Urteil des VG Stuttgart vom 25.10.2012
VG Stuttgart: änderung der tatsächlichen verhältnisse, umwandlung, kundenkreis, zumutbarkeit, erhaltung, erneuerung, vergleich, alkoholausschank, tatsachenfeststellung, einfluss
VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 25.10.2012, 8 S 869/12
Leitsätze
1. Eine Nutzungsänderung i. S. des § 29 Abs. 1 BauGB kann auch vorliegen, wenn die neue
Nutzung ebenso wie die bisher genehmigte Nutzung als kerngebietstypische Vergnügungsstätte
zu bewerten ist.
2. Die Umwandlung einer "Spielhalle" zu einer "Spielhalle mit Billardcafé" ist eine
Nutzungsänderung i. S. des § 29 Abs. 1 BauGB.
Tenor
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom
20. März 2012 - 6 K 1922/11 - zuzulassen, wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der rechtzeitig gestellte und begründete sowie auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die
Berufung ist aus den in der Antragsbegründung dargelegten - und allein maßgebenden (§
124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) - Gründen nicht zuzulassen.
2 Die Klägerin betreibt im Erdgeschoss des Gebäudes ... ... in ... eine baurechtlich
genehmigte Spielhalle auf einer Grundfläche von ca. 246 m
2
. Mit Bauantrag vom
30.06.2010 begehrte sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Umwandlung der
Spielhalle "zu einer Spielhalle und einem Billardcafé mit einer gemeinsamen Aufsicht".
Nach den Bauvorlagen soll eine Teilfläche der bisherigen Spielhalle als Billardcafé mit
zwei Billardtischen, zwanzig Sitzplätzen an vier Besuchertischen und fünf Thekenplätzen
auf 119,48 m
2
Nutzfläche eingerichtet sowie zwischen Billardcafé und verbleibender
Spielhalle auf 163,34 m
2
Nutzfläche eine gemeinsame Aufsicht eingerichtet werden. Da
die Beklagte über den Bauantrag nicht entschied, erhob die Klägerin Untätigkeitsklage mit
dem Antrag, die Beklagte zur Erteilung der am 30.06.2010 beantragten Baugenehmigung
zu verpflichten. Das angefochtene Urteil weist diese Klage mit der Begründung ab, die
genehmigungspflichtige Nutzungsänderung habe ein einheitliches Vorhaben aus (Rest-
)Spielhalle und Billardcafé zum Gegenstand. Dieses Vorhaben sei nicht
genehmigungsfähig, weil es nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO unzulässig sei.
Die Nutzungsänderung sei ein Vorhaben i. S. des § 29 Abs. 1 BauGB. Ihre
bodenrechtliche Relevanz folge daraus, dass die neue Nutzung die Variationsbreite des
bisherigen Nutzung überschreite. Denn durch das Billardcafé mit Alkoholausschank
ändere sich der Kundenkreis, das Nutzungsspektrum werde deutlich erweitert und die
neue Nutzung könnte nach § 15 Abs. 1 BauNVO unzulässig sein. Die Nutzungsänderung
sei nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO unzulässig, weil die Eigenart der
näheren Umgebung einem Mischgebiet entspreche, in dem ein Vorhaben dieser Art
unzulässig sei. Denn die mit einem Billardcafé kombinierte Spielhalle sei eine
kerngebietstypische Vergnügungsstätte. Auch die frühere Spielhalle hätte als
kerngebietstypische Vergnügungsstätte nicht genehmigt werden dürfen.
3 Aus den in der Antragsbegründung dargelegten Gründen bestehen keine ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zweifel
dieser Art sind zwar immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender
Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen
Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.09.2009
- 1 BvR 814/09 - NJW 2009, 3642 m.w.N.). Das ist nach der Antragsbegründung aber nicht
der Fall.
4 Die Klägerin legt dar, zwar sei den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, Spielhalle
und Billardcafé stellten ein einheitliches Vorhaben und als solches eine
kerngebietstypische Vergnügungsstätte dar, nicht zu widersprechen. Diese Bewertung
müsse aber beim Vergleich mit der bisher genehmigten Nutzung zu dem Ergebnis führen,
dass vorher wie nachher eine kerngebietstypische Spielhalle und damit keine
bodenrechtlich relevante Nutzungsänderung i. S. des § 29 Abs. 1 BauGB vorliege. Dieser
Einwand begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils.
5 Eine Nutzungsänderung i. S. des § 29 Abs. 1 BauGB liegt vor, wenn die Variationsbreite
der genehmigten Nutzung verlassen wird und dadurch bodenrechtliche Belange neu
berührt werden können (BVerwG, Urteile vom 18.05.1990 - 4 C 49.89 - NVwZ 1991, 264
und vom 18.11.2010 - 4 C 10.09 - NVwZ 2011, 269 ff.; Beschlüsse vom 14.04.2000 - 4 B
28.00 - juris Rn. 6 und vom 07.11.2002 - 4 B 64.02 - BRS 66 Nr. 70). Die Variationsbreite
einer genehmigten Nutzung wird überschritten, wenn das bisher charakteristische
Nutzungsspektrum erweitert wird (BVerwG, Urteil vom 27.08.1998 - 4 C 5.98 - Buchholz
406.11 § 34 BauGB Nr. 190 S. 64). Bodenrechtliche Belange können berührt sein, wenn
der neuen Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität zukommt
(BVerwG, Beschluss vom 14.04.2000, a.a.O.), für die neue Nutzung weitergehende
bodenrechtliche Vorschriften gelten als für die alte oder wenn sich die Zulässigkeit der
neuen Nutzung zwar nach derselben bodenrechtlichen Vorschrift bestimmt, nach dieser
Vorschrift aber anders zu beurteilen sein kann als die frühere Nutzung (BVerwG, Urteil
vom 14.01.1993 - 4 C 19.90 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155 S. 80), oder wenn die
geänderte Nutzung für die Nachbarschaft erhöhte Belastungen mit sich bringt (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 07.01.2002, a.a.O.). Keine Nutzungsänderung i. S. des § 29 Abs.
1 BauGB ist die bloße Intensivierung der Nutzung durch Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse ohne Einfluss des Bauherrn (BVerwG, Urteil vom 29.10.1998 - 4 C 9.97 -
NVwZ 1999, 417; Beschluss vom 11.07.2001 - 4 B 36.01 - BRS 64 Nr. 73).
6 Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht zu Recht von einer Nutzungsänderung i. S.
des § 29 Abs. 1 BauGB ausgegangen. Die Umwandlung einer "Spielhalle" zu einer
"Spielhalle mit Billardcafé" ist eine Nutzungsänderung i. S. des § 29 Abs. 1 BauGB.
7 Gegenstand des Bauantrags ist, wie die Klägerin selbst einräumt, nicht allein die - mit
geringen baulichen Änderungen einhergehende - Einrichtung und der Betrieb eines
Billardcafés als selbständige Hauptnutzung im Erdgeschoss des Gebäudes ... ..., sondern
die Umwandlung der bislang genehmigten Nutzung des gesamten Erdgeschosses von
einer "Spielhalle" zu einer "Spielhalle mit Billardcafé" als Gesamtvorhaben. Die
Verwirklichung dieser Umwandlung verlässt die Variationsbreite der bisher genehmigten
Nutzung als Spielhalle, auch wenn die Gesamtfläche des Vorhabens unverändert bleibt.
Denn das bisher allein durch den Spielbetrieb charakterisierte Nutzungsspektrum wird
durch den neu integrierten gastronomischen Betriebsteil des Billardcafés erweitert. Das
Billardcafé ermöglicht nach den - von der Klägerin nicht bestrittenen - Feststellungen des
Verwaltungsgerichts zudem erstmals den Ausschank alkoholischer Getränke. Damit
ändert sich die konkrete Nutzungsart, und zwar selbst dann, wenn das Billardcafé als
solches nicht als Schank- und Speisewirtschaft i. S. der Baunutzungsverordnung, sondern
ebenfalls als Vergnügungsstätte zu bewerten sein sollte (vgl. dazu VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 18.09.1991 - 3 S 1644/91 - VBlBW 1992, 101 m.w.N., juris Rn.
19). Mit ihrem Einwand, es liege nach wie vor eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte
vor, übersieht die Klägerin, dass Gegenstand der ihr bislang erteilten Baugenehmigung
nicht irgendeine abstrakte "kerngebietstypische Vergnügungsstätte", sondern ein im
zugrunde liegenden Bauantrag nach Art und Umfang konkret bezeichnetes Vorhaben mit
entsprechend begrenztem Nutzungsspektrum ist. Eine Nutzungsänderung i. S. des § 29
BauGB kann deshalb auch vorliegen, wenn die neue Nutzung ebenso wie die bislang
genehmigte Nutzung als Vergnügungsstätte zu bewerten ist, die wegen ihrer
Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in einem Kerngebiet allgemein zulässig ist
(vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.09.2012 - 3 S 2236/11 - juris).
8 Die Umwandlung der "Spielhalle" zu einer "Spielhalle mit Billardcafé" kann auch
bodenrechtliche Belange neu berühren, selbst wenn sich die Zulässigkeit der neuen
Nutzung nach denselben bodenrechtlichen Vorschriften (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 6,
15 BauNVO, § 31 BauGB) bestimmt. Der hinzutretende gastronomische Betriebsteil
vermittelt der neuen Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität.
Die mit dem gastronomischen Angebot erhöhte Attraktivität der Spielhalle kann einen
größeren und anderen Kundenkreis ansprechen, was sich insbesondere auf die
Immissionslage für die Nachbarschaft oder die städtebauliche Eigenart des Baugebiets
auswirken kann. Dadurch können allgemeine Anforderungen an gesunde
Wohnverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB) oder Belange der Erhaltung, Erneuerung und
Fortentwicklung vorhandener Ortsteile (§ 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB) anders als zuvor betroffen
sein. Auch kann die Vereinbarkeit der gewerblichen Nutzung mit der Eigenart des
konkreten Baugebiets oder die Zumutbarkeit des gewerblichen Störpotentials für die
nähere Umgebung nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO anders zu beurteilen sein.
II.
9 Die Klägerin trägt als Antragstellerin die Kosten des erfolglosen Zulassungsverfahrens (§
154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht
auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG (entsprechend der
Wertfestsetzung im ersten Rechtszug).
10 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).