden Vereins spricht (vgl. dazu Urteile vom 07.12.2011
und vom 16.05.2012, jew. a.a.O.). Mehr als ein - wenn auch gewichtiges - Indiz für die
Nähe des betreffenden Vereins zur PKK kann aber daraus nach dem derzeitigen
Erkenntnisstand nicht gefolgert werden.
37 Zum anderen kann auch nicht etwa jede politische Betätigung für einen Ortsverein als
politische Betätigung für die PKK angesehen und daher untersagt werden. Dem Wortlaut
der Verbotsverfügung vom 10.02.2012 nach ist das jedoch der Fall ("Ihnen wird die
politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans [PKK] sowie zugunsten der
von dieser dominierten Organisationen [namentlich der YEK-KOM und deren Ortsvereine]
untersagt."). Dadurch wäre zum Beispiel auch die Unterstützung des örtlichen kurdischen
Kulturvereins bei einer rein lokalpolitischen Angelegenheit ohne jeden Bezug zur PKK
verboten, etwa bei dessen Engagement für einen neuen Kindergarten oder eine neue
Schule in der betreffenden Gemeinde. Ein solches Verbot wäre von der
Ermächtigungsgrundlage des § 47 AufenthG eindeutig nicht mehr erfasst.
38 2. Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, bei (zumindest) offenen
Erfolgsaussichten in der Hauptsache sei der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hier
begründet, hat sich die Antragsgegnerin nicht gewandt. Abgesehen davon ist auch der
Senat der Auffassung, dass bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen
Interessenabwägung dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zu einer Klärung in der
Hauptsache in seiner grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit und seiner
Handlungsfreiheit nicht weiter eingeschränkt zu werden, hier derzeit Vorrang einzuräumen
ist gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem sofortigen Vollzug.
39 Dabei ist abgesehen von den bestehenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des
Bescheids zu berücksichtigen, dass die Möglichkeiten des Antragstellers, politisch die
PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen zu unterstützen, bereits durch andere
Maßnahmen - wie etwa die im Ausweisungsbescheid vom 14.08.2009 auferlegte tägliche
Meldepflicht bei einem Polizeirevier in Stuttgart sowie die darin erfolgte Beschränkung
seines Aufenthalts auf das Stadtgebiet -faktisch eingeschränkt und entsprechende
Unterstützungshandlungen teilweise ohnehin strafbewehrt sind (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4
i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG, § 129 StGB). Dem öffentlichen Interesse an einer möglichst
umgehenden Verhinderung von politischen Aktivitäten des Antragstellers zugunsten der
PKK kann daher bereits jetzt - wenn auch nur teilweise - Rechnung getragen werden
durch eine Überwachung und gegebenenfalls zwangsweise Durchsetzung der
angeführten Auflagen im Ausweisungsbescheid vom 14.08.2009 und durch ein
strafrechtliches Vorgehen gegen Aktivitäten, die gegen das vereinsrechtliche
Betätigungsverbot (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG) verstoßen oder nach dem
Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt sind (vgl. z.B. § 129 StGB). Wiederholte Verstöße
gegen die bestehende räumliche Beschränkung sind gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 6a AufenthG
strafbar.
40 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es der Antragsgegnerin unbenommen bleibt,
bei einer Änderung der maßgeblichen Sachlage, etwa einer erneuten Ergänzung oder
Korrektur des Bescheids vom 10.02.2012 im Widerspruchsverfahren einen Antrag nach §
80 Abs. 7 VwGO zu stellen.
41 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
42 Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren und die Änderung des
Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen beruhen auf §§ 63
Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der bei
einer Klage gegen ein politisches Betätigungsverbot im Hauptsacheverfahren
zugrundezulegende Streitwert von 5.000 EUR ist mit Blick auf die Besonderheiten des
Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Ziffern 1.5 und
1.6.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327). Der
Zwangsgeldandrohung kommt hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. Ziff.
1.6.2 des Streitwertkatalogs, a.a.O.).
43 Der Beschluss ist unanfechtbar.