Urteil des VG Stuttgart vom 14.08.2013

VG Stuttgart: gerichtshof für menschenrechte, afghanistan, bewaffneter konflikt, gefahr, emrk, zahl, gewalt, egmr, abschiebung, provinz

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 14.8.2013, A 11 S 688/13
Leitsätze
1. Afghanischen Staatsangehörigen droht im Falle einer Rückkehr nach Kabul keine
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG.
2. Sie sind bei einer Rückkehr in die Provinz Ghazni nach der aktuellen Sicherheitslage im
Allgemeinen auch keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von §
60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. Juni 2012
- A 5 K 1129/11 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt (nur noch) unionsrechtlichen Abschiebungsschutz.
2 Der am ...1984 in Ghazni/Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger
hazarischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach seinem Vortrag im Oktober 2009 nach
Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.
3 Bei der Anhörung durch das Bundesamt am 16.12.2009 gab der Kläger an: Er habe in der
Stadt Ghazni gewohnt. Er sei ledig und habe keine Kinder. Sein 52 Jahre alter Vater sei
als Immobilienmakler überwiegend für Ausländer im Heimatort beruflich tätig gewesen.
Wegen der Vermietung von Immobilien an Ausländer hätten die Taliban seinen Vater im
Juli 2007 bedroht. Die Taliban seien zu seinem Elternhaus gekommen und hätten seinen
Vater mitgenommen. Er selbst habe flüchten können. Er sei zu einem Onkel gegangen
und habe Afghanistan vier oder fünf Tage später verlassen. Zwei oder drei Tage später
seien die Taliban noch einmal dagewesen. Von Griechenland aus habe er noch ein- oder
zweimal mit seinem Onkel telefoniert. Dieser habe nicht gewusst, wo sich der Vater
aufhalte. Seine Mutter und seine beiden Brüder lebten noch zu Hause. Sie würden von
einem Onkel unterstützt. Außerdem lebten noch Onkel und Tanten im Heimatort.
4 Mit Bescheid vom 27.05.2011 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf
Anerkennung als Asylberechtigter als unbegründet ab und stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zugleich forderte es den Kläger auf, die Bundesrepublik
Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen,
und drohte für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung nach Afghanistan an.
In der Begründung heißt es: Es bestehe kein Anknüpfungspunkt für eine asylerhebliche
Verfolgung. Außerdem seien die Angaben des Klägers nicht überzeugend. Der Kläger
wolle Analphabet sein, jedoch seinem Vater im Immobilienbüro geholfen haben. Der
Kläger könne sich auch in Kabul oder Herat niederlassen. Abschiebungsverbote lägen
nicht vor. Der Kläger gerate im Falle seiner Rückkehr nicht in eine existenzbedrohliche
Lage.
5 Der Kläger erhob am 09.06.2011 Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg und trug vor: Die
Taliban würden ihn als politischen Gegner betrachten. In Ghazni herrsche ein
innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Er könne weder in die Heimatprovinz noch nach
Kabul zurückkehren.
6 Im Folgenden beschränkte der Kläger seine Klage auf die Verpflichtung der Beklagten, die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hilfsweise auf die Feststellung von
unionsrechtlichem sowie nationalem Abschiebungsschutz.
7 Die Beklagte trat der Klage entgegen.
8 Nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wies das Verwaltungsgericht
Freiburg durch Urteil vom 22.06.2012 die Klage ab und führte zur Begründung im
Wesentlichen aus:
9 Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sein Vater habe als
Immobilienmakler Immobilien an Ausländer verkauft oder vermietet. Sein Vater sei von
den Taliban mitgenommen worden, die Taliban suchten jetzt nach ihm. Mit diesem
Vorbringen könne der Kläger seiner Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Das Vorbringen des
Klägers sei nicht glaubhaft. Es sei im Wesentlichen pauschal und blass geblieben; Details
seien nicht genannt worden. Der Kläger habe sich auf plakative Angaben beschränkt, wie
dass er gesucht werde, sie zweimal da gewesen seien und sie bedroht hätten und dass
die Taliban noch heute nach ihm suchten. Zur Erklärung der Tatsache, dass er so
allgemeine Angaben mache, habe sich der Kläger immer wieder auf sein
Analphabetentum zurückgezogen. Nach den Erfahrungen des Gerichts seien aber gerade
Analphabeten sehr wohl in der Lage, einschneidende Sachverhalte detailliert und
anschaulich zu beschreiben, wenn sie sie denn wirklich so erlebt hätten. Im Übrigen halte
es die Kammer - ebenso wie das Bundesamt - nicht für nachvollziehbar, dass der Sohn
eines Immobilienmaklers, der Geschäfte mit Ausländern mache, keinerlei Schulbildung
genossen haben wolle. Die Angabe des Klägers, er habe nicht zur Schule gehen können,
weil immer Krieg gewesen sei, überzeuge das Gericht nicht. Auffallend sei auch, dass der
Kläger - trotz angeblicher ständiger Mitarbeit im Unternehmen des Vaters - über die
Immobiliengeschäfte der Firma gar nichts habe sagen können. Wie viele Objekte im Monat
verkauft oder vermietet worden und welche Courtagen fällig geworden seien, habe der
Kläger auch nicht ansatzweise angeben können. Auch hier habe sich der Kläger immer
wieder darauf zurückgezogen, er sei Analphabet und sein Vater habe alles geregelt.
Schließlich habe der Kläger auch völlig detailarm von der Flucht anlässlich der Entführung
seines Vaters durch die Taliban berichtet. Die Kammer habe jedenfalls zu keinem
Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass der Kläger von tatsächlich Erlebtem berichtet habe.
Es könne offen bleiben, ob in der Herkunftsregion Ghazni ein innerstaatlicher bewaffneter
Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG herrsche. Nach der Rechtsprechung
des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg entfalte Art. 15 lit. c QRL bzw. § 60 Abs.
7 Satz 2 AufenthG keinen Abschiebungsschutz bezüglich der Heimatregion des
Ausländers, d. h. gegebenenfalls eines fiktiven oder nur theoretisch möglichen Zielortes,
sondern hinsichtlich des aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich zu erwartenden
Zielortes im Fall einer Rückkehr in die Heimat. Tatsächlich zu erwartender Zielort im Falle
des Klägers sei Kabul, wohin auch die Abschiebungen durchgeführt würden. Der Kläger
selbst habe wiederholt angegeben, er wolle und könne gar nicht in die Heimatregion
Ghazni zurückkehren. Auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden
aktuellen Erkenntnisquellen sei die Kammer davon überzeugt, dass am Zielort Kabul kein
innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben sei.
10 Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ihm drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine
extreme Gefahr aufgrund der dortigen wirtschaftlichen und sozialen Situation. Der
gesunde Kläger könne in Kabul Fuß fassen. Es sei nicht zu erwarten, dass er alsbald nach
einer Rückkehr in eine extreme Gefahrenlage geraten werde, die eine Abschiebung in den
Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzulässig erscheinen lasse. Es sei davon
auszugehen, dass der heute 28jährige Kläger, der mangels familiärer Bindungen keine
Unterhaltslasten habe, auch ohne nennenswertes Vermögen im Falle einer
zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch
Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul - gegebenenfalls mit Hilfe des in Ghazni lebenden,
nicht unvermögenden Onkels - wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen,
damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich
wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. Die für eine verfassungskonforme
Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass
der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort alsbald verhungern würde oder er
ähnlich existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, liege jedenfalls nicht vor.
11 Das Urteil wurde dem Kläger am 04.07.2012 zugestellt.
12 Am 02.08.2012 beantragte der Kläger beschränkt auf die Gewährung unionsrechtlichen
und nationalen Abschiebungsschutzes die Zulassung der Berufung.
13 Mit Beschluss vom 02.04.2013 ließ der Senat beschränkt auf die Gewährung
unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes die Berufung im Hinblick auf das mittlerweile
ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2013 (10 C 15.12) zu.
14 Am 29.04.2013 begründete der Kläger unter Stellung eines Antrags die Berufung wie folgt:
Er habe Kontakt mit der Familie in Afghanistan. Sein Onkel habe ihm berichtet, dass der
Vater nach wie vor verschwunden sei. In der Provinz Ghazni, auf die nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abzustellen sei, herrsche ein
innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses
habe das Verwaltungsgericht Göttingen im Urteil vom 04.12.2012 (4 A 49/10), auf das
Bezug genommen werde, festgestellt. Der Kläger sei auch persönlich davon betroffen. Die
Lage habe sich im Übrigen im ersten Halbjahr 2013 deutlich verschlechtert. Hinzukomme,
dass die bislang berichteten Opferzahlen nach oben korrigiert werden müssten. Interner
Schutz sei nicht gegeben, dies gelte insbesondere auch für Kabul. Eine Abschiebung
nach Kabul würde sich im Übrigen als eine Schlechtbehandlung im Sinne des § 60 Abs. 2
AufenthG darstellen. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die
Schriftsätze vom 02.08.2012, 29.04.2013 und 01.08.2013 verwiesen.
15 Der Kläger beantragt,
16 das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22.06.2012 - A 5 K 1129/11 - zu ändern,
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass der Kläger in Bezug auf Afghanistan
unionsrechtlichen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG) genießt
und den Bescheid der Beklagten vom 27.05.2011 aufzuheben, soweit er dem
entgegensteht.
17 Die Beklagte beantragt,
18 die Berufung zurückzuweisen.
19 Die von UNAMA und ANSO für das Jahr 2012 mitgeteilten Zahlen von zivilen Todesopfern
und Verletzten dokumentierten einen Rückgang im Verhältnis zum Vorjahr. Zwar habe es
im ersten Quartal des Jahres 2013 eine Steigerung gegeben, gleichwohl ergäbe sich aus
ihnen kein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt, dass allein die Anwesenheit im
Konfliktgebiet eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben begründen könne.
20 Der Senat hat verschiedene Erkenntnisquellen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Insoweit wird auf die den Beteiligten übersandten Listen (Stand: März 2013 und
08.07.2013) verwiesen.
21 Dem Senat lagen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten des
Verwaltungsgerichts Freiburg vor.
Entscheidungsgründe
22 Die unter Stellung eines Antrags noch ausreichend begründete Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger kann sich nicht auf ein
unionsrechtliches Abschiebungsverbot berufen.
I.
23 Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift
ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung
einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts
ausgesetzt ist. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG setzt einen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität
erreicht haben, wird danach überhaupt ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Bei den
Tatbestandsvoraussetzungen der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben“ ist sodann (auf einer zweiten Stufe) zu
prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine
Gefahr - in der Person des Ausländers so verdichtet hat oder verdichten wird, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im
Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Bezüglich der Gefahrendichte ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten
Konflikt auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom
14.07.2009 - 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188). Allerdings ist dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der
Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem
anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 -
10 C 15.12 - InfAuslR 2013, 241). Normalerweise hat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht eine solche Gefahrendichte,
dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Eine Individualisierung kann sich aber
bei einem nicht so hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person
des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen,
ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - zum Beispiel als Arzt oder Journalist -
gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund
derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen
Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt.
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich
(BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454, und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56). In jedem
Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht (BVerwG Urteil vom 17.11.2011 -
a.a.O.). Im Übrigen gelten für die Feststellung der Gefahrendichte ähnliche Kriterien wie im Bereich des Flüchtlingsrechts für den
dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung. Ob die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte
erfüllt sind, ist nach einer auf einer ersten Stufe vorzunehmenden quantitativen Beurteilung, sodann aufgrund einer wertenden
Betrachtung im Sinn der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden
(BVerwG, Urteile vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237, und vom 17.11.2011 - a.a.O.).
24 Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger in seiner Heimat - das Vorliegen einer allgemeinen Gefahr aufgrund eines
internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unterstellt - als Angehöriger der Zivilbevölkerung jedenfalls keiner
erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. Er hat nach seinen Angaben bis zur Ausreise mit seiner
Familie in der Provinz Ghazni gelebt, so dass nach dem oben Dargelegten angenommen werden kann, er werde dorthin
zurückkehren. In dieser Provinz verdichtet sich nach den auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen
getroffenen Feststellungen des Senats die für eine Vielzahl von Zivilpersonen aus dem Konflikt entstehende allgemeine Gefahr
in der Person des Klägers durch seine bloße Anwesenheit nicht in der Weise, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im
Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellen würde.
25 UNAMA beziffert für das Jahr 2012 die Gesamtzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung von Afghanistan auf 7559, davon 2754
Tote und 4805 Verletzte (vgl. Afghanistan Annual Report of Civilians in Armed Conflict 2012, S, 1 ff.). Im Vergleich zum Jahr
2011 ging hiernach die Zahl der Todesopfer mit 3131 deutlich zurück, während die Zahl der Verletzten geringfügig anstieg. 6131
Zivilpersonen (2179 Tote und 3950 Verletzte) waren Opfer von regierungsfeindlichen Gruppierungen („Anti-Government
Elements“). Hier ist bemerkenswert, dass die Zahl der gezielten Angriffe sowie die Zahl der Opfer von sog. Sprengfallen
gegenüber 2011 deutlich angestiegen ist. 587 Personen (316 Tote und 271 Verletzte) waren Opfer der Regierungsstreitkräfte
und der internationalen Streitkräfte („Pro-Government Forces“), was eine deutliche Verringerung gegenüber 2011 darstellt. 259
Tote und 582 Verletzte konnten keiner der beiden Gruppen eindeutig zugeordnet werden bzw. waren in Schusswechsel
zwischen den Konfliktparteien geraten oder waren Opfer von Minen. Anzumerken ist, dass diese vom Senat zugrunde gelegten
Zahlen der UNAMA über Todesopfer höher ist als die von ANSO mitgeteilte Zahl von 2038 (vgl. ANSO, Quarterly Data Report Q.
4, S. 12).
26 Eine genaue Verteilung der vorgenannten Opferzahlen auf die einzelnen Provinzen lässt sich weder dem Bericht von UNAMA
noch dem von ANSO entnehmen. Eine andere Aufschlüsselung findet sich allerdings im Bericht von ANSO (S. 13), wobei dort
von abweichenden Basiszahlen ausgegangen wird. ANSO stellt nämlich die Zahlen sämtlicher sicherheitsrelevanter
Vorkommnisse („incidents“) landesweit zusammen und differenziert sodann nach den einzelnen Provinzen. Diese
Vorkommnisse sind gegenüber 2011 um 24 v.H. zurückgegangen. Dabei ist der Begriff des „incident“ insoweit weiter, als auch
kriminelle Aktionen einbezogen und pauschal „Angriffe“ von regierungsfeindlichen Gruppierungen bzw. afghanischen und
internationalen Streitkräften gezählt werden, ohne aber nach der Zahl der Opfer zu differenzieren. Die Gesamtzahl belief sich -
bereinigt um die kriminellen Aktionen - landesweit für das Jahr 2012 auf 20222 Vorkommnisse, der Anteil für Ghazni betrug
1498, somit 7,4 v.H. Würde man den Konfliktparteien zurechenbare kriminelle Akte berücksichtigen (vgl. hierzu BVerwG, Urteile
vom 24.06.2008 - a.a.O., Rn. 24 und vom 27.04.2012 - a.a.O., Rn. 22 ff.), so würde die Gesamtzahl der von ANSO für das Jahr
2012 mitgeteilten Vorfälle einschließlich der kriminellen Aktionen sich auf 21.784 belaufen. Auf die Provinz Ghazni entfielen
dann im Jahre 2012 insgesamt 1531 Vorfälle mit der Folge, dass der rechnerische Anteil für Ghazni nur 7 v.H. ausmachen würde
und sogar niedriger läge. Auch wenn der Anteil von 7,4 v.H. nicht genau auf die oben genannten Opferzahlen von UNAMA
übertragen werden kann, weil ihm eine andere Basis zugrunde liegt, so lässt er zur Überzeugung des Senats doch eine
überschlägige regionale Gewichtung bzw. Verteilung zu. Deshalb legt der Senat ausgehend von landesweit 7559 Opfern (2754
Toten und 4805 Verletzten) für die Provinz Ghazni eine Zahl von rund 560 Opfern (294 Toten und 356 Verletzten) zugrunde.
27 Bezogen auf die - vermutlich zu niedrige - Einwohnerzahl der Provinz Ghazni in Höhe von 1.168.800, die der Senat aus der im
Internet zugänglichen Statistik (http//:www.citypopulation.de/Afghanistan_d.html) entnimmt, ergibt sich im Jahre 2012 ein Risiko,
als Angehöriger der Zivilbevölkerung Opfer an Leib oder Leben zu werden, von 0,048 v.H. oder 1:2087. Die Einwohnerzahl wird
vermutlich deshalb zu niedrig sein, weil die Zahl der gesamten Bevölkerung Afghanistans nicht mehr bei 25.500.100 liegt,
sondern mittlerweile eher 30 Millionen betragen dürfte (http://de.wikipedia.org/wiki/Afghanistan). Allerdings berichtet ANSO, dass
sich im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres die Zahl der Vorfälle, die von bewaffneten
regierungsfeindlichen Gruppen in der Provinz Ghazni verursacht wurden, um 96 v.H. erhöht habe (vgl. ANSO, Quarterly Data
Report Q. 1 2013, S. 10). Landesweit geht ANSO für das erste Quartal von einer Erhöhung um 47 v.H. aus. Allerdings berichtet
ANSO nicht über Zahlen von solchen Vorfällen, die von den afghanischen sowie den internationalen Kräften („Pro-Government-
Forces“) verursacht wurden oder nicht zugeordnet werden konnte. In diesem Zusammenhang ergibt sich immerhin aus dem
Halbjahresbericht 2013 von UNAMA (S. 37), dass die Opferzahlen landesweit im ersten Halbjahr um 16 v.H. zurückgegangen
sind, auch wenn die Zahl der zivilen Opfer, die unmittelbar durch Bodenkämpfe zwischen „Pro-Government-Forces“ und „Anti-
Government-Forces“ verursacht wurden, im Berichtszeitraum um 42 v.H. gestiegen ist (vgl. S. 33), während sich die Steigerung
der Zahl aller Opfer auf 23 v.H. belief (S. 1). In jedem Fall lässt sich daraus schließen, dass die Steigerungsrate von 96 v.H., die
allein die Vorfälle betrifft, die von „Anti-Government-Forces“ verursacht wurden, zu hoch liegen wird. Zudem kann nicht davon
ausgegangen werden, dass der Trend ungebrochen das gesamte Jahr anhalten wird, hatte es doch in der Vergangenheit
regelmäßig im ersten Halbjahr überproportionale Steigerungen von Vorfällen gegeben, während im 2. Halbjahr die Zahlen
erheblich zurückgegangen sind (vgl. ANSO, Quarterly Data Report Q. 4, S. 14).
28 Ausgehend hiervon ist für den Senat nicht erkennbar, dass das Risiko, Opfer eines schädigenden Ereignisses zu werden, sich
dem Faktor 1:800 auch nur annähern könnte, bei dem das Bundesverwaltungsgericht eine wertende Gesamtbetrachtung von
vornherein (noch) nicht für erforderlich hält (vgl. Urteil vom 17.11.2011 - a.a.O.), und zwar auch dann nicht, wenn man davon
ausgeht, dass die Zahl der für das Jahr 2012 gemeldeten Opfer zu niedrig war und vielmehr der Zahl des Jahres 2011 entsprach,
somit die ursprünglich berichtete Reduktion von 12 v.H. (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report of Civilians in Armed Conflict
2012, S, 1 ff.) gar nicht stattgefunden hat, oder die Zahl sogar tendenziell höher lag als im Jahre 2011 (vgl. Briefing Notes vom
03.06.2013). Dass beim Kläger besondere gefahrerhöhende Umstände vorliegen könnte, ist für den Senat nicht ersichtlich und
wurde vom ihm auch nicht nachvollziehbar geltend gemacht. Der pauschale Hinweis darauf, dass er Hazara sei, rechtfertigt
allein eine solche Annahme nicht (vgl. BayVGH, Urteile vom 21.06.2013 - 13a B 12.30170 - juris und vom 29.01.2013 - 13a B
11.30510 - juris).
29 Der Senat kann daher offen lassen, ob der Kläger in Afghanistan auf eine interne Schutzalternative nach § 60 Abs. 11 AufenthG
i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG bzw. der Richtlinie 2011/95/EU verwiesen werden könnte (zum rechtlichen Maßstab vgl.
näher BVerwG, Urteile vom 31.01.2013 - a.a.O. - und vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris; Marx, Handbuch zum
Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., S. 121 ff.). Der UNHCR ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, bei afghanischen Flüchtlingen
setze eine interne Schutzalternative grundsätzlich voraus, dass dort die entsprechende Unterstützung durch familiäre oder
stammesbedingte Strukturen gewährt werde. Eine mögliche Ausnahme sieht er allerdings bei leistungsfähigen Männern im
erwerbsfähigen Alter, die keine Kriterien für eine besondere Verletzlichkeit aufweisen. Diese können in der Lage sein, sich auch
ohne Hilfe der Familie oder Sippe vor allem in städtischen Gebieten zu unterhalten, wobei diese Gebiete unter nachhaltiger
Kontrolle der Regierung stehen und die notwendige Infrastruktur und Einrichtungen bieten müssen, um die grundlegenden
Bedürfnisse des tägliche Leben erfüllen zu können (siehe näher UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International
Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan [HCR/EG/AFG/13/01] vom 06.08.2013, S. 76 - abrufbar unter
www.ecoi.net). Vor diesem Hintergrund könnte es naheliegen, dass dem Kläger auch ein Leben etwa in Masar-e-Sharif
zumutbar ist. Die Provinz Balkh im Norden und insbesondere deren Hauptstadt Masar-e-Sharif gehören (noch) zu den sichersten
Gebieten Afghanistans (vgl. etwa Fortschrittsbericht Afghanistan zur Unterrichtung des Deutschen Bundestags vom November
2012, S. 10, und Zwischenbericht vom Juni 2013, S. 8; ANSO, Quarterly Data Report Q. 1 2013, S. 10 ff., und Q. 4 2012, S. 13
ff.). In Masar-e-Sharif gibt es eine überdurchschnittlich gute medizinische Versorgung, wie etwa auch die Eröffnung einer 500-
Betten Klinik im Mai 2012 belegt (http://tolonews.com/en/afghanistan/6201-500-bed-hospital-opens-in-mazar), funktionierende
Infrastruktureinrichtungen wie Verkehrswege, Universitäten und Schulen (http://www.afghanistan-
schulen.de/projekte/s6_mazar.html). Masar-e-Sharif wird als ein Ort mit Arbeitsplatzmöglichkeiten (Auskunft von Dr. Karin Lutze
vom 08.06.2011 an das OVG Koblenz im Verfahren 6 A 11050/10.OVG) und des „wirtschaftlichen Aufschwungs“ beschrieben
(http://www.faz.net/themenarchiv/politik/afghanische-geschichten/afghanistan-viel-zu-verlieren-11823488.html). Die Stadt verfügt
mittlerweile über einen zivilen Verkehrsflughafen und regelmäßige Flugverkehrsverbindungen u.a. mit dem Iran (vgl. AA,
Lagebericht vom 04.06.2013, S. 19) und ist damit unabhängig vom Landweg auch von Kabul aus erreichbar. Letztlich bedarf die
Lage in Masar-e-Sharif aber keiner abschließenden Prüfung.
II.
30 Eine Aufenthaltsbeendigung des Klägers würde sich auch nicht als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne
von § 60 Abs. 2 AufenthG darstellen.
31 1. Die vom Kläger benannten individuellen Gründe, die ihn zur Ausreise veranlasst haben sollen, begründen nach dem
Sachstand zur Zeit der mündlichen Verhandlung keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG. Der Senat geht im Hinblick
auf die ausdrückliche Erklärung des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, dass hierzu keine Ergänzungen
mehr vorgetragen werden sollen, davon aus, dass der Kläger sich hierauf nicht mehr berufen will. Im Übrigen ist die Würdigung
durch das Verwaltungsgericht überzeugend, weshalb der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug nehmen
kann (vgl. § 130b VwGO).
32 2. Auch aus den allgemeinen Verhältnissen folgt keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG.
33 Realistischerweise ist in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass der unverheiratete erwachsene und kinderlose
Kläger nach Kabul oder in die Provinz Ghazni (zu seiner Familie) zurückkehren wird.
34 Was die Situation in Kabul betrifft, hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) entschieden, dass
jedenfalls für einen jungen gesunden, arbeitsfähigen und ledigen Mann die Rückkehr nach Kabul keine unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung bewirken würde. Daran ist auch unter Berücksichtigung des jüngsten Lageberichts des Auswärtigen
Amtes vom 04.06.2013 und der verwerteten Briefing Notes aus diesem Jahr festzuhalten. Zwar ergibt sich aus den zum
Gegenstand des Verfahrens gemachten jüngsten Briefing Notes, dass die Zahl der in Kabul verübten Anschläge im ersten
Halbjahr zugenommen hat. Hieraus folgt jedoch noch keine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG,
weshalb auch eine unzulässige Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG ausgeschlossen werden kann. Dass sich die
allgemeinen Lebensverhältnisse in einem Maße verschlechtert haben könnten, dass hieraus nunmehr eine unzulässige
Behandlung resultieren könnte, ist nicht ersichtlich (vgl. zum Maßstab noch im Folgenden).
35 Ungeachtet dessen hat der Senat durch Urteil vom 24.07.2013 (A 11 S 727/13) zum nationalen Abschiebungsverbot des § 60
Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf eine Rückkehr nach Kabul Folgendes entschieden, wobei diese Ausführungen
in gleicher Weise für den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung beanspruchen:
36 „..2. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
Hiernach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl. 1952 II, S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
37 a) Nach dem Urteil in der Sache NA./Vereinigtes Königreich (EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - juris) ist, da weder die
Konvention noch die Protokolle dazu ein Asylrecht garantieren, die einzige, auf der Grundlage der Konvention bei Asylfällen zu
prüfende Frage, ob der Betroffene im Fall seiner Abschiebung im Zielgebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK
widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Art. 3 EMRK ist auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG zu prüfen,
da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Unionsrecht umsetzende Regelung des § 60 Abs. 2
AufenthG nicht als insoweit vorrangige (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.) und
in Bezug auf Abschiebungsverbote aus Art. 3 EMRK speziellere Schutznorm die Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m.
Art. 3 EMRK verdrängt (BVerwG, Urteile vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - und vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 - juris).
38 § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass dem Betroffenen im Falle der Abschiebung im Zielgebiet eine
erhebliche individuelle Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (aa). Dabei kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK infolge dort herrschender Gewalt
(auch im Falle eines bewaffneten Konflikts), wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, nur bei Vorliegen einer
außergewöhnlichen Situation dann ausnahmsweise in Betracht, wenn diese durch einen so hohen Gefahrengrad
gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer gegen
Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wäre (bb). Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können dann eine
„Behandlung“ im Sinne des Art. 3 EMRK sein, wenn diese ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen
von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat
zurechenbar sind, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will, beruhen. Ganz
außerordentliche individuelle Umstände müssen dagegen hinzutreten, um schlechte humanitäre Bedingungen, wenn diese
nicht zumindest überwiegend auf Handlungen der genannten Akteure zurückzuführen sind, als unmenschliche Behandlung im
Sinne von Art. 3 EMRK qualifizieren zu können (cc).
39 aa) Der Europäische Gerichtshofs sieht eine Behandlung als „unmenschlich” an, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung
über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid
verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre
Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt und
geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu
erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung
einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zwingend aus (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland,
30696/06 - NVwZ 2011, S. 413).
40 Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss die Misshandlung ein Mindestmaß an Schwere
erreichen, um von Art. 3 EMRK erfasst zu werden. Das Mindestmaß ist relativ; ob es gegeben ist, hängt von den gesamten
Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Wirkungen
sowie in einigen Fällen von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (vgl. EGMR, Urteile vom 28.02.2008 -
37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, S. 1330 und vom 21.01.2011 - a.a.O. m.w.N.).
41 Weil das Recht absolut garantiert wird, kann Art. 3 EMRK auch anwendbar sein, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen
von Personen ausgeht, die nicht Vertreter des Staates sind. Es muss aber bewiesen werden, dass die Gefahr wirklich besteht
und die Behörden des Bestimmungslandes die Gefahr nicht durch angemessenen Schutz beseitigen können (EGMR, Urteil
vom 28.06.2011 - 8319/07, Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2012, S. 681 m.N.).
42 Bei der Entscheidung darüber, ob im Falle einer Abschiebung die Gefahr von Misshandlungen besteht, müssen die
absehbaren Folgen unter Berücksichtigung der allgemeinen Lage im Bestimmungsland und der besonderen Umstände des
Betroffenen geprüft werden. Eine Abschiebung kann die Verantwortlichkeit des Staates nach der Konvention dabei nur
begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich
Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer nach dem obigen Maßstab Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu
werden ("real risk"; vgl. EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, S. 1330); das entspricht dem
Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris unter Bezugnahme auf
BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL).
43 bb) Eine allgemeine Situation der Gewalt im Zielstaat ist nur in „äußerst extremen Fällen“ intensiv genug, um die konkrete
Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu begründen (EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07,
NA./Vereinigtes Königreich). Hierzu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Entscheidung vom 28.06.2011
(a.a.O.) erklärt, dass er nicht davon überzeugt sei, dass Art. 3 EMRK nicht Garantien biete, die u.a. mit dem Schutz nach Art. 15
lit. c QRL vergleichbar seien. Insbesondere könne die Schwelle in beiden Vorschriften durch besondere Umstände wegen einer
Situation allgemeiner Gewalt erreicht werden, die so intensiv sei, dass eine in die fragliche Region abgeschobene Person
schon wegen ihrer dortigen Anwesenheit in Gefahr wäre, solche Gewalt zu erleiden.
44 Eine Individualisierung der Gefahr im Sinne einer „Behandlung“ kann damit bei allgemeiner Gewalt (u.a. aufgrund eines
bewaffneten Konflikts), wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei Vorliegen einer
außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede
Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt
wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff., Senatsurteil vom 11.07.2012 - A 11 S 841/12 - juris jeweils
zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 lit. c QRL). Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu
der so genannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl
der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen
Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die
Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört
auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die
Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen
abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts
entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.,
Senatsurteil vom 11.07.2012 - A 11 S 841/12 - juris jeweils zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
45 Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris zu § 60 Abs.
7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 lit. c QRL) ist bei einem Risiko, im Falle der Rückkehr aufgrund (von einem bewaffneten Konflikt
ausgehender) willkürlicher Gewalt erheblichen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, das sich aus einem Verhältnis der
Zahl der zivilen Opfer zur maßgeblichen Gesamtzahl (Einwohnerzahl oder Mitgliederzahl der gefährdeten Gruppe, der er
angehört) von 1:800 bezogen auf den Zeitraum eines Jahres ergibt, eine entsprechende Intensität für die Annahme einer
individuellen Gefährdung nicht erreicht. Vielmehr ist nach dieser Rechtsprechung eine solche Situation so weit von der
Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl
der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung nicht die Annahme
rechtfertigen könnte, dass jedem Einzelnen eine erhebliche konkret Gefahr droht (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -
juris).
46 cc) Schlechte humanitäre Verhältnisse als solche können nur unter besonderen Voraussetzungen ausnahmsweise als eine
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in
seinem Urteil vom 28.06.2011 (Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich - a.a.O.) hierzu dargelegt, unter welchen Voraussetzungen
es hinsichtlich der erforderlichen Intensität der Gefahren aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse bei den Maßstäben des
Urteils N./Vereinigtes Königreich (Urteil vom 27.05.2008 - a.a.O.) bleibt und wann die Grundsätze des Urteils M.S.S./Belgien
und Griechenland (Urteil vom 21.01.2011 -a.a.O.) Anwendung finden. Danach könne, wenn die schlechten humanitären
Bedingungen im Zielstaat (dort: in Somalia) nur oder zumindest überwiegend auf die Armut zurückzuführen sind oder auf die
fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, wie einer Dürre, das im Fall N./Vereinigtes Königreich
verwendete Kriterium angemessen sein. Gehe aber die humanitäre Krise überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der
Konfliktparteien zurück, sei das im Urteil M.S.S./Belgien und Griechenland (a.a.O.) verwendete Kriterium besser geeignet
(EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich - a.a.O.).
47 (1) Wenn die schlechten humanitären Bedingungen ganz oder überwiegend auf staatliches Handeln bzw. im Falle des
bewaffneten Konflikts auf Handlungen der Konfliktparteien oder auf Handlungen anderer Akteure zurückzuführen sind, die dem
Staat mangels ausreichenden Schutzes zurechenbar sind, sind danach für die Beurteilung der Intensität der „Behandlung“ bei
einem Schutzsuchenden, der völlig abhängig von staatlicher Unterstützung ist, die Fähigkeit, im Zielgebiet seine elementaren
Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu decken, seine Verletzlichkeit durch Misshandlungen und die Aussicht auf
Verbesserung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens maßgeblich (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - und vom 28.06.2011
- a.a.O.). Insoweit kann sich eine Verletzung von Art. 3 EMRK aus den humanitären Bedingungen vor allem für (Binnen-
)Flüchtlinge ergeben, die in ihr Herkunftsgebiet nicht zurückkehren können, deshalb in einem fremden Land oder Landesteil
Sicherheit suchen und vollständig auf Schutz und Hilfe angewiesen sind. Eine erniedrigende Behandlung hat der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte in einer solchen Situation für einen Asylbewerber in Griechenland angenommen, der sich dort
monatelang ohne Aussicht auf Verbesserung der Lage, ohne Obdach, ohne sich ernähren oder waschen zu können,
aufgehalten hatte, wobei die Furcht, angegriffen oder bestohlen zu werden, hinzukam (Urteil vom 21.01.2011 - M.S.S./ Belgien
und Griechenland - a.a.O.). Ebenso hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine innerstaatliche Fluchtalternative
als nicht zumutbar angesehen, weil die Bedingungen in den in Betracht kommenden Flüchtlingslagern für Binnenvertriebene
als Misshandlung anzusehen waren. Flüchtlinge hatten dort nur äußerst begrenzten Zugang zu Nahrung und Wasser und
Obdach und sanitären Einrichtungen, waren Gewaltverbrechen, Ausbeutung, Missbrauch und Zwangsrekrutierung ausgeliefert
und hatten sehr wenig Aussicht auf Verbesserung ihrer Situation innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens, insbesondere
vor Beendigung des Konflikts (Urteil vom 28.06.2011 - a.a.O.).
48 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer nachfolgenden Entscheidung, in der es um eine Abschiebung
nach Afghanistan ging (Urteil vom 13.10.2011 - 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84; vgl. auch EGMR (V.
Sektion), Urteil vom 20.10.2011 − 55463/09, Samina/Schweden - zur Abschiebung einer Christin nach Pakistan), weiterhin
deutlich gemacht, dass sozialwirtschaftliche und humanitäre Überlegungen bei der Beurteilung einer zwangsweisen Rückkehr
abgewiesener Asylbewerber in einen bestimmten Teil ihres Ursprungslands für die Frage nicht notwendig bedeutsam und
sicherlich nicht entscheidend seien, ob der Betroffene tatsächlich der Gefahr einer Misshandlung im Sinne von Art. 3 EMRK in
diesem Gebiet ausgesetzt wäre, wobei er keineswegs die akute Wichtigkeit solcher Überlegungen schmälern wolle. Unter
Berücksichtigung der hohen Schwelle von Art. 3 EMRK, insbesondere wenn der Fall nicht die unmittelbare Verantwortung des
Staates für eine mögliche Schädigung betreffe, weise der Fall nicht die nach der Rechtsprechung erforderlichen ganz
außerordentlichen Umstände auf (unter Hinweis auf EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/964, D/Vereinigtes
Königreich - NVwZ 1998, S. 161 ff. und vom 27.05.2008 - 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, S. 1334 ff.).
49 (2) Nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen können danach schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsgebiet oder im
Zielgebiet, wenn diese weder dem Staat noch (im Falle eines bewaffneten Konflikts) den Konfliktparteien zurechnen sind (vgl.
EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - a.a.O., Rn. 49 und vom 27.05.2008 - a.a.O., Rn. 31), im Hinblick auf Art. 3 EMRK als eine
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
insofern ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadium an
Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung
erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Herkunfts- und Zielgebiet
zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 02.05.1997 - a.a.O., Rn. 52 f.). Der Umstand, dass im Fall der Abschiebung in sein
Herkunftsgebiet die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt wird, reicht aber
allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen (EGMR, Urteil vom 27.05.2008 - a.a.O., Rn. 42).
50 (3) Diese Differenzierung der Prüfungsmaßstäbe hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung im
Einzelnen nachvollzogen. Es hat weiterhin die Voraussetzungen des Maßstabs der Entscheidung M.S.S./Belgien und
Griechenland (Urteil vom 21.01.2011 - a.a.O.) jedenfalls dann nicht als erfüllt angesehen, wenn eine extreme Gefahrenlage im
Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zu verneinen war (vgl. Urteil vom
31.01.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 28 und 36).
51 b) Im Falle des Klägers kann nicht festgestellt werden, dass für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit seiner Familie, für deren
Wohl und Wehe - in Anbetracht der dortigen gesellschaftlichen Bedingungen - in erster Linie der Kläger zu sorgen haben
würde, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Bestrafung bestünde. In Betracht kommt hier allein die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden
Behandlung aufgrund allgemeiner Gewalt (aa) oder schlechter humanitärer Bedingungen (bb).
52 aa) Eine Gefährdung für Leib und Leben des Klägers aufgrund allgemeiner Gewalt im Falle seiner Abschiebung nach
Afghanistan rechtfertigt nicht die Bejahung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (zur Annäherung
des Maßstabs des Art. 15 lit. c QRL und des Art. 3 EMRK vgl. EGMR, Urteil vom 28.06.2011 a.a.O.). Zwar geht von dem - auch
in Kabul - herrschenden Konflikt zwischen regierungsfeindlichen und regierungsfreundlichen Akteuren auch
allgemeine/willkürliche Gewalt aus. Von dieser - hier unabhängig vom Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne des Art.
15 lit. c QRL zu prüfenden - allgemeinen/willkürlichen Gewalt geht derzeit - jedenfalls in Kabul - keine so große Gefährdung für
die Zivilbevölkerung aus, dass die in Art. 15 lit. c QRL und Art. 3 EMRK vorausgesetzte Intensität gegeben wäre und die
Situation einer unmenschlichen Behandlung damit gleichkäme.
53 (1) Zunächst spricht nach der Systematik des Art. 15 QRL und der des diese übernehmenden § 60 AufenthG viel dafür, dass die
Gewährung des - einheitlichen subsidiären unionsrechtlichen - Abschiebungsschutzes, soweit die allgemeine/willkürliche
Gewalt von einem bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15 lit. c QRL ausgeht, auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK nur anhand
der Regelungen des Art. 15 lit. c QRL bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu prüfen ist, die sonst gegenüber Art. 15 lit. b QRL
bzw. § 60 Abs. 2 AufenthG leerliefen. Geht man aber davon aus, dass die Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG auch
hinsichtlich einer von einem bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15 lit. c QRL ausgehenden Verletzung von Art. 3 EMRK
weder durch § 60 Abs. 2 AufenthG noch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verdrängt wird, ist eine entsprechende Prüfung hier
vorzunehmen, ohne dass es darauf ankommt, ob die zu beurteilende allgemeine/willkürliche Gewalt auf einem Konflikt im
Sinne des Art. 15 lit. c QRL AufenthG beruht.
54 (2) Der Senat kann in Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht (zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) entwickelten Maßstäbe
nicht erkennen, dass im Falle des Klägers derzeit die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach §
60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund allgemeiner Gewalt vorliegen. Er ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit
weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in Kabul, dem Herkunfts- und Zielort des
Klägers und seiner Ehefrau, keine allgemeine Gewalt von solcher Intensität herrscht, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs.
5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt wären (vgl. auch Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16.06.2011 - 8 A
2011/10.A - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Der Senat hat bereits entschieden (Senatsurteil vom 11.07.2012 - A 11 S
841/12 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), dass in Kabul jedenfalls kein bewaffneter Konflikt herrscht, von dem für
Rückkehrer eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Die Sicherheitslage in
Kabul werde, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch, wie zuletzt die Anschlagsserie im April 2012
wieder gezeigt habe, im Wesentlichen gegen „prominente Ziele“ wie den Präsidentenpalast, militärische Einrichtungen oder
Botschaften gerichtet hätten, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.
Vor der Anschlagsserie im April 2012 habe es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben
(AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, S. 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418; SZ vom
16.04.2012).
55 Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers im Falle seiner Rückkehr mit seiner Familie
zu derselben Einschätzung (vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 11.01.2013 - 13 A 1430/12.A -, vom 07.02.2013 - 13 A
2871/12.A - und vom 13.02.2013 - 13 A 1524/12.A - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
56 Insgesamt wurden in Afghanistan im Jahr 2012 7.559 Zivilisten landesweit getötet oder verletzt. Durch regierungsfeindliche
Akteure wurden 6.131 Zivilisten (81,1 % aller zivilen Opfer, davon 14 % = 932 aufgrund von Bodenkämpfen) und durch
regierungsfreundliche Akteure 587 Zivilisten (7,8 % aller zivilen Opfer, davon 27 % = 158 aufgrund von Bodenkämpfen) getötet
oder verletzt. Weitere 841 zivile Opfer konnten den jeweiligen Akteuren nicht zugeschrieben werden. Sie sind auf Bodenkämpfe
(528), grenzüberschreitenden Beschuss oder explosive Kampfmittelrückstände zurückzuführen (vgl. UNAMA, Afghanistan
Annual Report on Protection of Civilians in Armend Conflict, 2012, S. 1, 2, 3, 4, 9, 14, 16, 18, 19, 29, 30, 35).
57 Die größte Einzelgefahr für Zivilisten stellt der Einsatz von selbstgefertigten Sprengkörpern bzw. -fallen dar, auf den 2.531 zivile
Opfer (868 Tote und 1.663 Verletzte bei 782 getrennten Vorfällen) und damit 33,5 % der zivilen Opfer insgesamt zurückzuführen
sind (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 3, 4, 9, 14, 16, 18, 29), wobei der Gefährdungsgrad in den Regionen des Landes unterschiedlich
ist. Im Norden, Osten und Nordosten wurden durch solche Anschläge 2011 und 2012 deutlich weniger Zivilisten verletzt oder
getötet als im Südosten oder Süden. Verhältnismäßig gering ist die Gefährdung vor allem in der Zentralregion, in der Kabul mit
vorsichtig geschätzt mindestens 3 Millionen Einwohnern liegt (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 18). In dieser gesamten Region wurden
durch Sprengstoffanschläge im Jahr 2012 179 Zivilisten getötet oder verletzt (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 18).
58 1.618 Zivilpersonen waren Opfer (438 Tote und 1.180 Verletzte) von Bodenkämpfen zwischen regierungsfeindlichen Akteuren
und regierungsfreundlichen Akteuren. Die Boden-Kämpfe verursachen trotz eines deutlichen Rückgangs an zivilen Opfern
noch 21 % aller zivilen Opfer, und damit die höchste Zahl von zivilen Opfern nach den Sprengkörpern (UNAMA, a.a.O., 2012, S.
9, 16, 30, 35). Die regionale Verteilung der Opfer unter der Zivilbevölkerung im Rahmen von Boden-Einsätzen zeigt, dass sich
die Zahl der zivilen Opfer solcher Kampfhandlungen im Zentrum, zentralen Hochland, Nordosten, Norden und in den
westlichen Regionen erhöht hat. Im Verlauf des Jahres 2012 nahmen dort die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen
Akteuren und regierungsfreundlichen Akteuren nach Einleitung der Übergabe der Zuständigkeit für die Sicherheit im Mai 2012
zu, als die Taliban versuchten, ihren Einfluss zu erweitern und ihre Kontrolle über die wichtigsten Routen auszubauen. Der
größte Anstieg erfolgte in der Provinz Faryab, von 19 Vorfällen im Jahr 2011 (41 zivile Opfer) auf 49 Vorfälle im Jahr 2012 (103
zivile Opfer). Faryab gehört nun in Bezug auf bewaffnete Auseinandersetzungen zu den vier unsichersten Provinzen in
Afghanistan (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 9). Dagegen hat sich im Süden, Südosten und Osten die Anzahl der zivilen Opfer
aufgrund von Bodenkämpfen verringert (vgl. zur gleichzeitigen Zunahme gezielter Tötungen und Verletzungen auch unten).
59 Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe der Regierungsgegner forderten 1.507 zivile Opfer (328 Tote und 1.179 Verletzte),
das sind 19,9 % aller zivilen Opfer im Jahr 2012 in Afghanistan (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 16, 20, 21). Selbstmordanschläge
reichen von Anschlägen Einzelner, die entweder Westen tragen oder Fahrzeuge führen, die mit Sprengstoff bestückt sind, bis
zu Anschlägen von mehreren Selbstmordattentätern, die komplexe Angriffe zusammen mit einer großen Anzahl von Kämpfern
durchführen. Regierungsgegner fahren fort, verschiedene Arten von Selbstmord-Anschlägen an öffentlichen Orten einzusetzen.
Zivilisten werden weiterhin an überfüllten Orten wie Märkten, Orten, an denen sich Stammesälteste versammeln, und in der
Nähe von zivilen Regierungsbüros Ziel dieser Anschläge (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 21).
60 Weiterhin gehen landesweit 1.077 zivile Opfer (698 Tote und 379 Verletzte) und damit 14,2 % aller zivilen Opfer auf gezielte
Tötungen bzw. Tötungsversuche regierungsfeindlicher Organisationen zurück. Viele dieser Vorfälle betrafen Zivilisten, die als
Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, darunter Regierungsbeamte, religiöse Führer, Stammesälteste, off-duty
Polizisten und Personen, die den Friedensprozess unterstützen (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 4, 22, 23). Diese Situation wird auch
im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 04.06.2013 (S. 14) bestätigt. Danach verübt die Insurgenz neben
medienwirksamen Anschlägen auf militärische wie zivile internationale Akteure vermehrt Anschläge gegen die afghanischen
nationalen Sicherheitskräfte. Aufgrund ihrer besonderen Machtstellung gehören auch Provinz- und Distrikt-Gouverneure zu den
herausgehobenen Personen, auf die immer wieder Anschläge verübt würden. Auch gegen Mitarbeiter des afghanischen
öffentlichen Dienstes wie Angehörige von Ministerien oder nachgeordneten Behörden richteten sich aufgrund ihrer Tätigkeit für
den afghanischen Staat Anschläge.
61 Während die Zahl der zivilen Toten und Verletzten aufgrund von Kämpfen im Süden, Südosten und Osten im Jahr 2012 um 39
Prozent fiel, erhöhte sich die Zahl der gezielten Tötungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Akteure, die vor allem in
diesen Regionen verstärkt auftreten, deutlich. Gezielte Tötungen führten zum Tod oder zur Verletzung von 971 Zivilisten in
diesen Bereichen, was eine Steigerung um 33 Prozent gegenüber 2011 bedeutet (UNAMA, a.a.O., 2012, S. 41, 42).
62 Eine nähere Auswertung gegliedert nach Provinzen lässt sich den Informationen der UNAMA nicht entnehmen.
63 Nach den Angaben des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) im Quarterly Data Report Q 4 2012 bestand in Kabul im vierten
Quartal 2012 eine geringere Gefährdung durch Anschläge oppositioneller Kräfte als im vierten Quartal 2011. Zwar ist nach dem
ANSO Quarterly Data Report Q 1 2013 für Kabul im ersten Quartal 2013 mit 12 Anschlägen eine Verschlechterung gegenüber
dem Vorjahresquartal zu verzeichnen, das allerdings mit nur zwei Zwischenfällen besonders ruhig gewesen war. Beim
Vergleich dieser Quartale zeigt sich, dass die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorkommnisse in allen Regionen zugenommen
hat, aber in der Zentral-Region weiterhin deutlich geringer ist, als in den besonders gefährlichen Regionen im Süden, Südosten
und Osten. Die absolute Zahl der sicherheitsrelevanten Vorkommnisse in Kabul ist zudem weiterhin geringer als in den übrigen
Provinzen der Zentralregion. Ausgehend von den Briefing Notes des Bundesamts wurden bei Anschlägen 10 Zivilisten verletzt
und getötet (Briefing Notes vom 04.03.2013: Anschlag am 27.02.2013 ein Zivilist verletzt; vom 11.03.2013: Anschlag vom
09.03.2013 neun Menschen getötet).
64 Demgegenüber hat im zweiten Quartal dieses Jahres die Zahl der zivilen Opfer in Kabul mit mindestens 28 Toten und
zahlreichen Verletzten deutlich zugenommen (Briefing Notes vom 21.05.2013: Anschlag vom 16.05.2013 mindestens sechs
Zivilisten getötet, Dutzende verletzt; vom 27.05.2013: Anschlag vom 25.05.2013 zwei Zivilisten getötet; vom 17.06.2013:
Anschlag vom 11.06.2013 mindestens 17 Menschen getötet und Dutzende verletzt; vom 24.06.2013: Anschlag vom 18.06.2013:
drei Tote und mehr als zwanzig Verletzte).
65 Nachdem die regierungsfeindlichen Gruppen Ende April ihre jährliche Frühjahrsoffensive begonnen haben, lässt sich auch
2013 die Zunahme der Anschläge im 2. Quartal (vgl. oben für 2012) mit dieser witterungsbedingten Dynamik der Kämpfe
erklären. Allerdings lässt sich beim Vergleich mit dem Vorjahresquartal eine Zunahme ziviler Opfer bei der diesjährigen
Offensive feststellen. Nach Angaben der UN wurden in der letzten Mai- und ersten Juni-Woche 125 afghanische Zivilisten
getötet und 287 verletzt, was einen Anstieg um 24 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2012 bedeute (Briefing
Notes 10. Juni 2013). Insgesamt kamen im Juni 2013 180 Zivilisten ums Leben (dpa-Meldung 01.07.2013 16:25).
66 Im 3. Quartal 2013 wurden bisher in Kabul bei einem Anschlag auf ein Versorgungsunternehmen der ISAF-Truppe zwei
afghanische Zivilisten getötet und mehrere Menschen verletzt (FAZ vom 02.07.2013). Nach einer dpa-Meldung vom
06.07.2013, 13.34 h, sind bei einer Serie von Bombenanschlägen in Afghanistan mindestens 16 einheimische Soldaten getötet
worden. Drei weitere seien verletzt worden. Die Anschläge ereigneten sich binnen 24 Stunden in den Provinzen Helmand,
Kandahar, Paktika, Kunar, Kabul, Logar, Sabul und Baghlan. Von zivilen Opfern wurde im Zusammenhang mit dieser
Anschlagsserie nicht berichtet. Die weitere Entwicklung im laufenden Quartal oder gar der zweiten Jahreshälfte ist derzeit in
keiner Richtung abschätzbar.
67 Nach dem oben dargelegten Erkenntnisstand über zivile Opfer im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen
regierungsfeindlichen und regierungsfreundlichen Kräften bezogen auf Kabul mit mindestens 3 Millionen Einwohnern ist
weiterhin keine solche Dichte von damit im Zusammenhang stehenden Vorfällen mit zivilen Opfern feststellbar, dass diese die
Bewertung der dortigen Situation als bewaffneten Konflikt i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit erheblichen Auswirkungen auf
die Zivilbevölkerung zuließe. Unabhängig davon geht, wenn man einen bewaffneten Konflikt im Sinne dieser Vorschrift
annimmt, jedenfalls kein so hoher Grad willkürlicher Gewalt aus, dass jeder in die Region Zurückkehrende allein durch seine
Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein.
68 Betrachtet man die durchschnittliche Gefährdung landesweit ergibt sich bei ca. 7.559 toten und verletzten Zivilisten im Jahr
(ausgehend von 2012) bezogen auf eine Gesamtbevölkerung von mindestens 25 Millionen kein so hoher Gefährdungsgrad,
dass praktisch jede Zivilperson dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Legt man die landesweite Zahl
der zivilen Opfer (7.559) von 2012 zugrunde, berücksichtigt man im Hinblick auf die Gesamtentwicklung und die
Schwierigkeiten der Ermittlung genauer Zahlen bei einer gebotenen vorsichtigen Schätzung eine Steigerung von 25 % (1.890)
und rundet die so ermittelte Zahl (9.449) auf volle Tausend auf (10.000), liegen bei einem Verhältnis der zivilen Opfer pro Jahr
zur Gesamtbevölkerung von 1 : 2.500 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor (vgl.
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris). Wie oben dargelegt ist in Kabul, insbesondere aufgrund der deutlich
unterdurchschnittlichen Gefährdung durch Sprengkörper, die die Hauptursache für zivile Opfer und zur größten Gefahr für die
afghanischen Streitkräfte geworden sind, und auch durch gezielte Tötungen, insgesamt noch eine deutlich geringere
Gefährdung der Zivilbevölkerung anzunehmen.
69 Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit seiner Familie aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender
gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen seien könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich…
70 bb) Auch aus den humanitären Bedingungen in Kabul ergibt sich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m.
Art. 3 EMRK zugunsten des Klägers.
71 (1) Im Hinblick auf die humanitäre Lage in Kabul geht der Senat davon aus, dass diese nur dann eine Misshandlung des
Klägers im Falle der Rückkehr bedingen könnte, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzuträten (vgl. EGMR,
Urteile vom 02.05.1997 - D/Vereinigtes Königreich - a.a.O. und vom 27.05.2008 - N./Vereinigtes Königreich - a.a.O.), die jedoch
nicht gegeben sind, da sich die Situation des Klägers im Falle seiner Rückkehr mit seiner Familie trotz der nicht zu leugnenden
Gefährdung, nicht von der anderer Familienväter mit kleinen Kindern in Kabul abgrenzen lässt, die nach ihrer Rückkehr
aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen und insbesondere der hohen Arbeitslosigkeit um ihr und das
Überleben ihrer Frau und Kinder kämpfen. Erheblich erschwerende individuelle Umstände (insbesondere eine
lebensbedrohende Erkrankung), die hier einen ganz außergewöhnlichen Einzelfall im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begründen könnten, sind nicht gegeben.
72 (2) Die Maßstäbe des Urteils M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) finden hier keine Anwendung.
73 Die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan ist nach Ansicht des Senats nicht unmittelbar dem afghanischen Staat
zuzurechnen. Der afghanische Staat ist vielmehr mit internationaler Hilfe um eine Verbesserung der Verhältnisse bemüht und
konnte diese in gewissem Umfang auch erreichen (vgl. dazu unten).
74 Selbst wenn man zugunsten des Klägers einen bewaffneten Konflikt oder mangelnde landesweite bzw. ausreichende Einfluss-
und Schutzmöglichkeiten des afghanischen Staates und der (noch) im Land anwesenden Schutztruppen (vgl. auch Art. 6 lit. c
QRL) unterstellte und davon ausgehend auf die gegenwärtigen Konfliktparteien oder auf regierungsfeindliche Gruppen als
maßgebliche Akteure abstellte, ergäbe sich hieraus nicht die Anwendung des Maßstabs aus dem Urteil M.S.S. gegen Belgien
und Griechenland. Denn die schlechten humanitären Bedingungen sind zwar teilweise (direkt und indirekt) auch, aber
sicherlich nicht überwiegend auf gegenwärtige Aktionen der Gegner der Regierung bzw. der derzeitigen Konfliktparteien
zurückzuführen, sondern wesentlich auf die dem jetzigen Konflikt vorangegangenen Ereignisse in der Zeit von 1979 bis 2001
(vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 a.a.O., Rn. 196).
75 In den Jahren 1979 bis 1989 war die Situation in Afghanistan geprägt vom Widerstand der Mudschahedin-Gruppen gegen die
sowjetische Besatzung. Den durch den Sowjetisch-Afghanischen Krieg bedingten Verwüstungen folgte 1992, nach dem
sowjetischen Abzug im Frühjahr 1989, der Zusammenbruch des afghanisch-kommunistischen Regimes und ein
innerafghanischer Krieg zwischen den verschiedenen Regionalmächten. 1994 gelang es Massud die Vorherrschaft in Kabul zu
erringen. Der Kampf zwischen den Mudschahedin-Gruppen führte zu einer weitgehenden Zerstörung Kabuls und zu einem
Anschwellen der Flüchtlingsströme nach Pakistan und Iran (AA, Lagebericht vom 09.05.2001, Stand April 2001). Ab 1995
versuchten die Taliban, die seit 1994 vor allem im Süden in Vormarsch waren, Kabul zu erobern, was ihnen nach dem Rückzug
von Massud in den Norden schließlich im September 1996 gelang. Anschließend versuchten diese, die Kontrolle über ganz
Afghanistan erhalten. Dabei verfolgten sie eine Politik der verbrannten Erde und vertrieben mit Gewalt die alteingesessene
Bevölkerung, verbrannten ihre Häuser und zerstörten die besonders fruchtbaren Anbaugebiete. Auch von systematischen
Bombardierungen der Zivilbevölkerung durch die Taliban als Strafmaßnahme im Rahmen der kriegerischen
Auseinandersetzung wurde berichtet. Im Frühjahr 2001 befand sich Afghanistan nach wie vor im Bürgerkrieg, wobei damals
eine Verfestigung der Taliban-Herrschaft in den meisten Landesteilen erkennbar war (AA, Lagebericht vom 09.05.2001, Stand
April 2001).
76 Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 09.05.2001 (Stand April 2001) beschreibt die damaligen Existenzbedingungen wie
folgt:
77 “Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Nach 20 Jahren Krieg ist die Infrastruktur des Landes weitgehend
zerstört. Hinzu kommen Naturkatastrophen. Große Teile Afghanistans leiden derzeit unter der schlimmsten Dürre seit 31
Jahren, nachdem schon seit einigen Jahren der Regenfall völlig unzureichend ist. Die Dürre führt zu Trinkwassermangel, dem
Ausbrechen von Krankheiten, Viehsterben und Missernten. Mit dem Höhepunkt ihrer Auswirkungen wird erst in diesem Jahr
gerechnet. Zusätzliche Ursache für die äußerst unzureichende Nahrungsmittelversorgung sind die andauernden
Kampfhandlungen und die Verminung weiter Gebiete, die dort eine reguläre Produktion von Grundnahrungsmitteln nicht
zulassen. Die industrielle Produktion ist praktisch zum Erliegen gekommen. In begrenztem Maß produktive Sektoren sind
Landwirtschaft und Handel. Die beiden ertragreichsten Bereiche wirtschaftlicher Tätigkeit sind Schmuggel und Drogenhandel.
Große Teil der Bevölkerung sind verarmt und leben am oder unter dem Existenzminimum. Ohne Nahrungsmittelhilfe oder
andere Formen der Unterstützung durch Hilfsorganisationen könnten die Ärmsten der Bevölkerung nicht überleben. Die
Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Familien ernähren sich - soweit sie nicht in der Landwirtschaft tätig sind - durch
Gelegenheitsjobs und den Verkauf persönlichen Besitzes. Bedienstete des öffentlichen Dienstes in Afghanistan verdienen
umgerechnet etwa 5 US$ pro Monat. In der Regel bleiben Gehaltszahlungen jedoch über Monate aus. Ohne
Nahrungsmittelhilfe und andere Formen der Unterstützung durch internationale Hilfsorganisationen könnten die Ärmsten der
Bevölkerung nicht überleben.
78 Die staatliche medizinische Versorgung der Bevölkerung ist schlecht. Es fehlt an Ärzten und ausgebildetem Pflegepersonal.
Die Krankenhäuser befinden sich überwiegend in einem sehr schlechten Zustand sowohl in bezug auf die Ausstattung als
auch auf die räumlichen Verhältnisse. Auf dem Land ist die medizinische Versorgung oft noch schlechter als in den Städten.
Patienten müssen lange, beschwerliche Transporte zu den nächstgelegenen Behandlungsmöglichkeiten in Kauf nehmen. Die
Bevölkerung ist im Bereich Gesundheit nachhaltig auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen.
79 Das Schul- und Ausbildungssystem liegt in ganz Afghanistan darnieder. Ein geregelter Unterricht findet nicht statt. Es fehlt an
Lehrmaterialien sowie an Lehrpersonal. Die vorhandenen Lehrkräfte werden nur unregelmäßig bezahlt. In den von den Taliban
beherrschten Gebieten konzentriert sich die Ausbildung in den Schulen weitgehend auf Religionsunterricht, andere Fächer
treten in den Hintergrund. Eine gezielte Berufsausbildung existiert nicht. Daneben erfolgt Unterricht in den Taliban-Gebieten
ganz überwiegend für die männliche Bevölkerung.“
80 Die humanitäre Lage in Afghanistan war aufgrund der seit 1979 herrschenden Kämpfe und der jahrelangen Dürre damit vor
Beginn des gegenwärtigen Konflikts schlechter als sie sich heute nach dem Sturz des Taliban-Regimes und weiteren 12
Jahren Auseinandersetzungen - nun zwischen internationalen und afghanischen Truppen einerseits und den Taliban, einem
Teil der Hizb-i Islāmī und der Al-Qaida andererseits - darstellt.
81 Das Auswärtige Amt ging davon aus, dass sich nach groben Schätzungen Anfang September 2001 ca. 3 Millionen afghanische
Flüchtlinge in Pakistan, ca. 2 Millionen afghanische Flüchtlinge in Iran und ca. 100.000 afghanische Flüchtlinge in den drei im
Norden angrenzenden zentralasiatischen Staaten aufhielten. Die Flüchtlingsströme gründeten sich maßgeblich auch auf der
damals seit drei Jahren anhaltenden Dürre und der daraus resultierenden, das ganze Land erfassenden Hungersnot und
wurden durch die politische Lage in Afghanistan verstärkt (AA, Ad-hoc-Bericht vom 18.10.2001). Nach Ablehnung der US-
Forderungen nach Auslieferung Osama Bin Ladens durch die Taliban haben die USA seit dem 07.10.2001 gezielte Luftschläge
gegen militärische und logistische Stützpunkte der Taliban und terroristische Netzwerke vorgenommen. Die
Bürgerkriegssituation in Afghanistan verschärfte sich. Nach erheblichen Gebietsgewinnen hatte die Nordallianz mehr als zwei
Drittel des afghanischen Staatsgebiets, nahezu die gesamte nördliche Hälfte - auch die Hauptstadt Kabul - sowie angrenzende
Gebiete eingenommen, während in südlichen Landesteilen teils lokale paschtunische Gruppen die Führung übernommen
haben. Die Situation der afghanischen Flüchtlinge blieb weiterhin schwierig. Auch wenn sich dadurch, dass die Taliban Kabul
und andere große Städte verlassen hatten, die Möglichkeiten für eine humanitäre Versorgung verbessert hatten, blieb die
Versorgungslage weiterhin angespannt. Die akkumulierte humanitäre Soforthilfe (Zusagen) der EU-Mitgliedsstaaten und der
EU-Kommission für Afghanistan in 2001 belief sich auf ca. 321,2 Mio Euro (AA, Ad-hoc-Bericht vom 16.11.2001).
82 Die mit der Afghanistan-Konferenz der Vereinten Nationen vom 27.11. bis 05.12.2001 auf dem Petersberg bei Bonn über die
Zukunft Afghanistans nach dem Ende der Taliban-Herrschaft in Gang gesetzte Entwicklung hat zu einer einschneidenden
Änderung der politischen Verhältnisse geführt. Es bestand nun die Hoffnung, dass der Sturz des Taliban-Regimes Afghanistan
nach 22 Jahren Bürgerkrieg und kriegerischer Auseinandersetzungen die Chance auf einen Neuanfang mit einem vereinten
demokratischen afghanischen Staat bieten würde. Afghanistan sollte mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft politisch,
sicherheitspolitisch und wirtschaftlich rehabilitiert und wiederaufgebaut werden. Voraussetzung war die Gewährleistung von
Sicherheit für die afghanische Interims-Administration und die afghanische Bevölkerung. Die International Security Assistance
Force (ISAF) wurde entsandt, deren Aufgabe es war, die Sicherheit - zunächst in Kabul und Umgebung - zu gewährleisten (AA,
Ad-hoc-Bericht vom 04.06.2002). Seit 2004 hat Afghanistan eine Verfassung und ist eine Islamische Republik mit einem
präsidialen Regierungssystem.
83 Im aktuellsten Lagebericht beschreibt das Auswärtige Amt (vom 04.06.2013 Stand: März 2013) die Situation nunmehr wie folgt:
84 “Trotz erheblicher und anhaltender Anstrengungen belegt Afghanistan laut dem Human Development Index von UNDP (2011)
unter 187 ausgewerteten Ländern den 172. Rang. Der Entwicklungsbedarf ist weiterhin beträchtlich: Rund 36% der
Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und die Analphabetenrate liegt bei 70%. Ca. 90% der Frauen und 70% der
Männer haben keinen Schulabschluss. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es an vielen Orten an
grundlegender Infrastruktur für Transport, Energie und Trinkwasser. Das rapide Bevölkerungswachstum stellt eine weitere
besondere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Aktuell wächst die Bevölkerung
mit rund 2,8% pro Jahr, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkommt. Die
Möglichkeiten des afghanischen Staates, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß
an sozialen Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich, zur Verfügung zu stellen, geraten dadurch zusätzlich unter Druck.“
85 Trotz der - entgegen der anfänglichen Hoffnungen - auch weiterhin schwierigen Lage haben inzwischen fast 85 % der
Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung (http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/laender_
regionen/asien/afghanistan/zusammenarbeit.html; die Zahl der Gesundheitseinrichtungen hat sich seit 2002 vervierfacht vgl.
Auswärtiges Amt, Lagebericht [Stand: März 2013], S. 18), wobei die Erreichbarkeit in den Städten, insbesondere Kabul,
wesentlich besser ist als auf dem Land. Die Kindersterblichkeit (unter fünf Jahren) als Indikator für die medizinische und
geburtshilfliche Versorgung von Müttern und Säuglingen ist zwar weiterhin dramatisch hoch. Auch wenn die in verschiedenen
Quellen genannten Zahlen nicht übereinstimmen, ergibt sich aus diesen aber insoweit übereinstimmend, dass die
Kindersterblichkeit (unter fünf Jahren) in den letzten Jahren verringert werden konnte (vgl. BMZ, Afghanistan, Situation und
Zusammenarbeit: 2001: 133 pro 1.000 Kinder, 2011: 101 pro 1.000 Kinder http://www.bmz.de/
de/was_wir_machen/laender_regionen/asien/afghanistan/zusammenarbeit.html; UNICEF, Committing to Child Survival: A
Promise Renewed, Progress Report 2012:1990: 192 pro 1.000 Kinder, 2000: 136 pro 1.000 Kinder, 2011: 101 pro 1.000 Kinder,
http://www.unicef.org/videoaudio/PDFs/APR_Progress_Report_2012 final.pdf; Islamic Republic of Afghanistan Ministry of
Public Health, National Child and Adolescent Health Policy, 2009 - 2013: 2000: 257 pro 1.000 Kinder, 2008: 191 pro 1.000
Kinder, http://www.basics.org/documents/Child-and-Adolescent-Health-Policy_Af-ghanistan.pdf). Auch hat sich der Anteil der
Kinder, insbesondere der Mädchen, die die Schule besuchen, deutlich erhöht
(http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/laender_regionen/asien/afghanistan/zusammenarbeit.html).
86 Wenn auch die humanitäre Situation - insbesondere auch der Kinder - weiterhin sehr schlecht ist, ist die Annahme, dass der
derzeitige status quo bezogen auf diese immer noch schlechten humanitären Bedingungen überwiegend auf die seit Ende
2001 bzw. 2004 erfolgten und gegenwärtigen Aktionen der regierungsfeindlichen Akteure zurückzuführen ist, nicht zu
rechtfertigen. Dies gilt unabhängig davon, dass ohne die genannten Anschläge und die u.a. durch Sprengfallen bedingten
permanenten Gefahren bereits eine wesentlich deutlichere Verbesserung der humanitären Verhältnisse in Afghanistan möglich
gewesen wäre (vgl. Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, Asylmagazin 12/2011,
S. 406; vgl. dazu auch Save the Children, Afghanistan in Transition: Putting Children at the Heart of Develoment, 2011, S. 10 ff.;
http://www.savethechildren.de/fileadmin/Dokumente_Download/Downloadbereich/Save_the_Children_Afghanistan_report.pdf).
87 Auf dieser Grundlage steht für den Senat fest, dass die auch durch frühere Auseinandersetzungen mit bedingte, aber im
Übrigen vorgefundene chronische Unterentwicklung des Landes wesentliche Grundlage der weiterhin schlechten humanitären
Lage ist, die durch das rapide Bevölkerungswachstum und vor allem durch extreme Natureinflüsse (vgl. Auswärtiges Amt,
Lagebericht Stand: März 2013, S. 17 f.) verschärft wurde und wird, weshalb weiterhin internationale Hilfen in erheblichem
Umfang erforderlich sind und trotz der weiterhin - regional in unterschiedlichem Maße - instabilen Lage auch (noch) gewährt
werden.
88 Dies gilt insbesondere auch für die gegenwärtige Lage in Kabul. Zwar ist ein sicher auch auf die herrschenden
Kampfhandlungen zurückzuführendes Problem in Kabul die aufgrund der Zerstörung von Häusern und dem Zustrom von
Binnenflüchtlingen bestehende Verknappung und Verteuerung von Wohnraum. Der Anteil der Bevölkerung Kabuls, der in
informellen Siedlungen wohnt, wird von der Stadtverwaltung auf 70 Prozent geschätzt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen,
dass es seit dem Rückzug der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre kaum Investitionen in öffentliche Wohnungen gab (Daisuke
Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, Asylmagazin 12/2011, S. 406 [408, 410]), Kabul
bereits 1992 weitgehend zerstört worden war (vgl. oben) und derartige Siedlungen - auch - in Kabul keine neue Erscheinung
sind. Die Bevölkerung dieser Siedlungen setzt sich zum Großteil aus Personen zusammen, die während der letzten 30 Jahre
aufgrund von Kampfhandlungen oder aber auch wirtschaftlicher Not nach Kabul migriert sind. Weiterhin gehören zu den seit
2002 hinzugekommenen Flüchtlingen, neben weiteren Binnenflüchtlingen, insbesondere auch Flüchtlinge, die aus Pakistan
und dem Iran zurückgekehrt sind (Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul,
Asylmagazin 12/2011, S. 406 [408, 410]) und dementsprechend gerade nicht vor gegenwärtigen Kampfhandlungen geflohen
sind. Der derzeitige Konflikt hat damit zwar zu weiterem Zustrom von Binnenflüchtlingen geführt, kann aber auch insoweit nicht
als wesentliche Ursache für die schlechten Lebensbedingungen in Kabul angesehen werden.
89 Der Senat geht weiterhin davon aus, dass die Taktiken der Regierungsgegner (insbesondere Selbstmordanschläge und
Sprengfallen), die entweder - auch - gegen die Zivilbevölkerung und deren Einrichtungen (Krankenhäuser, Schulen etc.) sowie
Hilfsorganisationen gerichtet sind oder zumindest ohne Rücksicht auf diese angewandt werden und weit über die unmittelbare
Bedrohung hinaus auf das Leben der afghanischen Kindern, Frauen und Männern Auswirkungen haben, den Zugang zu
Gesundheit und Bildung behindern, und ein Umfeld der Unsicherheit mit der ständigen Bedrohung durch den Tod,
Verstümmelung, schwere Körperverletzung und Zerstörung von Eigentum schaffen (UNAMA, 2012, S. 4).
90 Diese Bedingungen haben in Kabul aber nicht zur Vertreibung der dortigen Bevölkerung geführt und auch nicht - zusammen mit
Binnenfluchtbewegungen nach Kabul - zum Zusammenbruch einer zunächst vorhanden gewesenen sozialen, politischen und
wirtschaftlichen Infrastruktur. Vielmehr sind seit 2002 durchgehend gerade auch in Kabul internationale staatliche und
nichtstaatliche Hilfsorganisationen in einem erheblichen Umfang tätig, um erstmals nach über zwanzig Jahren Gewalt und
Zerstörung aufgrund vorangegangener bewaffneter Konflikte und der Taliban-Herrschaft wirtschaftliche, soziale und politische
Strukturen wieder herzustellen bzw. neu zu errichten. Dem entspricht es, dass seit 2002 4,7 Millionen afghanische Flüchtlinge
in ihr Heimatland zurückgekommen sind (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Stand: März 2013, S. 17), von denen der
Hauptanteil nach Kabul zurückgekehrt bzw. ursprünglich aus einem anderen Herkunftsgebiet stammend dort geblieben ist
(Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, Asylmagazin 12/2011, S. 406 [408, 410])
…“.
91 Das Vorbringen der Beteiligten gibt dem Senat keine Veranlassung zu einer anderen abweichenden Sicht der Dinge.
92 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
93 Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.