Urteil des VG Stuttgart vom 17.09.2013

VG Stuttgart: befreiung, kreis, ermessen, niedersachsen, ausnahme, bier

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 17.9.2013, 3 S 1727/13
Leitsätze
Zu den Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
können auch Beschlüsse in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gehören. Das ist
der Fall, sofern in einem solchen Verfahren eine materiell-rechtliche Frage nicht nur summarisch
geprüft, sondern abschließend beantwortet wird.
Tenor
Auf Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe
vom 3. Juli 2013 - 6 K 331/12 - zugelassen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung über die Berufung vorbehalten.
Gründe
1 Der u. a. auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gestützte Antrag ist
begründet. Wie der Kläger hinreichend dargelegt hat, weicht das angefochtene Urteil von
dem in der Begründung des Antrags bezeichneten Beschluss des Senats vom 16.2.1987 - 3
S 261/87 - (VBlBW 1987, 342) ab.
2 1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die von dem beklagten Land zugelassene
Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Halberstung" sei rechtmäßig, da
es sich bei dem Kraftfahrzeughandel der Beigeladenen um einen „sonstigen nicht
störenden Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO handele, der nach
dieser Vorschrift in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zugelassen werden
könne. Zwar sei eine gewerbliche Nutzung außerhalb des Wohngebäudes grundsätzlich
als gebietsunverträgliche Störung des Wohnens anzusehen und könne in der Regel zu
einer Störung der Wohnruhe führen. Jedoch handele es sich bei dem von der Beigeladenen
geplanten Autohandel um eine atypische, von dem branchenüblichen Erscheinungsbild
abweichende Betriebsform, so dass sich eine typisierende Betrachtungsweise gerade
verbiete. Das steht der im Beschluss des Senats vom 16.2.1987 geäußerten Auffassung
entgegen, der Betrieb eines Kraftfahrzeughandels sei in einem allgemeinen Wohngebiet
typischerweise unzulässig, weil er nicht dem Typus der dort (allgemein oder
ausnahmsweise) zulässigen Gewerbebetriebe entspreche und in der Regel Störungen für
die Wohnruhe mit sich bringen könne. Für atypische, die Wohnruhe in einem allgemeinen
Wohngebiet im Einzelfall nicht oder zumindest nicht nennenswert störende Nutzungen
erfolge die Korrektur der Typisierung durch Anwendung des § 31 Abs. 2 BBauG (nunmehr §
31 Abs. 2 BauGB), was bedeute, dass solche Nutzungen nur im Wege der Befreiung
zugelassen werden könnten.
3 2. Der Umstand, dass die zitierte Entscheidung des Senats nicht in einem
Hauptsacheverfahren, sondern in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
ergangen ist, steht der Zulassung der Berufung nicht entgegen. Zwar findet im Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig nur eine kursorische, „summarische“ Prüfung
der Rechtslage statt, weshalb es in diesen Verfahren in der Regel an einer „Entscheidung“
über eine Rechtsfrage fehlen wird. Etwas anderes gilt jedoch in Fällen, in denen eine
materiell-rechtliche Frage nicht nur summarisch geprüft, sondern abschließend entschieden
wird (OVG Niedersachsen, Beschl. v. 2.2.1998 - 12 L 194/98 - DVBl 1998, 491; Meyer-
Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124 Rn. 40; Seibert in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 124 Rn. 168; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 124 Rn.
12). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Senat hat mit den zitierten Sätzen nicht nur eine
erste, vorläufige Einschätzung der Rechtslage vorgenommen, sondern zur Anwendung des
§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO auf Kraftfahrzeughandelsbetriebe abschließend Stellung
genommen. Die von ihm getroffene Entscheidung ist damit als „divergenzfähig“ anzusehen.
4 3. Das angefochtene Urteil beruht auch auf der aufgezeigten Abweichung. Das gilt
unabhängig von der Frage, ob die Voraussetzungen, unter denen § 31 Abs. 2 BauGB die
Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gestattet, im
vorliegenden Fall gegeben sind. § 31 Abs. 2 BauGB stellt die Erteilung einer Befreiung
beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in das Ermessen der Behörde. Über
die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Halberstung"
kann deshalb nur vom Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis als der zuständigen
Baurechtsbehörde befunden werden.
5 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).