Urteil des VG Stuttgart vom 15.01.2013

VG Stuttgart: aufschiebende wirkung, bad, gebäude, vollziehung, antenne, betrug, verwaltungsgerichtsbarkeit, grundstück, funkanlage, nachbar

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 15.1.2013, 3 S 2259/12
Leitsätze
Bei der Berechnung der erforderlichen Abstandsfläche vor der Außenwand des Gitternetzturms
einer Mobilfunkanlage ist zu dessen Wandhöhe die Höhe einer aufgesetzten zweiastigen
Gabelantenne aus rund 5 cm dicken Rohren nicht hinzuzurechnen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe
vom 29. Oktober 2012 - 5 K 2192/12 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der fristgerecht eingelegten (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründeten (§ 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO) sowie inhaltlich den Mindestanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO
entsprechenden Beschwerde des Antragstellers fehlt inzwischen - nach Aufmontieren der
Antennenanlage auf den Funkmast des Beigeladenen und deren Inbetriebnahme - das
Rechtsschutzbedürfnis. Denn wenn sich ein Nachbar ausschließlich gegen die von einer
genehmigten baulichen Anlage als solcher ausgehenden Beeinträchtigungen wendet,
nicht aber gegen deren bestimmungsgemäße Nutzung, ist sein Begehren auf Erlangung
vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes mangels fortbestehenden
Rechtsschutzbedürfnisses seit Fertigstellung des Rohbaus unzulässig (so auch VGH
Bad.-Württ., Beschluss vom 20.08.2009 - 8 S 1573/09 -; Beschluss vom 12.01.2005 - 8 S
2720/04 -, BauR 2005, 1762; Beschluss vom 15.02.1990 - 3 S 2/90 -, juris ; OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2006 - OVG 10 S 21.05 -, juris). Etwas anderes ergibt
sich im vorliegenden Fall auch nicht aus § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, wonach das Gericht
die Aufhebung der Vollziehung anordnen kann, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung schon vollzogen ist. Dabei kann offen bleiben, ob die
Ausnutzung des angefochtenen Verwaltungsakts durch den Begünstigten - hier den
Bauherrn - einer „Vollziehung“ gleichzusetzen ist (so etwa Schoch, in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn. 344; a.A. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.02.1984
- 5 S 38/84 -, NVwZ 1984, 451; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rn. 92).
Denn hier fehlt es an einem § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO entsprechenden Antrag, wobei
ohnehin fraglich ist, welchen konkreten Inhalt dieser haben könnte, insbesondere, ob im
Tenor eines stattgebenden Beschlusses dem Beigeladenen Pflichten auferlegt werden
könnten.
2 Die Beschwerde bleibt aber auch in der Sache ohne Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht
hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des
Antragstellers vom 23.08.2012 gegen die dem Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte
Baugenehmigung vom 19.06.2012 - betreffend die Errichtung eines Stahlgittermastes mit
Funkanlage BOS - anzuordnen. Unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren
dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu
beschränken hat, überwiegen das öffentliche Interesse und das Interesse des
Beigeladenen an der Ausnutzung der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren
Baugenehmigung (§ 212a BauGB) das gegenläufige Interesse des Antragstellers,
vorläufig vom Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung verschont zu bleiben.
3 Im Beschwerdeverfahren streitig geblieben ist zwischen den Beteiligten lediglich noch, ob
die bauliche Anlage aus Gittermast und Antennenanlage die gegenüber dem westlich
über einem Wirtschaftsweg im Außenbereich belegenen Grundstück des Antragstellers
erforderliche Abstandsfläche einhält. Dabei gehen die Beteiligten zutreffend davon aus,
dass dies der Fall ist, wenn zur Berechnung der Tiefe der erforderlichen Abstandsfläche
nur auf die Höhe des Gittermasts (40,5 m) ohne die aufgesetzte Antennenanlage
abgestellt wird. Denn die Tiefe der Abstandsfläche beträgt dann nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr.
1 LBO 0,4 x 40,5 m = 16,2 m. Dabei wird die so errechnete Tiefe der Abstandsfläche nach
§ 5 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz LBO senkrecht zur jeweiligen Außenwand der baulichen
Anlage gemessen. Somit liegen die Abstandsflächen auch senkrecht vor der jeweiligen
Außenwand (so auch Schlotterbeck/Busch, Abstandsflächenrecht in Baden-Württemberg,
S. 41). Keine der Außenwände des Funkmasts mit einer quadratischen Grundfläche liegt
aber parallel zur Grundstücksgrenze des Antragstellers. Daher läuft die erforderliche
Abstandsfläche vor der seiner Grundstücksgrenze nächstgelegenen Turmaußenwand
nicht senkrecht, sondern schräg auf seine Grundstücksgrenze zu. Weiter müssen die
Abstandsflächen regelmäßig auf dem Baugrundstück selbst (§ 5 Abs. 2 Satz 1 LBO),
können aber auch auf öffentlichen Verkehrsflächen liegen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz
LBO). Ist die öffentliche Verkehrsfläche - wie hier der Wirtschaftsweg - beidseitig
anbaubar, dürfen die Abstandsflächen nur bis zur Mitte der Verkehrsfläche reichen (§ 5
Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz LBO). Diesen Vorgaben Rechnung tragend ist im Lageplan
1:500 (Seite 87 der Akten des Landratsamts) eine senkrecht zur westlichen Turmwand
verlaufende Abstandsfläche mit der Länge von 16,2 m eingezeichnet, die deutlich vor der
Mitte des Wirtschaftsweges endet.
4 Die Antragstellerin rügt aber im Beschwerdeverfahren, bei der Berechnung der Tiefe der
Abstandsfläche vor der westlichen Außenwand des Mastes müsse zur Turmhöhe von 40,5
m noch die Höhe der aufgesetzten Antennenanlage mit weiteren 3,5 m hinzuaddiert
werden, so dass die sich dann ergebende Abstandsfläche voraussichtlich über die Mitte
des Wirtschaftswegs hinausrage. Das ist jedoch nicht der Fall.
5 Denn die konkrete Antennenanlage, nach den Genehmigungsunterlagen auf Seite 91 der
Akten des Landratsamts eine sogenannte Omnigabel (d.h. ein gabelförmiges Rohr, hier
mit einem Rohrdurchmesser von rund 5 cm), ist bei der Bemessung der Tiefe der
Abstandsflächen nicht zur maßgeblichen Wandhöhe hinzuzurechnen. Das ergibt sich
bereits aus der Grundnorm des Abstandsflächenrechts, § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO. Nach
dieser Bestimmung müssen vor den Außenwänden von baulichen Anlagen
Abstandsflächen liegen. Damit sind Abstandsflächen nicht vor jeder baulichen Anlage
erforderlich, sondern nur vor solchen, die Außenwände haben. Unter Außenwänden
versteht man die den Raum abschließenden Wände einer baulichen Anlage (so
Schlotterbeck/Busch, a.a.O., S. 38). Zu den Außenwänden im Sinne des
Abstandsflächenrechts gehören auch bauliche Anlagen oder deren Teile, die eine mit
Außenwänden vergleichbare Wirkung erzielen (sog. fiktive Außenwände, vgl. dazu VGH
Bad.-Württ., Urteil vom 03.04.1992 - 8 S 286/92 -, BauR 1992, 750; Sauter, LBO, § 5 Rn.
23; Schlotterbeck/Busch, a.a.O., S. 38). Das ist bei einer Antennenanlage, die nach den
Genehmigungsunterlagen aus einer Gabel mit rund 5 cm dicken Rohren besteht,
erkennbar nicht der Fall. Sie wirkt vergleichbar einer Antenne, die aus einem senkrechten
Rohr unmittelbar über dem Erdboden errichtet wird, nicht wandähnlich.
6 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
Nordrhein-Westfalen, auf die sich der Antragsteller maßgeblich beruft (Beschluss vom
19.04.2012 - 10 A 2310/10 -, ZfBR 2012, 483). Denn Sachverhalt und Rechtsvorschriften,
die das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte, sind mit
Sachverhalt und anwendbarem Recht im vorliegenden Fall nicht identisch. Das betrifft
zum einen die Dimension der dort zu beurteilende Antennenanlage, deren Durchmesser
„circa 1,80 m“ betrug. Zum anderen ist die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen anders.
Denn die Grundnorm des Abstandsflächenrechts in der Bauordnung Nordrhein-
Westfalens, § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW, schreibt Abstandsflächen nur vor
Außenwänden vor Gebäuden vor. § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW erstreckt in einem
zweiten gedanklichen Schritt die Geltung der Abstandsflächenvorschriften auf „Anlagen,
die nicht Gebäude sind, soweit sie höher als 2 m über der Geländeoberfläche sind und
von ihnen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen“. Der die Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts prägende zweite Leitsatz, „§ 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW
unterscheidet hinsichtlich der Abstandflächenrelevanz der dort beschriebenen Anlagen
nicht zwischen Anlagenteilen, die gebäudegleiche Wirkungen haben, und solchen, bei
denen dies nicht der Fall ist“, hat deswegen für das baden-württembergische
Abstandsflächenrecht keine Bedeutung, da - wie dargelegt - auf Grund der anderen
Systematik der Abstandsflächenvorschriften stets (nur) die Abstandsflächen vor
Außenwänden von baulichen Anlage zu prüfen sind, ungeachtet dessen, ob es sich um
Gebäude handelt.
7 Zur Verneinung eines Verstoßes gegen die Abstandsflächenvorschriften bedarf es daher
keines Rückgriffs auf die Bestimmungen des § 5 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 LBO und des § 6 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 LBO, auf die das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss
maßgeblich abgestellt hat. Deswegen hat der Senat nicht zu entscheiden, ob es dem
Antragsteller mit der Beschwerdebegründung gelungen ist, gewichtige Zweifel an diesen
Begründungsansätzen aufzuzeigen.
8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen waren dem Antragsteller nicht aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag
gestellt und somit auch kein Kostenrisiko übernommen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
9 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1,
53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 9.7.1 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2004 für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit.
10 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.