Urteil des VG Stuttgart vom 08.03.2010
VG Stuttgart (bundesrepublik deutschland, aufschiebende wirkung, verfügung, somalia, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, deutschland, wirkung, reisepass, öffentliches interesse, kenia)
VG Stuttgart Beschluß vom 8.3.2010, 11 K 67/10
Leitsätze
Die Reise einer Bundesbürgerin auf eigene Faust und uneskortiert nach Somalia gefährdet erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland, da
mit einer nahezu 100%-igen Entführungswahrscheinlichkeit gerechnet werden muss.
In einem solchen Fall kommen passbeschränkende Maßnahmen nach § 8 PassG in Betracht.
Dabei hat die Passbehörde das Übermaßverbot aus § 7 Abs. 2 PassG im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten.
Genügt es, die Gültigkeit des Reisepasses hinsichtlich einzelner Länder zu beschränken (hier: "Cordon sanitaire" an Ländern um Somalia herum),
so ist eine völlige Passentziehung (teilweise) rechtswidrig.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 07. Januar 2010 gegen Ziffer 3.) Satz 1 der Verfügung der Antragsgegnerin
vom 04. Januar 2010 wird wiederhergestellt, soweit dort mehr an passbeschränkenden Maßnahmen verfügt ist, als eine Beschränkung des
Geltungsbereichs hinsichtlich der Länder Somalia, Kenia, Äthiopien, Eritrea, Djibuti und Jemen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin zu je 1/2.
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Verfügung der Antragsgegnerin, mit der unter Anordnung
der sofortigen Vollziehung ihr Reisepass entzogen wurde.
2
Die Antragstellerin war Ende November 2009 durch die kenianische Spezialpolizei ATU (Anti-Terror-Unit) in dem ostafrikanischen Land
festgenommen und anschließend nach Deutschland abgeschoben worden. Nach Ansicht der Sicherheitskräfte war sie im Begriff nach Somalia
weiterzureisen um dort Kontakt zu der radikal-islamischen Miliz Al-Shabaab, der enge Verbindung zu Al Kaida nachgesagt werden,
aufzunehmen. Die kenianischen Behörden informierten den Verbindungsbeamten des BKA in Nairobi/Kenia, dem Gelegenheit zu einem
Gespräch mit der Antragstellerin gegeben wurde und der hierüber in zwei umfangreichen Aktenvermerken nach Deutschland berichtete.
Nachdem die Antragstellerin Mitte Dezember von Kenia nach Deutschland abgeschoben worden war, äußerte sie gegenüber dem BKA-
Verbindungsbeamten am Flughafen Frankfurt/Main, sobald als möglich erneut aufbrechen zu wollen.
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Mit (erster) Verfügung vom 21.12.2009 entzog daraufhin die Antragsgegnerin den Reisepass der Antragstellerin. Diesen Bescheid hob die
Antragsgegnerin mit Verfügung vom 04.01.2010 zwar wieder auf, entzog darin den Reisepass der Antragstellerin aber erneut, ordnete die
sofortige Vollziehung an und drohte ihr für den Fall, dass sie den Reisepass nicht freiwillig vorlegt, Zwangsgeld oder gar Zwangshaft an. Die
Antragsgegnerin legte insoweit fristgerecht Widerspruch ein. Zugleich wandte sie sich an das Verwaltungsgericht mit dem Ziel, vorläufigen
Rechtsschutz zu erhalten.
II.
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1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 07.01.2010 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 04.01.2010
anzuordnen, ist zulässig. Mit dieser Verfügung hat die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziff. 4) den Reisepass der
Antragstellerin entzogen (Ziff. 3 Satz 1), seine Vorlage bei der Stadtverwaltung angeordnet (Ziff. 3 Satz 2), für den Fall der Nichtbefolgung
Zwangsmittel wie Zwangsgeld und Zwangshaft angedroht (Ziff. 5) und die Sicherstellung dieses Reisepasses angekündigt (Ziff. 6). Soweit in Ziff.
2 dieser Verfügung zusätzlich von einer Passversagung die Rede ist, kommt dem kein eigener Regelungsgehalt zu. Die Antragstellerin hat
keinen Reisepass beantragt und auch nicht die Verlängerung eines solchen begehrt. Für eine Versagungsentscheidung gemäß § 7 Abs. 1
PassG ist daher kein Raum. Die Antragsgegnerin hat diesen Zusatz offenkundig nur deshalb in die Verfügung aufgenommen, um darauf
hinzuweisen, dass die Passentziehungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 PassG auf das Vorliegen der Versagungsgründe des § 7 Abs. 1 PassG
gestützt wird, wie es auch das Gesetz anordnet.
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Durch die angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der Passentziehung ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsstellerin nach
§ 80 Abs. 1 VwGO suspendiert worden. Hiergegen ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel, diese Wirkung wiederherzustellen,
statthaft. Weiter sind die daneben verfügten Zwangsmittelandrohungen in Ziff. 5 der streitgegenständlichen Verfügungen der Antragsgegnerin
vom 04.01.2010 eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung. Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 12 LVwVG kommt dem Rechtsbehelf
gegen eine solche Maßnahme keine aufschiebende Wirkung zu. Der Antrag, diese Wirkung auch insoweit gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
anzuordnen, ist daher ebenfalls statthaft.
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Schließlich handelt es sich bei der angekündigten Sicherstellung in Ziff. 6 der Verfügung noch nicht um eine Regelung, die auf unmittelbare
Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine solche wäre erst die Sicherstellung selbst, die als selbständiger Verwaltungsakt mit gesetzlich
angeordnetem Sofortvollzug (§ 14 PassG) zu qualifizieren ist (Süßmuth/Koch, Pass- und Personalausweisrecht, 4. Aufl., § 13 PassG Rz 5). Die
hier vorliegende Ankündigung erscheint auch nicht von vorneherein unhaltbar, da nach der Beschränkung des Geltungsbereichs (dazu sogleich
unten) die Eintragung „Für alle Länder“ in diesem Reisepass jedenfalls unzutreffend ist, dieser Pass damit nach § 11 Nr. 2, 2. Alternative PassG
ungültig ist, er deshalb gemäß § 12 Abs. 1 PassG der Einziehung unterliegt und daher gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 PassG sichergestellt werden
könnte. Jedenfalls aber ist die Sicherstellung des Reisepasses der Antragstellerin bisher erst angekündigt, so dass weder der Widerspruch vom
07.01.2010 noch der vorliegende Eilantrag diese Maßnahme mit umfassen kann.
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2. Der so zu verstehende Antrag ist aber nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
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a) Allerdings unterliegt nicht bereits der von der Antragsgegnerin angeordnete Sofortvollzug für sich genommen rechtlichen Bedenken. Nachdem
der Gesetzgeber in § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO bestimmt hat, dass Widerspruch und Klage selbst gegen erkennbar rechtmäßige Verfügungen
aufschiebende Wirkung haben, verlangt § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 3 S. 1 VwGO ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung
einer sofortigen Vollziehung. Wäre ein solches besonderes Interesse nicht zu erkennen, so wäre in der Tat der Wegfall der aufschiebenden
Wirkung des Rechtsbehelfs nicht gerechtfertigt und diese Wirkung müsste allein deshalb entsprechend dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 S. 1
VwGO vom Gericht wiederhergestellt werden (vgl. eingehend VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.03.1997 - 13 S 1132/96 - mit zahlreichen w. N.).
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Wie von § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO gefordert, hat die Antragsgegnerin aber in ihrer Verfügung vom 04.01.2010 das besondere öffentliche Interesse
am angeordneten Sofortvollzug (gerade noch) ausreichend schriftlich begründet (S. 6 d. Verf.). Soweit dort darauf abgestellt wird, dass
angesichts der Angaben der Antragstellerin, bald wieder in das besagte Gebiet reisen zu wollen, nicht auf die Rechtskraft der Verfügung gewartet
werden konnte, liegt dies auf der Hand und stellt grundsätzlich einen ausreichenden Grund dar, ausnahmsweise die sofortige Vollziehung einer
entsprechenden passbeschränkenden Verfügung anzuordnen.
10 b) Führt nicht schon die Prüfung des angeordneten Sofortvollzuges in der Verfügung der Antragsgegnerin zu einem Erfolg des vorliegenden
Antrags, so ist weitergehender Maßstab der gerichtlichen Entscheidung, eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der
von der Antragsgegnerin angeordneten sofortigen Vollziehung ihrer Verfügung und dem privaten Interesse der Antragstellerin, von diesen
Folgen einstweilen verschont zu bleiben. Hierbei sind zunächst die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen
(entsprechende Anwendung des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO).
11 Diese - summarische - Prüfung führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass lediglich teilweise Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Verfügung bestehen.
12 Grundsätzlich kann ein Reisepass gemäß § 8 PassG entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die eine Passversagung nach § 7 Abs.
1 PassG rechtfertigen würden. Ein Passversagungsgrund nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 - 10 PassG scheidet nach Lage der Dinge erkennbar aus.
Insbesondere wirft auch die Antragsgegnerin der Antragstellerin nicht vor, im Ausland eine schwere staatsgefährdende Straftat (§ 89 a StGB)
vorbereiten zu wollen (§ 7 Abs. 1 Nr. 10 PassG).
13 Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG - dessen Anwendung daher nach Lage der Dinge allein in Betracht kommt - ist erforderlich, dass bestimmte
Tatsachen die Annahme begründen, dass der Betroffene die innere oder äußere Sicherheit oder aber sonstige erhebliche Belange der
Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
14 Eine Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit durch die Antragstellerin ist derzeit nicht ersichtlich. Der Einzelrichter hat insoweit in einem
mit Beschluss vom 27.01.2010 den Beteiligten gemäß § 106 Satz 2 VwGO unterbreiteten Vergleichsvorschlag ausgeführt:
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„Allerdings ist - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - ein irgendwie gearteter terroristischer Kontext eher nicht zu erkennen, so dass etwa
die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 PassG oder nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG in der Variante Gefährdung der inneren oder
äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eher nicht vorliegen dürften. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen,
insbesondere der Stellungnahmen des BKA-Verbindungsbeamten in Nairobi/Kenia, fand sich bei der Antragstellerin anlässlich ihrer
Festnahme in Kenia nichts, was auf eine unmittelbare Beteiligung im Rahmen eines bewaffneten Kampfes islamistischer Extremisten
hindeutete. Soweit auf ihrem Laptop offenbar Bilder von Osama Bin Laden, seinem Stellvertreter Al Sawahiri und anderen führenden Al
Quaida-Aktivisten enthalten waren, spricht dies für eine mangelnde Distanz - mehr aber auch nicht. Den ebenfalls dort enthaltenen
Kartenausschnitten von London und Mombasa, sowie zwei weiteren Orten, kann insoweit ebenfalls nichts hinreichend Konkretes
entnommen werden.
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Damit bleiben für eine entsprechende Einschätzung der Behörden allein die in der Stellungnahme des BKA-Verbindungsbeamten
genannten Kontakte der Antragstellerin zu Islamisten in Kenia. Den leiten die kenianischen Sicherheitskräfte offenbar daraus her, dass
die Antragstellerin in Mombasa im „Hotel ... ...“ untergekommen sei und dies ein Zentrum für islamistischen Extremismus sei. In dem
Aktenvermerk des BKA heißt es insoweit, laut Einschätzung der (Kenianischen) ATU komme man in diesem Hotel nur mit Beziehungen
oder entsprechenden Vorinformationen unter; es sei ausgeschlossen, dass ein Tourist dort absteigt.
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Diese Einschätzung, die ganz offensichtlich als tragender Gesichtspunkt in die gesamte behördliche Behandlung dieses Falles
eingeflossen ist, konnte durch den Berichterstatter nicht bestätigt werden. Das entsprechende Hotel im Stadtteil ... in Mombasa ist im
Internet mit 22 Bewertungen zu finden. Namentlich im Portal „www.....com“ sind zahlreiche Bewertungen, teilweise aus allerneuester
Zeit, enthalten, die ganz offenkundig von Touristen stammen und sich etwa mit der Sauberkeit des Hotels, dem Lärm, der Jazz-Musik auf
der Terrasse und dem Bestand der Bar befassen.
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Die in das Verfahren eingeflossene Annahme der Verbindung der Antragstellerin zum islamistischen Umfeld, gar mit terroristischen
Bezügen, lässt sich so derzeit jedenfalls nicht darstellen.
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Damit bleibt für behördliche Maßnahmen nach dem Passgesetz wohl nur der Gesichtspunkt, dass die Antragstellerin, als sie von
kenianischen Sicherheitskräften festgenommen wurde, wenige Kilometer von der kenianisch-somalischen Grenze entfernt offenbar im
Begriff war, nach Somalia einzureisen. Dass die Antragstellerin mit den dort herrschenden islamistischen Milizen möglicherweise
sympathisiert, erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dürfte aber für die Annahme, sie habe sich dort etwa dem terroristischen Kampf
anschließen wollen, nicht ausreichen. Nach den vorliegenden Unterlagen ist ebenso wahrscheinlich, dass die Antragstellerin, wie sie es
selbst stets vorträgt, lediglich ihre wirtschaftswissenschaftliche Theorie zu einem gewaltlosen Kampf gegen das westliche
Wirtschaftssystem dort propagieren wollte.“
20 Daran hält der Einzelrichter weiter fest.
21 In Betracht kommt danach nur die Prüfung, ob die Verwendung des Reisepasses durch Ausreise der Antragstellerin (sonstige) erhebliche
Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden würde. Dies ist zu bejahen.
22 Unter sonstigen erheblichen Belangen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. PassG sind solche Interessen zu
verstehen, die den beiden anderen Tatbestandsmerkmalen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG (innere oder äußere Sicherheit) in ihrer Gewichtigkeit
zwar nicht gleichstehen, aber jedenfalls doch nahe kommen (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.01.1957, BVerfGE 6, 32 ff.; BVerwG, Urt. v. 29.08.1968 - I C
67.67 - DÖV 1969, 74 und Beschl. v. 17.09.1998 - 1 B 28/98 - Buchholz 402.00 § 7 PassG Nr. 1). Die Frage, ob und mit welchem Gewicht durch
die Ausreise eines deutschen Staatsangehörigen in ein anderes Land erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden,
unterliegt dabei uneingeschränkt der richterlichen Überprüfung (vgl. VGH Ba.-Wü., Urt. v. 07.12.2004 - 1 S 2218/03 -, zit. n.
23 Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen zunächst einmal für die Feststellung einer angenommenen Gefährdung ''bestimmte Tatsachen''
sprechen. Unter Anwendung der Grundsätze zur sog „Anscheinsgefahr“ (vgl. VGH Ba.-Wü., Urt. v. 07.12.2004 a.a.O.) ist es hierbei entscheidend,
ob der handelnde Beamte aus der Ex-ante-Sicht mit Blick auf die ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Informationen aufgrund hinreichender
Anhaltspunkte vom Vorliegen einer Gefährdung ausgehen konnte und diese Prognose dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen
Amtswalters entspricht (vgl. VGH Ba.-Wü., Urt. v. 07.12.2004 a.a.O. und Urt. v. 22.7.2004 - 1 S 410/03 -, Urteil vom 10.5.1990 - 5 S 1842/89 -,
VBlBW 1990, 469, 470 f. und Beschluss vom 16.10.1990 - 8 S 2087/90 -, NVwZ 1991, 493; Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg,
5. Aufl., § 1 RdNr. 34; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 5. Aufl., RdNr. 424). Im Rahmen der summarischen
Prüfung der Erfolgsaussichten ist zwar nicht zu erkennen, dass der von den Sicherheitsbehörden angenommene terroristische bzw. islamistische
Kontext besteht (vgl. oben).
24 Vorliegend dürfte nach Lage der Dinge aber jedenfalls feststehen, dass die Antragstellerin in Begriff war, auf eigene Faust und uneskortiert nach
Somalia einzureisen, als sie von kenianischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Dies ergibt sich zum einen schon aus der geografischen
Situation. Der Festnahmeort Liboi liegt nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt, außerhalb jedes touristischen Zieles. Im übrigen hat die
Antragstellerin diese Absicht auch stets eingeräumt und zuletzt im laufenden Verfahren vorgetragen, sie wolle so schnell als möglich nach dort,
und zwar in eine von der Al-Shabaab kontrollierte Region.
25 Desweiteren ist allgemeinkundig, dass in Somalia aktuell immer wieder westliche Ausländer gekidnappt werden. So heißt es in einer unter dem
28.06.2008 ins Internet eingestellten Pressemitteilung von RP-Online: „Die Reihe der Entführungen in Somalia nimmt kein Ende. Islamistische
Rebellen haben am Samstagmorgen zwei ausländische Mitarbeiter der Vereinten Nationen gekidnappt. Dabei handelt es sich offenbar um einen
Dänen und einen Schweden. Allein in der vergangenen Woche wurden bis zu fünf Menschen in Somalia entführt.“ In der ebenfalls im Internet
veröffentlichten „Somalia-Chronik“ von November 2009 der AG Friedensforschung an der Universität Kassel wird berichtet, „Zwei deutsche
Journalisten der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau sind am 2. Nov. auf einem Flug von Puntland nach Dschibuti nur knapp
einer Entführung entgangen. Beide hatten in Puntland über Piraten recherchiert. Die beiden Entführer haben laut des somalischen
Rundfunksenders Radio Garowe Verbindungen zur islamistischen Al-Shabaab-Miliz.“ Auch in einer zugleich von mehreren
Nachrichtenagenturen unter dem 10.11.2008 ins Internet gestellten Meldung über die Entführung von zwei Ordensfrauen (allerdings von
kenianischem Staatsgebiet in Richtung Somalia) heißt es, „In den letzten Monaten häufen sich Morde oder Entführungen von humanitären
Helfern aus dem Ausland in Somalia: Entführungen gelten als lukratives Geschäft, bei dem sowohl unabhängige Banden als auch „Shabaab“-
Milizen mitmischen. In den meisten Fällen kommen die Entführten nach Zahlung eines Lösegeldes wieder frei. In den Händen somalischer
Entführer sind derzeit noch eine japanische Ärztin, eine holländische Mitarbeiterin der Bewegung „Médicins du Monde“, zwei ausländische
Journalisten – und jetzt die beiden Ordensfrauen (afp/reuter/repubblica/misna 10.11.2008)“.
26 Schließlich lautet auch die aktuell vom Auswärtigen Amt offiziell veröffentlichte Reisewarnung zu Somalia „Vor Reisen nach Somalia und in die
Gewässer vor Somalia wird eindringlich gewarnt. Deutschen Staatsangehörigen wird dringend geraten, das Land zu verlassen. In ganz Somalia
besteht für westliche Staatsangehörige ein sehr hohes Entführungsrisiko.“
27 Durch die somit konkret zu befürchtende Entführung der Antragstellerin, wenn diese sich erneut auf eigene Faust und uneskortiert nach Somalia
begibt, stünde die Bundesrepublik ersichtlich in der Gefahr, entweder Lösegeldzahlungen leisten oder anderweitig Erpressungen nachgeben zu
müssen. Damit würden erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Soweit namentlich in der Literatur (Süßmuth/Koch,
a.a.O., § 7 Rz. 14) dezidiert die Auffassung vertreten wird, das Mittel der Passversagung dürfe als Mittel zur Verhinderung von Entführungen nicht
angewandt werden, vermag sich der Einzelrichter dem nicht anzuschließen.
28 Richtig ist allerdings, dass durch eine solche passbeschränkende Maßnahme in schwerwiegender Weise jedenfalls in das durch Art. 2 Abs. 1 GG
gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Ausreisefreiheit eingegriffen wird (vgl. VGH Ba.-Wü. Urt. v. 07.12.2004 a.a.O). In Ausfüllung des
unbestimmten Rechtsbegriffs der erheblichen Belange der Bundesrepublik Deutschland ist von Verfassungs wegen daher zu fordern, dass nicht
jedes unerwünschte Ergebnis im Falle der Reise eines Deutschen ins Ausland sogleich zum „Disziplinierungsmittel“ passbeschränkender
Maßnahmen nach §§ 7 Abs. 1, 8 PassG gemacht wird. So muss bereits an das Merkmal der Bestimmtheit der zugrundeliegenden Tatsachen
i.S.v. § 7 Abs. 1 PassG erhebliche Anforderungen gestellt werden. Es genügt keineswegs, wenn es in dem fraglichen Gebiet immer einmal
wieder zu Entführungen kommt (vgl. etwa die Republik Jemen). So liegt der Fall aber nicht. Ausweislich der vorliegenden Meldungen und der
Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (vgl. oben) muss von einer nahezu 100%-igen Entführungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Im
Falle Somalias beschränken sich derartige Entführungen auch nicht darauf, von den Entführten selbst und gegebenenfalls von Angehörigen oder
Freunden Freikaufsummen zu erpressen. Vielmehr richten sich Lösegeldforderungen zumeist gegen die Herkunftsstaaten. Damit steht die
Bundesrepublik Deutschland selbst in der Gefahr zum Opfer einer Nötigung von Verfassungsorganen (§ 105 Abs. 1 StGB) zu werden. Gerade
hierin läge aber eine Gefährdung erheblicher Belange i.S.v. § 7 Abs. 1 PassG.
29 Damit liegen die Voraussetzungen für passbeschränkende Maßnahmen vor.
30 Das Gericht lässt ausdrücklich dahinstehen, ob dies auch insoweit gilt, als die Antragsgegnerin vorträgt, mit ihrer angegriffenen Verfügung auch
das Leben der Antragstellerin selbst schützen zu wollen. Dass passbeschränkende Maßnahmen zur Verhinderung einer Eigengefährdung des
Betreffenden eingesetzt werden dürfen, erscheint zumindest fraglich.
31 Steht damit fest, dass gegen die Antragstellerin Anordnungen nach § 8 PassG getroffen werden konnten, so ergeben sich im konkreten Fall
gleichwohl - jedenfalls teilweise - Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung. Im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 PassG handelt es sich
bei § 8 PassG um eine sog „Kann-Vorschrift“, d.h. die Maßnahme liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Dabei hat die Behörde - wegen
des dieser Maßnahme innewohnenden Grundrechtseingriffs (vgl. oben) - das sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende
Übermaßverbot des § 7 Abs. 2 PassG auch insoweit zu beachten (Süßmuth/Koch, a.a.O., § 8 Rz. 2). Insbesondere eine (volle) Passentziehung
hat daher zu unterbleiben, wenn die (nachträgliche) Beschränkung des Geltungsbereichs ausreicht (Süßmuth/Koch a.a.O. und § 7 Rz. 27). So
liegt es hier. Um die Gefahr einer Nötigung von Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland nach einer Entführung der Antragstellerin
in Somalia zu unterbinden, genügen solche passbeschränkende Maßnahmen, die ausreichend verhindern, dass sich die Antragstellerin auf
eigene Faust und uneskortiert nach Somalia begibt. Wegen der derzeitigen Unerreichbarkeit Somalias auf dem direkten Luftweg genügt es
daher, einen „Cordon sanitaire“ an Ländern um Somalia herum zu bestimmen, für die der Reisepass der Antragstellerin keine Gültigkeit besitzt.
Damit werden entsprechende Reiseabsichten der Antragstellerin ausreichend wirksam unterbunden. Dem trägt die im Tenor getroffene
Regelung Rechnung.
32 In Ausübung seines in § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO normierten Ermessens, im Falle der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung umfassende Nebenbestimmungen zu treffen, hat das Gericht darauf verzichtet, dem Antrag der Antragstellerin in vollem Umfang
stattzugeben und der Antragsgegnerin in den Entscheidungsgründen die Möglichkeit einer Beschränkung des Geltungsbereichs des
Reisepasses lediglich aufzuzeigen. Denn diese beiden Maßnahmen stehen in einem natürlichen Stufenverhältnis. Die (völlige) Passentziehung
stellt die Beschränkung des Geltungsbereichs dieses Passes hinsichtlich aller Länder der Erde dar. Die teilweise Beschränkung, nur hinsichtlich
einzelner Länder, ist daher lediglich eine graduelle Unterscheidung und von dem behördlichen Anordnungswillen grundsätzlich mit gewollt.
Insoweit, also hinsichtlich der Länder Somalia, Kenia, Äthiopien, Eritrea, Djibuti und Jemen, bleibt die beschränkende Verfügung der
Antragsgegnerin vom 04.01.2010 daher vollziehbar.
33 Damit ist die Antragstellerin auch verpflichtet, ihren Pass zur Vornahme der entsprechenden Eintragungen unverzüglich vorzulegen (Ziff. 3 Satz 2
der angegriffenen Verfügung). Diese Pflicht kann grundsätzlich mit Mitteln des Verwaltungszwanges durchgesetzt werden (Süßmuth/Koch, a.a.O.,
§ 8 Rz. 5). Die Androhung von Zwangsgeld und Zwangshaft nach den §§ 2 Abs. 1, 18 ff. LVwVG in der angegriffenen Verfügung ist daher nicht zu
beanstanden. Rechtliche Bedenken insoweit sind weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass auch insoweit der Antrag der Antragstellerin
abgewiesen werden musste.
34 Die Kostenentscheidung folgt § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG. Im Hinblick auf die
unmittelbare Wirkung der Verfügung kam eine Reduzierung des Streitwertes nicht in Betracht.