Urteil des VG Stuttgart vom 08.02.2007
VG Stuttgart (antragsteller, satzung, vorläufiger rechtsschutz, abgrenzung zu, beihilfe, tag, antrag, zusage, pflege, telekommunikation)
VG Stuttgart Beschluß vom 8.2.2007, 18 K 1971/07
vorläufiger Rechtsschutz - Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für dauerhafte häusliche
Behandlungspflege nach der Satzung der Postbeamtenkrankenkasse
Leitsätze
Aufwendungen für dauerhafte häusliche Behandlungspflege sind nach § 38 Abs.1 Sätze 1 bis 3 der Satzung der
Postbeamtenkrankenkasse im Rahmen der Krankenversicherung nicht erstattungsfähig.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 8.100,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Bewilligung höherer Kassenleistungen für die
Intensiv- und Beatmungspflege des Antragstellers durch einen ambulanten Pflegedienst gerichtete Antrag
gemäß § 123 VwGO bleibt ohne Erfolg, denn es liegt kein Anordnungsanspruch vor.
2 Der Antragsteller begehrt eine Erhöhung der von der Antragsgegnerin mit Härtefallentscheidung vom 28.12.2006
(vgl. Blatt 12 der Behördenakten) zugesagten Beihilfe- und Kassenleistungen um 150,-- EUR pro Tag unter
Verzicht auf die vorläufig verfügte zeitliche Befristung auf ein halbes Jahr. Da die Zusage für den bei der
Antragsgegnerin als B1-Mitglied (beihilfeberechtigter Empfänger von Versorgungsbezügen) zu 30 Prozent
krankenversicherten Antragsteller Beihilfe- und Kassenleistungen im Verhältnis von 70 zu 30 Prozent umfasst
und die von der Antragsgegnerin nur im Auftrag der Beihilfestelle der Bundesanstalt für Post und
Telekommunikation festgesetzte Beihilfe gerichtlich nur gegen den (früheren) Dienstherrn des Antragstellers
geltend gemacht werden kann, sind zwischen den Beteiligten vorliegend Kassenleistungen in Höhe von 45,--
EUR pro Tag streitig. In diesem Sinne ist der Antrag des Antragstellers sachdienlich auszulegen. Der
Antragsteller begründet seinen Antrag damit, die Antragsgegnerin sei im Rahmen der Ermessensreduzierung
„auf Null“ verpflichtet, ihm als Härtefallregelung gemäß dem Beschluss 3.1 ihrer Satzung die begehrten
Kassenleistungen zu bewilligen. Diese Verpflichtung besteht jedoch nicht, so dass der Antragsteller keinen
Anordnungsanspruch glaubhaft machen kann.
3 Nach § 38 Abs. 1 der Satzung der Antragsgegnerin sind Aufwendungen für die vorliegend streitige
Behandlungspflege nur im Rahmen einer vorübergehenden häuslichen Krankenpflege erstattungsfähig. Dies
ergibt sich aus der Gesamtschau der Sätze 1 bis 3 des § 38 Abs. 1 der Satzung. Insbesondere dessen Satz 3
stellt dar, dass auch die Behandlungspflege nur bei einem vorübergehenden krankheitsbedingten Bedarf einen
Anspruch auf Kassenleistungen begründet, wobei die für den Antragsteller einschlägige Leistungsordnung B der
Satzung in Nr. 8 einen erstattungsfähigen Höchstsatz bestimmt, der seit 01.05.2005 3.347,04 EUR beträgt.
Diese Satzungsbestimmung entspricht damit der beihilferechtlichen Regelung in § 6 Nr. 7 der
Beihilfevorschriften des Bundes (BhV). Da der Antragsteller nach seinen von der Antragsgegnerin nicht
bestrittenen Angaben dauerhaft auf Intensiv-Behandlungspflege angewiesen ist, ist der Bereich der gemäß § 38
Abs. 1 der Satzung der Antragsgegnerin noch von Kassenleistungen erfassten „vorübergehenden“
Krankenpflege überschritten. Beim Antragsteller liegt deshalb Pflegebedürftigkeit vor (vgl. insoweit auch die
identische Abgrenzung in § 9 Abs. 2 BhV, der bei einer Behandlungsbedürftigkeit von voraussichtlich
mindestens 6 Monaten in Abgrenzung zu der vorübergehenden häuslichen Krankheitspflege im Sinne von § 6
Abs. 1 Nr. 7 BhV dauernde Pflegebedürftigkeit feststellt, für die Aufwendungen nur im Rahmen der in § 9 Abs. 3
ff. BhV geregelten Pflegehöchstbeträge beihilfefähig sind). Obwohl danach Krankenversicherungsleistungen
nach der Satzung nicht in Betracht kommen, hat die Antragsgegnerin im Wege eines Härtefallbeschlusses des
Vorstands (Beschluss 3.1 der Satzung) Kassenleistungen zugesagt, die sich zusammen mit der im Auftrag der
Bundesanstalt für Post und Telekommunikation zugesagten ausnahmsweisen Beihilfeanerkennung (vgl. das
Schreiben der Bundesanstalt an die Antragsgegnerin vom 05.12.2006, Blatt 11 der Behördenakten) auf 570,--
EUR pro Tag abzüglich der aus Beihilfe und privater Pflegeversicherung zustehenden Pflegeleistungen von
40,45 EUR/Tag belaufen. Über diese freiwillige Zusage hinaus ist die Antragsgegnerin zu weiteren
Kassenleistungen nicht verpflichtet.
4 Es kann offen bleiben, ob die in Beschluss 3.1 der Satzung enthaltene Ermächtigung an den Vorstand,
Härtefallentscheidungen zu treffen, dem betroffenen Mitglied überhaupt einen Rechtsanspruch auf
Ermessensgebrauch eröffnet (offen gelassen auch von VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.03.1996 -
4 S 2188/95 -). Denn die Antragsgegnerin hat mit der Versagung der Gewährung weiterer Kassenleistungen an
den Antragsteller nach Ermessensgrundsätzen fehlerfrei entschieden. Die aus Beihilfe- und Kassenleistungen
bestehende Zusage deckt den Tagessatz ab, der bei der bisherigen stationären Krankenhausbehandlung des
Antragstellers entstanden ist, und soll nach den Ausführungen im Schreiben der Antragsgegnerin vom
28.12.2006 bis zu der angekündigten weiteren Überprüfung nach einem halben Jahr dem Antragsteller bzw.
dessen Angehörigen die Möglichkeit einräumen, alternative kostengünstigere Pflegemaßnahmen zu prüfen. Der
Antragsteller kann nicht verlangen, dass sich die Zusage der Antragsgegnerin an dem Tagessatz von 720,--
EUR orientiert, den er derzeit für die häusliche 24 Stunden-Pflege an einen mobilen Pflegedienst bezahlt. Er
lässt dabei bereits außer acht, dass es sich in seinem Fall auf Grund der dauerhaften Intensivpflegebedürftigkeit
nicht mehr um Leistungen handelt, die vom satzungsgemäßen Krankenversicherungsverhältnis mit der
Antragsgegnerin umfasst werden. Die Antragsgegnerin hätte ihn deshalb ermessensfehlerfrei auf die
betragsmäßig deutlich niedriger liegenden Leistungen der Pflegeversicherung verweisen und eine
Härtefallregelung nach Beschluss 3.1 der Satzung ablehnen können. Zu Unrecht beruft er sich insoweit auf eine
Lebensgefährdung bei Verweigerung höherer Kassenleistungen. Sofern die dauerhafte Intensiv- und
Beatmungspflege des Antragstellers durch Leistungen der Pflegeversicherung in Verbindung mit
Beihilfeleistungen und unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers
sowie etwaiger Unterhaltsverpflichtungen der nahen Angehörigen nicht ausreichen, hat der Antragsteller einen
sozialhilferechtlichen Anspruch auf Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII. Ob er im Rahmen der Sozialhilfe
Anspruch auf die derzeit durchgeführte häusliche Intensivpflege durch den mobilen Pflegedienst hätte oder sich
auf eine stationäre Pflege verweisen lassen müsste, wäre im Verhältnis gegenüber dem Sozialhilfeträger zu
klären. Die Antragsgegnerin jedenfalls ist nicht verpflichtet, im Rahmen des Krankenversicherungsverhältnisses
Kassenleistungen zu gewähren, die dem Antragsteller dauerhaft die derzeitige kostenintensive häusliche Pflege
ermöglicht. Dies ist - wie ausgeführt - nicht Gegenstand des von der Antragsgegnerin zu gewährleistenden
Krankenversicherungsschutzes.
5 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
6 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. In Anwendung des in Nr. 10.4 des Streitwertkatalogs für
die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 geregelten beamtenrechtlichen Teilstatus geht die Kammer für das
Hauptsacheverfahren von dem zweifachen Jahresbetrag des streitigen Differenzbetrages aus (vgl. BVerwG,
Beschlüsse vom 07.04.2005 - 2 KSt 1.05 -, Juris, und Beschluss vom 13.09.1999 - 2 B 53.99 -, NVWZ-RR
2000, 176; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.11.2006 - 4 S 1803/05 -, Juris) und hält im
vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs ein Viertel des
Hauptsachestreitwerts für angemessen. Bei der streitigen Differenz an Kassenleistungen von 45,-- EUR/Tag und
unter Zugrundelegung von 30 Tagen pro Monat folgt hieraus ein Streitwert in Höhe von 8.100,-- EUR.