Urteil des VG Stuttgart vom 21.11.2012

VG Stuttgart: vorbehalt des gesetzes, sanktion, ausschluss, ermächtigung, prüfungsordnung, klausur, chancengleichheit, diplom, eingriff, exmatrikulation

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 21.11.2012, 9 S 1823/12
Leitsätze
Eine gesetzliche Ermächtigung an den universitären Satzungsgeber, Regelungen hinsichtlich
der Folgen von Verstößen gegen Prüfungsvorschriften vorzusehen, genügt auch insoweit dem
Vorbehalt des Gesetzes, als die konkrete Satzungsregelung den Ausschluss von weiteren
Prüfungen und damit den Verlust des Prüfungsanspruchs ermöglicht (vgl. Nds. OVG, Beschluss
vom 31.03.2011 - 2 LA 343/10 -).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. Juni
2010 - 7 K 3246/09 - geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2009 und deren Widerspruchsbescheid vom 2.
November 2009 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte den Kläger aufgrund seines Verhaltens
zu Recht von weiteren Prüfungsleistungen ausgeschlossen und ihm damit seinen
Prüfungsanspruch im Studiengang Volkswirtschaftslehre (Diplom) aberkannt hat.
2 Der 1982 geborene Kläger hat sich zum Wintersemester 2004/05 im Diplomstudiengang
Volkswirtschaftslehre an der Beklagten immatrikuliert.
3 Zur Klausur Wirtschaftspolitik II am 16.07.2009, zu der sich der Kläger angemeldet hatte,
erschien an dessen Stelle eine andere männliche Person im Prüfungsraum, wies sich
durch den Studentenausweis und den Führerschein des Klägers aus, nahm die
Prüfungsunterlagen entgegen und unterschrieb mit dem Namen des Klägers. Nach
Feststellung dieses Umstandes gegen Ende der Prüfungszeit wurde die - unbekannt
gebliebene - Person aus dem Prüfungsraum begleitet und befragt. Da er sich weigerte,
seinen Namen zu nennen, und er keine Ausweispapiere bei sich hatte, verständigte eine
Mitarbeiterin des Alfred-Weber-Instituts für Wirtschaftswissenschaften der Beklagten die
Polizei, deren Eintreffen sich allerdings verzögerte.
4 Am Haupteingang trafen zwei Mitarbeiter des Instituts und der Unbekannte auf den Kläger
und wenigstens eine weitere Person. Kurz darauf kam es zu einem Gerangel, in dessen
Verlauf der Kläger einen Institutsmitarbeiter festhielt, so dass der Unbekannte und die
weitere Person vor Eintreffen der Polizei flüchten konnten.
5 Als Bearbeitung der Prüfungsaufgaben existieren zwei Versionen, von denen die eine von
der Hand des Klägers stammt. Sie fanden sich auf dem Platz, den der Unbekannte
anstelle des Klägers im Prüfungsraum eingenommen hatte, sowie in einer Tasche an
diesem Platz.
6 In seiner Sitzung am 12.08.2009 stellte der Prüfungsausschuss für den
Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre fest, bei dem vom Kläger zu verantwortenden
Vorfall vom 16.07.2009 handele es sich um einen besonders schweren Fall eines
Täuschungsversuchs gemäß § 11 der Prüfungsordnung der Beklagten für den
Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre der Fakultät für Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften vom 22.04.1999 in der Fassung vom 27.09.2004 (im folgenden
DPO).
7 Mit Bescheid vom selben Tag stellte der Prüfungsausschuss der Beklagten fest, der
Kläger habe eine andere Person zur Klausur am 16.07.2009 geschickt und einen
Täuschungsversuch unternommen. Daher schloss der Prüfungsausschuss, gestützt auf §
11 Abs. 4 Satz 4 (richtig: Satz 5) DPO den Kläger „aufgrund eines schwerwiegenden
Falles“ von der Erbringung weiterer wirtschaftswissenschaftlicher Prüfungsleistungen der
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, gestützt auf § 11 Abs. 4 Satz 4 DPO,
aus. Damit habe der Kläger die Diplomprüfung für Diplom-Volkswirte endgültig nicht
bestanden, seinen Prüfungsanspruch verloren und werde exmatrikuliert. Dieser Bescheid
wurde dem Kläger am 13.08.2009 zugestellt.
8 Seinen am 14.09.2009, einem Montag, eingelegten Widerspruch begründete der Kläger
damit, der im Bescheid wiedergegebene Tatbestand stimme nicht. Es sei zur härtest
denkbaren Maßnahme gegriffen worden. Dies sei dem Vorfall nicht angemessen. Seine
Macht habe der Prüfungsausschuss ihm gegenüber schon einmal demonstriert, als man
das Ergebnis einer Klausur im Fach Allgemeine Methodenlehre der Statistik nicht
anerkannt und ihn zur Wiederholung der Klausur gezwungen habe.
9 In seiner Sitzung am 14.10.2009 beschloss der Prüfungsausschuss, dem Widerspruch
nicht abzuhelfen. Der Kläger habe keine stichhaltigen Anhaltspunkte für eine veränderte
Sachlage geliefert.
10 Durch Widerspruchsbescheid vom 02.11.2009, dem Kläger zugestellt am 04.11.2009,
wies die Beklagte den Widerspruch zurück und stellte zur Begründung die näheren
Umstände dar, aus denen sich ein schwerwiegender Fall eines Täuschungsversuchs am
16.07.2009 ergebe. Vom Kläger seien in der Begründung seines Widerspruchs keine
weiteren Angaben zum Sachverhalt gemacht worden.
11 Mit Bescheid der Beklagten vom 14.08.2009 wurde der Kläger zum Ende des
Sommersemesters 2009 exmatrikuliert, da er den Prüfungsanspruch im Studienfach
Volkswirtschaftslehre endgültig verloren habe. Dagegen wandte sich der Kläger mit
Schreiben vom 21.08.2009.
12 Die am 18.11.2009 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage auf Aufhebung
des Bescheids vom 12.08.2009 und des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2009 hat der
Kläger im Wesentlichen damit begründet, er habe von Anfang an eine selbst gefertigte
Klausurlösung abgeben wollen. Nie habe er gegenüber Aufsichts- oder anderen Personen
geäußert, es sei nicht leicht gewesen, jemanden zu finden, der ihm ähnlich sehe, oder
dass er nun halt eine „Fünf“ mehr habe und die Klausur zum 2. Prüfungstermin schreibe.
Die angefochtenen Bescheide seien schon deshalb rechtswidrig, weil § 11 Abs. 4 Satz 5
DPO, auf dessen Grundlage die Bescheide ergangen seien, die getroffene Entscheidung
nicht ermögliche, jedenfalls nicht hinreichend bestimmt sei, und zudem nicht von einer
ausreichenden Ermächtigungsgrundlage gedeckt sei. Der Grundsatz des Vorbehalts des
Gesetzes sei nicht beachtet und die Satzungsregelung auch mit der
Wesentlichkeitstheorie nicht vereinbar. Schließlich sei die Entscheidung der Beklagten
generell wie auch im konkreten Einzelfall unverhältnismäßig. Die konkrete
Studiensituation des Klägers sei nicht berücksichtigt, eine frühere Täuschung ihm zu
Unrecht unterstellt und ihm das Erreichen seines Studienziels unmöglich gemacht worden.
13 Diesem Vortrag ist die Beklagte entgegen getreten.
14 Nach ausführlicher Beweisaufnahme hat das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom
17.06.2010 als unbegründet abgewiesen. Zu Recht sei die Entscheidung der Beklagten
auf § 11 Abs. 4 Satz 5 i.V.m. Satz 1 DPO gestützt worden. Diese Regelung finde in § 34
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 36 Satz 2 Nr. 1 LHG eine ausreichende formell-gesetzliche
Grundlage. Insbesondere genüge diese Ermächtigungsgrundlage den
verfassungsrechtlichen Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes. Auch der
Ausschluss von weiteren Prüfungsleistungen stelle lediglich eine Ausprägung des
Wettbewerbscharakters der Prüfung und des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatzes
der Chancengleichheit aller Prüflinge dar. Der Wortlaut der genannten Satzungsregelung
sei auch hinreichend bestimmt. Die demnach vorgesehenen Sanktionen entsprächen
allgemein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch die Anwendung der
Regelung auf den Einzelfall des Klägers begegne keinen Bedenken. Dabei ist das
Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es dem Kläger darum ging, sich die
Prüfungsunterlagen von dem Unbekannten übergeben zu lassen, die Klausur dann
außerhalb des Prüfungsraums unter Verwendung nicht zugelassener Hilfsmittel selbst
anzufertigen und anschließend von dem unbekannten „Klausurteilnehmer“ abholen und im
Prüfungsraum als ordnungsgemäß erstellte Prüfungsleistung abgeben zu lassen. Das
Verhalten des Klägers einschließlich seiner Bemühungen, die Aufdeckung bzw.
Aufklärung des Täuschungsmanövers zu vereiteln oder zu erschweren, sei auf einer Skala
sanktionswürdiger Täuschungshandlungen im obersten Bereich anzusiedeln.
Anhaltspunkte für Ermessensfehler des Prüfungsausschusses seien nicht ersichtlich.
Angesichts der Schwere der Verfehlung habe der Prüfungsausschuss davon ausgehen
dürften, dass die vorzunehmende Interessenabwägung vorgezeichnet und eine besondere
Begründung nicht mehr erforderlich sei. Auch unter Berücksichtigung der individuellen
Folgen für den Kläger stünden die angegriffenen Bescheide im Einklang mit dem
rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
15 Die vom Senat zugelassene Berufung begründet der Kläger, indem er sein bisheriges
Vorbringen wiederholt und vertieft. Die beiden Bescheide der Beklagten seien aus
mehreren Gründen rechtswidrig und daher aufzuheben:
16 Die Sanktionsregelung des Ausschlusses von weiteren Prüfungsleistungen in § 11 Abs. 4
Satz 5 i.V.m. Satz 1 DPO finde in § 34 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 1 LHG keine
ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Ein solcher gravierender Eingriff in das
Grundrecht der Berufswahlfreiheit bedürfe einer Rechtsgrundlage in Form eines formellen
Gesetzes. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu
treffen. Den Anforderungen an den Wesentlichkeitsgrundsatz genüge die Ermächtigung im
Landeshochschulgesetz nicht, vielmehr lasse sie den Hochschulen insoweit „vollkommen
freien Lauf“. Das Fehlen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage könne auch nicht
dazu führen, dass gleichwohl bis zu ihrem Vorliegen die Gerichte gehalten wären, zur
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes vom vorhandenen Normenmaterial ausgehend
an der Grundentscheidung in Art. 12 Abs. 1 GG orientierte und das
Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrende eigene Maßstäbe zu entwickeln.
Grundrechtseingriffe könnten nicht auf eigene Einschätzungen der Richter gestützt
werden.
17 Dazuhin ergebe sich schon aus dem Wortlaut in § 11 Abs. 4 Satz 5 i.V.m. Satz 1 DPO,
dass nur der Ausschluss von einzelnen und nicht von sämtlichen Prüfungsleistungen als
Sanktion ausgesprochen werden könne.
18 Schließlich verstoße die ausgesprochene Sanktion jedenfalls gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Der von ihm belegte Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre werde
nach Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge an keiner anderen Hochschule in
Deutschland mehr angeboten. Die Frage, ob es dem Kläger möglich sei, sein Studium im
Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre an einer anderen Universität in Deutschland
fortzusetzen, sei eine Rechtsfrage, hinsichtlich derer den Kläger keine
Substantiierungspflicht treffe. Zudem habe die Beklagte weder Ermessens- noch
Verhältnismäßigkeitserwägungen angestellt, was für sich genommen bereits zur
Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide führe. Anderes ergebe sich weder aus den
vorliegenden Protokollen noch den Begründungen der angefochtenen Bescheide. Bei
diesen Erwägungen seien jedenfalls der Fortschritt des klägerischen Studiums (11.
Fachsemester) und die Besonderheit des Studiums in einem Diplomstudiengang, der nur
noch im Wege von Übergangsregelungen einen Abschluss ermögliche, und der damit
einhergehende besonders massive Eingriff in die Berufswahlfreiheit des Klägers zu
berücksichtigen gewesen.
19 Dieser Ermessensausfall lasse sich auch nicht durch das Institut des „intendierten
Ermessens“ beseitigen. Ein entsprechender Wille des Gesetzgebers für den Regelfall sei
nicht erkennbar. Auch hätte die Beklagte nicht auf eine Begründung verzichten dürfen. Ein
Fall des § 39 Abs. 2 VwVfG liege nicht vor. Hinzu komme, dass der Täuschungsversuch
des Klägers jedenfalls nicht im Rahmen der Abschlussprüfung, sondern bei einer
studienbegleitenden Klausur erfolgt sei. Bereits deshalb liege kein „schwerwiegender
Verstoß“ im Sinne der Prüfungsordnung vor. Jedenfalls seien die angefochtenen
Bescheide insoweit aufzuheben, als sie die Exmatrikulation des Klägers aussprächen. Die
Exmatrikulation sei schon deshalb nicht möglich, weil der Kläger auch im
Bachelorstudiengang „Übersetzungswissenschaften Russisch“ bei der Beklagten
eingeschrieben sei. Eine Exmatrikulation in Form eines absoluten Verlustes der
Mitgliedschaftsrechte komme daher nicht in Betracht.
20 Der Kläger beantragt,
21 das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.06.2010 - 7 K 3246/09 - zu ändern
und den Bescheid der Beklagten vom 12.08.2009 sowie ihren Widerspruchsbescheid
vom 02.11.2009 aufzuheben.
22 Die Beklagte beantragt,
23 die Berufung zurückzuweisen.
24 Sie führt zur Begründung aus: Angesichts des festgestellten Sachverhaltes, wie er dem
angefochtenen Urteil zugrunde liege, handele es sich um einen schwerwiegenden Fall
eines Täuschungsversuches. Zu Gunsten des Klägers sei dabei weder das bereits weit
fortgeschrittene Stadium seines Studiums (11. Fachsemester) noch der Umstand zu
werten, dass es sich um eine lediglich studienbegleitende Klausur gehandelt habe.
Gerade bei fortgeschrittenen Studierenden könne erwartet werden, dass allgemeine
Grundsätze über Redlichkeit im Studium ihren Niederschlag auch in entsprechendem
Verhalten gefunden hätten. Bei der in Rede stehenden studienbegleitenden
Prüfungsleistung habe es sich um einen vorgezogenen Teil der Abschlussprüfung
gehandelt. Auch diese Klausur sei als das Studium abschließend zu werten. Hinzu
komme, auch wenn vorliegend nicht entscheidend, dass die ausgesprochene Sanktion
auch mit Blick auf ihre generalpräventive Wirkung hätte verhängt werden können.
25 Die ausgesprochene Sanktion beruhe mit § 11 Abs. 4 Satz 5 DPO auf einer
ausreichenden Ermächtigungsgrundlage. Darin sei der ausgesprochene Ausschluss von
sämtlichen weiteren Prüfungen ausdrücklich vorgesehen. Die gesetzliche Grundlage
dieser Vorschrift in § 34 Abs. 1 i.V.m. § 36 Satz 2 Nr. 1 LHG genüge den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes. Die Ausgestaltung
der Folgen von Verstößen gegen die Prüfungsordnung habe dem Satzungsgeber
vorbehalten bleiben dürfen. Die gebotene Staffelung der Rechtsfolgen nach der Schwere
der Verfehlung sei gegeben. Die ausgesprochene Sanktion entspreche der in § 62 Abs. 4
Nr. 4 i.V.m. § 3 Abs. 5 LHG vorgesehenen Rechtsfolge bei Verstößen gegen die
wissenschaftliche Redlichkeit. Der Ausschluss von weiteren Prüfungsmöglichkeiten im
Falle schwerwiegender Täuschungshandlungen sei vom Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit mit umfasst. Auch Art. 12 GG sei nicht verletzt. Der Kläger habe die
Bedingungen, die zu seinem Ausschluss aus dem Studiengang Volkswirtschaftslehre
(Diplom) der Beklagten geführt habe, selbst gesetzt. Der von ihm angestrebte Beruf sei
grundsätzlich auch mit einem Bachelor-/Master-Abschluss zu erreichen. Für den dabei
eintretenden Zeitverlust sei der Kläger selbst verantwortlich.
26 Selbst wenn eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fehle, sei nach der
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs eine verfassungskonforme
Korrektur des Sanktionsprogramms möglich und geboten und führe zum selben Ergebnis.
27 Die ausgesprochene Exmatrikulation beziehe sich allein auf den in Streit stehenden
Studiengang Diplom-Volkswirtschaftslehre. Der Kläger sei nicht daran gehindert, sich in
einen anderen Studiengang bei der Beklagten einzuschreiben oder eingeschrieben zu
bleiben.
28 Dem Senat liegen die Behördenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des
Verwaltungsgerichts Karlsruhe zum Ausgangsverfahren 7 K 3246/09 sowie zum Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes, 7 K 139/10, wie auch eine Kopie der
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte, 24 Js 17145/09, vor. Hierauf sowie auf den
Inhalt der im vorliegenden Verfahren gewechselten Schriftsätze wird hinsichtlich weiterer
Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe
29 Die zulässige Berufung ist begründet.
30 Die zulässige Klage ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom
17.06.2010 wird geändert; die angefochtenen Bescheide sind wegen fehlender
Ermessensausübung rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie werden daher aufgehoben (s. dazu unter Nr. 3). Indes ist die
Satzungsregelung, auf deren Grundlage diese Bescheide ergingen, gültig und nicht
mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (s. dazu unter Nr. 1) und
erlaubt auch die Sanktion eines endgültigen Prüfungsausschlusses und damit die
Beendigung des Studienganges (s. dazu unter Nr. 2).
31 1. Die angefochtenen Bescheide sind auf § 11 Abs. 4 Satz 5 DPO gestützt, Für den
vorliegenden Fall des Ausschlusses von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen und
der Aberkennung des Prüfungsanspruchs durch Entscheidungen vom 12.08.2009 und
vom 02.11.2009 ist dessen maßgebliche Fassung die nach Änderung der
Prüfungsordnung am 27.09.2004 (Mitteilungsblatt des Rektors vom 29.09.2004 S. 523). §
11 Abs. 4 Satz 1, 2 und 5 dieser Fassung sind mit der ursprünglichen Fassung dieser
Sätze - § 11 Abs. 3 Satz 1, 2 und 3 der Prüfungsordnung der Beklagten für den
Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät vom
22.04.1999 (Amtsblatt „Wissenschaft, Forschung und Kunst“ 1999, 205 - PO 1999 -) -
identisch und haben folgenden Wortlaut: „Versucht der Prüfling, das Ergebnis seiner
Prüfungsleistungen durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu
beeinflussen, wird die betreffende Prüfungsleistung mit „nicht ausreichend“ (5,0) bewertet.
Ein Prüfling, der den ordnungsgemäßen Ablauf der Prüfung stört, kann von der jeweiligen
Prüferin bzw. dem Prüfer oder Aufsichtsführenden von der Fortsetzung der
Prüfungsleistung ausgeschlossen werden; in diesem Fall wird die betreffende
Prüfungsleistung mit „nicht ausreichend“ (5,0) bewertet. In schwerwiegenden Fällen kann
der Prüfungsausschuss den Prüfling von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen
ausschließen.“
32 Diese Regelung ist gültig, denn sie beruht auf einer hinreichenden
Ermächtigungsgrundlage.
33 a) Der Ausschluss von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen wirkt sich unmittelbar
und schwerwiegend auf das Grundrecht auf Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, aus. Eine
solche Sanktion bedarf daher einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage.
34 Rechtsgrundlage der Prüfungsordnung der Beklagten für den Diplomstudiengang
Volkswirtschaftslehre vom 22.04.1999 ist nach ihrer Eingangsformel § 51 Abs. 1 Satz 2
des Universitätsgesetzes (UG), wonach Hochschulprüfungsordnungen Satzungen sind,
die der Zustimmung des Wissenschaftsministeriums bedürfen. Nach dessen Absatz 2 Satz
1 in der jedenfalls seit Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes vom 10.01.1995
(GBl. S. 1) bis zur nachfolgenden Neubekanntmachung vom 01.02.2000 (GBl. S. 208)
insoweit unveränderten Form müssen Hochschulprüfungsordnungen u.a. auch regeln 1.
den Zweck der Prüfung, 3. die Anforderungen in der Prüfung, 4. Art, Zahl und Umfang der
Prüfungsleistungen, dann 9. „den Ablauf des Prüfungsverfahrens, insbesondere den
Beginn, die Gliederung, die Dauer des Prüfungsverfahrens, die Prüfungstermine und
Prüfungsfristen und die Folgen von Verstößen gegen Prüfungsvorschriften“ und weiter 11.
„die Wiederholbarkeit einer nicht bestandenen Prüfung und die dafür geltenden Fristen“.
35 Auch wenn dieses Gesetz in der Zwischenzeit außer Kraft getreten ist, ist dies für die
Geltung der Prüfungsordnung ohne Bedeutung, soweit sie ursprünglich ordnungsgemäß
erlassen wurde (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.12.1958 - 1 BvR 488/57 -, BVerfGE 9, 3,
vom 25.07.1962 - 2 BvL 4/62 -, BVerfGE 14, 145, und vom 23.03.1977 - 2 BvR 812/74 -,
BVerfGE 44, 216 und Senatsurteil vom 23.10.2012 - 9 S 2188/11 -, S. 10 f.). Die
Überleitungsvorschrift zum am 06.01.2005 in Kraft getretenen Landeshochschulgesetz
(Art. 27 § 18 Zweites Hochschulrechtsänderungsgesetz vom 01.01.2005, GBl. 1, 73) sieht
in ihrem Absatz 1 vor, dass Hochschulprüfungsordnungen bis spätestens 30.09.2006 an
die Bestimmungen des Landeshochschulgesetzes anzupassen sind. Anderenfalls treten
„diejenigen Regelungen außer Kraft, die denjenigen des Landeshochschulgesetzes und
den zur Ausführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen widersprechen“,
Art. 27 § 18 Abs. 1 Satz 2 2. HRÄG. Daraus folgt, dass die hier in Rede stehende
Prüfungsordnung auch über den 30.09.2006 hinaus weitergilt, wenn sie den Regelungen
des Landeshochschulgesetzes nicht widerspricht.
36 b) Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 LV kann eine Ermächtigung zum Erlass von
Rechtsverordnungen nur durch Gesetz erteilt werden. Dabei müssen Inhalt, Zweck und
Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt werden. Die Anforderungen an den Erlass
einer universitären Satzung durch den Senat als Kollegialorgan einer zur
Selbstverwaltung berufenen Körperschaft (§ 11 Nr. 2, § 19 Abs. 1 Satz 1 UG i.V.m. § 5
Abs. 1 UG) können insoweit über die Anforderungen an den Erlass einer
Rechtsverordnung durch die Exekutive, wie sie in Art. 61 Abs. 1 LV genannt sind und -
bezogen auf den insoweit wortgleichen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG - den Beschlüssen des
Bundesverfassungsgerichts vom 03.11.1982 (- 2 BvL 28/81 -, BVerfGE 62, 203, 209) und
vom 14.03.1989 (- 1 BvR 1033/82 u.a. -, BVerfGE 80, 1, 20 f.) zugrunde liegen, nicht
hinausgehen.
37 Nach dem ebenfalls zu beachtenden Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ist der
Gesetzgeber zudem verpflichtet, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und
sie nicht der Verwaltung oder auch einem universitären Gremium wie dem Senat der
Beklagten zu überlassen, das nicht in vergleichbarer Weise wie das Parlament durch
demokratische Wahlen legitimiert ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.12.1976 - VII B
157.76 -, Buchholz 421.0 Nr. 78; BVerfG, Beschluss vom 20.10.1981 - 1 BvR 640/80 -,
BVerfGE 58, 257, 274 f.; BVerwG, Urteil vom 01.06.1995 - 2 C 16/94 -, BVerwGE 98, 324,
327; Bay VGH, Urteil vom 19.03.2004 - 7 BV 03.1953 -, BayVBl 2004, 597). Schon aus der
Ermächtigung muss für den Bürger erkennbar und vorhersehbar sein, was ihm gegenüber
zulässig sein soll. Das gilt insbesondere dann, wenn, wie im Bereich des Art. 12 Abs. 1
GG, Eingriffe nur aufgrund eines Gesetzes zulässig sind. Der Gesetzgeber soll im Bereich
der Grundrechtsausübung die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und, sofern
Einzelregelungen einer Verordnung überlassen bleiben, die Tendenz und das Programm
schon insoweit umreißen, dass sich der Zweck und der mögliche Inhalt der Verordnung
bestimmen lassen (BVerfG, Beschluss vom 14.03.1989, a.a.O.).
38 Dem sich daraus ergebenden Bestimmtheits- und zugleich Wesentlichkeitsgebot ist
jedoch Genüge getan, wenn sich die gesetzlichen Vorgaben für die Ausgestaltung einer
untergesetzlichen Norm, wie hier einer universitären Prüfungsordnung in Gestalt einer
Satzung des Senats, mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze, insbesondere aus dem
Zweck der Norm und dem Sinnzusammenhang erschließen lassen. Es genügt, wenn sich
Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung aus dem Gesetz insgesamt ermitteln lassen
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.11.1982, a.a.O., und vom 14.03.1989, a.a.O.; vgl. auch
BVerwG, Beschluss vom 07.12.1976, a.a.O., und BayVGH, Urteil vom 19.03.2004 a.a.O.).
Maßgebend ist der in der Bestimmung zum Ausdruck kommende objektive Wille des
Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Ermächtigungsnorm und dem
Sinnzusammenhang ergibt, in den die Ermächtigung gestellt ist. Auch die
Entstehungsgeschichte kann - vor allem zur Bestätigung der Auslegung - herangezogen
werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.01.1966 - 2 BvR 424/63 -, BVerfGE 19, 354, und
Senatsurteil vom 23.10.2012 - 9 S 2188/11 -, Urteilsumdruck S. 11).
39 c) § 51 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 UG genügt diesen Vorgaben. Universitäre
Prüfungen dienen ganz allgemein dazu, festzustellen, ob der Studierende „bei Beurteilung
seiner individuellen Leistung“ das Ziel des Studienabschnitts oder des Studiums
insgesamt erreicht hat (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 UG; ähnlich § 30 Abs. 1 LHG). Daraus folgt
unmittelbar, dass alle Manipulationen, die dazu geeignet sind, die individuelle Leistung zu
verschleiern, einen Verstoß gegen Prüfungsvorschriften darstellen. Damit sind in
Prüfungsordnungen vorgesehene Sanktionen als Folge von Täuschungsversuchen
jedenfalls dann, wenn sie - wie regelmäßig - dazu dienen, eine bessere Bewertung zu
erlangen, als es der tatsächlichen eigenen Leistung entspricht, von der
Ermächtigungsnorm des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 UG gedeckt.
40 Dies gilt nicht nur dann, wenn sich die Sanktion auf die Bewertung der konkreten
Einzelleistung als mangelhaft oder ihre Nichtbewertung beschränkt, sondern umfasst auch
weitergehende Eingriffe in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG, soweit sie sich im
Rahmen der Verhältnismäßigkeit halten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist als
tragendes Prinzip öffentlicher Verwaltung bei jeglichem Eingriff in subjektive
Rechtspositionen zu beachten (vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar,
Art. 2 Abs. 1 Rn. 41 [Stand 2001]). Er ist daher auch ohne besonderen Hinweis bei der
Umsetzung jeder Ermächtigung zum Eingriff in subjektive Rechte zu beachten (vgl. allg.
BVerwG, Beschluss vom 07.12.1976, a.a.O.). Aus dem Grundsatz der Chancengleichheit,
der ein tragendes Prinzip des Prüfungsrechts darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom
14.03.1989, a.a.O.; vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.12.1976, a.a.O.; OVG Berlin-Bbg,
Beschluss vom 07.11.2011 - OVG 10 N 21.09 -, Juris Rn. 5 u. 6), folgt unmittelbar, dass
massive Verstöße, durch die sich ein Prüfling auf drastische Weise einen erheblichen,
ungerechtfertigten Vorteil gegenüber den anderen Prüflingen zu verschaffen sucht, auch
durch drastische Sanktionen geahndet werden können (vgl. BayVGH, Urteil vom
19.03.2004, a.a.O., BayVBl 2004, 597; im Ergebnis ebenso Sächs. OVG, Urteil vom
18.08.2010 - 2 A 142/09 -, NVwZ-RR 2011, 152, 153, und Nds. OVG, Beschluss vom
31.03.2011 - 2 LA 343/10 -, Juris). Die „Höchststrafe“ eines endgültigen Verlustes des
Prüfungsanspruchs und damit der Beendigung einer Ausbildung ohne Abschluss ist daher
dem Wesen des Prüfungsrechts immanent und folgt unmittelbar aus Sinn und Zweck des
Prüfungswesens als Weg zur Feststellung individueller Leistung. Hinzu kommt, dass der
Gesetzgeber, indem er in § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 UG als Inhalt von Prüfungsordnungen
auch Aussagen über „die Wiederholbarkeit einer nicht bestandenen Prüfung und die dafür
geltenden Fristen“ vorsah, offenbar auch die Möglichkeit eines vollständigen Verlusts des
Prüfungsanspruchs - hier durch Versagen eines nochmaligen Prüfungsversuchs - im Blick
hatte. Überdies könnte eine detaillierte Vorgabe des Gesetzgebers selbst an den
Satzungs- oder Verordnungsgeber in der Sache kaum etwas anderes als einen
ausdrücklichen Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip (etwa: in besonders
schweren Fällen kann auch der Verlust des Prüfungsanspruchs insgesamt festgestellt
werden) darstellen.
41 Dass im schulischen Bereich darüber hinausgehende, strengere Anforderungen gelten
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.10.1981 - 1 BvR 640/80 -, BVerfGE 58, 257 betreffend die
Anforderungen an die Entlassung eines Schülers wegen unzureichender Leistungen),
zwingt zu keiner abweichenden Einschätzung. Welche Bestimmtheitsanforderungen im
einzelnen erfüllt sein müssen, ist nämlich von den Besonderheiten des jeweiligen
Sachbereichs sowie von Gewicht und Wirkung der zu regelnden Maßnahmen abhängig
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.11.1982 - 2 BvL 28/81 -, BVerfGE 62, 203, 210 zu
Bestimmungen über die Durchführung der Steuerberaterprüfung). Der Ausschluss von
weiteren Prüfungen im universitären Bereich mit der Folge eines möglichen Scheiterns in
einem bestimmten Studiengang ist insoweit eher mit den Voraussetzungen an eine
bestimmte Ausbildung als mit dem zwangsweisen Verlassen einer weiterführenden
Schule wegen unzureichender Leistungen vergleichbar, die nicht nur das Erreichen eines
bestimmten akademischen Abschlusses, sondern darüber hinaus den Zugang zu
akademischer Bildung überhaupt in Frage stellt. Daher würde die vom Kläger aus
rechtsstaatlichen Gründen geforderte gesetzliche Regelung zwar als Ausdruck des
Verhältnismäßigkeitsprinzips der Klarstellung dienen, ist aber aus Rechtsgründen nicht
geboten, denn sie versteht sich, wie dargestellt, im Prüfungsrecht bei Anwendung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Beachtung des Prinzips der Chancengleichheit
von selbst. Dabei ist wesentlich im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG lediglich, dass diese
Sanktion in schweren Fällen ausgesprochen werden kann. Ob der untergesetzliche
Normgeber diese Sanktion auch tatsächlich vorsieht, kann ihm vorbehalten bleiben.
42 d) Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht (Hess. VGH,
Beschluss vom 27.09.1995 - 1 UE 3026/94 -, NVwZ-RR 1996, 654; Niehues/Fischer,
Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 19, 30; Beaucamp/Lang, JA 2004, 213, 214) bedarf es
auch für den Fall einer Sanktion, die zum Verlust des gesamten Prüfungsanspruchs und
damit zur Beendigung des Studiums führt, somit jedenfalls dann keiner gesonderten
ausdrücklichen Festlegung durch ein förmliches Gesetz, wenn sich eine solche Sanktion
aus dem Wortlaut der Ermächtigung im Zusammenhang Ziel und Zweck des
ermächtigenden Gesetzes insgesamt unter Beachtung tragender Grundsätze des
Prüfungsrechts wie der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und des sich aus dem
Rechtsstaatsprinzip herleitenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zwanglos ergibt.
Dies war in dem vom hessischen Verwaltungsgerichtshof zu entscheidenden Fall nicht in
mit der vorliegenden Konstellation vergleichbarer Weise gegeben. Anders als hier
beschränkte sich dort die Ermächtigung darauf, „die zur Durchführung der Prüfungen
erforderlichen Rechtsverordnungen“ zu erlassen. Damit war die Möglichkeit der
Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Prüfungsvorschriften, etwa durch Täuschung,
jener Formulierung nicht unmittelbar zu entnehmen.
43 2. § 11 Abs. 3 Satz 3 PO 1999 (= § 11 Abs. 4 Satz 5 der aktuellen DPO) sieht „in
schwerwiegenden Fällen“ den „Ausschluss von der Erbringung weiterer
Prüfungsleistungen“ vor. Diese Sanktion geht über die in Satz 1 des Absatzes genannte
Sanktion der Bewertung der Prüfungsleistung mit „nicht ausreichend“ ersichtlich hinaus.
Sie führt dazu, dass der Prüfling jedenfalls bei schriftlichen Prüfungsleistungen auf die
Wiederholungsmöglichkeiten des § 22 DPO verwiesen ist. Die schwerere Sanktionierung
muss daher einschneidender wirken als ein Zwang zur Wiederholung einer bestimmten
Prüfungsleistung. Als nächste Stufe kommt nach dem Wortlaut der Norm theoretisch der
endgültige Verlust einer Prüfungsmöglichkeit in einem bestimmten Prüfungsfach in
Betracht. Dieser Verlust würde jedoch dazu führen, dass die Diplomprüfung insgesamt
nicht bestanden ist, da der schriftliche Teil der Diplomprüfung wie auch die Diplomprüfung
überhaupt nur dann als bestanden gelten kann, wenn sämtliche Teile, und sei es nach der
zweiten Wiederholungsprüfung, bestanden sind (vgl. § 22 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 1,
§ 24 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 DPO). Daraus folgt, dass der „Ausschluss von der Erbringung
weiterer Prüfungsleistungen“ den Verlust des Prüfungsanspruchs insgesamt bedeutet,
jedenfalls soweit es um einen Täuschungsversuch in einer schriftlichen Prüfung geht.
Denn wenn ein Studierender eine nach der Prüfungsordnung erforderliche
studienbegleitende Prüfungsleistung endgültig nicht bestanden hat, erlischt die Zulassung
zu diesem Studiengang (§ 32 Abs. 1 Satz 5 LHG) mit der Folge, dass er nicht mehr zu
einer Prüfung zugelassen werden kann (§ 32 Abs. 1 Satz 4 LHG). Dies entspricht auch
dem Wortsinn, wonach dieser Ausschluss allgemein gilt und nicht auf bestimmte weitere
Prüfungsleistungen beschränkt ist (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 17.06.2009 - 15 K
5332/07 -, Juris).
44 Entgegen der Ansicht des Klägers kann ein „schwerwiegender Fall“ im Sinne von § 11
Abs. 4 Satz 5 PO auch schon dann vorliegen, wenn es lediglich um einen
Täuschungsversuch in einer einzelnen Prüfung geht. Er ist nicht auf ein Fehlverhalten in
einer Abschlussprüfung beschränkt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass alle zur
Erlangung des Diploms im Studiengang Volkswirtschaftslehre erforderlichen Prüfungen
studienbegleitend erfolgen und Einfluss auf die Abschlussnote haben (§ 19 Abs. 1 DPO).
45 3. Die angefochtenen Bescheide sind jedoch als rechtswidrig aufzuheben, da eine
Ermessensausübung des zur Entscheidung berufenen Prüfungsausschusses (§ 11 Abs. 4
und Abs. 5 DPO) nicht erkennbar ist und auch eine Ermessensreduktion auf Null nicht
angenommen werden kann.
46 a) Nach § 11 Abs. 4 Satz 5 DPO „kann“ der Prüfungsausschuss den Prüfling von der
Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausschließen. Damit ist der Prüfungsausschuss
nicht nur zu einer entsprechenden Entscheidung ermächtigt, sondern er ist auch gehalten,
Ermessen auszuüben, also den Zweck der Ermächtigung zu beachten und die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 LVwVfG). Ermessensfehler
liegen dann vor, wenn die zuständige Behörde den Zweck des ihr eröffneten Ermessens
verkennt, insbesondere relevante Tatsachen nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen
anstellt, den ihr gesetzten Rahmen, etwa durch unverhältnismäßige oder
gleichheitswidrige Maßnahmen, überschreitet oder gar kein Ermessen ausübt (vgl.
Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 12 Aufl. 2011, § 40 Rn. 58 ff.). Eine fehlerhafte oder
unvollständige Ermessensentscheidung kann jedenfalls noch bis zum Ende der letzten
Tatsacheninstanz durch Nachholen einer fehlerfreien Ermessensentscheidung erfolgen
(vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 68 ff.). Jedoch kann die zuständige Behörde ihre
Ermessenerwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren lediglich „ergänzen“ (§ 114
Satz 2 VwGO), was ein erstmaliges Ausüben von Ermessen zu diesem Zeitpunkt
ausschließt (BVerwG, Urteil vom 05.09.2006 - 1 C 20/05 -, NVwZ 2007, 470, und
Beschluss vom 14.01.1999 - 6 B 133/98 -, NJW 1999, 2912; vgl. auch VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 -, VBlBW 2009, 264, 270; Wolff, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar 3. Aufl. 2010 § 114 Rn. 207 f.; Stuhlfauth in: Bader,
VwGO, Kommentar, 5. Aufl. 2011, § 114 Rn. 55).
47 Ermessenserwägungen sind regelmäßig der Begründung der Entscheidung zu
entnehmen. Sie können sich aber auch aus anderen Umständen, etwa dem Akteninhalt
ergeben. Die Beweislast für eine rechtmäßige Ermessensausübung liegt bei der Behörde
(Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 40 Rn. 58).
48 b) Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Bescheid des Prüfungsausschusses der
Beklagten vom 12.08.2009 „über das endgültige Nichtbestehen der Diplomprüfung“ nach
einer kurzen Sachverhaltsschilderung auf den Satz „Der Prüfungsausschuss hat in seiner
Sitzung am 12.08.2009 beschlossen, dass Sie mit sofortiger Wirkung aufgrund eines
schwerwiegenden Falles von der Erbringung weiterer wirtschaftswissenschaftlicher
Prüfungsleistungen der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gemäß § 11
Absatz 4 Satz 4(!) DPO ausgeschlossen werden.“ Zur Begründung des
Widerspruchsbescheids vom 02.11.2009 wird unter II. der Sachverhalt näher dargestellt
und daraus folgender Schluss gezogen: „Sie haben insoweit einen Täuschungsversuch
unternommen, da Sie jemand anderen beauftragt haben, in Ihrem Namen die Klausur
Wirtschaftspolitik II anzufertigen und abzugeben. Der Prüfungsausschuss hat unter
Würdigung der vorliegenden Umstände einen schwerwiegenden Fall festgestellt und Sie
gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4(!) der Diplomprüfungsordnung der Universität Heidelberg für
den Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre vom 22.04.99 i.d.F. vom 27.09.04 von der
Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausgeschlossen. Sie haben damit Ihren
Prüfungsanspruch für den Diplomstudiengang Volkswirtschaftslehre verloren. Der
Widerspruch war deshalb zurückzuweisen.“
49 Damit lassen die genannten Bescheide Ermessenserwägungen nicht erkennen. Das bei
den Akten befindliche Protokoll der Sitzung des Prüfungsausschusses vom 12.08.2009
enthält hinsichtlich der Person des Klägers im Rahmen des protokollierten Beschlusses
lediglich die Feststellung, dass es sich „um einen besonders schweren Fall eines
Täuschungsversuchs gemäß § 11 DPO“ handele. Das Protokoll der Sitzung des
Prüfungsausschusses vom 14.10.2009, zu der der Widerspruch des Klägers und dessen
Begründung vom 30.09.2009 vorlagen, befindet sich nicht in den Akten. Aus dem
Schreiben des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses an die Universitätsverwaltung vom
27.10.2009 geht lediglich hervor, dass der Prüfungsausschuss „in der Sitzung vom
14.10.2009 beschlossen (habe), dem Widerspruch nicht abzuhelfen. Der Widerspruch von
Herrn A. S. liefert keinen stichhaltigen Anhaltspunkt für eine veränderte Sachlage.“ Damit
ergeben sich auch keine Ermessenserwägungen aus zugänglichen Akten. Die bloße
Bezeichnung des Fehlverhaltens des Klägers als „besonders“ schwerer Fall reicht hierfür
nicht aus, auch wenn im Schriftsatz der Beklagten im Eilverfahren vor dem
Verwaltungsgericht Karlsruhe - 7 K 139/10 - vom 26.01.2010 die Entscheidung als
Ermessensentscheidung angesehen und mit dem Hinweis verteidigt wird, nach Ansicht
des Prüfungsausschusses sei der vorliegende Sachverhalt so schwerwiegend, dass die
ausgesprochene Rechtsfolge auch verhältnismäßig sei. Sie lässt noch nicht einmal
erkennen, dass sich der Prüfungsausschuss des Charakters seiner Entscheidung als
Ermessensentscheidung bewusst war.
50 c) Dieses Fehlen von Ermessenserwägungen wäre nur dann unschädlich, wenn es
hierauf nicht ankäme, also unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine andere als die
getroffene Entscheidung rechtmäßig sein könnte. Eine solche Ermessensreduzierung „auf
Null“ kann nach Ansicht des Senats aus allgemeinen Erwägungen, aber auch wegen der
Besonderheiten des konkreten Falles nicht angenommen werden.
51 Wie unter 1. ausgeführt, ist die Regelung über Sanktionsmöglichkeiten bei Täuschungen
und Täuschungsversuchen in § 11 Abs. 4 DPO Ausdruck des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem das Prüfungswesen beherrschenden Prinzip
der Chancengleichheit, die je nach Schwere des Verstoßes auch eine Differenzierung in
der Schwere der Sanktion fordern. Weil dem so ist, genügt die Ermächtigung zum Erlass
der hier in Rede stehenden Prüfungsordnung in § 51 Abs. 1 Satz 2 mit Abs. 2 Satz 1 UG
(und vergleichbar auch in § 36 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 LHG) dem Grundsatz
des Vorbehalts des Gesetzes und seiner Ausgestaltung durch die Wesentlichkeitslehre.
Diese Forderung nach Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit setzt sich in
der Anwendung der Norm selbst - hier § 11 Abs. 4 DPO - fort. Ein Automatismus derart,
dass bei schwerwiegenden Fällen des § 11 Abs. 4 DPO ein Ausschluss von weiteren
Prüfungsleistungen „erfolgt“, dürfte im Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen
Bedenken begegnen. Daher hat die Ausübung dieses durch das Wort „kann“ eröffneten
Ermessens hier besondere verfassungsrechtliche Bedeutung. Eine Beendigung des
Studiums in einem bestimmten Studiengang ist nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar,
wenn die Entscheidung verhältnismäßig ist, wobei nicht nur der konkrete Sachverhalt des
Täuschungsvorgangs, sondern auch die Folgen für den Betroffenen in den Blick zu
nehmen sind. Hierbei spielen auch die persönlichen Umstände, u.a. das Stadium, in dem
der betreffende Studiengang abgebrochen wird, eine Rolle. Im vorliegenden Fall kommt
noch hinzu, dass es sich beim vom Kläger besuchten Studiengang um einen
Diplomstudiengang handelt, der so bei der Beklagten und auch verbreitet in Deutschland
nicht mehr angeboten wird, so dass, anders als in anderen Fällen, eine Fortsetzung des
Studiums an einer anderen Universität zusätzlich erschwert wird. Angesichts dieser
Umstände könnte eine Ermessensreduzierung auf Null nur in besonders schweren Fällen
angenommen werden, in denen bereits im Ansatz eine andere Entscheidung undenkbar
erscheint und es deshalb auf die konkreten Folgen nicht mehr ankommen kann.
52 Einen solchen besonders schweren Fall erkennt der Senat im hier zu beurteilenden
Verhalten des Klägers nicht, auch wenn das Einschalten einer anderen Person und
insbesondere das Festhalten von Bediensteten der Beklagten, um der - unbekannt
gebliebenen - Person das Verlassen des Universitätsgeländes und damit das Sich-
Entziehen vor weiteren Ermittlungen eine erhebliche kriminelle Energie belegt. Dieses
Vorgehen und der Versuch, die genauen Umstände des Täuschungsvorgehens zu
vertuschen, hebt den Vorfall aus der Zahl der „gewöhnlichen“ Täuschungen heraus und
macht ihn gewiss zu einem „schwerwiegenden“ Fall. Dies kann jedoch, wie dargestellt,
noch nicht dazu führen, dass der Kläger ungeachtet aller weiteren Umstände zwingend mit
der schwersten Sanktion zu belegen wäre. Das Ermessen war daher eröffnet und zu
betätigen, da ein Extremfall, bei dem ein Ausblenden für den Kläger sprechender
persönlicher wie allgemein-sachlicher Umstände wegen Ermessensreduzierung
gerechtfertigt wäre, (noch) nicht vorliegt.
53 d) Dies bedeutet zugleich, dass bei Berücksichtigung aller maßgeblichen und hier auch
genannten Umstände eine Sanktion, wie sie in § 11 Abs. 4 Satz 5 DPO möglich gemacht
wird, zu Recht von der Beklagten ausgesprochen werden kann, auch wenn nicht völlig
geklärte Umstände bei einer vorangegangenen Klausur, wie von der Beklagten
vorgetragen, unberücksichtigt geblieben sind.
54 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision wird nicht
zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.
55
Beschluss vom 21. November 2012
56 Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 GKG in
Verbindung mit Nr. II.18.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der
Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327) auf
15.000,-- EUR
57 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).