Urteil des VG Stuttgart vom 23.04.2013
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VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 23.4.2013, 4 S 439/13
Leitsätze
Wird in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Konkurrentenstreit im Rahmen einer
Beförderungsrunde die Auswahl einer Vielzahl von Bewerbern aus allgemeinen strukturellen,
das Auswahlverfahren betreffenden Gründen angegriffen, ist als Obergrenze des Streitwerts der
nach § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG zu berechnende Wert anzunehmen
(Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung im Beschluss vom 12.04.2011 - 4 S 353/11 -, NVwZ-
RR 2011, 909).
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Festsetzung des Streitwerts im Beschluss des
Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11. Februar 2013 - 1 K 3551/12 - wird verworfen.
Die Streitwertfestsetzung im genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe wird von
Amts wegen geändert. Der Streitwert des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht wird auf
26.800,93 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Senat entscheidet in der Besetzung von drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und
nicht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Die für eine Einzelrichterentscheidung
des Senats erforderliche Voraussetzung der § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG,
nach welcher bereits die angefochtene Streitwertentscheidung von einem Einzelrichter
erlassen worden sein muss, ist im vorliegenden Fall, in welchem der Berichterstatter nach §
87a Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 3 VwGO über den Streitwert entschieden hat, nicht erfüllt. Denn
unter einem „Einzelrichter“, wie ihn § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG ausdrücklich verlangt, ist im
Anwendungsbereich der Verwaltungsgerichtsordnung dem eindeutigen Wortlaut dieser
Vorschrift entsprechend allein ein Einzelrichter im Sinne des § 6 VwGO zu verstehen
(Senatsbeschluss vom 17.09.2010 - 4 S 2070/10 -, NVwZ-RR 2010, 942 m.w.N.).
2 Die ausdrücklich „namens und mit Vollmacht des Antragstellers“ erhobene Beschwerde, mit
der eine Erhöhung des vom Verwaltungsgericht auf 5.000,-- EUR festgesetzten Streitwerts
auf 13.400,43 EUR erstrebt wird, ist unzulässig. Für die begehrte Erhöhung des Streitwerts
fehlt es dem Antragsteller am Rechtsschutzbedürfnis. Er hat kein schutzwürdiges Interesse
daran, dass die nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 11.02.2013 allein
kostentragungspflichtige Antragsgegnerin höhere Verfahrenskosten trägt. Durch eine zu
niedrige Streitwertfestsetzung könnte der Antragsteller allenfalls dann beschwert sein, wenn
er mit seinem Prozessbevollmächtigten eine höhere als die gesetzliche Vergütung
vereinbart hätte (§ 3a RVG; vgl. dazu Senatsbeschluss vom 17.09.2010, a.a.O.; OVG
Lüneburg, Beschluss vom 24.05.2011 - 10 OA 32/11 -, Juris m.w.N.). Das Vorliegen einer
derartigen Vereinbarung ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich.
3 Der Senat macht indes von seiner Befugnis nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG Gebrauch, den
Streitwert von Amts wegen zu ändern. Nach dieser Vorschrift kann die Festsetzung von
dem Gericht, das sie getroffen hat, und, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder
wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung
in der Rechtsmittelinstanz schwebt, von dem Rechtsmittelgericht von Amts wegen geändert
werden. Bei einer Streitwertbeschwerde „schwebt“ das Verfahren „wegen der Entscheidung
über den Streitwert“ in der Rechtmittelinstanz, d.h. es ist dort anhängig. Dies gilt auch für
eine Beschwerde, die unzulässig ist. Denn eine Einschränkung dahingehend, dass das
Rechtsmittelgericht die Wertfestsetzung der unteren Instanz nur aufgrund eines zulässigen
Rechtsmittels von Amts wegen ändern könnte, lässt sich weder dem Wortlaut der Norm
noch deren Systematik oder Sinn und Zweck entnehmen (Senatsbeschlüsse vom
23.09.2011 - 4 S 2179/11 - und vom 22.06.2009 - 4 S 1080/09 - m.w.N.; OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 02.08.2011 - 1 E 684/11 -, Juris; Niedersächsisches OVG,
Beschluss vom 14.10.2011 - 13 OA 196/11 -, Juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom
05.10.2007 - 5 E 191/07 -, DÖV 2008, 735; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom
22.08.2012 - 4 O 144/12 -; a.A. OVG Hamburg, Beschluss vom 07.12.2009 - 5 So 192/09 -,
Juris).
4 Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, in Verfahren der vorliegenden Art, in denen
der Antragsteller die einstweilige Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs
erstrebt, auf den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zurückzugreifen und ihn wegen der
besonderen Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes in diesen Verfahren ungekürzt zu
lassen. Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht die Verleihung eines anderen
statusrechtlichen oder abstrakt-funktionellen Amts mit höherem Endgrundgehalt, sondern
(nur) die vorläufige Verhinderung der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle(n) mit
(einem) ausgewählten Konkurrenten zur Sicherung des Rechts des Antragstellers auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung des Dienstherrn über seine Bewerbung. Die Bedeutung
dieses Rechtsschutzziels - wie auch des Bewerbungsverfahrensanspruchs selbst - erreicht
nicht den für ein Beförderungsbegehren anzusetzenden Wert (vgl. zuletzt Beschluss vom
22.04.2013 - 4 S 321/13 - m.w.N.).
5 Ebenso hält der Senat daran fest, dass der Streitwert grundsätzlich in Abhängigkeit von der
Zahl der im Streit befindlichen Stellen, deren Besetzung mit dem Rechtsschutzverfahren
verhindert werden soll, zu bemessen und deshalb der Auffangstreitwert von 5.000,-- EUR
für jede dieser Stellen nach § 39 Abs. 1 GKG zu addieren ist (Senatsbeschluss vom
12.04.2011 - 4 S 353/11 -, NVwZ-RR 2011, 909; ebenso OVG Niedersachsen, Beschluss
vom 04.01.2013 - 5 OA 290/12 -, IÖD 2013, 30). Nachdem der Antrag im erstinstanzlichen
Verfahren auf die Freihaltung von sieben Stellen gerichtet war, ergäbe sich hier ein
Streitwert von 35.000,-- EUR.
6 Im Hinblick auf die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG
in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) darf jedoch der Umstand, dass eine
Auswahlentscheidung zugunsten einer Vielzahl von Bewerbern - wie hier - aus
allgemeinen strukturellen, das Auswahlverfahren betreffenden Gründen angegriffen wird,
zum einen nicht zu einer solchen Verteuerung des Rechtsstreits führen, dass diese
abschreckende Wirkung entfalten könnte (vgl. zum Erfordernis verfassungskonformer
Handhabung von Kostenregelungen BVerfG, Beschluss vom 12.02.1992 - 1 BvL 1/89 -,
BVerfGE 85, 337 und Kammerbeschluss vom 16.11.1999 - 1 BvR 1821/94 -, NJW-RR 2000,
946). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass das Ziel des bei einer
Auswahlentscheidung übergangenen Bewerbers letztlich dahin geht, selbst ausgewählt
und ernannt zu werden. Darin spiegelt sich die maximale wirtschaftliche Bedeutung des
Rechtsstreits für den Antragsteller wider. In Fortentwicklung der genannten
Senatsrechtsprechung ist daher (jedenfalls) in Fällen wie dem vorliegenden, in denen im
Rahmen einer Beförderungsrunde die Auswahl einer Vielzahl von Bewerbern aus
allgemeinen strukturellen, das Auswahlverfahren betreffenden Gründen angegriffen wird
(hier mit Einwänden gegen das von der Antragsgegnerin praktizierte
Beförderungsranglistensystem als solches), als Obergrenze des - wie dargelegt ermittelten -
Streitwerts grundsätzlich der nach § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG zu
berechnende Wert anzunehmen. Danach ist hier als Streitwert (Obergrenze) der ungekürzte
6,5-fache Betrag des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 12 zum Zeitpunkt der
Antragstellung (§ 40 GKG) in Höhe von 26.800,93 EUR (6,5 x 4.123,22 EUR) zugrunde zu
legen.
7 Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Beschwerdeverfahren
gerichtsgebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 68 Abs. 3 GKG).
8 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).