Urteil des VG Stuttgart vom 11.12.2013

VG Stuttgart: künftige nutzung, gesundheit, stadt, begriff, hauptsache, überschreitung, wohngebäude, realisierung, unzumutbarkeit, obsiegen

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 11.12.2013, 3 S
1964/13
Leitsätze
Die Unzumutbarkeit einer Lärmbelastung durch die Nutzung von notwendigen Stellplätzen auf
dem Nachbargrundstück lässt sich jedenfalls nicht alleine durch eine Berufung auf die
Überschreitung technisch-rechnerischer Immissionswerte belegen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers 3 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg
vom 2. September 2013 - 5 K 1473/13 - wird zurückgewiesen.
Auf die Beschwerden der Antragsteller 1 und 2 wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts
geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der
Beigeladenen die Herstellung der neun Stellplätze (sechs Carports und drei gefangene
Stellplätze) an der südlichen Grenze des Grundstücks der Antragsteller 1 und 2 bis zur
Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen. Im Übrigen werden die Anträge der
Antragsteller 1 und 2 abgelehnt.
Die Gerichtskosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Antragsteller 1 und 2 als
Gesamtschuldner zu 3/8, der Antragsteller 3 zu ½ und der Antragsgegner und die Beigeladene
als Gesamtschuldner zu 1/8. Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller 1 und 2 tragen der
Antragsgegner und die Beigeladene als Gesamtschuldner zu ¼. Die außergerichtlichen Kosten
des Antragsgegners und der Beigeladenen tragen die Antragsteller 1 und 2 als
Gesamtschuldner zu 3/8 und der Antragsteller 3 zu ½. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre
außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Antragsteller wenden sich gegen die Zulassung des aus einem
Mehrfamilienwohnhaus und zwölf Reihenhäusern bestehenden Wohnvorhabens der
Beigeladenen durch den Antragsgegner im Wege eines kombinierten Baugenehmigungs-
und Kenntnisgabeverfahrens. Sie sind Eigentümer von Wohnhausgrundstücken auf der
Gemarkung der Stadt M... Diese grenzen westlich (Antragsteller 1 und 2) bzw. östlich
(Antragsteller 3) an die Zufahrt zum rückwärtigen Teil des Baugrundstücks, die über einen
in die W... Straße mündenden Privatweg verläuft. Für das Vorhaben sind insgesamt 44
Stellplätze vorgesehen, die bis auf vier im rückwärtigen Grundstücksbereich angelegt
werden sollen. Von den im rückwärtigen Grundstücksbereich geplanten Stellplätzen sollen
13 in einer Tiefgarage untergebracht und die übrigen 27 oberirdisch angelegt werden.
2 Die Stadt beschloss im März 2012, für die Fläche des Vorhabengrundstücks einen
Bebauungsplan aufzustellen, um das Vorhaben der Beigeladenen zu ermöglichen. Im
Bebauungsplanverfahren wandten die Antragsteller ein, der zu erwartende An- und
Abfahrtsverkehr des geplanten Vorhabens mit insgesamt 40 Stellplätzen im
„Blockinnenbereich“ werde sie unzumutbar beeinträchtigen. Daraufhin veranlasste die
Stadt eine schalltechnische Untersuchung der Auswirkungen der Planung. Die
Untersuchung vom März 2013 kommt unter Anwendung der DIN 18 005 - Teil 1 - zum
Ergebnis, ein Vergleich des Ist-Zustands mit dem Zustand nach Realisierung des durch
den Planentwurf ermöglichten Vorhabens der Beigeladenen führe zu einem „zweigeteilten
Bild“: An den Immissionsorten - auch auf den Grundstücken der Antragsteller - nahe zur im
Norden verlaufenden W... Straße seien auf Grund der dortigen Verkehrsdichte bereits
heute hohe, die Orientierungswerte der DIN 18 005 für allgemeine Wohngebiete
überschreitende Vorbelastungen vorhanden, die sich nach Realisierung des geplanten
Vorhabens nur im nicht wahrnehmbaren Bereich von unter 2 dB(A) erhöhten. Anders sehe
es an den weiter südlich belegenen Immissionspunkten aus. An diesen führe die
beabsichtigte Planung zwar zu wahrnehmbaren Erhöhungen der Immissionen, doch
blieben auch die erhöhten Werte noch unter den Orientierungswerten der DIN 18 005 für
allgemeine Wohngebiete.
3 Am 20.3.2013 beschloss der Gemeinderat der Stadt den Bebauungsplan unter
Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Antragsteller als Satzung.
4 Am 19.4.2013 zeigte die Beigeladene dem Antragsgegner die - einen Teil des
Gesamtvorhabens bildende - Errichtung von zwölf Reihenhäusern samt 23 Stellplätzen im
Wege des Kenntnisgabeverfahrens an. Auf ihren Antrag erteilte der Antragsgegner der
Beigeladenen am 15.7.2013 die Baugenehmigung zur Errichtung des ferner geplanten
Mehrfamilienwohnhauses mit elf Wohneinheiten und 21 Stellplätzen auf demselben
Grundstück.
5 Die Antragsteller haben beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes hinsichtlich des Gesamtvorhabens der Beigeladenen gestellt und sich zur
Begründung im Wesentlichen auf eine „Gutachtliche Stellungnahme zur Beurteilung der
Lärmeinwirkung auf das Wohngebäude W... Straße ...“ vom 5.7.2013 bezogen. Diese
prognostiziert unter Anwendung der TA Lärm und der Parkplatzlärmstudie nach Zulassung
des Vorhabens der Beigeladenen eine Überschreitung des Immissionsrichtwerts der TA
Lärm für allgemeine Wohngebiete nachts vor der Ostfassade des Wohnhauses der
Antragsteller 1 und 2 um 5,7 db(A) und vor dessen Südfassade um 3,4 db(A).
6 Mit Beschluss vom 2.9.2013 hat das Verwaltungsgericht die Anträge der Antragsteller
abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Verstoß des
Vorhabens der Beigeladenen gegen die Antragsteller schützende Vorschriften sei nicht
erkennbar. Stellplätze, deren Zahl dem durch die zugelassene Nutzung verursachten
Bedarf entspreche, riefen in einem allgemeinen Wohngebiet keine erheblichen und damit
unzumutbaren Störungen hervor. Das belege auch das im Bebauungsplanverfahren
eingeholte Gutachten vom März 2013, das in zutreffender Weise die DIN 18 005 zugrunde
lege. Dagegen beruhe das von den Antragstellern vorgelegte Gutachten vom 5.7.2013 auf
einen methodisch fehlerhaften Ansatz, da es von den Immissionsrichtwerten der TA Lärm
ausgehe.
7 Zur Begründung ihrer Beschwerde machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, das
Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Anwendbarkeit der TA Lärm verneint. Selbst
wenn das anders zu sehen sein sollte, dürfe es nicht bei der Heranziehung der DIN 18 005
bleiben, sondern müssten zusätzliche Regelwerke, wie etwa die Parkplatzlärmstudie
beachtet werden. Ebenso müsse der über den An- und Abfahrverkehr hinaus entstehende
Rangierverkehr auf der Südseite des Gebäudes der Antragsteller 1 und 2
Berücksichtigung finden. Geschehe das, zeige sich, dass der zu erwartende Zu- und
Abfahrtsverkehr zu einer Gefährdung ihrer Gesundheit führe oder jedenfalls
„Planungsmängel“ vorlägen.
II.
8 Die Beschwerde des Antragstellers 3 ist unbegründet, die Beschwerden der Antragsteller
1 und 2 sind nur teilweise begründet. Soweit sie sich mit dem Argument unzumutbarer
Lärmbelästigungen durch den künftigen Zufahrts- und Abfahrtsverkehr gegen die Erteilung
der Baugenehmigung vom 19.4.2013 zur Errichtung eines Wohnhauses mit elf
Wohneinheiten und 21 Stellplätzen wenden, vermag der Senat eine Verletzung der
Rechte der Antragsteller nicht zu erkennen. Soweit sie sich mit demselben Argument
gegen die Zulassung der zwölf Reihenhäuser samt 23 Stellplätzen im
Kenntnisgabeverfahren wenden, erscheint als offen und ist daher im Hauptsacheverfahren
weiter aufzuklären, ob die Herstellung von mehr als den für das gesamte Vorhaben der
Beigeladenen notwendigen 35 Stellplätzen und deren Nutzung in der konkret
vorgesehenen Anordnung gegenüber den Antragstellern 1 und 2 rücksichtslos ist und
damit zugleich gegen die ihrem Schutz dienende Bestimmung des § 37 Abs. 7 Satz 2
Halbs. 2 LBO verstößt (1.). Das gebietet es hier, bereits deren Herstellung vorläufig zu
untersagen (2.).
9 1. Zwar ist nicht erkennbar, dass die künftige Nutzung der Stellplätze des Vorhabens der
Beigeladenen die Gesundheit der Antragsteller gefährdet (a), doch erscheint es zumindest
als offen, ob sie nicht dennoch zu für die Antragsteller 1 und 2 unzumutbaren
Lärmbelastungen führt (b).
10 Nach § 12 Abs. 2 BauNVO ist in allgemeinen Wohngebieten die Herstellung und Nutzung
von Stellplätzen für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf regelmäßig
planungsrechtlich zulässig (BVerwG, Beschl. v. 20.3.2003 - 4 B 59.02 - NVwZ 2003, 1516;
Urt. v. 7.12.2000 - 4 C 3.00 - NVwZ 2001, 813; Beschl. d. Senats v. 20.7.1995 - 3 S
3538/94 - VBlBW 1996, 143). Etwas anderes gilt nach § 15 Abs. 1 Satz 2 1. Halbs.
BauNVO allerdings dann, wenn von ihnen Belästigungen ausgehen, die nach der
Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzulässig sind.
Eine ähnliche Regelung enthält § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO. Danach darf die Nutzung von
Stellplätzen und Garagen die Gesundheit nicht schädigen; sie darf auch die Ruhe und die
Erholung in der Umgebung durch Lärm, Abgase oder Gerüche nicht erheblich stören.
Dabei wird allerdings regelmäßig davon ausgegangen, dass notwendige Stellplätze für
Wohnvorhaben in einer von Wohnbebauung geprägten Umgebung keine erheblichen,
billigerweise nicht mehr zumutbaren Störungen im Sinne dieser Vorschrift hervorrufen
(Beschl. d. Senats v. 10.1.2008 - 3 S 2773/07 - BauR 2009, 470; Sauter, LBO, Stand Dez.
2012, § 37 Rn. 11). Im Rahmen der Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauNVO gilt
Entsprechendes.
11 a) Nach § 37 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 1 LBO und § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauNVO darf die
Nutzung von Stellplätzen die Gesundheit der Anwohner nicht schädigen. Entgegen der
Ansicht der Antragsteller sind Gefahren für ihre Gesundheit durch die Nutzung der
geplanten Stellplatzanlage für das gesamte Vorhaben der Beigeladenen nicht erkennbar.
Als kritisch für die Gesundheit werden chronische Lärmbelastungen tags über 70 db(A)
und nachts über 60 db(A) angesehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.7.2013 - 7 B 40.12 -
juris; Bay VGH, Beschl. v. 9.2.2009 - 15 ZB 09.127 - juris; Kuschnerus, Der Lärmschutz in
der Abwägung, in: Die Abwägung - das Herzstück der städtebaulichen Planung, 2010, S.
87, 92). Lärmbelastungen in dieser Höhe prognostizieren weder die schalltechnische
Untersuchung vom März 2013, auf die sich der Antragsgegner beruft, noch die von den
Antragstellern vorgelegte gutachtliche Stellungnahme vom 5.7.2013.
12 b) Sowohl § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauNVO als auch § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO schützen
Baunachbarn jedoch nicht nur vor Gesundheitsgefahren durch die Nutzung von
Stellplätzen. Vielmehr vermitteln beide Bestimmungen weitergehenden Schutz vor
sonstigen unzumutbaren (erheblichen) Störungen (vgl. § 37 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 LBO).
Der Begriff der erheblichen Störung ist mit dem Begriff der erheblichen Belästigung für die
Nachbarschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG und damit mit dem Begriff der schädlichen
Umwelteinwirkungen vergleichbar (Beschl. d. Senats v. 10.1.2008 - 3 S 2773/07 - BauR
2009, 470; Sauter, a.a.O., § 37 Rn. 110). Bei der Bestimmung des Maßes dessen, was an
Störungen billigerweise noch zumutbar und hinzunehmen ist, kommt es auf das Ergebnis
einer situationsbezogenen Abwägung und einen Ausgleich der widerstreitenden
Interessen im Einzelfall an. So werden bei der Beurteilung insbesondere die Gebietsart,
der konkrete Standort, die Zahl und die Benutzungsart der Stellplätze, die Art und Weise
der Verbindung zum öffentlichen Verkehrsraum sowie die Funktion der Stellplätze als
"notwendige" oder zusätzliche Stellplätze eine Rolle spielen (BVerwG, Beschl. v.
20.3.2003 - 4 B 59/12 - NVwZ 2003, 1516; Urt. d. Senats v. 2.7.1999 - 3 S 1393/99 -
VBlBW 2000, 76 m.w.N.; Sauter, a.a.O., § 37 Rn. 108; Schlotterbeck, in:
Schlotterbeck/Busch/Hager/Gammerl, LBO, 6. Aufl., § 37 Rn. 69).
13 aa) Nach Maßgabe dessen ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Nutzung der
mit dem Vorhaben des Beigeladenen zugelassenen notwendigen Stellplätze zu
unzumutbaren Lärmbelastungen für die Antragsteller führt.
14 Die Antragsteller berufen sich für die von ihnen behauptete Unzumutbarkeit auf das von
ihnen vorgelegte Gutachten vom 15.7.2013. Der Verfasser des Gutachtens hat dabei die
geplanten Stellplätze als „Anlage“ i.S.d. der Nr. 1 Abs. 2 der Technischen Anleitung zum
Schutz gegen Lärm - TA-Lärm - eingestuft und deshalb seinen Berechnungen unter
anderem den in Nr. 6.1 d) TA Lärm für allgemeine Wohngebiete festgesetzten
Immissionsrichtwert von nachts 40 db(A) zugrunde gelegt. Weiter ist von ihm in
Anwendung der Regelung in Nr. 2.4 Abs. 1 TA Lärm als zu beachtende Vorbelastung nur
die Belastung der Wohngebäude durch Anlagen, für die die TA Lärm gilt, berücksichtigt
worden, dagegen nicht der Verkehrslärm durch die W... Straße. Schließlich hat er in
weiteren Rechenschritten nächtliche Parkbewegungen auf Stellplätzen unmittelbar an der
südlichen Grundstücksgrenze der Antragsteller 1 und 2 berücksichtigt. Auf diese Weise ist
er zu einer Überschreitung des von ihm als maßgeblich angesehenen
Immissionsrichtwerts von nachts 40 db(A) durch den zu erwartenden Parkverkehr vor der
Ostfassade des Gebäudes der Antragsteller 1 und 2 um 5,7 db(A) und vor dessen
Südfassade um 3,4 db(A) gekommen.
15 Diesem Ansatz der Antragsteller und ihres Gutachters, die Unzumutbarkeit einer
Lärmbelastung durch die Nutzung von (notwendigen) Stellplätzen alleine durch die
Berufung auf die Überschreitung technisch-rechnerischer Immissionswerte darzulegen,
vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar mag es sein, dass sich Stellplätze von
Wohnvorhaben unter den Begriff der „sonstigen ortsfesten Einrichtungen“ i.S.d. § 3 Abs. 5
Nr. 1 2. Alt. BImschG und damit unter die nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach §
22 BImSchG subsumieren lassen (so etwa OVG Bremen, Urt. v. 16.7.1985 - 1 BA 13/85 -
NVwZ 1986, 672; Sauter, a.a.O., § 37 Rn. 110). Gleichwohl ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die TA Lärm mit ihren Immissionsrichtwerten
(Nr. 6.1), dem Spitzenpegelkriterium (Nr. 6.3) und der von ihr definierten Vorbelastung (Nr.
2.4) bei der Beurteilung von Immissionen, die durch die Nutzung zugelassener
notwendiger Stellplätze eines Wohnvorhabens verursacht werden, keine Anwendung zu
finden vermag, schon um Wertungswidersprüche zu § 12 Abs. 2 BauNVO zu vermeiden
(so im Ergebnis auch Geiger, in: Birkl, Praxishandbuch des Bauplanungs- und
Immissionsschutzrechts, E Rn. 94, mit dem Verweis darauf, dass anderenfalls auf
Grundstücken in reinen Wohngebieten keine Stellplätze hergestellt werden könnten;
ebenso ferner unter Hinweis auf die Geltung der TA Lärm nur für die Beurteilung
gewerblichen Lärms Urt. d. Senats v. 15.2.2012 - 3 S 1324/09 -; Kuschnerus, Der
Lärmschutz in der Abwägung, in: Die Abwägung - das Herzstück der städtebaulichen
Planung, 2010, S. 92 u. 94; kritisch OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 27.6.2002 - 1 A 11669/99
- BauR 2003, 368; siehe auch Parkplatzlärmstudie des bay. Landesamts für Umwelt, 6.
Aufl., Nr. 10.2.3 „zur schallschutztechnischen Optimierung“).
16 Die Ungeeignetheit einer bloßen Berufung auf Überschreitungen der Orientierungswerte
der TA Lärm in solchen Fällen dürfte allerdings voraussetzen, dass die zugelassene
Anzahl notwendiger Stellplätze nicht ihrerseits - etwa auf Grund der
„Überdimensionierung“ eines Wohnvorhabens - Bedenken begegnet. Das dürfte hier noch
nicht der Fall sein. Zur Ermöglichung des Vorhabens des Beigeladenen wurde ein
Bebauungsplanverfahren durchgeführt. In diesem Verfahren wurde ein
Schallschutzgutachten eingeholt, das seiner Analyse wohl zutreffend die DIN 18 005 - Teil
1 - Schallschutz im Städtebau zugrunde gelegt hat (vgl. zur Beurteilung von Parkplatzlärm,
der von einer in einem Blockinnenbereich geplanten Stellplatzanlage ausgeht, im Rahmen
der Bauleitplanung nach dieser DIN Urt. d. Senats v. 15.2.2012 - 3 S 1324/09 -).
Voraussichtlich weiter zutreffend ist das Gutachten vom März 2013 vom höheren der
beiden Orientierungswerte im Beiblatt 1 zur DIN 18 005 - Teil 1 - für Allgemeine
Wohngebiete nachts von 45 db(A) ausgegangen. Denn nach Nr. 1.1 Abs. 2 des Beiblatts 1
soll bei zwei angegebenen Nachtwerten der niedrigere Wert (hier: 40 db(A)) „für Industrie-,
Gewerbe- und Freizeitlärm sowie Geräusche von vergleichbaren öffentlichen Betrieben“
gelten. Um solche Geräusche handelt es sich bei der durch die Nutzung von Stellplätzen
einer Wohnanlage erzeugten Geräuschen aller Voraussicht nach nicht. Unter
Zugrundelegung dieser Prämissen prognostiziert das Gutachten vom März 2013 teilweise
Überschreitungen des (höheren) Orientierungswerts für allgemeine Wohngebiete nachts
von 45 db(A) - etwa an der Ostfassade des Wohnhauses der Antragsteller 1 und 2 und der
Westfassade des Wohnhauses des Antragstellers 3 - bereits auf Grund der erheblichen
Vorbelastung der Grundstücke durch den vom Verkehr auf der W... Straße verursachten
Lärm. Dieser werde sich durch den Zu- und Abfahrverkehr zum Vorhaben des
Beigeladenen nur im nicht wahrnehmbaren Bereich erhöhen.
17 Der Bebauungsplangeber hat seiner Abwägung diese Prognose zugrunde gelegt und der
Realisierung der beabsichtigten Planung den Vorzug gegeben, ohne dass sich ein Fehler
im Abwägungsergebnis aufdrängt.
18 bb) Zu einer unzumutbaren Lärmbelastung für die Antragsteller 1 und 2 führt aber
möglicherweise die Nutzung der neun unmittelbar an ihrer südlichen Grundstücksgrenze
zugelassenen Stellplätze. Das gilt nicht nur wegen ihrer Anordnung unmittelbar an der
Grundstücksgrenze, sondern vor allem wegen des Umstands, dass drei dieser Stellplätze
„gefangene“ Stellplätze darstellen. Die Nutzung eines solchen Stellplatzes ist mit einem
erheblichen zusätzlichen Rangierverkehr verbunden, nämlich dann, wenn auf dem
vorderen Stellplatz ein weiteres Fahrzeug steht. Ein einfaches Zu- und Abfahren ist in
einem solchen Fall nicht möglich. Vielmehr bedarf es unter der genannten Voraussetzung
zusätzlich zweier weiterer Rangiervorgänge, die im vorliegenden Fall zudem dadurch
erheblich erschwert werden, dass der dafür zur Verfügung stehende Raum äußerst knapp
bemessen ist. Dieser zusätzliche Rangierverkehr dürfte von keinem Rechenwerk
berücksichtigt worden sein, weil solche gefangenen Stellplätze nicht mehr dem heutigen
Standard für notwendige Stellplätze entsprechen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass von
den insgesamt geplanten 44 Stellplätzen nur 35 notwendige Stellplätze sind (insgesamt
23 Wohneinheiten im Mehrfamilienhaus und in der Reihenhauszeile x 1,5 notwendige
Stellplätze pro Wohneinheit nach der auf § 74 Abs. 2 Nr. 2 LBO beruhenden Satzung der
Stadt M...) und bis auf vier alle Stellplätze im rückwärtigen Grundstückbereich hergestellt
werden sollen. Bei Lärm, der durch die Nutzung solcher über die notwendigen Stellplätze
für Wohnvorhaben hinaus zugelassenen Stellplätze verursacht wird, erscheint die
Anwendung zumindest der Richtwerte der TA-Lärm als Orientierungshilfe denkbar.
19 2. Lässt sich somit nicht ausschließen, dass die Nutzung der nicht notwendigen Stellplätze
zu für die Antragsteller 1 und 2 unzumutbaren Lärmbelastungen führt, ist zunächst zu
prüfen, welche mit dem Mehrfamilienwohnhaus genehmigt und welche mit der
Reihenhauszeile zur Kenntnis gegeben worden sind. Die Analyse der jeweiligen
Bauvorlagen ergibt, dass sich jedenfalls die sechs südlich des geplanten
Mehrfamilienwohnhauses vorgesehenen Stellplätze nicht eindeutig dem
Mehrfamilienwohnhaus oder der Reihenhauszeile zuordnen lassen. Damit besitzt die
Beigeladene die Möglichkeit, diese so zuzuordnen, dass für die Reihenhauszeile auch bei
Wegfall anderer ihr eindeutig zugeordneter Stellplätze die notwendigen Stellplätze zur
Verfügung stehen. Damit sind die neun Stellplätze (sechs Carports und drei gefangene
Stellplätze) an der südlichen Grenze des Grundstücks der Antragsteller zu 1 und 2, die
eindeutig Gegenstand des Kenntnisgabeverfahrens sind, nicht als notwendige Stellplätze
für das Gesamtvorhaben der Beigeladenen erforderlich.
20 Zwar betont der Vertreter des Antragsgegners, bei offenen Erfolgsaussichten in der
Hauptsache sei die vorläufige Untersagung der Errichtung des Vorhabens
unverhältnismäßig, weil bei einem Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache die
Nutzung von Stellplätzen noch untersagt werden könne. Das erscheint dem Senat jedoch
im Blick auf die Herstellung und Nutzung von zusätzlichen Stellplätzen nicht überzeugend.
Die Untersagung der Herstellung von neun zusätzlichen Stellplätzen lässt das Recht der
Beigeladenen unberührt, die Wohngebäude zu errichten, die übrigen (notwendigen)
Stellplätze anzulegen und die Nutzung des Objekts zuzulassen. Bei einem Obsiegen der
Beigeladenen in der Hauptsache könnten die zusätzlichen Stellplätze rasch und
problemlos nachträglich errichtet werden, während eine Untersagung der Nutzung bereits
vorhandener Stellplätze faktisch nur schwer vollzogen werden kann. Deswegen erfordert
das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Kenntnisgabeverfahren hier den
Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung im aus der Entscheidungsformel
ersichtlichen Umfang (vgl. zu den Maßstäben der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
im Kenntnisgabeverfahren VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.7.2012 - 8 S 1136/12 - u. v.
18.2.1997 - 3 S 3419/96 - NVwZ-RR 1998, 613).
III.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 bis 3, 155 Abs. 1 Satz 1 159 Satz 2, 162
Abs. 3 VwGO.
22 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52
Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 u. 2, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht
davon aus, dass sich die Eigentümer zweier Grundstücke gegen ein einheitliches
Bauvorhaben wehren. Sie wenden sich der Sache nach zwar nur gegen die künftige
Nutzung (eines Teils) des zugelassenen Vorhabens der Beigeladenen, begehren mit
ihrem Antrag aber eindeutig den vorläufigen Stopp der Errichtung des Vorhabens, so dass
eine Halbierung des Werts für Baunachbarstreitigkeiten im vorliegenden Eilverfahren nicht
angezeigt erscheint.
23 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.