Urteil des VG Stuttgart vom 05.03.2009
VG Stuttgart (aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, wohnung, wirkung, antragsteller, häusliche gewalt, öffentliche sicherheit, begründung, vollziehung, antrag)
VG Stuttgart Beschluß vom 5.3.2009, 5 K 756/09
Bestimmtheitserfordernis einer Wohnungsverweisung mit Aufenthaltsverbot
Leitsätze
1. Die verschiedenen Standardmaßnahmen nach § 27a Abs. 1 bis Abs. 3 PolG (Platzverweis, Aufenthaltsverbot,
Wohnungsverweis, Rückkehr- und Annäherungsverbot) ermöglichen wegen unterschiedlichen
Rechtsvoraussetzungen und Rechtsfolgen keine undifferenzierte Kombination mehrerer Maßnahmen.
2. Der räumlich-gegenständliche Bereich eines Aufenthaltsverbots (§ 27a Abs. 2 S. 1 PolG) erstreckt sich nicht
auf die Wohnung samt unmittelbar angrenzendem Bereich. Eine als „Aufenthaltsverbot“ verfügte Maßnahme, die
ein Anwesen (Gebäude) unter Angabe der Straße und Hausnummer konkretisiert, in dem der Betroffene wohnt,
kann bei entsprechendem Regelungswillen auch einen Wohnungsverweis (§ 27a Abs. 3 S. 1 PolG) und ein
Rückkehrverbot (§ 27a Abs. 3 S. 2 PolG) beinhalten.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
27.02.2009 wird bezüglich der Nr. 1 des Bescheids wiederhergestellt und hinsichtlich der Nr. 4 angeordnet. Im
Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der am 02.03.2009 gestellte Antrag, „die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers und
einer eventuellen nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 27.2.2009...
wieder herzustellen“ (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers v. 02.03.2009), ist bei
sachdienlicher Auslegung (§§ 88 und 86 Abs. 3 VwGO) darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen das Aufenthaltsverbot in Nr. 1 des Bescheids sowie gegen das Annäherungsverbot in Nr.
2 des Bescheids wiederherzustellen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO) und gegen die Androhung
eines Zwangsgelds in Höhe von 500,00 EUR in Nr. 4 des Bescheids anzuordnen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3,
Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 12 LVwVG).
2
Der Antrag ist unzulässig, soweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen
das Annäherungsverbot (Nr. 2 des Bescheids) erstrebt wird. Insoweit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Der
Widerspruch entfaltet nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Die Antragsgegnerin hat in Nr. 3 des
Bescheids lediglich hinsichtlich des Aufenthaltsverbots (Nr. 1 des Bescheids) die sofortige Vollziehung
angeordnet. Dass für den Antragsteller gleichwohl auch insoweit das Bedürfnis für eine gerichtliche
Entscheidung besteht - etwa wegen Missachtung der kraft Gesetzes eingetretenen aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs (sogenannte faktische Vollziehung, vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v.
Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 80 Rn. 115) - ist weder ersichtlich noch vom Antragsteller geltend gemacht worden.
3
Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wieder herstellen bzw. anordnen. Bei der
Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angegriffenen
Bescheids verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an einer sofortigen Durchsetzung des
Bescheids abzuwägen. Diese Abwägung führt hier zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller einstweiliger
Rechtsschutz zu gewähren ist. Ausschlaggebend hierfür ist, dass das verfügte Aufenthaltsverbot bei der im
vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach-
und Rechtslage rechtswidrig sein dürfte, weswegen der Widerspruch des Antragstellers insoweit erfolgreich
sein wird.
4
Die rechtliche Prüfung der polizeirechtlichen Ermessensentscheidung wird bereits dadurch erschwert, weil der
angefochtene Bescheid schon nicht in der gebotenen Klarheit verdeutlicht, auf welcher
Ermächtigungsgrundlage das bis zum 12.03.2009, 16:00 Uhr, verfügte Verbot, „das Anwesen R. Straße … in
… S. incl. aller zum Gebäude gehörenden Flächen und Nebenanlagen (Grundstück, Garagen, Stellplätze,
Grünflächen usw.) sowie den Gehweg vor dem Gebäude“ zu betreten bzw. sich dort nicht aufzuhalten, beruht.
Er enthält vor den Entscheidungssätzen (Nrn. 1 - 4) die Paragrafenkette „§§ 4, 5, 6, 7, 27 a, 49, 50, 84 a
Polizeigesetz (PolG)“. Ferner wird auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sowie auf die §§ 2, 18, 19, 20, 23 und 24
LVwVG hingewiesen. Im Rahmen der Begründung des Bescheids wird ohne Erwähnung dieser Paragrafen der
Gesetzestext zum Aufenthaltsverbot, zur Wohnungsverweisung und zum Rückkehrverbot schlicht
aneinandergereiht, ohne den konkreten Lebenssachverhalt den generell-abstrakten Obersätzen zuzuordnen und
im Wege einer Subsumtion den logischen Schluss zu ziehen, welche konkrete Rechtsfolge für den
tatsächlichen Lebenssachverhalt gilt (vgl. Büchner/Joerger/Trockels/Vondung, Übungen zum Verwaltungsrecht
und zur Bescheidtechnik, 4. Aufl., Rn. 33 f.).
5
Das verfügte „Aufenthaltsverbot“ hat aufgrund des am 22.11.2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung
des Polizeigesetzes vom 18.11.2008 (GBl. S. 390) seine Grundlage in § 27 a Abs. 2 Satz 1 PolG. Hiernach
kann die Polizei einer Person verbieten, einen bestimmten Ort, ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer
Gemeinde oder ein Gemeindegebiet zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Das
Aufenthaltsverbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu
beschränken und darf räumlich nicht den Zugang zur Wohnung der betroffenen Person umfassen (§ 27 a Abs.
2 Satz 2 PolG). Es darf die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten (§ 27 a Abs. 2 Satz 3 PolG). Das im
Entscheidungssatz Nr. 1 erlassene und ausdrücklich als solches bezeichnete Aufenthaltsverbot umfasst das
Anwesen R. Straße …. Vom Begriff „Anwesen“ soll ersichtlich auch die Wohnung des Antragstellers im
Gebäude R. Straße … umfasst sein. Ein dahingehender Regelungswille der Antragsgegnerin wird bereits darin
erkennbar, dass das Anwesen alle zum Gebäude gehörenden Flächen und Nebenanlagen (Grundstück,
Garagen, Stellplätze, Grünflächen usw.) mit einschließen soll („incl.“). In der Begründung wird auch
ausdrücklich die zeitlich begrenzte Wohnungsverweisung erwähnt. Würdigt man ihren Regelungswillen unter
Hinzuziehung der rechtlichen Ausführungen in der Begründung zielt der Bescheid deshalb darauf ab, gegenüber
dem Antragsteller sowohl eine Wohnungsverweisung als auch ein räumlich auf die Wohnung bezogenes
Rückkehrverbot zu verfügen (§ 27 a Abs. 3 Satz 1 und 2 Alt. 1 PolG). Es werden dabei allerdings
Aufenthaltsverbot, Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot, die unterschiedliche Rechtsvoraussetzungen
und -folgen haben, undifferenziert zusammengefasst bzw. vermischt. Dies ist aber nach der gesetzlichen
Konzeption des § 27 a Abs. 2 und 3 PolG nicht möglich. Denkbar ist eine Kombination der verschiedenen
Maßnahmen nach § 27 a PolG. Dann aber sind sowohl von den Rechtsvoraussetzungen als auch vom
Regelungsbereich her, die Institute vielmehr voneinander abzugrenzen und getrennt zu begründen. Das
Aufenthaltsverbot knüpft an die Begehung von Straftaten an und schließt die Wohnung (samt unmittelbar
angrenzenden Bereich) und deren Zugang gerade aus. Für den Wohnungsverweis und das Rückkehrverbot
gelten wiederum qualifizierte Voraussetzungen. Mit all diesen Fragen setzt sich der Bescheid nicht
ansatzweise auseinander. Die Voraussetzungen sowohl für das Aufenthaltsverbot (ohne Wohnung des
Antragstellers) als auch der Wohnungsverweis samt Rückkehrverbot in die Wohnung des Antragstellers sind im
Bescheid nicht ausreichend dargelegt. Bezüglich des Aufenthaltsverbots fehlt es an der Wiedergabe eines
Lebenssachverhalts, aus dem darauf geschlossen werden könnte, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen,
dass der Antragsteller im räumlich-gegenständlichen Bereich des Aufenthaltsverbots (außerhalb der Wohnung
des Antragstellers) im Anwesen R. Straße … eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird (§ 27
a Abs. 2 Satz 1 PolG). Anlass für die mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Maßnahmen war nach der
Begründung der Vorfall am Abend des 26.02.2009, der die nach dem Bescheid achtzehn Jahre alte und damit
volljährige Stieftochter T. des Antragstellers betraf. Die im Wege der Auslegung des Bescheids des Weiteren
verfügte Wohnungsverweisung samt Rückkehrverbot in die Wohnung setzt voraus, dass die für einen
Wohnungsverweis notwendige unmittelbar bevorstehende erhebliche Gefahr für eine andere Bewohnerin oder
einen anderen Bewohner dieser Wohnung (verletzte oder bedrohte Person) nach Verlassen der Wohnung
fortbesteht (§ 27 a Abs. 3 Sätze 1 und 2 PolG). Hierzu führt der Bescheid nichts Konkretes aus. Er knüpft
zeitlich an den vom Polizeivollzugsdienst - Polizeipräsidium … (Polizeirevier …) - ausweislich des
„Vorkommnisberichts: Gewalt im häuslichen Bereich“ (Blatt 13 der Akten der Antragsgegnerin) wohl nach § 27
a Abs. 4 Satz 1 PolG gemäß § 27 a Abs. 3 Satz 1 PolG verfügten Wohnungsverweis an (um einen
Platzverweis i.S.d. § 27 a Abs. 1 PolG, welcher nur ausnahmsweise auch die Anordnung der vorübergehenden
Entfernung aus einer Wohnung mit umfassen dürfte, handelt es sich hier aller Voraussicht nach nicht, vgl. LT-
Drs., a.a.O. S. 66).
6
Der angefochtene Bescheid wurde ohne Anhörung des Antragstellers erlassen und am 27.02.2009 zunächst
um 16:10 Uhr seinem Prozessbevollmächtigten und eine gute Stunde später (17:15 Uhr) auch dem
Antragsteller selbst ausgehändigt (Blatt 21 der Akten der Antragsgegnerin). Ob die vom Antragsteller mit dem
Widerspruch vom 02.03.2009 gegen den Bescheid vorgebrachten Gründe stichhaltig sind (insoweit wäre eine
rechtswidrig unterbliebene Anhörung geheilt, vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LVwVfG), kann hier offen bleiben
und muss gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Aus dem Bescheid selbst
erschließt sich jedenfalls nicht eine den Wohnungsverweis und ein Rückkehrverbot rechtfertigende erhebliche
Gefahr im zuvor bereits näher ausgeführten Sinne. Soweit der Bescheid ausführt, in der Vergangenheit seien
bereits mehrere „Vorfälle häusliche Gewalt“ mit der Ehefrau des Antragstellers polizeibekannt geworden, unter
denen, laut Angaben der Polizei, insbesondere die Kinder schwer litten, fehlt es an einer konkreten Darstellung
der einzelnen Vorfälle in zeitlicher Hinsicht sowie in Bezug auf das Gewicht der Ereignisse, was eine
Spezifizierung der jeweils verletzten Rechtsgüter erfordert, zumal es sich bei einem Rückkehrverbot in die
Wohnung um einen gewichtigen Grundrechtseingriff (Art. 13 GG) handelt. Im Übrigen offenbaren die Berichte
des Polizeipräsidiums … der letzten Monate (v. 21.09.2008, 07.01.2009, 12.01.2009, Blatt 13 der Akten der
Antragsgegnerin) keine Anwendung körperlicher Gewalt des Antragstellers gegenüber seiner Ehefrau; es
handelt sich offensichtlich um verbale Auseinandersetzungen zwischen den beiden während des
Scheidungsverfahrens. Soweit es zwischen den Eheleuten vor dem Jahr 2008 zur Anwendung körperlicher
Gewalt gekommen ist, ging diese bei dem Ereignis vom 23.08.2005 nach dem polizeilichen Bericht vom selben
Tag von der Ehefrau des Antragstellers aus; er war das Opfer. Und bei dem Vorfall vom 01.12.2006 kam es
zwischen den Eheleuten - beide waren stark alkoholisiert - zu wechselseitigen Körperverletzungen. Fraglich
erscheint des Weiteren, ob, soweit die Antragsgegnerin auf das Kindeswohl abstellt (bezüglich der zehnjährigen
Y. und des zweijährigen A.) dieser Belang die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Gefahr
für die öffentliche Sicherheit begründet.
7
Sofern der Bescheid auch darauf abzielen sollte, der nach der Darstellung im Bescheid durch das Ereignis vom
26.02.2009 geschädigten volljährigen Stieftochter T. einen gewissen Zeitraum zur Ergreifung zivilgerichtlicher
Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3513) gegen den Antragsteller zu
ermöglichen, wäre dieser Zeitraum mit der heute bereits verflossenen Zeit von einer Woche seit dem vom
Polizeivollzug am 26.02.2009 mündlich verfügten Wohnungsverweis inzwischen wohl verstrichen. Für die von
der Antragsgegnerin ausgeschöpfte Frist von höchstens zwei Wochen (§ 27 a Abs. 4 Satz 1 PolG) für
Maßnahmen nach § 27 a Abs. 3 PolG fehlt es überdies an einer ausreichenden Begründung, zumal diese an
mehreren Stellen des Bescheids (S. 2 unten und S. 3 oben) nicht individuell erfolgt ist, sondern den Kreis der
zu schützenden Personen mit der Verwendung textbausteinmäßiger Ausdrücke („der/s Geschädigten“, „ihr/m“,
„Person/en“) umschrieben wird. Gleiches gilt im Übrigen hinsichtlich des ersten Absatzes der Begründung der
sofortigen Vollziehung („die/den Geschädigte/n“).
8
Durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen das in Nr. 1 des Bescheids
verfügte Aufenthaltsverbot entfällt dessen sofortige Vollziehbarkeit und damit die allgemeine
Vollstreckungsvoraussetzung nach § 2 Nr. 2 LVwVG, weswegen auch die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 500,00 EUR (Nr. 4 des angefochtenen
Bescheids) anzuordnen ist (§ 12 Satz 2 LVwVG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit die Androhung eines
Zwangsgelds auch einen Verstoß gegen das in Nr. 2 des Bescheids verfügte Annäherungsverbot umfasst (was
die Worte „diese Verfügung“ in Nr. 4 des Bescheids an sich zum Ausdruck bringt), liegen auch insoweit die
allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des § 2 LVwVG nicht vor. Das Annährungsverbot in Nr. 2 des
Bescheids ist weder unanfechtbar noch entfällt mangels einer diesbezüglichen Anordnung der sofortigen
Vollziehung die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs.
9
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
10 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1
GKG, wobei mit der Hälfte des Auffangwerts für das Hauptsacheverfahren berücksichtigt ist, dass Gegenstand
des vorliegenden Verfahrens lediglich die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist.