Urteil des VG Stuttgart vom 07.04.2011
VG Stuttgart: plakat, vollversammlung, projekt, form, stadt, industrie, objektivität, gebäude, magazin, feststellungsklage
VG Stuttgart Urteil vom 7.4.2011, 4 K 5039/10
Leitsätze
1. Äußerungen einer IHK zu einem Schienenbauprojekt betreffen ihren Kompetenzbereich. Derartige Äußerungen bedürfen der Zustimmung der
Vollversammlung.
2. Eine Äußerung durch Plakat verletzt das Gebot der größtmöglichen Objektivität und stellt daher eine der IHK verwehrte Form der
Interessenvertretung in der Öffentlichkeit dar.
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Erklärung und Stellungnahme zum Bahnprojekt Stuttgart 21 auf dem Plakat am IHK-Gebäude und der Abdruck des
Plakats im IHK-Magazin 10/2010 rechtswidrig sind.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Klägerin, eine in D. ansässige Firma, ist Pflichtmitglied bei der Beklagten und Mitglied der Interessengemeinschaft „Unternehmer gegen
Stuttgart 21“. Im September 2010 ließ die Beklagte am Gebäude der Geschäftsstelle in der ... Straße ... in Stuttgart das nachfolgende Plakat
anbringen:
2
Das Bild mit dem Plakat wurde im IHK-Magazin 10/2010 auf Seite 4 abgedruckt. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.11.2010
forderte die Klägerin die Beklagte auf, das am IHK-Gebäude angebrachte Plakat zugunsten des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21
umgehend zu entfernen und zugleich zu erklären, dass in der Zukunft eine solche Plakatwerbung wie auch der Abdruck des Plakats im IHK-
Magazin unterlassen werde. Als Erklärungsfrist wurde der 18.11.2010 gesetzt.
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Am 08.12.2010 hat die Klägerin Feststellungsklage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Die Klage sei zulässig. Das rechtliche Interesse
der Klägerin an der begehrten Feststellung ergebe sich aus der zur Wahrung ihrer Rechte erforderlichen Abgrenzung dessen, was sie als
Pflichtmitglied der Beklagten an Meinungsäußerungen der Körperschaft hinnehmen müsse und was ihre allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne
des Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise beeinträchtige. Die Klage sei auch begründet. Mit der Plakataktion habe die Beklagte den zulässigen
Kammerkompetenzbereich verlassen. Die Klägerin habe einen Anspruch darauf, dass die Kammer bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten
Grenzen einhalte. Nach § 1 Abs. 1 IHKG habe die Kammer die Aufgabe, die Interessen der gewerblichen Wirtschaft der ihnen zugehörigen
Gewerbetreibenden ihres Bezirks zu vertreten. Das Bahnprojekt Stuttgart 21 betreffe keinesfalls unmittelbar spezifisch die gewerbliche Wirtschaft
des Kammerbezirks, also den Kernbereich der Wirtschaftspolitik. Gesetzwidrig sei in jedem Fall partiell die Form der Äußerung der Beklagten zu
S 21. Denn auch wenn der Kompetenzbereich eröffnet sei, sei bei der Form, die die Kammer bei einer Äußerung zu wahren habe, zu beachten,
dass diese als öffentlich-rechtliche Körperschaft nur öffentliche Aufgaben wahrnehme, woraus sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit
im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien ergebe. Die Beklagte müsse stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen
Wirtschaft ausgerichtet sein und dürfe die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und
ausgleichend berücksichtigen. Die Kammern hätten daher als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften das höchstmögliche Maß an
Objektivität walten zu lassen. Dieses Maß an Objektivität sei hier nicht gewahrt. Keine Verwaltungsbehörde und daher auch keine Kammer dürfte
sich mit einem Plakat und dann noch derart einseitig für ein höchst umstrittenes Projekt einsetzen. Ebenso wenig würden Minderheitspositionen
ausreichend gewürdigt und dargestellt. Das Plakat verletze das Gebot abwägender und ausgleichender Interessensermittlung.
Gegenmeinungen würden schlicht unterdrückt bzw. seien nicht im gebotenen Umfang ermittelt worden. Die Äußerung sei auch deshalb
unzulässig, weil sie nicht im gebotenen Umfang von der Kammervollversammlung beschlossen worden sei.
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Die Klägerin beantragt,
5
festzustellen, dass die Erklärung und Stellungnahme zum Bahnprojekt Stuttgart 21 auf dem Plakat am IHK-Gebäude und der Abdruck
des Transparents im IHK-Magazin 10/2010 rechtswidrig sind.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
8
Die Feststellungsklage sei unzulässig, da die begehrte Feststellung bloße Vorfrage zur Ermittlung der Begründetheit eines
Unterlassungsanspruchs sei. Zudem sei die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegenüber der Unterlassungsklage subsidiär.
Etwas anderes habe nur zu gelten, wenn der Feststellungsrechtsschutz effektiver wäre bzw. über das eigentliche Leistungsbegehren hinaus
ginge, was hier nicht der Fall sei.
9
Die Klage sei unbegründet, da die Beklagte mit der streitigen Erklärung nicht den ihr durch § 1 Abs. 1 IHKG zugewiesen Aufgabenbereich
überschreite. Die Befassung der Kammer mit dem Verkehrsprojekt Stuttgart 21 sei thematisch nicht zu beanstanden. Es betreffe zum einen die
Verkehrspolitik, die unmittelbare nachvollziehbare positive Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft des Bezirks der Beklagten habe. Die
verkehrlichen Vorteile seien in einem Positionspapier „Wirtschaftliche Positionen der IHK XXX“, das von der Vollversammlung beschlossen
worden sei, dargestellt worden. Die Vorteile hätten offensichtlich unmittelbare positive Auswirkungen für die Unternehmen im Bezirk der
Beklagten. Die Erreichbarkeit für Kunden und Arbeitnehmer werde verbessert, der Wirtschaftsstandort werde attraktiver. Diese Vorteile würden
mit dem Hinweis „Mehr Tempo“ zusammengefasst. Die städtebaulichen Potenziale für die Stadt Stuttgart ergäben sich daraus, dass frei
werdende Gleisflächen ein Wachstum im Zentrum der Stadt ermöglichten und für die städtebauliche Entwicklung zur Verfügung stünden,
wodurch rund 20.000 Arbeitsplätze und 10.000 Wohnungen entstünden. Diese Vorteile würden auf dem Plakat mit den Worten „Mehr Stadt“ und
„Mehr Jobs“ zusammengefasst. Außerdem würden die kammerzugehörigen Unternehmen von der mehrjährigen Bauphase mittelbar und
unmittelbar profitieren. Betroffen sei sowohl die Verkehrspolitik als auch die Arbeitsmarktpolitik, die den Kernbereich der Arbeit der deutschen
Industrie- und Handelskammern betreffe. Die unmittelbaren Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft müssten sich auch nicht bereits aus der
Äußerung selbst ergeben. Nach dem BVerwG könnten sich die Auswirkungen vielmehr auch aus ihrer Begründung oder ihrem textlichen
Zusammenhang ergeben.
10 Die danach zulässige Stellungnahme sei auch weder unsachlich noch polemisch überspitzt. Es handele sich vielmehr um eine objektive und
sachliche Zusammenfassung der positiven Auswirkungen des Bahnprojekts Stuttgart 21 auf die gewerbliche Wirtschaft im Bezirk der Beklagten.
Da es sich um ein Plakat und nicht etwa um ein politisches Grundsatzpapier handele, müssten Gegenpositionen nicht dargestellt werden. Man
könne auch nicht behaupten, dass Plakataktionen Behörden grundsätzlich verwehrt seien. Diesem Kommunikationsmittel sei vielmehr immanent,
dass nur wenig Text verwendet werden könne und damit eine Fokussierung auf Kernaussagen erforderlich sei. Eine ausführliche
Auseinandersetzung mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 und dem von den Gegnern favorisierten Projekt Kopfbahnhof K 21 finde sich im Übrigen
auf der Homepage der Beklagten. Die Zusammenfassung der Positionen der Beklagten im Plakat verletze nicht das Gebot abwägender und
ausgleichender Interessensermittlung. Die Aufgabenwahrnehmung setze eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen
Gewerbezweige, nicht jedoch eine Auseinandersetzung mit den Belangen und Argumenten anderer Personen oder Interessengruppen, die dem
Kreis der gewerblichen Wirtschaft nicht angehörten, voraus. Die Ermittlung des Gesamtinteresses obliege vornehmlich der Vollversammlung, in
der alle Gewerbezweige vertreten seien. Die Vollversammlung habe sich stets für das Projekt und dessen Unterstützung ausgesprochen. Zudem
sei das Bahnprojekt ein planfestgestelltes Vorhaben, so dass die Forderung, dieses umzusetzen, in jedem Fall die gebotene Objektivität wahre.
Die Vollversammlung habe das Hauptamt der Beklagten mehrfach beauftragt, offensiv für das Projekt Stuttgart 21 zu werben.
11 Dem Gericht liegen die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vor. Hierauf und auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten
verwiesen.
Entscheidungsgründe
12 Die Feststellungsklage ist zulässig (§ 43 VwGO); insbesondere besteht keine Subsidiarität gegenüber einer Unterlassungsklage (ständige
Rechtsprechung des BVerwG: BVerwG, U. v. 19.09.2000 -1 C 29.99 -, BVerwGE 112, 69 = GewArch 2001, 161 u. U. v. 23.06.2010 - 8 C 20.09 -,
NVwZ-RR 2010, 882 = GewArch 2010, 400). Das Feststellungsinteresse der Klägerin resultiert aus der zur Wahrung ihrer Rechte erforderlichen
Abgrenzung dessen, was sie als Pflichtmitglied der Beklagten an Meinungsäußerungen der Körperschaft hinnehmen muss und was ihre
allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise beeinträchtigt.
13 Die danach zulässige Klage ist auch begründet. Die Äußerung auf dem Plakat und seine Anbringung am Gebäude der Geschäftsstelle der
Beklagten und die nachfolgende Veröffentlichung des Plakats in der Mitteilung 10/2010 überschreiten den zulässigen Kompetenzbereich der
Beklagten, so dass die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit hat.
14 Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. u.a. B. v. 19.12.1965 - 1 BvR 541/57 -, BVerfGE 15, 235 u. B. v. 07.12.2001 - 1 BvR 1806/98 -,
GewArch 2002, 111 = NVwZ 2002, 335) ist Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation
Art. 2 Abs. 1 GG. Die Pflichtzugehörigkeit zu einer Industrie- und Handelskammer und der darin liegende Eingriff in das Grundrecht der
Pflichtmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG ist allein durch die im öffentlichen Interesse liegende und deshalb notwendige Wahrnehmung dieser
gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt (vgl. BVerfG, B. v. 19.12.1965 a.a.O.). Die Klägerin als Pflichtmitglied der Beklagten hat danach einen
Anspruch darauf, dass die Beklagte bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen einhält. Die einzuhaltenden Grenzen ergeben sich
aus dem Umfang der der Beklagten gesetzlich zugewiesen Aufgaben. Nach § 1 Abs. 1 IHKG haben die Industrie- und Handelskammern die
Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen
Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu
berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten
sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Die den Kammern gesetzlich zugewiesenen Aufgaben lassen
sich danach nach der Rechtsprechung des BVerwG als die auf den Kammerbezirk bezogene Vertretung der Interessen der gewerblichen
Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Angesichts der Vielzahl der öffentlichen und staatlichen Aufgaben, die die gewerbliche Wirtschaft
berühren, kann eine genaue Abgrenzung nur schwer erfolgen. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind,
ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen
(BVerwG, U. v. 23.06.2010, a.a.O.).
15 Danach betreffen die in dem Plakat enthaltenen Äußerungen zum Schienenbauprojekt Stuttgart 21 den Kompetenzbereich der Beklagten. Durch
das Projekt ist jedenfalls die Verkehrspolitik betroffen, die unmittelbare nachvollziehbare Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft auch der
im Bezirk der Beklagten tätigen Betriebe hat. Ob hierbei der Kernbereich oder lediglich der Randbereich des Kompetenzbereichs betroffen ist,
bedarf keiner weiteren Vertiefung, da sich auf der Stufe der Prüfung, ob sich die Beklagte zu einem Thema äußern darf, aus dieser
Unterscheidung nach der von der Kammer zugrundegelegten Rechtsauffassung des BVerwG ( U. v. 23.06.2010, a.a.O.) keine Einschränkung
ihrer Kompetenz ergibt.
16 Ist danach hier thematisch der Kompetenzbereich der Beklagten eröffnet, hat diese durch die Anbringung des Plakats jedoch, was die Form der
Äußerung betrifft, die gesetzlichen Vorgaben für ein Tätigwerden überschritten. Die rechtlichen Anforderungen an die Form einer Äußerung sind
bei den Industrie- und Handelskammern dadurch bestimmt, dass diese als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben
wahrnehmen; hieraus ergibt sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden oder auch politischen
Parteien. Sie müssen daher stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ihres Kammerbezirks ausgerichtet sein und dürfen die
wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und ausgleichend berücksichtigen. Hierbei müssen sie
das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen, so dass die Äußerungen sachlich sein und die notwendige Zurückhaltung wahren
müssen. Die notwendige Objektivität muss sich nicht nur bei der Formulierung einer Aussage selbst zeigen, diese verlangt - gerade auch bei
besonders strittigen Themen, wozu das Bahnprojekt Stuttgart 21 zweifelsfrei zählt, - auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und
gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, U. v. 23.06.2010 a.a.O.). Die Ermittlung des
Gesamtinteresses selbst obliegt dabei vor allem der Vollversammlung der Beklagten, deren Mitglieder gemäß § 5 IHKG unter Berücksichtigung
der wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks und der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Gewerbegruppen gewählt werden.
Erklärungen und Stellungnahmen sind danach nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande
gekommen sind. Die Pflichtmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Industrie- und Handelskammer ist nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn
die Kammer das durch das vorgesehene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt.
17 Die zustimmende Position der Kammer zum Bahnprojekt Stuttgart 21 ist seit mehreren Jahren durchgängig von den jeweiligen
Vollversammlungen der IHK XXX beschlossen worden, es wurden hierzu verschiedentlich auch Positionspapiere erarbeitet, die von der
Vollversammlung jeweils angenommen wurden. Die Frage, inwieweit Abstimmungsprozesse durch die Vollversammlung angesichts des nicht
sehr hohen Repräsentationsgrades der Pflichtmitglieder hinreichend demokratisch legimitiert sind, bedarf dabei an dieser Stelle keiner
Vertiefung. Bereits in der Vollversammlung vom 07.12.2006 wurde nach dem vorgelegten Protokoll unter TOP 2 „ Bericht des Präsidenten über
Wirtschaftslage und Kammerarbeit“ das Bahnprojekt Stuttgart 21 diskutiert. Danach bestand Einigkeit, dass sich die IHK „weiterhin offensiv für S
21 einsetzt und unter Beteiligung der regionalen Wirtschaft Druck auf Frau Merkel und Herrn Tiefensee ausübt“. In der Vollversammlung vom
02.04.2009 wurde dann ein Papier zu den „Wirtschaftspolitischen Positionen der IHK XXX“ zustimmend zur Kenntnis genommen, in dem auf
Seite 36 auch Stellungnahmen zu Stuttgart 21 enthalten ist. Hier findet sich unter den Rubriken „Wie es ist“, „Wie es sein sollte“ und
„Forderungen“ Ausführungen zu dem Projekt, die mit der Feststellung enden, dass Land, Stadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart und Deutsche
Bahn AG nicht nur die operativen Bauarbeiten schnellstmöglich in Gang setzten müssten, sondern mit einem abgestimmten Konzept in ganz
Baden-Württemberg, mindestens aber in der Region Stuttgart, intensiv für das Projekt werben müssten.“ Auf der der Plakatanbringung zeitlich
vorausgehenden Vollversammlung vom 17.06.2010 wurde dem Entwurf eines verkehrspolitischen Leitbildes mit zwei Enthaltungen zugestimmt,
in dem u.a. unter 5. gefordert wird, planfestgestellte Aus- und Neubauvorhaben umzusetzen.
18 Die Protokolle belegen danach zwar, dass sich die Vollversammlung wiederholt mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 und seinen Auswirkungen
beschäftigt hat; in welchem Maße es dabei eine Auseinandersetzung mit den auch der Geschäftsführung der Beklagten - wie in der mündlichen
Verhandlung eingeräumt - bekannten Gegenpositionen einzelner Mitglieder, wie etwa der Klägerin, gegeben hat, wird aus den Protokollen nicht
ersichtlich. Allerdings finden sich - worauf die Beklagte zutreffend verwiesen hat - auf der Homepage der Beklagten ausführlich eine
Gegenüberstellung und Darstellung sowohl des Projekts Stuttgart 21 als auch der Befürworter des Projektes Kopfbahnhof 21 und eine
Verlinkung etwa auch auf die Vereinigung „Unternehmer gegen Stuttgart 21“, deren Mitglied die Klägerin ist. Ist danach die durch die
Vollversammlung zum Ausdruck gebrachte Zustimmung der Kammer zu dem Bahnprojekt Stuttgart 21 dokumentiert, folgt hieraus gleichwohl
nicht, dass jede Form der Äußerung zu dem Bahnprojekt quasi automatisch durch die Vollversammlungsbeschlüsse hinreichend autorisiert und
von den Pflichtmitgliedern hinzunehmen ist. Hinzu kommt, dass jedenfalls die letzten Vollversammlungen keineswegs zu öffentlichen
Unterstützungsaktionen des Projekts Stuttgart 21 selbst aufgefordert haben. Hier wurde vielmehr jeweils gefordert, dass die Projektträger zur
Umsetzung aufgefordert werden sollen. An die Projektträger richtet sich das Plakat jedoch gerade nicht. Auch die durch die Abstimmungen zum
Ausdruck gebrachte Zustimmung zu dem Projekt Stuttgart 21 selbst, die es einschließt, dass die hierzu berufenen Organe die Zustimmung nach
außen vertreten, befreit die Organe nicht davon, jedenfalls solche Äußerungen zu unterlassen, die das Maß der gebotenen Zurückhaltung
überschreiten. Gerade da ein Plakat - gleichsam wesensimmanent - quasi nur schlagwortartig Positionen darzustellen vermag und Hinweise auf
abweichende - möglicherweise - Minderheitenpositionen nicht eröffnet, ist die „Werbung“ für das Projekt Stuttgart 21 durch das Plakat in dem
gesellschaftspolitischen Umfeld der Stadt Stuttgart eine der Beklagten verwehrte Form der Interessenvertretung in der Öffentlichkeit. Es kann
nämlich gerade nicht davon ausgegangen werden, dass Adressat der Plakataktion allein die Mitglieder der Beklagten sein sollten, worauf die
Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung abgestellt haben. Die Plakatierung wurde vielmehr zu einem Zeitpunkt vorgenommen, als in
der Stadt Stuttgart die Auseinandersetzungen um das Projekt Stuttgart 21 immer größere Kreise zogen und damit das Thema letztlich zunehmend
politisiert wurde. In diesem Klima wirkt das Plakat daher als uneingeschränkte Unterstützung der Befürworter des Projekts. Da auf dem Plakat der
Hinweis auf abweichende Meinungen fehlt, der Beklagten jedoch nach eigenen Angaben bereits vor seiner Anbringung bekannt war, dass
Pflichtmitglieder zum Teil andere Standpunkte einnehmen, ist das Plakat als Meinungsäußerung zu einem äußerst umstrittenen Thema zur
Darstellung der Position der Beklagten ungeeignet. Dabei geht es nicht um eine Bewertung der Aussagen auf dem Plakat und um deren
inhaltliche Richtigkeit, sondern allein um die Wahl des Kommunikationsmittels als solches. Die Klägerin als Pflichtmitglied der Beklagten, die, wie
andere Pflichtmitglieder der Beklagten auch, dem Projekt Stuttgart 21 ablehnend gegenüberstehen, brauchen diese Form der
Kompetenzdarstellung nicht hinzunehmen.
19 Die Kammer weist darauf hin, dass es im vorliegenden Rechtsstreit einzig um die Kompetenzüberschreitung durch ein Plakat geht. Der
Beklagten dürfte es nicht verwehrt sein, in Positionspapieren oder anderen Stellungnahmen differenzierte Äußerungen zu dem Projekt
entsprechend der Beschlusslage der Vollversammlung abzugeben. Ein solcher Sachverhalt lag jedoch gerade der Entscheidung des VG
Karlsruhe im Beschluss vom 14.03.2011 - 9 K 3217/10 - zugrunde.
20 Ist danach die Äußerung mittels eines Plakats an der Gebäudewand nicht hinreichend objektiv und sachlich, ist auch der nachfolgende Abdruck
des Plakats im Inhaltsverzeichnis der Hausmitteilung 10/2010 aus den gleichen Gründen zu beanstanden.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
22
Beschluss vom 07. April 2011
23 Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf
5.000,-- EUR