Urteil des VG Stuttgart vom 14.02.2011

VG Stuttgart: dienstleistungsfreiheit, verfügung, staatliches monopol, öffentliche sicherheit, zahl, genehmigung, veranstaltung, eugh, aeuv, sucht

VG Stuttgart Urteil vom 14.2.2011, 4 K 4482/10
Vermittlung von Sportwetten durch Private
Leitsätze
1. Eine Verfügung, mit der die Vermittlung von Sportwetten aus Deutschland durch Private in einen anderen Staat der EU untersagt wird, kann nicht
auf § 9 GlüStV gestützt wer-den, weil diese Vorschrift als Begleitregelung des deutschen Glücksspielmonopols mit Art. 49 (Niederlassungsfreiheit)
bzw. Art. 56 (Dienstleistungsfreiheit) AEUV unvereinbar ist und damit gegen den Vorrang des Unionsrechts verstößt. Die Verfügung kann unter
diesen Umständen auch weder auf eine formelle Illegalität noch auf eine andere Ermächtigungsgrundlage gestützt werden (im Einzelnen wie VG
Stuttgart, Urt. v. 16.12.2010 - 4 K 3645/10 -, juris).
2. Der Schutzumfang der Dienstleistungsfreiheit erstreckt sich bei einer an dem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang und dem effet utile
orientierten Auslegung auch auf Untersagungsverfügungen gegenüber Vermittlern aus Drittstaaten, obwohl diese vom persönlichen
Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit nicht erfasst werden. Diese Auslegung ist erforderlich, um andernfalls drohende Beeinträchtigungen
der (aktiven bzw. passiven) Dienstleistungsfreiheit im Rahmen der ihr unmittelbar unterfallenden Vertragsbeziehungen zwischen dem innerhalb der
Union konzessionierten Sportwettenanbieter und seinem - durch die Vermittlung typischerweise zu gewinnenden - Vertragspartner aus der Union
wirksam zu unterbinden (a. A. im Ergebnis BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 8 C 13.09 -, juris).
3. Die Untersagung grenzüberschreitender Sportwettenvermittlung in das EU-Ausland ausschließlich gegenüber Drittstaatsangehörigen leidet
darüber hinaus an Ermessens-fehlern. Sie ist angesichts der Vielzahl der Sportwettenvermittlungen durch EU-Angehörige, die nicht untersagt
werden können, zur Bekämpfung der Spielsucht ungeeignet und daher unverhältnismäßig (wie VG Freiburg, Urt. v. 09.07.2008 - 1 K 547/07 -, juris;
OVG Saarland, Beschl. v. 25.04.2007 - 3 W 24/06 -, juris; VG Berlin, Beschl. v. 04.12.2008 - 35 A 16.07 -, juris).
Tenor
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.07.2009 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer vom Beklagten gegenüber dem Kläger erlassenen Untersagungsverfügung hinsichtlich des
Vermittelns von Sportwetten im Land Baden-Württemberg.
2
Der Kläger vermittelt Sportwetten an eine Firma nach Malta, die dort eine staatliche Konzession für diese Tätigkeit besitzt.
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Mit Bescheid vom 24.07.2009 untersagte das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Kläger für den Bereich des Landes Baden-Württemberg die
Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten sowie die Werbung hierfür und die Unterstützung solcher Tätigkeiten. Die zur Veranstaltung
oder Vermittlung solcher Glücksspiele vorgehaltenen Geräte seien zu entfernen (Nr. 1). Die untersagten Tätigkeiten seien unverzüglich
einzustellen und die Einstellung dem Regierungspräsidium Karlsruhe schriftlich mitzuteilen (Nr. 2). Zudem wurde die Festsetzung eines
Zwangsgelds von 10.000,- EUR angedroht, falls die Verpflichtung, die untersagten Tätigkeiten unverzüglich einzustellen, nicht innerhalb von
zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung befolgt werde (Nr. 3). Schließlich wurde der Kläger verpflichtet, dem Beklagten den Mietvertrag über
die Räumlichkeiten vorzulegen; für den Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung binnen zwei Wochen wurde ein Zwangsgeld von 1.000,- EUR
angedroht (Nr. 4).
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Als Ermächtigungsgrundlage wurde § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Glückspielstaatsvertrags - GlüStV - angeführt. Zur weiteren Begründung wurde
ausgeführt, dass es sich bei der Vermittlung von Sportwetten um die öffentliche Veranstaltung von Glücksspielen handle, was nach § 284 Abs. 1
StGB ohne behördliche Erlaubnis verboten sei. Eine solche Erlaubnis sei dem Kläger nicht erteilt worden und könne auch nach der
landesrechtlichen Gesetzeslage nicht erteilt werden. Das staatliche Glücksspielmonopol diene der Abwehr von erheblichen Gefahren für die
Bevölkerung und für das Vermögen des einzelnen Spielers sowie der Bekämpfung der Spielsucht. An eine im EU-Ausland erteilte Lizenz eines
Veranstalters von Sportwetten sei ein Mitgliedsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, der andere Schutzregelungen erlassen habe, nicht
gebunden.
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Gegen diese Verfügung hat der Kläger am 29.07.2009 Klage erhoben.
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Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Verfügung verstoße gegen den Anwendungsvorrang des Europarechts. Die ausländische
Konzession habe auch für Baden-Württemberg bindende Wirkung. Die Europarechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols führe dazu, dass dem
Kläger auch nicht das Fehlen einer Erlaubnis - die gar nicht erlangt werden könne - entgegengehalten werden könne.
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Mit Beschluss vom 02.09.2009 hat das Gericht dieses Verfahren im Hinblick darauf ausgesetzt, dass es dem Gericht der Europäischen
Gemeinschaft in Parallelverfahren folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte:
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„a) Sind die Art. 43 und 49 EG dahingehend auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Monopol auf bestimmte Glücksspiele, wie z. B.
Sportwetten und Lotterien, entgegenstehen, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen
Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehlt, weil die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur Teilnahme an anderen Glücksspielen -
wie staatlichen Sportwetten und Lotterien - ermuntern und hierfür werben, und ferner andere Spiele mit gleichem oder sogar höherem
Suchtgefährdungspotential - wie Wetten auf bestimmte Sportereignisse (Pferderennen), Automatenspiele und in Spielbanken - von privaten
Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen?
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b) Sind die Artikel 43 und 49 EG dahingehend auszulegen, dass durch dafür zuständige staatliche Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellte
Genehmigungen der Veranstaltung von Sportwetten, die nicht auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt sind, den Inhaber der Genehmigung wie
auch von ihm beauftragte Dritte berechtigen, auch im Bereich der anderen Mitgliedstaaten ohne weitere zusätzliche nationale Genehmigungen
die jeweiligen Angebote zum Abschluss von Verträgen anzubieten und durchzuführen?“
10 Der Europäische Gerichtshof hat daraufhin mit Urteil vom 08.09.2010 eine Vorabentscheidung getroffen (C-358/07 bis C-360/07, soweit die
Vorlagen des Verwaltungsgerichts Stuttgart betroffen sind). Er hat dabei einmal eine Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer
Konzessionen in diesem Bereich verneint (Rn. 116). Er hat weiter im Grundsatz ein Sportwettenmonopol für gemeinschaftsrechtlich zulässig
erachtet, allerdings die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Monopols durch Kohärenzanforderungen präzisiert. Zu den im vorliegenden
Fall entscheidungsrelevanten Teilen hat er insbesondere ausgeführt (Rn. 107 iv):
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„Stellt ein nationales Gericht sowohl fest,
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- dass die Werbemaßnahmen des Inhabers eines solchen Monopols für andere, ebenfalls von ihm angebotene Arten von Glückspielen
nicht auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zum Angebot des Monopolinhabers hinzulenken und sie damit
von anderen, nicht genehmigten Zugangskanälen zu Spielen wegzuführen, sondern darauf abzielen, den Spieltrieb der Verbraucher zu
fördern und sie zwecks Maximierung der aus den entsprechenden Tätigkeiten erwarteten Einnahmen zu aktiver Teilnahme am Spiel zu
stimulieren, als auch,
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- dass andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen, als auch,
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- dass in Bezug auf andere Arten von Glücksspielen, die nicht unter das Monopol fallen und zudem ein höheres Suchtpotenzial als die
dem Monopol unterliegenden Spiele aufweisen, die zuständigen Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten
geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben oder dulden, um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen
zu maximieren,
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so kann es berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, die Erreichung des mit
seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen,
dadurch zu gewährleisten, dass es dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und Tätigkeiten in diesen Bereichen
kohärenter und systematischer Weise zu bekämpfen.“
16 Der Kläger sieht sich durch dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs in seiner Rechtsposition bestätigt und beantragt,
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den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.07.2009 aufzuheben.
18 Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
20 Er hält die Untersagungsverfügung auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weiterhin für
rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt sei § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV. Die
Untersagungsverfügung könne darauf gestützt werden, dass es sich um unerlaubtes Glücksspiel handle, weil eine formelle Genehmigung zu
keiner Zeit erteilt worden sei. Der Glücksspielstaatsvertrag und seine Anwendung seien im Übrigen auch verfassungs- und europarechtskonform.
Der Beklagte verweist hierzu auf umfangreiche rechtliche und tatsächliche Verbesserungen gegenüber der Situation zur früher durch den
Lotteriestaatsvertrag getroffenen Regelung.
21 Da Bedenken gegen die nationale Ausgestaltung vom Europäischen Gerichtshof nur unter kumulativen Voraussetzungen geltend gemacht
worden seien, seien bereits durch die jedenfalls durch den Glücksspielstaatsvertrag und seine Anwendung erreichte sachgerechte
Ausgestaltung eines Sportwettenmonopols gemeinschaftsrechtliche Bedenken ausgeräumt. Im Übrigen werde dem Kohärenzgebot auch
dadurch Rechnung getragen, dass die Änderungen der Spielverordnung im Jahr 2006 nicht nur Erleichterungen, sondern u. a. durch das Verbot
von Fun-Games auch Erschwerungen für die dortigen Spiele mit sich gebracht hätten, so dass auch in diesem Zusammenhang dem Spieltrieb
entgegengewirkt werde. Schließlich könne sich der Kläger auch nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, denn er sei kein Unionsbürger.
22 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23 Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die angefochtene Untersagungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24 Für die Begründetheit der Klage ist auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, wie sie sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darstellt;
das folgt aus dem Rechtscharakter der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
10.12.2009 - 6 S 110/09 -, ZfWG 2010, 24 m. w. N.).
25 1. Die Untersagungsverfügung kann jedoch nicht auf den vom Beklagten herangezogenen § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV gestützt werden. Die
dort getroffene und auf dem Glücksspielmonopol (§ 10 Abs. 2 und 5 GlüStV) basierende Regelung ist wegen Verstoßes gegen Art. 49 bzw. 56
AEUV (die Art. 43 bzw. 49 EG entsprechen) unanwendbar. Das folgt aus dem Vorrang des Unionsrechts. Aus der von der Kammer eingeholten
Vorabentscheidung des EuGH vom 08.09.2010 (C-358/07-360/07, GewArch 2010, 444 = ZfWG 2010, 332) ergibt sich, dass zwar grundsätzlich
Monopole im Bereich der Sportwetten zulässig sein können, dies aber nur bei hinreichend kohärenter Ausgestaltung möglich ist. Fehlt es hieran,
so sind sowohl die inhaltlichen Regelungen des Glückspielstaatsvertrags, soweit sie Monopolisierungen betreffen bzw. voraussetzen
(insbesondere § 4 GlüStV), als auch die begleitenden im Vertrag enthaltenen behördlichen Handlungsermächtigungen (wie § 9 GlüStV) mit
Unionsrecht unvereinbar. An einer solchen kohärenten Ausgestaltung fehlt es auch zum heutigen Zeitpunkt.
26 Das folgt schon daraus, dass bei den aufgrund der Vorabentscheidung mit in den Blick zu nehmenden Automatenspielen - diese wurden vom
Beklagten und auch im Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10.12.2009 (a.a.O.) bisher für unerheblich gehalten, da allein auf den Sektor der
Sportwetten abzustellen sei - die rechtliche Situation gegenüber dem Vorlagebeschluss von 2007 unverändert geblieben ist.
27 Im Vorlagebeschluss hatte die Kammer dazu ausgeführt: „Es ist jedoch für die Kammer nicht ersichtlich, dass die maßgeblichen
gesetzgeberischen Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland namentlich gegen die vielfältigen Automatenspiele vorgehen bzw.
vorzugehen beabsichtigen. Denn die im Kontext des Abschlusses eines neuen Lotteriestaatsvertrags und infolge der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 28.März 2006 in Angriff genommenen Maßnahmen beziehen die dargestellten privaten Unternehmen
offenstehenden Glücksspielsektoren in keiner Weise mit ein…. Hinzu kommt ein Weiteres: Mit Wirkung vom 01.01.2006 erfolgte eine Änderung
der SpielV (vgl. u. a. §§ 3 und 13 SpielV, BGBl. I 2006, 280) in einer Weise, dass verschiedene suchtrelevante Begrenzungen sogar gelockert
wurden. So wurde die Zahl der in einer Gaststätte zugelassenen Geld- und Warenspielgeräte von zwei auf drei erhöht, die in Spielhallen
zulässige Zahl von 10 auf 12 Geräte; zudem wurde hierbei noch die Mindestquadratmeterzahl von 15 auf 12 qm reduziert. Weiter erfolgte eine
Reduzierung der Mindestspieldauer von 12 auf 5 Sekunden bei gleichzeitiger Erhöhung der Verlustgrenze von 60 auf 80 EUR...... Gerade dieses
lediglich sektorale und im Übrigen höchst widersprüchliche Vorgehen, ohne dass dem eine konzeptionelle Gesamtschau zugrunde läge, stellt
hiernach keine geeignete und angemessene und daher kohärente Begrenzungsmaßnahme dar.“
28 In tatsächlicher Hinsicht hat sich die Problematik der Automatenspiele gegenüber dem Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses sogar noch verschärft.
Dieser Sektor hat sich nämlich erheblich vergrößert (siehe hierzu auch VG Hamburg, Urteil vom 02.11.2010 - 4 K 1495/07 -, Rn. 86, - juris). So
verzeichnete das gewerbliche Automatenspiel deutliche Steigerungsraten. Verglichen mit dem Jahr vor der Novellierung der Spielverordnung
ergaben sich Umsatzzuwächse von 38,3% (im Jahr 2005 5,88 Mrd. Euro, im Jahr 2008 8,13 Mrd. Euro). Parallel dazu stieg die Zahl der
Geldspielautomaten in den gastronomischen Betrieben und rund 12.300 Spielhallen von 200.000 auf 225.000 an. Damit positionierte sich das
Marktsegment des gewerblichen Automatenspiels 2008 erstmals an der Spitze aller legalen Umsatzträger (Hayer, Sucht Aktuell 2010, 47). Damit
einhergehend stieg der Anteil der jungen Männer, die an den - besonders suchtgefährdenden (siehe dazu sogleich) -Spielautomaten ihr Glück
versuchen, von 6% im Jahr 2007 auf 15% im Jahr 2009 (Welt-Online v. 04.02.2010).
29 Zu den mit dem Automatenspiel verbundenen Suchtgefahren hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.2006 (- 1
BvR 1054/01 -, NJW 2006, 1261) ausgeführt, dass bei weitem die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten
nach derzeitigem Erkenntnisstand an Automaten spielten, die nach der Gewerbeordnung betrieben werden dürfen. An zweiter Stelle in der
Statistik folgten Casino-Spiele. Alle anderen Glücksspielformen trügen gegenwärtig deutlich weniger zu problematischem und pathologischem
Spielverhalten bei (vgl. Hayer/Meyer, Die Prävention problematischen Spielverhaltens, J Public Health 2004, S. 293, 296). An diesen Befunden
hat sich für die aktuelle Situation nichts geändert (Hayer, Sucht Aktuell, 2010, 47, 50 f.).
30 Ohne Erfolg versucht der Beklagte dieser Würdigung des Automatenspiels entgegenzuhalten, dass die - im Vorlagebeschluss berücksichtigte -
Novelle der Spielverordnung auch erschwerende Elemente wie z. B. das Verbot der Fun-Games beinhaltet habe und dass der Normgeber das
Ziel der Suchtprävention auch in diesem Sektor im Auge habe. Zwar verlangt die Ermächtigungsgrundlage für die Spielverordnung in § 33 f Abs.
1 GewO, dass die Vorschriften über Aufstellung und Zulassung von Spielgeräten in der Spielverordnung u. a. der Eindämmung der Betätigung
des Spieltriebs dienen, und verfolgt der Verordnungsgeber nach seiner Vorstellung ein Gesamtkonzept, das sowohl dem Interesse des
Automatenherstellers und -aufstellers Rechnung tragen soll, dem Kunden neue Spielvariationen anzubieten, als auch dem öffentlichen Interesse
an einer langfristig effektiven Kontrolle dieses Bereichs (vgl. BR-Drs. 665/05, dazu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2009, a.a.O.).
Diese Elemente genügen angesichts der konkret durch die Spielverordnung getroffenen Regelungen und ihrer tatsächlichen Auswirkungen für
die erforderliche Kohärenz aber nicht (so auch VG Halle, Urteil vom 11.11.2010 - 3 A 158/09 -, Rn. 162-164, - juris). Vielmehr hat sich mit Blick
auf die Suchtprävention bei bilanzierender Betrachtung insgesamt eine Verschlechterung gegenüber dem Zeitraum vor der Novellierung der
Spielverordnung ergeben (Hayer, Sucht Aktuell, 2010, 47, 48). Soweit der Beklagte dieser Würdigung unter Berufung auf den Beschluss des
OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.11.2010 (- 4 B 733/10 -) entgegenzutreten versucht mit dem Argument, die Zahl der Spielautomaten habe sich
letztlich sogar verringert, weil ursprünglich 80.000 Fun-Game-Automaten existiert hätten, die in den Anfangsbestand nicht eingerechnet worden
seien, durch die Neuregelung aber weggefallen seien, überzeugt das nicht. Dabei kann offen bleiben, ob die genannte Zahl eine hinreichende
empirische Basis besitzt - das OVG Nordrhein-Westfalen (a.a.O., Rn. 115 f.) spricht in seinem Beschluss, der im Rahmen eines Verfahrens des
vorläufigen Rechtsschutzes ergangen ist und daher auf nur summarischer Prüfung der Sachlage beruht, von entsprechenden Schätzungen und
verweist hierfür auf die BR-Drs. 660/05 -; ebenso kann offen bleiben, ob eine Addition dieser Zahl zum Anfangsbestand aus methodischen
Gründen zulässig wäre. Denn ungeachtet der Zahl der Spielautomaten bleibt es jedenfalls bei den festgestellten ganz erheblichen
Umsatzsteigerungen dieser Branche.
31 Das Gericht weist zusammenfassend darauf hin, dass schon im Hinblick auf die normative Ermöglichung einer Angebotsexpansion in einem
Bereich des Glücksspiels, der - trotz anerkannt hohen Suchtpotentials - nicht dem Monopol unterliegt, sondern liberalisiert ist, die zuständigen
Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben oder zumindest dulden,
um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen zu maximieren. Umso mehr gilt das, wenn entsprechende
Angebotserweiterungen tatsächlich realisiert werden; dass der Normgeber diese faktischen Entwicklungen beobachtet und mittelfristig
Untersuchungen oder ein Eingreifen erwägt, genügt unter diesen Umständen nicht, um die Schlussfolgerung in Frage zu stellen, dass das
Sportwettenmonopol wegen Inkohärenz im Verhältnis zum Automatenspiel mit Unionsrecht derzeit unvereinbar ist (so auch Urteil der Kammer
vom 16.12.2010 - 4 K 3645/10 -, juris).
32 Ob die im Vorlagebeschluss zusätzlich geäußerte gemeinschaftsrechtliche Kritik an der rechtlichen Struktur und faktischen Ausgestaltung des
Sportwettenmonopols unter der Geltung des Lotteriestaatsvertrags auch heute noch - mit Blick auf umfangreiche Änderungen durch den
Glücksspielstaatsvertrag - in vollem Umfang berechtigt ist, bedarf keiner Entscheidung, weil es - wie ausgeführt - an einer kohärenten
Begrenzung und damit einer Erforderlichkeit des Monopols schon im Hinblick auf den Umgang mit dem Automatenspiel fehlt.
33 Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verstoß gegen Unionsrecht nur dann
anzunehmen ist, wenn die im Urteil des Europäischen Gerichtshofs genannten drei, sprachlich mit „sowohl - als auch“ verbundenen Elemente
kumulativ erfüllt sind. Vielmehr rekurriert die Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof auf die Vorlagefragen der nationalen Gerichte und
nimmt dazu deren Ausführungen in Bezug. Hieraus ist daher für die Auslegung eines Vorabentscheidungsurteils nicht abzuleiten, dass
ausschließlich dann, wenn alle dort in Referierung des Vortrags aus dem Vorlagebeschluss genannten Elemente gegeben sind, berechtigter
Anlass zur Schlussfolgerung fehlender Kohärenz und Systematik bestehen kann. Zu Recht weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass
der Europäische Gerichtshof mit der Kombination von Elementen nur hinreichende Bedingungen für den Schluss auf eine Inkohärenz formuliert
hat, nicht aber, welche Voraussetzungen mindestens erfüllt sein müssen (BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 8 C 14.09 - Rn. 90; - 8 C 15.09 Rn. 89).
Dieses Verständnis folgt im Übrigen auch daraus, dass in der Entscheidung des EuGH vom 08.09.2010 zur Rechtssache C-46/08 (Carmen
Media, GewArch 2010, 448 = ZfWG 2010, 344) insoweit zwei Feststellungen benannt sind (dort Rn. 71), in der Vorabentscheidung zum
vorliegenden Fall drei (vgl. zutreffend VG Berlin, Beschluss vom 06.10.2010 - 35 L 354.10). Neben diesem systematischen Argument sprechen
gegen ein Erfordernis kumulativer Erfüllung aber vor allem Sinn und Zweck der vom Europäischen Gerichtshof dargelegten
Kohärenzanforderungen, die unterlaufen würden, wollte man die Inkohärenz im Verhältnis zum Automatenspielbereich (vgl. dazu auch Krause,
GewArch 2010, 428, 430; Ennuschat, GewArch 2010, 425, 427) durch - unterstellte - rechtliche und/oder tatsächliche Verbesserungen im Bereich
des Sportwettenmonopols für kompensierbar halten. In diesem Sinn sind auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu verstehen,
wonach sich unmittelbar aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergebe, dass eine Inkohärenz im unionsrechtlichen Sinne keine
unzulässige Werbung im Monopolbereich voraussetze, sondern auch bei - sonstiger - Expansionspolitik etwa in konzessionierten Bereichen
vorliegen könne (Urteile vom 24.11.2010 - 8 C 14.09 - a.a.O.; - 8 C 15.09 - a.a.O).
34 Die gegenteilige, eng auf den Wortlaut der Vorabentscheidung gestützte Auffassung greift dagegen zu kurz. Der Vergleich mehrerer
Sprachfassungen mit dem Ergebnis, dass die deutsche Formulierung „sowohl - als auch“ in Übereinstimmung mit diesen anderen
Sprachfassungen steht (so Urteilsanmerkung Stein, ZfWG 2010, 353, 354 hinsichtlich der englischen und französischen Fassung), bringt keinen
eigenständigen Erkenntnisgewinn, sondern bestätigt nur die - in aller Regel zu erwartende - Richtigkeit von amtlichen Übersetzungen. Hieraus
lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ableiten, beim Vorliegen nur eines oder nur zweier Elemente seien die nationalen Regelungen
unionsrechtskonform. Im Hinblick auf die entscheidende Frage nach der Kohärenz bestehen für das Gericht vielmehr keine Zweifel daran, dass
eine Vorlagefrage, die „nur“ auf mangelnde Kohärenz der zu Sportwetten getroffenen Regelung im Verhältnis zur Regelung der Automatenspiele
gestützt worden wäre, aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs keine andere Antwort zur Folge gehabt hätte als die konkret gegebene; einer
neuerlichen Vorlage unter diesem Aspekt bedarf es aus Sicht der Kammer daher nicht.
35 Die Tatsache, dass der Kläger des vorliegenden Verfahrens kein EU-Angehöriger ist, veranlasst entgegen der Auffassung des Beklagten -
jedenfalls im Ergebnis - keine andere Entscheidung.
36 Zwar kann der Kläger als Drittstaatsangehöriger sich jedenfalls nicht direkt auf die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV berufen, weil er nicht
von dessen persönlichem Anwendungsbereich erfasst wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 - 8 C 13.09 - Rn. 84; VG Berlin, Urteil vom
04.12.2008 - 35 A 16.07 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 25.04.2007 - 3 W 24/06 -, juris).
37 Allerdings ist zu bedenken, dass die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der vom Kläger betriebenen Vermittlung gegenüber derjenigen der
von ihm vermittelten Vertragsbeziehungen zurücktritt, die zwischen seinem Vertragspartner, einem der EU angehörigen Wettbürobetreiber und
damit einem Träger der aktiven Dienstleistungsfreiheit, und dem - durch das Angebot des Klägers typischerweise zu gewinnenden - deutschen
oder anderen EU-Bürger als Träger der passiven Dienstleistungsfreiheit entstehen. Der Vermittler hat lediglich die Rolle eines
„Marktzugangsagenten“. Im Hinblick darauf, dass eine gegen den Kläger gerichtete Untersagungsverfügung die über seine Vermittlung am
Abschluss von Sportwetten Interessierten aber daran hindern könnte, von ihrer jeweiligen (aktiven bzw. passiven) Dienstleistungsfreiheit
Gebrauch zu machen, erscheint es in einem solchen Kontext geboten, den Schutzumfang der Dienstleistungsfreiheit bei einer an dem
unionsrechtlichen Anwendungsvorrang einerseits und dem effet utile andererseits orientierten Auslegung auch auf den Kläger zu erstrecken, um
so die Möglichkeit zu schaffen, Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit zwischen den Vertragspartnern eines Sportwettenvertrags wirksam
zu unterbinden (vgl. zu einer strukturell ähnlichen Problematik Vorlagebeschluss des VGH Baden-Württemberg vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 -,
dort mit Hinweis auf EuGH, Urteil vom 07.07.1992, Rs. C-370/90, Rn. 19 f. - Singh - sowie vom 23.09.2003 , Rs. C-109/01 - Akrich -). Der Kläger
kann damit sowohl über die - unionsrechtlich vermittelte - Dienstleistungsfreiheit als auch über Art. 2 Abs. 1 GG als Adressat der
Untersagungsverfügung verlangen, von unionsrechtswidrigen Maßnahmen verschont zu werden (zu letzterem Ansatz vgl. auch Beschluss der
Kammer vom 24.09.2009 - 4 K 958/09 -).
38 Da die vom Beklagten für die als Ermessensentscheidung ausgestaltete Untersagungsverfügung herangezogene Rechtsgrundlage somit bereits
aus unionsrechtlichen Gründen unanwendbar ist, kann die zwischen den Beteiligten und auch in der Rechtsprechung kontrovers diskutierte
Frage offen bleiben, ob diese Rechtsgrundlage mit verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist.
39 2. Die Untersagungsverfügung kann auch nicht - wie der Beklagte offenbar meint - mit der Argumentation aufrechterhalten werden, dass es an
einer nach dem deutschen Recht erforderlichen Genehmigung fehle (formelle Illegalität). Denn wie bereits ausgeführt wurde, ist § 9 GlüStV
wegen Unionsrechtswidrigkeit unanwendbar. Eine geltungserhaltende Reduktion ihres Inhalts dergestalt, dass die Vorschrift - solange eine
Genehmigung nicht vorliege - trotz Unionsrechtswidrigkeit der konkreten Regelungen zum Sportwettenmonopol (und damit von § 4 Abs. 1 und 2
GlüStV) eine Untersagungsverfügung rechtfertige, ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht möglich (so i. Erg. auch VG Halle, Urteil vom
11.11.2010, a.a.O., Rn. 190; VG Hamburg, Urteil vom 02.11.2010, a.a.O., Rn. 55 ff.). Diese Auffassung entspricht auch in vollem Umfang den
Grundsätzen des Urteils des EuGH in seinem Urteil vom 06.03.2007 (C-338/04, Placanica, Rn. 67), in dem insoweit ausgeführt ist: „Das Fehlen
einer polizeilichen Genehmigung kann daher Personen (…), die sich derartige Genehmigungen nicht hätten beschaffen können, weil deren
Erteilung den Besitz einer Konzession voraussetzt, von deren Erhalt sie unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen worden
waren, auf jeden Fall nicht zum Vorwurf gemacht werden.“ Dass diese Ausführungen im Kontext mit einem strafrechtlichen Verfahren standen,
relativiert sie nicht; vielmehr müssen sie sinngemäß auch für die Frage einer Berechtigung zu Ordnungsverfügungen gelten, da diese oft nicht
weniger einschneidende Maßnahmen als das Strafrecht beinhalten.
40 Der Beklagte behauptet, aus dem Carmen Media-Urteil vom 08.09.2010 (a.a.O.) ergebe sich, dass der Europäische Gerichtshof auch für den Fall
einer Unionsrechtswidrigkeit des Monopols von einem Erlaubnisvorbehalt ausgegangen sei. Diese Behauptung trifft indes nicht zu. Vielmehr hat
der Europäische Gerichtshof im dortigen Urteil (a.a.O.) Ausführungen zur Erlaubnispflicht auf der Basis einer vom Ausgangsgericht hilfsweise für
den Fall der Europarechtswidrigkeit des Monopols gestellten Vorlagefrage gemacht. In diesem Zusammenhang nahm die Vorfrage, weshalb
diese - dort dritte - Frage überhaupt gestellt wurde, breiten Raum ein; der Europäische Gerichtshof war der Auffassung, dass trotz der vom Land
Schleswig-Holstein geäußerten Zweifel an ihrer Zulässigkeit diese im Hinblick auf die insoweit gegebene Präponderanz des nationalen
Vorlagegerichts zu bejahen sei, da nach nationalem Recht trotz Monopols die Möglichkeit einer Erlaubnis in diesem Bereich „zumindest
theoretisch durch §§ 4 Abs. 1 und 2 GlüStV und § 5 Abs. 1 GlüStVAG vorbehalten worden zu sein scheint“ (a.a.O., Rn. 81). Damit setzen die
Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs auf einem - unterstellten - Sachverhalt auf, wonach - unabhängig vom Monopol - zumindest
theoretisch ein Lizenzierungsmodell für Sportwetten mit konkreten Anforderungen bestehe. Inwieweit diese Annahme auf der Basis des in der
Carmen Media-Entscheidung zugrundegelegten schleswig-holsteinischen Landesrechts zutraf, kann offen bleiben. In Baden-Württemberg
lassen die Regelungen eine Lizenzierung für Private im Bereich der Sportwetten jedenfalls nicht zu (vgl. § 2 AGGlüStV). Für die Behauptung des
Beklagten, dass bei einer hinsichtlich Sportwetten (ausgenommen Pferdewetten) ausschließlich vorgesehenen Monopolstruktur - bei deren
Unionsrechtswidrigkeit - gleichwohl ein Erlaubnisvorbehalt zum Tragen kommen müsse, ist nichts ersichtlich. Im Gegenteil erschiene die
Annahme, bei konkreter Unzulässigkeit eines vom Normgeber gewollten Monopols verenge sich der Handlungsrahmen des nationalen Rechts
aus unionsrechtlichen Gründen auf ein Lizenzierungsmodell, nicht gerechtfertigt. Denn die grundsätzliche Billigung einer Monopolstruktur in
diesem Bereich durch den Europäischen Gerichtshof impliziert notwendig auch die Möglichkeit zu deren kohärenter Nachbesserung mit der
Folge, dass Lizenzierungen für Private auf Dauer ausgeschlossen blieben. Damit bedarf es auch keiner Überlegungen dazu, ob und ggf.
inwieweit der Kläger - bei einer unterstellten Lizenzierungsmöglichkeit - materiellen Genehmigungsanforderungen genügen würde und wie
diese ggf. zu bestimmen wären. Soweit der Beklagte davon ausgeht, solche materiellen Anforderungen ließen sich dem nur teilweise, nämlich
um unionsrechtswidrige Teile „bereinigten“ Glücksspielstaatsvertrag entnehmen, ist das im Übrigen nicht richtig; vielmehr wäre hierfür eine
(normative) Ergänzung des verbliebenen Regelungstorsos erforderlich, die aber im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung durch ein
Gericht weder geleistet werden kann noch darf (vgl. so zutreffend VG Halle, a.a.O., Rn. 196-201). Mit Blick auf die aus unionsrechtlicher Sicht
nicht mögliche Stützung der Untersagungsverfügung auf § 9 GlüStV kommt es daher hier auch nicht auf eine Auseinandersetzung mit § 284 StGB
an (vgl. dazu sogleich 3.).
41 Soweit der Beklagte vorträgt, auch das Bundesverwaltungsgericht gehe unabhängig von der Frage einer Unionsrechtswidrigkeit des
Sportwettenmonopols von einer weiteren Geltung des Erlaubnisvorbehalts in § 4 Abs. 1 GlüStV aus, ist das so nicht richtig. Vielmehr sieht das
Bundesverwaltungsgericht die Frage des Erlaubnisvorbehalts in § 4 Abs. 1 GlüStV sowie den Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von
Sportwetten an private Wettanbieter insgesamt als rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Urteile v. 24.11.2010 - 8 C
14.09 -, Rn. 61; - 8 C 15.09 - Rn. 60) und hat folgerichtig die angegriffenen Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die auf der
Anwendung eines rechtsfehlerhaften Prüfungsmaßstabs beruhten, aufgehoben und die Sachen zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Hätte
es dagegen ganz generell unabhängig von der Frage einer Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols § 4 Abs. 1 GlüStV als (weiter)
wirksam angesehen, hätte es einer Zurückverweisung nicht bedurft, sondern es hätte zu Lasten der jeweiligen Kläger durchentschieden werden
können. Ohne Erfolg bleibt schließlich der Hinweis des Beklagten auf ein weiteres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, in dem postuliert wird,
der Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV sei unabhängig von verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bedenken gegen das
Sportwettenmonopol wirksam (Urteil vom 24.11.2010 - 8 C 13.09 -, Rn. 73, 77). Diese - einen Sonderfall fehlender räumlicher Trennung und eine
nur spezifisch ortsbezogene Untersagungsverfügung betreffende - Aussage lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht verallgemeinern;
zudem wurde in demselben Urteil ebenfalls die Frage einer Vereinbarkeit (u. a.) des Erlaubnisvorbehalts mit Unionsrecht aufgeworfen, allerdings
wegen fehlender Unionsbürgerschaft des dortigen Klägers für unerheblich und eine diesbezügliche Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
für entbehrlich erachtet (Urteil vom 24.11.2010 - 8 C 13.09 -, Rn. 84).
42 3. Die Untersagungsverfügung kann schließlich auch nicht wegen des vom Beklagten behaupteten Verstoßes gegen § 284 StGB
aufrechterhalten werden. Weder eine Auslegung als polizeirechtliche Ordnungsverfügung (§§ 1, 3 PolG) noch eine Umdeutung (§ 47 LVwVfG) in
eine solche ist möglich. Denn gegenwärtig könnte eine polizeirechtliche Ordnungsverfügung nicht erlassen werden. Dass hierbei erhebliche
Probleme der sachlichen Zuständigkeit und des Nachschiebens bzw. des Austausches von Ermessenserwägungen aufträten, bedarf keiner
Vertiefung, weil es jedenfalls schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten fehlt. Ein Verstoß gegen die öffentliche
Sicherheit mit Blick auf § 284 StGB liegt nämlich nicht vor. Zwar stellt diese Vorschrift das Veranstalten von öffentlichem Glücksspiel oder die
Bereitstellung von Einrichtungen hierzu ohne behördliche Erlaubnis unter Strafe. Ein Strafrechtsverstoß kommt aber dennoch nicht in Betracht.
Dabei kann offen bleiben, ob § 284 StGB derzeit überhaupt verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Denn auch wenn man dies
annimmt, kann die Vorschrift nach Sinn und Zweck und bei unionsrechtskonformer Auslegung keine Grundlage für ein polizeirechtliches
Einschreiten darstellen, wenn - wie hier (siehe die Ausführungen zu 1. und 2.) - staatliche Vorschriften eine rechtliche Möglichkeit zur Erteilung
einer Genehmigung im Bereich der Sportwetten für Private nicht vorsehen und ein staatliches Monopol dort konkret jedenfalls derzeit nicht
gerechtfertigt ist. Unter diesen Umständen fehlt es jedenfalls an einer Strafbarkeit (vgl. VG Hamburg, a.a.O., Rn. 135 unter Hinweis auf BGH, Urt.
v. 16.08.2007 - 4 StR 62/07 - NJW 2007, 3078). Andernfalls würde über den Weg des Strafrechts ermöglicht, eine unionsrechtswidrig in
Grundrechte (Art. 12 GG) und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur vorläufig aufrechtzuerhalten; in seinem Urteil
vom 08.09.2010 (Winner Wetten C-409/06, Rn. 62-69, GewArch 2010, 442 = NVwZ 2010, 1419) hat der Europäische Gerichtshof aber gerade
ausgeschlossen, dass für eine Übergangszeit unionsrechtswidrige Zustände akzeptiert werden dürfen.
43 4. Darüber hinaus leidet die Untersagungsverfügung zu Lasten des Klägers an weiteren durchgreifenden Ermessensfehlern.
44 Insoweit ist daran zu erinnern, dass § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 GlüStV die Untersagung des unerlaubten Glücksspiels in das – pflichtgemäß
auszuübende (§ 40 VwVfG, § 114 VwGO) –- Ermessen der Glücksspielaufsicht stellt. Der Glücksspielaufsicht ist es auf Grund des
Anwendungsvorrangs des Unionsrechts in Folge der Unverhältnismäßigkeit der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit der Unionsbürger
derzeit nicht möglich, rechtmäßige Untersagungsverfügungen gegen Unionsbürger zu erlassen, die Sportwetten an einen Vertragspartner
vermitteln, der in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig eine ähnliche Dienstleistung erbringt (dazu ausführlich Urteil vom 16.12.2010, a.a.O.).
Mit einem Einschreiten ausschließlich gegen Sportwettenvermittlungen durch im Bundesgebiet ansässige Drittstaatsangehörige lässt sich aber
das mit den Untersagungsverfügungen verfolgte Ziel nicht erreichen, effektiv die Vermittlung von Sportwetten durch Private zu unterbinden, um
auf diese Weise die Spielleidenschaft zu begrenzen und die Spielsucht zu bekämpfen. Die Unterbindung grenzüberschreitender
Sportwettenvermittlungen in das EU-Ausland ausschließlich gegenüber Drittstaatsangehörigen ist daher nicht mit dem bei der
Ermessensausübung zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar (VG Freiburg, Urteil vom 9.07.2008 – 1 K 547.07 –, juris, – 1 K
2130/07 –; VG Karlsruhe, Urteil vom 15.09.2008 – 2 K 1637/08 –, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 25.04. 2007, a.a.O.). Die Maßnahme ist
vielmehr angesichts der Vielzahl von Sportwettenvermittlungen, die nicht untersagt werden können, zur Bekämpfung der Spielsucht ungeeignet.
Im Hinblick auf das Suchtpotential von Sportwetten ist es unerheblich, ob das Vermittlungs-Angebot von einem Unionsbürger oder von einem
Drittstaatsangehörigen ausgeht (so auch VG Berlin, Urteil vom 04.12.2008, a.a.O.). Eine an die Staatsangehörigkeit des Vermittlers anknüpfende
Untersagung dürfte daher auch mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sein.
45 Da der untersagende Teil der Verfügung und damit ihr Kern rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, ist die Verfügung des
Beklagten auch im Übrigen aufzuheben.
46 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
47 Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen Abweichung von dem Urteil des VGH Baden-
Württemberg vom 10.12.2009 (a.a.O.) und dem Urteil des BVerwG vom 24.11.2010 (- 8 C 13.09 - a.a.O.) zugelassen.
48
Beschluss vom 14.02.2011
49 Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs.1 GKG auf
EUR 15.000,00