Urteil des VG Stuttgart vom 13.01.2011

VG Stuttgart: rahmenvertrag, subsidiäre zuständigkeit, heimbewohner, versorgung, verfügung, behandlung, organisation, verpflegung, pflegeheim, unangemessenheit

VG Stuttgart Urteil vom 13.1.2011, 4 K 3702/10
Heimaufsicht prüft Einhaltung von Regelleistungen; Begleitung eines Heimbewohners zum Arzt ist Regelleistung
Leitsätze
1. Die Heimaufsicht ist (auch) dazu berufen, auf die Einhaltung der nach dem Rahmenvertrag als Regelleistung zu erbringenden Leistungen zu
achten und hierbei den Rahmenvertrag auszulegen.
2. Ist ein Arztbesuch zwingend außerhalb der Einrichtung notwendig und eine notwendige Begleitung durch Dritte nicht möglich, hat der
Heimbetreiber die Begleitung für den Bewohner sicherzustellen. Dies gehört als Hilfe bei der Mobilität zu den allgemeinen Pflegeleistungen.
3. Für eine Zusatzleistung ist die individuelle Wählbarkeit kennzeichnend; dies ist bei der Begleitung zum Arzt nicht der Fall.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Anordnung nach dem Landesheimgesetz - LHeimG -.
2
Die Klägerin ist u.a. Trägerin der Pflegeeinrichtung K.. In der Pflegeeinrichtung sind insgesamt 101 Pflegeplätze vorhanden. Die Einrichtung ist
eine zugelassene Einrichtung für die vollstationäre Pflege nach § 72 SGB XI.
3
Anlässlich einer am 17.02.2009 durchgeführten Heimnachschau wurde u.a. festgestellt, dass die Begleitung der Heimbewohner zu notwendigen
Arztbesuchen grundsätzlich nicht als Regelleistung angeboten wird. Das Protokoll wurde der Klägerin am 16.04.2009 übersandt, darin wird
vermerkt: „Bitte künftig auch Arztbegleitung als Regelleistung bereitstellen“. Mit Schreiben vom 29.05.2009 wandte sich die Klägerin gegen eine
solche Verpflichtung.
4
Nach vorheriger Anhörung gab das Landratsamt ... mit Verfügung vom 28.01.2010 der Klägerin auf, für ihre Bewohner im Bedarfsfall im Rahmen
der Organisation des Arztbesuches außerhalb der Einrichtung auch die Begleitung als Regelleistung des Versorgungsvertrags sicher zu stellen,
sofern der Zustand der Bewohner eine Begleitung erforderlich macht, für die Begleitung Dritte nicht in Anspruch genommen werden können und
die medizinisch notwendige Behandlung in der Einrichtung selbst nicht durchgeführt werden könne. Rechtsgrundlage der Anordnung sei § 17
Abs. 1 LHeimG. Hier sei ein Mangel darin zu sehen, dass die Begleitung der Bewohner zum Arzt auch in unabdingbaren Fällen als
Zusatzleistung nach § 88 SGB XI und nicht als Regelleistung des Versorgungsvertrags angesehen werde. Die Einrichtung sei an den
Rahmenvertrag gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI gebunden, dessen Regelungen auch Gegenstand des Versorgungsvertrages über die vollstationäre
Pflege seien. Der Rahmenvertrag nehme eine Abgrenzung zwischen den allgemeinen Pflegeleistungen, den Leistungen bei Unterkunft und
Verpflegung und den Zusatzleistungen vor. Dabei strittige Auslegungsfragen seien von den Vertragspartnern des Rahmenvertrages in den
„Gemeinsamen Empfehlungen“ festgehalten worden. Zu der hier maßgeblichen Frage habe bislang keine übereinstimmende Vertragsauslegung
gefunden werden können. Auch in der vom Sozialministerium Baden-Württemberg geleiteten Pflegekommission habe keine Einigung erzielt
werden können, so dass diese Auslegung nunmehr durch die Heimaufsicht vorzunehmen sei. Der Rahmenvertrag zähle zu den Hilfen zur
Mobilität, die Inhalt der Pflegeleistungen seien, auch das Verlassen und Wiederaufsuchen der Pflegeeinrichtung. Es seien solche Verrichtungen
außerhalb des Pflegeheims zu unterstützen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung notwendig seien und das persönliche Erscheinen
des Pflegebedürftigen erforderten. Hieraus sei zu folgern, dass eine Begleitung zu einem medizinisch notwendigen Arztbesuch außerhalb des
Pflegeheims dann nicht als Zusatzleistung abgerechnet werden dürfe, wenn die medizinisch notwendige Behandlung in der Einrichtung nicht
erfolgen könne, der Zustand des Bewohners eine Begleitung erforderlich mache und eine Begleitung durch Angehörige oder ehrenamtliche
Helfer nicht möglich sei. Der gegenteiligen Auffassung des VG Freiburg im Urteil vom 05.12.2001 - 2 K 1723/00 - könne nicht gefolgt werden. Von
der Einrichtung werde auch nicht verlangt, die Bewohner zu solchen Arztbesuchen zu begleiten, die auch als Hausbesuch im Pflegeheim
möglich seien, etwa von Hausärzten. In Betracht komme die Begleitung v.a. zu Fachärzten, da deren Leistungen auf Grund der erforderlichen
personellen und technischen Ausstattungen der Praxen regelmäßig nicht in der Einrichtung erbracht werden könnten.
5
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.02.2010 Widerspruch, der am 24.03.2010 wie folgt begründet wurde: Der
Heimaufsichtsbehörde fehle es bereits an der Kompetenz, den zwischen den Kostenträgern und den Leistungsträgern geschlossenen
Rahmenvertrag auszulegen. Selbst wenn die Heimaufsicht hierzu berechtigt wäre, würden Arztbesuche weder zur Grund- noch
Behandlungspflege gehören. Weder im SGB V noch im SGB XI sei ein Leistungsanspruch auf Begleitung zum Arzt vorgesehen. Zudem werde
vom Landratsamt nicht die juristische Problematik berücksichtigt, die sich aus der Begleitung zu Arztbesuchen aus haftungs-, berufs-,
datenschutz- und betreuungsrechtlichen Implikationen ergebe. Nach § 119 b SGB V obliege es der Ärzteschaft beziehungsweise den
gesetzlichen Krankenkassen, eine ausreichende ärztliche Versorgung durch Hausarztverträge sicher zu stellen. Ein Misslingen dieser
Verpflichtung könne nicht zu Lasten der Heimträger gehen.
6
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2010 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Zweck des Landesheimgesetzes sei gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8, den Schutz der Bewohner und der Interessenten an einem Heimplatz zu fördern.
Nach § 15 Abs. 1 LHeimG hätten die zuständigen Heimaufsichtsbehörden die Aufgabe, die Heime dahingehend zu überprüfen, ob diese die
Anforderungen des Landesheimgesetzes erfüllen würden, und könnten bei festgestellten Mängeln, die vom Heimträger nicht beseitigt werden,
gemäß § 17 LHeimG entsprechende Anordnungen erlassen. Unter anderem dürfe gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 LHeimG ein Heim nur dann betrieben
werden, wenn für den Aufenthalt ein angemessenes Entgelt verlangt werde. Die Überprüfung der Angemessenheit obliege der Heimaufsicht. Für
die Beurteilung, was in diesem Zusammenhang als „angemessen“ zu verstehen sei, würden von den Heimaufsichtsbehörden die zwischen den
Kostenträgern und den Trägern der stationären Pflegeeinrichtungen geschlossenen Rahmenverträge als öffentlich-rechtliche Verträge mit
Rechtsnormcharakter herangezogen. Lasse sich - wie vorliegend - nicht explizit entnehmen, ob eine bestimmte Leistung von den
Regelleistungen umfasst sei, habe die Heimaufsichtsbehörde dies im Wege der Auslegung des Rahmenvertrages zu ermitteln. Diese Auslegung
führe zu dem vorgenommenen Ergebnis. Gemäß § 36 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI gehörten zur Grundpflege auch Hilfen zur Mobilität.
Nicht nachvollziehbar sei der Hinweis auf die juristische Problematik einer Begleitung, da nicht erkennbar sei, inwieweit hieraus höhere
Anforderungen resultieren sollten als aus dem übrigen Heimbetrieb.
7
Die Zustellung des Widerspruchsbescheids an die Klägerin erfolgte am 27.08.2010.
8
Am 27.09.2010 hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Über das bereits im Verwaltungsverfahren Vorgetragene
hinaus wird geltend gemacht: Im Wege ergänzender Vertragsauslegung des Rahmenvertrages könne der Leistungsrahmen der Klägerin nicht
erweitert werden. Auch aus der Definition der Pflegebedürftigkeit in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI könne die auferlegte Verpflichtung nicht abgeleitet
werden. Die Vorschrift diene der Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Die Berücksichtigung der Mobilitätsbedarfe reflektiere für Angehörige den
bestehenden Unterstützungsaufwand und solle diesen bei der Feststellung einer Pflegestufe berücksichtigungsfähig machen. Nur soweit ein
spezifischer Bedarf festgestellt sei, habe er Einfluss auf die Pflegestufe. Einen unmittelbaren Einfluss auf den Umfang der Leistungen im
Pflegeheim habe die Pflegestufenfeststellung nicht. Überdies werde durch die Anordnung der Sicherstellungsauftrag hinsichtlich der ärztlichen
Versorgung von den niedergelassenen Ärzten respektive der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Leistungserbringer im Rahmen der
Pflegeversicherung verlagert. Seien Patienten nicht in der Lage, einen Arzt aufzusuchen, seien diese regelmäßig zu einem Hausbesuch
verpflichtet. Die Klägerin bemühe sich intensiv um eine gute Kooperation mit den behandelnden Ärzten, z.B. auch dadurch, dass sie sich an der
Implementierung des Qualitätsniveaus 1, Mobilität und Sicherheit der BUKO QS beteiligt habe. Eine hierüber hinausgehende Verpflichtung
könne weder aus dem Landesheimgesetz noch aus anderen Vorschriften abgeleitet werden.
9
Zudem verkenne der Beklagte, dass eine Leistungsverpflichtung eines Leistungserbringers auf der Grundlage von rahmenvertraglichen und
versorgungsvertraglichen Vorgaben eine subsidiäre Zuständigkeit für die Leistungserbringung so nicht kenne. Bestehe eine
Leistungsverpflichtung, werde die Leistung bei einer leistungsgerechten Vergütung mit verpreist oder aber es bestehe keine
Leistungsverpflichtung.
10 Die Klägerin beantragt,
11
den Bescheid des Landratsamts ... vom 28.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom
25.08.2010 aufzuheben.
12 Das beklagte Land beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14 Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide verwiesen. Darüber hinaus wird vorgetragen: Die Heimaufsicht sei bei
der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht an die Rahmenverträge gebunden. Nach § 11 Abs. 3 SGB XI gehe das Ordnungsrecht dem
Leistungsrecht vor. Aus § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI könne auch für stationär versorgte Bewohner ein Leistungsanspruch auf Hilfe zum Verlassen
und Wiederaufsuchen des Pflegeheimes gegenüber der Einrichtung abgeleitet werden. Die Verpflichtung ergebe sich aber auch direkt aus dem
Heimrecht. Die Einrichtung sei nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 LHeimG zur Sicherung einer angemessenen Betreuung der Bewohner verpflichtet. Der
Begriff der Betreuung gehe über den der Pflege hinaus. Mit der Anordnung werde auch nicht der Sicherstellungsauftrag der ärztlichen
Versorgung auf die Einrichtung verlagert. Im Übrigen werde ein Krankentransport selbst von der Einrichtung nicht geschuldet. Hier bestehe
vielmehr eine Leistungspflicht der Krankenkassen gemäß § 60 SGB V, in aktuellen Notfällen nach dem Rettungsdienstgesetz.
15 Dem Gericht liegen die Behördenakten des Landratsamts ... und die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart vor. Hierauf und auf
die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe
16 Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Landratsamts ... vom 28.01.2010 und der Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Stuttgart vom 25.08.2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
17 Für die Begründetheit der Klage ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen; das folgt aus dem
Rechtscharakter der Anordnung als Dauerverwaltungsakt. Rechtsgrundlage der heimrechtlichen Anordnung ist danach § 12 Abs. 1 Satz 1
LHeimG vom 10.06.2008 (GBl. S. 169) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 11.05.2010 (GBl. S. 404), der insoweit identisch mit der
Vorgängervorschrift des § 17 LHeimG a.F. ist, die vom Landratsamt ... noch als Basis herangezogen wurde. Werden danach festgestellte Mängel
nicht abgestellt, können gegenüber den Trägern Anordnungen erlassen werden, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder zur Abwendung
einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohner, zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den
Bewohnern obliegenden Pflichten oder zur Vermeidung einer Unangemessenheit zwischen dem Entgelt und der Leistung des Heims erforderlich
sind.
18 Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 LHeimG liegen vor. Zutreffend ging der Beklagte davon aus, dass die Anordnung zur
Vermeidung einer Unangemessenheit zwischen dem Entgelt und der Leistung erforderlich ist.
19 Aus den Regelungen des Heimgesetzes ergibt sich, dass die Heimaufsicht (vgl. § 10 LHeimG) zur Auslegung der heimrechtlichen Verträge zur
Ermittlung der vom Heimbetreiber vertraglich geschuldeten Leistung zuständig ist. Zweck des Gesetzes ist u.a., die Einhaltung der dem Träger
des Heims (Träger) gegenüber den Bewohnern obliegenden Pflichten zu sichern (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 LHeimG). Sowohl vertragliche als auch
gesetzliche Pflichten des Heimträgers unterliegen danach der heimaufsichtlichen Prüfung (vgl. bereits amtl. Begründung zum wortgleichen § 2
HeimG, BT-Drucks. 14/5399 ). Weiter darf nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 LHeimG ein Heim nur dann betrieben werden, wenn die vertraglichen Leistungen
erbracht werden. Die vertraglichen Leistungen des Heimbetreibers ergeben sich dabei unmittelbar aus dem zwischen dem Heimbetreiber und
dem Heimbewohner geschlossen Vertrag nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz - WBVG - und der auf Grundlage dieser Verträge
vorvertraglichen Informationen und sonstigen Rechtsvorschriften, jedenfalls soweit sie unmittelbare Geltung für den Umfang der vertraglich
geschuldeten Leistung des Heimbetreibers haben. Danach ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass in den vorvertraglichen Informationen
direkt hinsichtlich des Leistungsumfangs auf Bestimmungen des Rahmenvertrages für vollstationäre Pflege nach § 75 SGB XI für das Land
Baden-Württemberg vom 12.12.1996 und seiner Änderungen verwiesen wird, dass die Heimaufsicht im Rahmen der Wahrnehmung ihrer
Aufgaben auch dazu berufen ist, auf die Einhaltung der nach dem Rahmenvertrag als Regelleistung zu erbringenden Leistungen zu achten. Von
einer Kompetenzanmaßung durch die Heimaufsicht zur Auslegung des Rahmenvertrages kann unter diesen Umständen nicht ausgegangen
werden. Neben der individuell vertraglich geschuldeten Leistung ergibt sich im Übrigen der Umfang der Leistungspflicht auch aus anderen
gesetzlichen Regelungen, die den Heimbetreiber unmittelbar verpflichten. Danach ist hier insbesondere auf den Versorgungsvertrag nach § 72
SGB XI zwischen der Klägerin und den beteiligten Leistungserbringern (Pflegekassen) hinzuweisen, in dessen § 4 Abs. 1 sich die Klägerin
verpflichtet, alle für die Versorgung Pflegebedürftiger erforderlichen Leistungen im Sinne des Rahmenvertrags nach § 75 SGB XI in der jeweils
geltenden Fassung zu erbringen. Schließlich sind die Rahmenverträge für die Pflegekassen und die zugelassenen Pflegeeinrichtungen im
Inland gemäß § 75 Abs. 1 Satz 4 SGB XI unmittelbar verbindlich.
20 Folge der Geltung des Rahmenvertrages ist für die Prüfung der Angemessenheit des Entgelts, dass keine zusätzlichen Entgelte für solche
Leistungen von den Heimbewohnern verlangt werden können, die die Einrichtung als Regelleistung zu erbringen hat und die Teil der
allgemeinen Pflegeleistungen sind, die durch den von den Leistungserbringern hierfür geleisteten entsprechenden Pflegesatz abgegolten
werden.
21 Nach § 1 Abs. 1 des Rahmenvertrages sind Inhalt der Pflegeleistungen die im Einzelfall erforderlichen Hilfen zur Unterstützung zur teilweisen
oder zur vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Zu den allgemeinen Pflegeleistungen gehören nach § 1
Abs. 3 des Rahmenvertrages im Rahmen des durch § 29 SGB XI vorgegebenen Leistungsumfangs je nach Einzelfall Hilfen bei der Körperpflege
(a), Hilfen bei der Ernährung (b) und Hilfen bei der Mobilität (c). Ziel der Mobilität ist danach u.a. die Förderung der Beweglichkeit, der Abbau von
überschießendem Bewegungsdrang sowie der Schutz vor Selbst- und Fremdgefährdung. Die Mobilität umfasst u.a. auch das Verlassen und
Wiederaufsuchen der Pflegeeinrichtung. Nach dem Rahmenvertrag sind dabei solche Verrichtungen außerhalb des Pflegeheims zu unterstützen,
die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung notwendig sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erfordern (z.B.
Organisieren und Planen des Zahnarztbesuchs). Eine Auslegungshilfe dieser allgemein gefassten Verpflichtung der Heimträger etwa in Form
einer Gemeinsamen Empfehlung der Vertragspartner zum Umfang der hiernach geschuldeten Leistung gibt es nicht. Allein aus dem Fehlen einer
von den Vertragsparteien formulierten Empfehlung oder eines Schiedsspruches ergibt sich - wie bereits dargelegt - entgegen der Ansicht der
Klägerin jedoch nicht, dass die Vertragsauslegung dann nicht im Rahmen der Wahrnehmung heimrechtlicher Aufsicht durch die zuständige
Behörde vorzunehmen ist. Dies gerade auch vor dem Hintergrund, dass sich die Vertragsparteien auf Ebene des Rahmenvertrages offensichtlich
hierzu gerade nicht einigen konnten oder wollten. Zweck des Heimgesetzes ist es u.a. jedoch gerade auch, die Interessen der Bewohner von
Heimen vor Beeinträchtigung zu schützen (vgl. § 2 Abs. Nr. 1 LHeimG) und die Einhaltung der dem Träger des Heims gegenüber den
Bewohnern obliegenden Pflichten zu sichern (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 LHeimG). Die Heimaufsicht ist danach dazu ermächtigt, Auslegungsfragen zu
entscheiden.
22 Zutreffend gehen die angefochtenen Bescheide davon aus, dass als Hilfe bei Mobilität jedenfalls für den Fall, dass ein Arztbesuch
zwingend
außerhalb der Einrichtung der Klägerin notwendig ist
und
den Heimbetreiber für die Bewohner sicherzustellen ist, deren Zustand die Begleitung erfordert. Eine solche Auslegung ergibt sich aus Sinn und
Zweck der Regelung, die gerade individuell notwendige Hilfen beim Verlassen der Wohnung als Leistungsinhalt bei der Mobilitätshilfe umfasst
sieht. Aus dem im Klammerzusatz enthaltenen Hinweis auf das Organisieren und Planen des Arztbesuches folgt nichts anderes (a. A. VG
Freiburg, Urt. v. 05.12.2001 - 2 K 1723/99 -). Die Organisation eines von der Anordnung umfassten Arztbesuches umfasst nach Ansicht der
Kammer begrifflich nicht lediglich die bloße Terminabsprache des ärztlichen Termins bzw. die Terminkoordination mit im Einzelfall zur Verfügung
stehenden Angehörigen bzw. z.B. ehrenamtlichen Kräften. Organisation bedeutet vielmehr vor dem Hintergrund des jeweiligen spezifischen
Pflegebedarfs des Heimbewohners, der gerade Maßstab für den Umfang der Pflegeleistung ist, dann auch, dass die Begleitung - falls kein Dritter
zur Verfügung steht - durch den Heimbetreiber selbst sichergestellt wird, indem dieser Beschäftigte des Heims einsetzt oder sonstige Personen
damit beauftragt. Im Sinne der Regelung des § 1 Abs. 3 c) des Rahmenvertrages ist bei den von der Anordnung erfassten Sachverhalten dann
die Begleitung des Bewohners „für die Aufrechterhaltung der Lebensführung notwendig.“ Der Begriff der „Unterstützung“ in § 1 Abs. 3 c) des
Rahmenvertrages ist danach weit auszulegen.
23 Die Zuordnung der sicherzustellenden Begleitung als Teil der Regelleistung erfolgt auch und gerade vor dem Hintergrund der Abgrenzung zu
Zusatzleistungen, für die ein gesonderter Zuschlag von den Heimbewohner zu entrichten ist. § 88 Abs. 1 SGB XI bestimmt hierzu, dass neben
den Pflegesätzen nach § 85 und den Entgelten nach § 87 das Pflegeheim mit den Pflegebedürftigen über die im Versorgungsvertrag
vereinbarten notwendigen Leistungen hinaus gesondert ausgewiesene Zuschläge für 1. besondere Komfortleistungen bei Unterkunft und
Verpflegung sowie 2. zusätzliche pflegerisch-betreuende Leistungen vereinbaren kann (Zusatzleistungen). Die Abgrenzung von den
Zusatzleistungen zum Inhalt der notwendigen Leistungen wird in den Rahmenverträgen nach § 75 festgelegt. Nach § 3 Abs. 1 des
Rahmenvertrages sind Zusatzleistungen die über das Maß des Notwendigen gemäß §§ 1 und 2 hinausgehenden Leistungen der Pflege und
Unterkunft und Verpflegung, die durch den Pflegebedürftigen individuell wählbar und mit ihm gemäß § 88 Abs. 2 Ziff. 2 SGB XI schriftlich zu
vereinbaren sind. Maßgeblich für eine Zusatzleistung ist danach das Merkmal der individuellen Wählbarkeit. Die Heimbewohner, auf die der von
der Anordnung erfasste Sachverhalt zutrifft, sind gerade aufgrund ihres körperlichen und/oder geistigen Zustandes auf eine Begleitung zu dem
Termin zwingend angewiesen. Sie können die Begleitung also nicht individuell wählen, so dass es sich um keine Zusatzleistung handelt. Auch
die Klägerin sieht dies so. Der Beklagte geht hier irrtümlich davon aus, dass die (notwendige) Begleitung als Zusatzleistung abgerechnet wird.
Die Entgelterhebung für eine solche Begleitung erfolgt nach den Darlegungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung vielmehr als sonstige Leistung des Heimbetreibers. Geht die Klägerin jedoch selbst davon aus, dass die von der Anordnung
erfassten Tatbestände keine Zusatzleistung darstellen können, da davon betroffene Heimbewohner notwendigerweise auf eine Begleitung
angewiesen sind, erscheint die Erhebung eines sonstigen Entgelts hierfür nicht nachvollziehbar. Insbesondere sieht die Kammer entgegen der
vom Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung keine rechtliche Möglichkeit, die sicherzustellende Begleitung
einer dritten Kategorie jenseits von Regel- oder Zusatzleistung zuzuordnen. Ob im Einzelfall die Begleitung zum Arztbesuch im Rahmen der
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen oder bei Leistungsbeziehern nach dem BSHG ggf. von der Klägerin gesondert in Rechnung gestellt
werden kann, braucht im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer heimrechtlichen Anordnung geht, nicht entschieden zu
werden. Dass für die Fälle, in denen eine Begleitung nicht notwendig, von den Bewohnern gleichwohl erwünscht wird, eine Zusatzleistung oder
ein Entgelt für eine sonstige Leistung erhoben werden kann, ist unstreitig, erfasst jedoch nicht den vorliegenden Sachverhalt.
24 Da der Regelungsinhalt der Anordnung nur die Fälle umfasst, bei denen eine Begleitung durch Dritte zu einer zwingend notwendig außerhalb
der Einrichtung erforderlichen ärztlichen Behandlung erfolgen muss, kann dahingestellt bleiben, ob bei diesem Verständnis des
Rahmenvertrages die Begleitung zu notwendigen Arztbesuchen außerhalb der Einrichtung stets, d.h. ohne dass zunächst vorrangig auf Dritte
(Angehörige oder ehrenamtliche Kräfte) zurückgegriffen wird, Regelleistung des Heimbetreibers wäre.
25 Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin durch die Anordnung übermäßig in ihrem Arbeitsablauf oder etwa in finanzieller Hinsicht belastet wäre,
sind nicht erkennbar. Die Klägerin vermochte in der mündlichen Verhandlung bereits nicht darzulegen, in welchem Umfang tatsächlich
überhaupt eine Begleitung in den von der Anordnung erfassten Sachverhalten durch die Einrichtung erforderlich wird. Im Übrigen hat der
Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gerade darauf abgestellt, wie gut ihre organisatorischen Maßnahmen in solchen Fällen,
gerade auch wegen des Einsatzes und der guten Kontakte der Einrichtung zu ehrenamtlichen Helfern, greifen und zum Erfolg führen.
26 Die bislang für die von der Anordnung erfasste Begleitung zu Arztbesuchen erhobenen Entgelte sind danach im Sinne des § 12 Abs. 1 LHeimG
unangemessen, da die Begleitung bereits Teil der Regelleistung der pflegebedingten Aufwendungen sind, von denen die Pflegebedürftigen bei
vollstationärer Pflege entlastet sind (§ 4 Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Bei vollstationärer Pflege werden die pflegebedingten Aufwendungen nach § 43
Abs. 2 SGB XI vielmehr bis zu den in der Vorschrift genannten Höchstbeträgen von den Pflegekassen übernommen. Diese Pflegesätze umfassen
nach § 84 Abs. 4 Satz 1 SGB XI gerade die allgemeinen Pflegeleistungen, die wiederum im Rahmenvertrag umschrieben werden. Eine
Unangemessenheit verlangt danach etwa auch kein grobes Missverhältnis zwischen dem verlangten Entgelt und der erbrachten Leistung.
Beurteilungsgegenstand ist auch nicht das Gesamtentgelt, sondern - wie hier - auch ein einzelner Entgeltbestandteil. Ein Entgelt ist jedoch dann
nicht angemessen, wenn es für eine Leistung berechnet wird, für die der Heimbetreiber bereits ein Entgelt, nämlich hier von den Pflegekassen,
erhalten hat, da es Teil der vom Pflegesatz abgegoltenen Regelleistung ist.
27 Gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung kann auch nicht auf die - nach Ansicht der Klägerin - unzureichende Regelung der Verpflichtungen
zur Wahrnehmung ärztlicher Besuche durch Hausärzte in den Heimen verwiesen werden. Die Anordnung berührt diese Verpflichtung bereits
nicht, da sie gerade nur die Fälle erfasst, dass die medizinisch notwendig werdende Behandlung in der Einrichtung selbst nicht durchgeführt
wird. Die Verpflichtung zur Durchführung von Hausbesuchen besteht hiervon unabhängig und kann nicht Gegenstand einer heimrechtlichen
Anordnung sein. Unzulänglichkeiten in diesem Bereich ist in dem dafür vorgesehen Rahmen der ärztlichen Versorgung zu begegnen. Gleichfalls
greifen die von der Klägerin gegen die Anordnung angeführten datenschutzrechtlichen und sonstigen Bedenken, die in der mündlichen
Verhandlung nicht mehr angeführt wurden, nicht durch. Hierauf wird in den angefochtenen Bescheiden, auf die insoweit Bezug genommen wird
(§ 117 Abs. 5 VwGO), zutreffend verwiesen.
28 Das bei der Entscheidung gemäß § 12 Abs. 1 LHeimG eingeräumte Ermessen war vorliegend in der Weise reduziert, dass für eine andere
Entscheidung als die angefochtene Anordnung kein Raum war. Unter welchen Voraussetzungen eine Ermessensreduzierung auf Null
anzunehmen ist, richtet sich regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalles (BVerwG, Urt. v. 21.06.2001 - 7 C 4.00 -, Buchholz 428 § 30
VermG Nr. 26). Die Klägerin hat sich vor Erlass der Anordnung ausdrücklich auf den Standpunkt gestellt, dass die geforderte Sicherstellung der
Begleitung nicht Teil der Regelleistung ist. Um den Interessen der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner gerecht zu werden, bestand für den
Beklagten danach keine Alternative zu der getroffenen Maßnahme. Der Versuch, die Angelegenheit einvernehmlich zu regeln, ist an der
ablehnenden Haltung der Klägerin gescheitert.
29 Die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Kostenträger nach § 12 Abs. 2, 3 LHeimG liegen nicht vor, da die Anordnung bereits von den
ausgehandelten Pflegesätzen umfasst wird. Im Übrigen könnte sich die Klägerin auf einen Beteiligungsmangel nicht berufen, weil die
Verfahrensregelung nicht ihrem Interesse dient (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.09.2003 - 14 S 2260/02 -; VG Sigmaringen, Urt. v.
31.01.2007 - 1 K 473/05 -).
30 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
31 Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
32
Beschluss vom 13. Januar 2011
33 Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs.2 GKG auf
EUR 5.000,00