Urteil des VG Stuttgart vom 31.03.2010

VG Stuttgart (kläger, bebauungsplan, gemeinderat, gemeindeordnung, begründung, begehren, württemberg, satzung, baden, antrag)

VG Stuttgart Urteil vom 31.3.2010, 7 K 1408/08
Zur Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens, welches auf Einstellung einer Bauleitplanung gerichtet ist
Leitsätze
1. Nach dem materiellen Recht in Baden-Württemberg ist eine Bürgerinitiative, die ein Bürgerbegehren initiiert hat,
nicht beteiligungsfähig. Gegen die Zurückweisung eines Antrags auf einen Bürgerentscheid kann jeder
Unterzeichner in eigenem Namen Widerspruch und Verpflichtungsklage erheben (vgl. § 41 Abs. 2 KomWG BW).
2. Zur Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens, welches auf Einstellung einer Bauleitplanung gerichtet ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger ist ein Vertreter und zugleich Mitunterzeichner des Bürgerbegehrens „F. ist nicht Manhatten“, mit
dem die geplante Bebauung des ehemaligen „...-Areals“ in F. (Bebauungsplan 05.03/6 „G.“) gestoppt werden
soll. Mit der Klage begehrt er die Verpflichtung der Beklagten, die Zulässigkeit seines Bürgerbegehrens
festzustellen.
2
Der Gemeinderat der Beklagten beschloss in seiner Sitzung am 7.11.2006 die Aufstellung des Bebauungsplans
05.03/6 „G.“. Im Wesentlichen soll auf dem Gelände der ehemaligen Firma ..., dem südlich daran
angrenzenden Grundstück der früheren Tennishalle und jetzigen privaten Veranstaltungshalle und unter
Einschluss des McDonalds Drive-In-Restaurants im östlichen Teil des Quartiers eine Wohnbebauung, ein Hotel
sowie ein Gesundheits- bzw. OP-Zentrum planungsrechtlich ermöglicht werden. Die prägende Grundrissform für
die Neubebauung entspricht der Gestalt einer liegenden „5“ mit einem eingestellten Hochhaus als zeichenhafte
„1“ („five to one“). Das Hochhaus war zunächst als ein rund 85 m hoher Wohnturm mit 30 Stockwerken geplant.
3
In seiner Sitzung vom 8.5.2007 fasste der Gemeinderat einen erneuten Aufstellungsbeschluss über den
Bebauungsplan, um die am 1.1.2007 in Kraft getretenen Regelungen des Gesetzes zur Erleichterung von
Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte auf das vorliegende Vorhaben anwenden zu können.
Gegenüber dem Planungskonzept, welches Grundlage des ersten Aufstellungsbeschlusses war, haben sich
aufgrund von Anregungen und Stellungnahmen des Gemeinderats und der Öffentlichkeit sowie durch eine
Überarbeitung Änderungen und Präzisierungen ergeben. Das auf dem Areal geplante Hochhaus soll mit 29
Ebenen und 5 Geschossen im Sockelbereich eine Höhe von 107 m erreichen.
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Mit Beschluss vom 17.7.2007 stimmte der Gemeinderat dem Entwurf des Bebauungsplans 05.03/6 „G.“ und
seiner öffentlichen Auslegung zu. Die Auslegung des Bebauungsplans wurde am 19.7.2007 öffentlich bekannt
gemacht. Sie erfolgte in der Zeit vom 30.7. bis 7.9.2007.
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Am 5.11.2007 wurde der Beklagten ein vom Kläger unterzeichneter Antrag auf Durchführung eines
Bürgerentscheids zum Begehren der Bürgerinitiative „F. ist nicht Manhattan“ vom 5.11.2007 zusammen mit
3.935 Unterschriften auf 836 Formularblättern übergeben. Mit den Unterschriften wurde ein Bürgerbegehren
unterstützt, mit dem ein Bürgerentscheid gemäß § 21 Abs. 3 der Gemeindeordnung zu folgender Frage
beantragt wurde:
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„Sind Sie dafür, dass das Bebauungsplanverfahren für das sogenannte ...-Gelände, das u.a. ein 107 m
hohes Gebäude ermöglichen soll, gestoppt wird?“
7
Auf dem Formular für die Unterschriftensammlung wurde dieser Antrag wie folgt begründet:
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- „Der Bau eines 107 Meter hohen Wohnturmes beeinträchtigt das gesamte Stadtgebiet und ist völlig
überdimensioniert
- Der Wohnturm führt gleichzeitig zu massiven Nachteilen für die gesamte Umgebung
- Der bis zu 4 Meter hohe Sockel, auf dem die Bebauung geplant ist, und die bis zu 7 Geschosse der
sogenannten Randbebauung führen zu einer massiven Bebauung, die die Wohnumgebung durch
Verschattung und Sichtbehinderung stark beeinträchtigt und die sich nicht in das Umfeld einfügt
- Der Bebauungsplan widerspricht einer stadtverträglichen und nachhaltigen städtebaulichen
Entwicklung F.“
9
Die Stadtverwaltung der Beklagten stellte fest, dass von den 3.935 Unterschriften, die am 5.11.2007 übergeben
wurden, 3.659 gültig waren. Nachdem in der Folgezeit weitere 28 gültige Unterschriften nachgereicht wurden,
stellte die Stadtverwaltung zum Stand 13.11.2007 insgesamt 3.687 gültige Unterschriften fest.
10 Der Kläger übersandte der Beklagten unter dem 11.11.2007 eine rechtsgutachterliche Stellungnahme vom
8.11.2007, nach welcher das von der Bürgerinitiative initiierte Bürgerbegehren zulässig sei.
11 Am 22.11.2007 schloss die Beklagte mit dem Investor für das Gelände ...-Areal einen Durchführungsvertrag
zum Vorhaben- und Erschließungsplan, der mit Inkrafttreten des Bebauungsplans oder Erteilung einer
Baugenehmigung wirksam werden sollte.
12 In seiner Sitzung vom 27.11.2007 beschloss der Gemeinderat die Einleitung eines Bürgerentscheids als
unzulässig abzulehnen. Grundlage der Beratung war u.a. eine gutachterliche Stellungnahme des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 26.11.2007. Zugleich beschloss der Gemeinderat in dieser
Sitzung den Bebauungsplan 05.03/6 „G.“ als Satzung. Die Bekanntmachung erfolgt am 29.11.2007 im F.
Stadtanzeiger.
13 Mit Bescheid vom 30.11.2007, gerichtet an den Kläger als Vertreter der Bürgerinitiative „F. ist nicht
Manhatten“, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Gemeinderat das Bürgerbegehren als unzulässig
abgelehnt hat. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Bürgerbegehren finde nach § 21 Abs. 2 Nr. 6 der
Gemeindeordnung nicht über Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften statt. Dieser Fall liege hier vor. Selbst
wenn ein Bürgerbegehren im Vorfeld oder zu Beginn eines Bauleitplanverfahrens zulässig wäre, sei dieses als
unzulässig abzulehnen, da die erforderliche Frist nicht eingehalten worden sei. Die Frist zur Einreichung
betrage sechs Wochen nach Bekanntgabe des Gemeinderatsbeschlusses. Das Bürgerbegehren richte sich
inhaltlich gegen den Gemeinderatsbeschluss über die Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans
05.03/6 „G.“. Der Aufstellungsbeschluss datiere vom 7.11.2006 bzw. 8.5.2007, die Zustimmung zum Entwurf
des Bebauungsplans und Beschluss zur öffentlichen Auslegung vom 17.7.2007. Die Frist sei daher am
5.11.2007 für alle nur denkbaren Beschlüsse des Gemeinderats verstrichen gewesen. Der Bescheid wurde dem
Kläger am 1.12.2007 zugestellt.
14 Der Kläger und Herr B. legten hiergegen als Unterzeichner des Bürgerbegehrens am 27.12.2007 Widerspruch
ein. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, das Bürgerbegehren sei zulässig. Das
Unterschriftenquorum sei mehr als erfüllt gewesen. Auch die gestellte Frage sei zulässig. Sie falle nicht unter
den Negativkatalog des § 21 Abs. 2 Nr. 6 Gemeindeordnung. Die Formulierung, „ein Bürgerentscheid findet
nicht statt über Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften“, erfasse nicht die Frage, ob überhaupt eine
Bauleitplanung stattfinden solle. Diese Auffassung werde auch durch die Gesetzesbegründung gestützt,
wonach Grundsatzentscheidungen im Vorfeld eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zur
Gemeindeentwicklung vom Ausschlusstatbestand unberührt bleiben sollten. Das Innenministerium habe sich in
einer Stellungnahme vom 22.11.2005 dahingehend geäußert, dass dem Gemeinderat weiterhin durch
Bürgerentscheid ein Auftrag erteilt werden könne, ein Verfahren der Bauleitplanung durchzuführen bzw. auf eine
Planung zu verzichten oder eine solche zu stoppen. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens ziele auf einen
derartigen Planungsstopp. Sie verkürze auch die für die Bauleitplanung erforderliche Abwägungsentscheidung
des Gemeinderats nicht auf eine unzulässige „Ja-Nein-Frage“.
15 In seiner Sitzung vom 29.1.2008 beschloss der Gemeinderat, dem Widerspruch nicht abzuhelfen und ihn dem
Regierungspräsidium ... zur Entscheidung vorzulegen.
16 Mit Widerspruchsbescheid vom 12.3.2008 wies das Regierungspräsidium ... den Widerspruch zurück. Zur
Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Bürgerbegehren sei nicht zulässig. Unter den
Ausschlusstatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 6 Gemeindeordnung fielen nicht nur in Kraft gesetzte Bauleitpläne,
sondern auch die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen. Das Bürgerbegehren
beziehe sich auf die Aufstellung des Bebauungsplans 05.03/6 „G.“. Es habe keine Grundsatzentscheidung im
Vorfeld eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zur Gemeindeentwicklung zum Gegenstand, da es sich
konkret gegen den im Aufstellungsverfahren befindlichen vorhabenbezogenen Bebauungsplan 05.03/6 „G.“
richte. Dies ergebe sich aus der Fragestellung des Bürgerbegehrens. Zudem sei das Bebauungsplanverfahren
schon weit vorangeschritten gewesen, als die Unterschriftenlisten eingereicht worden seien. Die öffentliche
Auslegung des Bebauungsplanentwurfs sei am 5.11.2007 bereits abgeschlossen gewesen. Schließlich sei das
Begehren auch verfristet. Ein Bürgerbegehren, das sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats richte,
müsse innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht werden. Dabei sei
unerheblich, dass der angegriffene Gemeinderatsbeschluss weder in der Fragestellung noch in der Begründung
des Bürgerbegehrens explizit erwähnt werde. Vorliegend sei davon auszugehen, dass sich das Begehren
gegen den erneuten Beschluss über die Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans 05.03/6 „G.“
richte. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 14.3.2008 zugestellt.
17 Der Kläger hat zusammen mit Herrn B. als Vertreter für die Bürgerinitiative „F. ist nicht Manhatten“ am
10.4.2008 Klage vor dem Verwaltungsgericht ... erhoben. Auf Hinweis des Gerichts vom 14.4.2008, dass
Zweifel an der Beteiligungsfähigkeit der Bürgerinitiative bestünden, hat Herr B. klargestellt, dass er die Klage
nicht in eigenem Namen habe erheben wollen, und diese zurücknehme. Der Kläger ließ mit Schriftsatz seiner
Prozessbevollmächtigten vom 27.5.2009 mitteilen, dass er das Verfahren in eigenem Namen fortsetze. Zur
Begründung lässt er im Wesentlichen ausführen, das Unterschriftenquorum von 2.500 Unterschriften sei erfüllt.
Das Bürgerbegehren sei auch nicht verfristet. Denn es richte sich nicht gegen einen konkreten Beschluss des
Gemeinderats, sondern ziele auf einen Planungsstopp. Darüber hinaus greife der Ausschlusstatbestand des §
21 Abs. 2 Nr. 6 Gemeindeordnung nicht ein. Grundsatzentscheidungen darüber, ob eine Bauleitplanung
durchgeführt werden solle, fielen nicht hierunter. Denn die Frage, ob überhaupt eine bestimmte Bauleitplanung
in Angriff genommen werde solle, sei der eigentlichen planerischen Abwägung vorgelagert. Die aufgeworfene
Fragestellung verkürze daher nicht die Abwägungsentscheidung auf eine unzulässige „Ja-Nein-Frage“. Der
begehrte Planungsstopp habe bei Antragstellung nicht zum Ziel gehabt, ein beschlossenes
Bebauungsplanverfahren zu stoppen. Der Bürgerentscheid habe im Vorfeld durchgeführt werden sollen. Im
Vorfeld eines solchen Verfahrens greife § 21 Abs. 2 Nr. 6 Gemeindeordnung nicht. Dies entspreche auch dem
Sinn und Zweck der Gesetzesänderung der Gemeindeordnung, die Möglichkeiten der unmittelbaren
Bürgerbeteiligung in den Städten und Gemeinden zu stärken.
18 Der Kläger beantragt,
19
den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2007 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums ... vom 12.3.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den
Bürgerentscheid „F. ist nicht Manhatten“ mit folgendem Gegenstand:
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„Sind Sie dafür, dass das Bebauungsplanverfahren für das sogenannte ...-Gelände, das unter
anderem ein 107 m hohes Gebäude ermöglichen soll, gestoppt wird?“
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zuzulassen.
22 Die Beklagte beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24 Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der Bürgerentscheid beziehe sich auf den vorhabenbezogenen
Bebauungsplan 05.03/6 „G.“, der ein Gebäude mit 107 m zulasse. Das Bürgerbegehren sei auf einen
Planungsstopp gerichtet. Dies bedeute schon vom Wortlaut her die Beendigung eines schon laufenden
Bebauungsplanverfahrens, welches unter den Ausschlusstatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 6 Gemeindeordnung
falle. Aus der Gesetzesbegründung zu dieser Norm ergebe sich, dass die Formulierung „Bauleitpläne und
örtliche Bauvorschriften“ auch die Verfahren zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von
Bauleitplänen umfasse. Dabei handele es sich um Verwaltungsverfahren, in denen öffentliche und private
Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen seien und über vorgetragene Einwände zu entscheiden
sei. Auch die Frage, ob ein Bebauungsplanverfahren durchgeführt werden soll, bedürfe der planerischen
Abwägung. Das Bebauungsplanverfahren sei insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass der Planungsträger
„abwägungsbereit“ sein müsse. Würde der Gemeinde durch Bürgerentscheid verboten, in eine Abwägung
einzutreten, läge hierin eine Vorbindung, die dem Bebauungsplanverfahren fremd sei. Im
Bebauungsplanverfahren gebe es keinen abwägungsfreien Raum. Dementsprechend habe ein Vorhabenträger
keinen Anspruch auf die Durchführung eines Bebauungsplanverfahrens. Er habe lediglich einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Einleitung eines solchen Verfahrens; insoweit habe aber eine Abwägung stattzufinden.
Des Weiteren stehe einer landesrechtlichen Regelung, Bebauungsplanverfahren einem Bürgerbegehren zu
unterwerfen, Bundesrecht entgegen. Der Ausschluss eines Anspruchs auf die Durchführung einer
Bauleitplanung und auf den Erlass eines entsprechenden Satzungsbeschlusses im Baugesetzbuch diene der
konsequenten Sicherung einer ordnungsgemäßen Abwägung. Dies führe nicht zu einer unangemessenen
Benachteiligung der Bürger. Denn das bundesrechtlich geregelte Bebauungsplanverfahren sehe eine
ausführliche und eingehende Bürgerbeteiligung vor. Diese Bürgerbeteiligung stelle ein „Jedermannsrecht“ dar,
so dass eingegangene Stellungnahmen unabhängig davon, ob der konkret Einsprechende in Rechten verletzt
sei, im Verfahren und insbesondere bei der Abwägung zu berücksichtigen seien. Schließlich sei der Antrag auf
Durchführung eines Bürgerentscheids verfristet. Entgegen der Ansicht des Klägers liege kein Initiativantrag
vor, der keiner Frist unterworfen wäre. Der Wortlaut des Antrags beziehe sich auf den konkret im Verfahren
befindlichen Bebauungsplan und seine beabsichtigte Höhenausweisung. Damit handele es sich um eine
Reaktion auf die entsprechenden Gemeinderatsbeschlüsse, zuletzt jenen vom 17.7.2007. Schon vom Wortlaut
liege daher keine Initiative, sondern der Versuch vor, ein laufendes konkretes Bebauungsplanverfahren durch
Bürgerentscheid zu beenden.
25 Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die zum Verfahren vorgelegten
Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
26 Das Begehren des Klägers, den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2007 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums ... vom 12.3.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bürgerentscheid „F.
ist nicht Manhatten“ zuzulassen, ist als Verpflichtungsklage statthaft.
27 Diese Klage ist allerdings bereits unzulässig. Der Kläger hat die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 und 2 VwGO nicht
eingehalten. Danach ist eine Verpflichtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 12.3.2008
wurde dem Kläger am 14.3.2008 zugestellt. Die Klagefrist lief daher am 14.4.2008 ab (vgl. §§ 57 Abs. 2 VwGO,
222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB).
28 Mit Klageschrift vom 9.4.2008, eingegangen am 10.4.2008, haben der Kläger und Herr B. als Vertreter der
Bürgerinitiative „F. ist nicht Manhatten“ Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Diese Klage ist
zwar innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO eingegangen. Wie sich aus dem materiellen Recht
ergibt, können der Gesamtheit der Unterzeichner eines Bürgerbegehrens - der Bürgerinitiative - jedoch keine
Rechte zustehen, so dass sie nicht gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig ist. Aus § 21 Abs. 3 GemO
i.d.F.v. 28.7.2005 (GBl. S. 578) ergibt sich nichts anderes. Danach handelt es sich bei dem Bürgerbegehren
um einen Antrag der Bürgerschaft auf einen Bürgerentscheid über eine Angelegenheit des Wirkungskreises der
Gemeinde. Vielmehr ergibt sich aus § 41 Abs. 2 KomWG, dass gegen die Zurückweisung eines Antrags auf
ein Bürgerbegehren jeder Unterzeichner Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben kann. Danach konnte
der Kläger in eigenem Namen Klage gegen die Nichtzulassung des Bürgerbegehrens erheben.
29 Der Kläger hat auf Hinweis des Gerichts durch Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten am 27.5.2008 die
Fortführung der Klage in eigenem Namen erklären lassen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klagefrist aber bereits
abgelaufen.
30 Zur Einhaltung der Klagefrist ist maßgebend auf den Eingang der Erklärung des Klägers abzustellen, dass er
die Klage in eigenem Namen fortführt. Die Klageerhebung durch die Bürgerinitiative kann nicht in eine Klage
des Klägers und des Herrn B. umgedeutet werden. Dies ergibt sich aus den eindeutigen Formulierungen der
Klageschrift vom 9.4.2008. Hier lässt sich ein Wille, die Klage nicht für eine Rechtsgemeinschaft, sondern
jeweils in eigenem Namen erheben zu wollen, nicht hineindeuten. Dass der Kläger die Klage nicht in eigenem
Namen erhoben hat, zeigt auch seine Einlassung im Schriftsatz vom 27.5.2008, er führe die Klage in eigenem
Namen fort. Dem Kläger und Herrn B. dürfte auch die Vorschrift des § 41 Abs. 2 KomWG bekannt gewesen
sein. Im Gegensatz zur Klage haben sie ihren Widerspruch dementsprechend zutreffend als „Unterzeichner des
Bürgerbegehrens“ erhoben.
31 Bei der Fortführung der Klage unter eigenem Namen handelt es sich nicht um eine bloße Berichtigung oder
Konkretisierung der Parteibezeichnung, sondern um einen davon zu unterscheidenden Parteiwechsel auf der
Klägerseite. Diese ist als subjektive Klageänderung zu betrachten (§ 91 Abs. 1 VwGO). Dies hat zur Folge,
dass auch der Kläger die Klagefrist einhalten muss. Er kann nicht an die Klageerhebung durch die
Bürgerinitiative anknüpfen. Die am 27.5.2008 erhobene Klage ist daher verfristet.
32 Die Klage ist daneben auch deswegen unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Bürgerbegehren
und Bürgerentscheide können, wie sich aus dem Namen und dem Wesen des Rechtsinstituts ergibt, nur zu
Angelegenheiten stattfinden, über die die Gemeinde jetzt oder in absehbarer Zukunft noch entscheiden kann.
Bürgerbegehren, die nur eine nachträgliche Meinungsäußerung der Bürger zu einer bereits vom Gemeinderat
entschiedenen und vollzogenen Maßnahme herbeiführen wollen, sind nicht zulässig (vgl. BayVGH, B.v.
22.3.1999 - 4 ZB 98.1352 -, NVwZ-RR 1999, 368 f.).
33 Vorliegend ist das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, nachdem der Bebauungsplan, gegen den sich das
Bürgerbegehren richtet, in Kraft getreten ist. Der Bebauungsplan wurde am 27.11.2007 als Satzung
beschlossen und am 29.11.2007 im F. Stadtanzeiger bekannt gemacht. Bereits dies hat zur Folge, dass ein im
Hinblick auf die Verwirklichung des Bebauungsplan gestellter Bauantrag positiv entschieden werden müsste.
Des Weiteren wurde ein Normenkontrollverfahren innerhalb der Jahresfrist zur Einlegung eines
Normenkontrollantrags nicht angestrengt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO i.d.F. vom 21.12.2006), so dass die
Satzung inzwischen sogar unanfechtbar sein dürfte.
34 Das Begehren des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, das Bürgerbegehren zuzulassen, ist auf einen
Planungsstopp hinsichtlich der im Bebauungsplan 05.03/6 „G.“ konkret vorgesehenen Bebauung des ...-
Geländes gerichtet. Dies ergibt sich aus der Fragestellung des Bürgerbegehrens, „Sind Sie dafür, dass das
Bebauungsplanverfahren für das sogenannte ...-Gelände, das u.a. ein 107 m hohes Gebäude ermöglichen soll,
gestoppt wird?“, und dem ausdrücklichen Hinweis auf den Bebauungsplan auf den Unterschriftslisten.
Nachdem der Bebauungsplan als Satzung beschlossen worden ist, kann dieses Begehren nicht mehr
verwirklicht werden. Es geht daher ins Leere.
35 Die Beklagte war auch nicht gehalten, mit der Beschlussfassung über den Bebauungsplan zuzuwarten, bis
über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entschieden war. Eine Entscheidungssperre sieht die
Gemeindeordnung in Baden-Württemberg selbst bei zulässigen Bürgerbegehren nicht vor (anders z.B. § 26
Abs. 6 Satz 6 GemO NRW i.d. seit dem 17.10.2007 geltenden Fassung - GV.NRW S. 380 - für
Bürgerbegehren, deren Zulässigkeit der Gemeinderat festgestellt hat). Das repräsentativ-demokratische
System ist durch die Einführung des Bürgerentscheids als Element der unmittelbaren Demokratie ergänzt,
nicht überlagert worden. Auch der Regelungszusammenhang und der Zweck der Vorschriften über das
Bürgerbegehren geben nichts für die Annahme her, das Interesse der Unterzeichner eines Bürgerbegehrens an
einer Unterbindung gemeindlicher Tätigkeit, die ihrem Begehren "faktisch" entgegen wirkt, sei rechtlich
geschützt. § 21 Abs. 1 und Abs. 8 GemO i.V.m. § 41 KomWG schützen allein ihr Interesse an der Zulassung
eines zulässigen Bürgerbegehrens durch den Gemeinderat. An der weiteren Förderung des mit dem
Bürgerbegehren bekämpften Vorhabens ist die Gemeinde erst mit dem erfolgreichen Bürgerentscheid gehindert
(§ 21 Abs. 7 GemO). Die Minderheit von Bürgern, die das nach § 21 Abs. 3 Satz 5 GemO erforderliche Quorum
bilden, kann eine derartige Sperrwirkung nicht herbeiführen (so ausdrücklich VGH BW, B.v. 6.9.1993 - 1 S
1749/93 -, NVwZ 1994, 397 ff.).
36 Die Klage dürfte im Übrigen auch unbegründet sein.
37 Maßgeblich für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens ist § 21 GemO. Nach Abs. 3 Satz 1
dieser Vorschrift kann die Bürgerschaft über eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die
der Gemeinderat zuständig ist, einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren). Der Anwendungsbereich
des Bürgerbegehrens wird durch den Negativkatalog des § 21 Abs. 2 GemO beschränkt. Danach findet in einer
Reihe von Angelegenheiten ein Bürgerentscheid nicht statt, u.a. nach Nr. 6 nicht über Bauleitpläne und örtliche
Bauvorschriften.
38 Mit dem Bürgerbegehren „F. ist nicht Manhatten“ soll ausweislich der Fragestellung das
Bebauungsplanverfahren für das ehemalige ...-Gelände gestoppt werden. Das Bürgerbegehren richtet sich
gegen die mit dem Entwurf und inzwischen als Satzung beschlossenen Bebauungsplan 05.03/6 „G.“
vorgesehene Bebauung des ehemaligen ...-Geländes. Bei der Bauleitplanung handelt es sich um eine
Angelegenheit im Wirkungskreis der Beklagten, für die der Gemeinderat zuständig ist (§ 10 BauGB, §§ 24 Abs.
1, 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO). Ob der nach § 21 Abs. 3 Satz 1 GemO grundsätzlich eröffnete Anwendungsbereich
bei Bürgerbegehren, die auf einen „Planungsstopp“ in einem Bauleitplanverfahren gerichtet sind, durch § 21
Abs. 2 Nr. 6 GemO beschränkt wäre, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. (vgl. dazu VGH BW, B.v.
20.3.2009 - 1 S 419/09 -, NVwZ-RR 2009, 574, und U.v. 22.6.2009 - 1 S 2865/08 -, VBlBW 2009, 425).
39 Das Bürgerbegehren dürfte jedenfalls nicht fristgerecht eingereicht worden sein. Richtet sich ein
Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Gemeinderats, muss es innerhalb von sechs Wochen nach der
Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein (§ 21 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 GemO).
40 Entgegen der Ansicht des Klägers richtet sich der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids gegen einen
Beschluss des Gemeinderats. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens bezeichnet zwar nicht konkret einen
Beschluss des Gemeinderats. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
(vgl. B.v. 20.3.2009 - 1 S 419/09 -, a.a.O.) ist jedoch nicht der Wortlaut der Fragestellung maßgeblich. Der
Gegenstand eines Bürgerbegehrens ergibt sich vielmehr aus seiner Zielrichtung. Aus der hier vorliegenden
Fragestellung geht eindeutig hervor, dass das Bebauungsplanverfahren bzgl. des ...-Geländes auf dem Gebiet
der Beklagten gestoppt werden soll. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung in der Fragestellung, die
Bezug auf ein „u.a. 107 m hohes Gebäude“ nimmt. Zudem lässt auch die Begründung des Antrags auf
Bürgerentscheid erkennen, dass sich das Bürgerbegehren inhaltlich konkret gegen die im
Aufstellungsbeschluss des Gemeinderats der Beklagten vom 8.5.2007 vorgesehene Planung richtet. In der
Begründung wird u.a. auf den 107 m hohen Wohnturm, den bis zu 4 m hohen Sockel und die bis zu 7
Geschosse der sogenannten Randbebauung und somit auf die konkreten Festsetzungen im Entwurf bzw. in der
Satzung des Bebauungsplans 05.03./6 „G.“ Bezug genommen. Zudem wird der Bebauungsplans 05.03./6 „G.“
auch konkret benannt.
41 Die Sechs-Wochen-Frist des § 21 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 GemO dürfte im vorliegenden Fall nicht
eingehalten worden sein. Der Aufstellungsbeschluss mit den konkret bezeichneten Festsetzungen im Antrag
auf Bürgerentscheid wurde durch den Gemeinderat am 8.5.2007 gefasst und am 19.7.2007 im Stadtanzeiger
bekannt gemacht. Die Ausschlussfrist war daher bei Einreichen des Bürgerbegehrens am 5.11.2007 längst
verstrichen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg findet die Regelung
des § 21 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 GemO auch bei der Einstellung eines Bauleitplanverfahrens Anwendung
(vgl. VGH BW, B.v. 20.3.2009 - 1 S 419/09 -, a.a.O., und U.v. 22.6.2009 - 1 S 2865/08 -, a.a.O.; a.A.
Löbbecke, VBlBW 2009, 253/257).
42 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124 a Abs. 1 S. 1
VwGO liegen nicht vor.
43 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
44
Beschluss vom 31. März 2010
45 Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf
5.000,-- EUR