Urteil des VG Stuttgart vom 12.12.2012

VG Stuttgart: wiedereinsetzung in den vorigen stand, satzung, mitgliedschaft, eintritt des versicherungsfalls, beginn der frist, berufliche tätigkeit, altersrente, anwartschaft, rechtsverletzung

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 12.12.2012, 9 S
2933/11
Leitsätze
1. Bei Normänderungen beginnt die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur für die geänderten
Bestimmungen neu, nicht jedoch für die unverändert gebliebenen Bestimmungen, auch wenn sie
vom Satzungsgeber erneut in seinen Willen aufgenommen worden sein sollten.
2. Eine abgelaufene Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO wird durch Änderung einer
Satzung nur dann erneut in Gang gesetzt, wenn die Änderungssatzung neue Rechtsvorschriften
enthält, die nun angegriffen werden und eine zusätzliche Beschwer durch die bisher geltenden,
für sich genommen nicht mehr angreifbaren Vorschriften bewirken, etwa weil sie deren
Anwendungsbereich oder materiellen Gehalt ändern.
3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO ist bezüglich der Frist des § 47
Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgeschlossen.
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 17.970,84 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin wendet sich gegen die Satzung des Versorgungswerks der
Rechtsanwälte in Baden-Württemberg.
2 1. Die Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg vom
20.10.1993 (Die Justiz 1994 S. 5), soweit für die Mitgliedschaft der Antragstellerin
maßgeblich zuletzt geändert durch Satzung vom 07.12.2010 (Die Justiz S. 392), enthält
unter anderem folgende Regelungen:
3
㤠5
Mitgliedschaft kraft Gesetzes
4 (1) Mitglied des Versorgungswerkes ist, wer am 01.01.1985 Mitglied einer
Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg ist und zu diesem Zeitpunkt das 45.
Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
5 (2) Mitglied des Versorgungswerks wird, wer nach dem 1. Januar 1985 als natürliche
Person Mitglied einer Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg wird und zu diesem
Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
6
§ 10
Beginn, Ende und Weiterführung der Mitgliedschaft
7 (1) Die Mitgliedschaft beginnt mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen für die
Mitgliedschaft eingetreten oder die Voraussetzungen für eine Befreiung weggefallen sind,
sofern in diesem Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet ist. Die Mitgliedschaft
nach Aufhebung der Befreiung (§ 8) und auf Antrag (§ 9) beginnt mit dem Eingang des
Antrages beim Versorgungswerk.
8 (2) Aus dem Versorgungswerk scheiden Mitglieder aus, wenn sie einer
Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg nicht mehr angehören. Die Mitgliedschaft
bleibt mit allen Rechten und Pflichten aufrechterhalten, wenn das Mitglied dies innerhalb
einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach dem Ausscheiden beantragt.
9
§ 18
Erstattung und Überleitung der Beiträge
10
(1) Endet die Mitgliedschaft im Versorgungswerk vor Ablauf von 60 Monaten, ohne dass
das Mitglied das Recht zur Weiterversicherung (§ 10 Abs. 2) ausübt, sind dem Mitglied
60 vom Hundert seiner bisher geleisteten Beiträge auf Antrag zu erstatten. Hat das
Versorgungswerk bereits Leistungen erbracht, so ist der Erstattungsbetrag um sechzig
vom Hundert dieser Leistung zu kürzen.
11 (2) Endet eine Mitgliedschaft auf Antrag (§ 9) vor Ablauf der Wartezeit (§ 21 Absatz 2), sind
neunzig vom Hundert der entrichteten Beiträge zu erstatten.
12 (3) Die Erstattung erfolgt ohne Zinsen. Von der Erstattung sind Nachversicherungsbeiträge
ausgeschlossen.
13 (4) Endet die Mitgliedschaft und entsteht eine neue Mitgliedschaft in einem anderen
berufsständischen Versorgungswerk, mit dem ein Überleitungsabkommen besteht, werden
die geleisteten Beiträge entsprechend diesem Abkommen auf das andere
Versorgungswerk übergeleitet.
14 (5) Die Erstattung oder Überleitung der Beiträge muss binnen sechs Monaten nach
Beendigung der Mitgliedschaft beantragt werden. Nach Erstattung oder Überleitung ist
eine Fortsetzung der Mitgliedschaft nach § 10 Abs. 2 ausgeschlossen.
15 (6) Ist eine Familiensache anhängig, bei der ein Versorgungsausgleich stattfinden kann,
ruhen Erstattung oder Überleitung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den
Versorgungsausgleich.
16 (7) Endet die Mitgliedschaft durch Tod, ist eine Erstattung ausgeschlossen.
17
§ 19
Leistungen
18 (1) Das Versorgungswerk gewährt seinen Mitgliedern und deren Hinterbliebenen folgende
Leistungen:
19
1. Altersrente,
2. Berufsunfähigkeitsrente,
3. Hinterbliebenenrente,
4. Sterbegeld,
5. Kapitalabfindung.
20 Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.
21 (2) Zuschüsse für Rehabilitationsmaßnahmen werden nach § 23 gewährt.
22
§ 20
Altersrente
23 (1) Jedes Mitglied hat ab dem auf die Vollendung des 67. Lebensjahres (Altersgrenze)
folgenden Monat Anspruch auf lebenslange Altersrente.
24 Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1949 geboren sind, haben mit Beginn des auf die
Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monats Anspruch auf lebenslange
Altersrente.
25 Für Mitglieder, die nach dem 31. Dezember 1948 geboren sind, ergibt sich die jeweilige
Altersgrenze wie folgt:
26
Geburtsjahr
Altersgrenze
(Vollendung Lebensjahr)
1949 65 Jahre plus
1 Monat
1950 65 Jahre plus
2 Monate
1951 65 Jahre plus
3 Monate
1952 65 Jahre plus
4 Monate
1953 65 Jahre plus
5 Monate
1954 65 Jahre plus
6 Monate
1955 65 Jahre plus
7 Monate
1956 65 Jahre plus
8 Monate
1957 65 Jahre plus
9 Monate
1958 65 Jahre plus
10 Monate
1959 65 Jahre plus
11 Monate
1960 66 Jahre
1961 66 Jahre plus
1 Monat
1962 66 Jahre plus
2 Monate
1963 66 Jahre plus
3 Monate
1964 66 Jahre plus
4 Monate
1965 66 Jahre plus
5 Monate
1966 66 Jahre plus
6 Monate
1967 66 Jahre plus
7 Monate
1968 66 Jahre plus
8 Monate
1969 66 Jahre plus
9 Monate
1970 66 Jahre plus
10 Monate
1971 66 Jahre plus
11 Monate.
27 Das gilt auch für ehemalige Mitglieder, deren Beiträge weder erstattet noch übergeleitet
worden sind.
28 (4) Voraussetzung für die Gewährung der Altersrente ist eine mindestens fünfjährige
Mitgliedschaft und die Zahlung der festgesetzten Beiträge für mindestens sechzig Monate.
29
§ 21
Berufsunfähigkeitsrente
30 (1) Berufsunfähigkeitsrente erhält das Mitglied, das
31 1. infolge körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder
geistigen Kräfte zur Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts, eines Patentanwalts,
eines selbständigen Notars oder eines Rechtsbeistands auf nicht absehbare Zeit,
mindestens 90 Tage, unfähig ist,
32 2. deshalb seine berufliche Tätigkeit und eine Tätigkeit, die mit dem Beruf eines
Rechtsanwalts vereinbar ist, einstellt und innerhalb von 18 Monaten nach Eintritt der
Berufsunfähigkeit auf seine berufliche Zulassung verzichtet,
33 3. 63. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und
34 4. mindestens für drei Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit Beiträge geleistet hat;
Beiträge aus Nachversicherungszeiten bleiben unberücksichtigt, falls die
Nachversicherung nicht vor Eintritt des Versicherungsfalls beantragt worden ist.
…“.
35 2. Die Antragstellerin war vom 02.11.2007 bis 18.12.2009 als Rechtsreferendarin im OLG-
Bezirk Düsseldorf in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis beschäftigt,
aufgrund dessen sie für die Dauer des Referendariats bei der Deutschen
Rentenversicherung nachversichert worden ist. Mit Wirkung zum 11.10.2010 wurde die
Antragstellerin als Rechtsanwältin im OLG-Bezirk Karlsruhe zugelassen und dadurch
Mitglied der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe und des Antragsgegners. Die
Rentenbeiträge der Antragstellerin aus dem Referendariat wurden auf ihren Antrag an den
Antragsgegner übergeleitet. Seit 31.03.2011 war die Antragstellerin aufgrund eines
beruflichen Wechsels nach München nicht mehr Mitglied des Antragsgegners, sondern der
Bayerischen Versorgungskammer der Rechtsanwälte und Steuerberater. Mit Schreiben
vom 01.04.2011 wies der Antragsgegner die Antragstellerin auf die sich aus dem
Kammerwechsel ergebenden Folgen bezüglich der Mitgliedschaft beim Antragsgegner
bzw. bezüglich der dort geleisteten Beiträge hin. Genannt waren die Möglichkeit der
Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft, die zinslose Erstattung von 60 % der bisher
geleisteten Beiträge oder die Möglichkeit der Überleitung, sofern mit dem betreffenden
Versorgungswerk ein Überleitungsabkommen bestehe. Es wurde darauf hingewiesen,
dass mit Bayern kein Überleitungsabkommen besteht. Die Antragstellerin könne eine der
genannten Möglichkeiten beantragen, allerdings nur innerhalb von sechs Monaten nach
Beendigung der Mitgliedschaft beim Antragsgegner.
36 Die Antragstellerin beantragte am 08.04.2011 die Überleitung der an den Antragsgegner
geleisteten Beiträge an die Bayerische Versorgungskammer. Der Antrag wurde mit
Bescheid des Antragsgegners vom 19.04.2011 abgelehnt. Gegen diesen Bescheid wurde
kein Widerspruch eingelegt. Vielmehr teilte der Rechtsanwalt der Antragstellerin dem
Antragsgegner mit, es gehe nicht um die abgelehnte Überleitung der Beiträge, sondern um
deren Verfall bei Nichterfüllung der in der Satzung festgelegten Sperrzeit. Diese verstoße
gegen europarechtliche Vorgaben.
37 3. Die Antragstellerin hat am 03.11.2011 einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO
gestellt. Sie meint, der Normenkontrollantrag sei zulässig. Sie habe die Satzung der
Antragsgegnerin in der Fassung vom 01.01.2011 insgesamt angegriffen. Dass einzelne
Regelungen bereits schon länger gälten, könne daran nichts ändern. Auch fehle nicht das
Rechtsschutzbedürfnis. Es komme ihr nicht auf die Überleitung der Beiträge an, sondern
auf die Gewährung einer Anwartschaft auch im Falle einer sehr kurzen und beendeten
Mitgliedschaft. Dies sei in der Satzung bisher nicht vorgesehen. Die Satzung sei
unwirksam. Sie verstoße gegen das Recht zur freien Wahl des Ortes der Berufsausübung.
Das Einbehalten ihrer Beiträge sowie der Verfall der Beiträge bei Nichterreichen der
Sperrzeit seien rechtswidrig. Aus Art. 95f Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die
aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 647/2005 auch für berufsständische Versorgungswerke
gelte, ergebe sich, dass die bei einem anderen Versicherungsträger zurückgelegten
Versicherungszeiten als wartezeiterfüllend berücksichtigt werden müssten. Dies habe zur
Folge, dass ihr eine Anwartschaft beim Antragsgegner zu gewähren sei, die bei Eintritt der
Bezugsberechtigung fällig werde. Andere Versorgungswerke - wie die
Versorgungskammer in Bayern und das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Hessen -
hätten aufgrund der europarechtlichen Vorgaben ihre Satzungen entsprechend geändert.
Vor dem Hintergrund, dass keine Überleitung möglich sei, verursachten die
Sperrzeitregelungen und die in der Satzung vorgesehenen Vermögenseinbußen bei der
Auszahlung der Beiträge eine Beeinträchtigung bei der Wahl des Ortes der
Berufsausübung. § 20 Abs. 4 der Satzung des Antragsgegners sei unwirksam.
38 Die Antragstellerin beantragt,
39 die Satzung des Antragsgegners in der Fassung vom 01.01.2011 für unwirksam zu
erklären.
40 Der Antragsgegner beantragt,
41 den Antrag abzuweisen.
42 Er hält den Antrag für unzulässig, weil er nicht fristgerecht gestellt worden sei. Unter
Einbeziehung der Begründung wende sich die Antragstellerin der Sache nach nur gegen
folgende Regelungen der Satzung: § 18 Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 3 Satz 2, § 18 Abs. 4 und
§ 20 Abs. 4. Diese seien bereits seit langem bekannt gemacht. Die nach dem 03.11.2009
bzw. 2010 erfolgten Satzungsänderungen beträfen nicht die hier angegriffenen
Regelungen. Außerdem fehle der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis. Diese habe
den Bescheid, mit dem die Überleitung abgelehnt wurde, bestandskräftig werden lassen.
Andere Anträge seien innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 18 Abs. 5 der
Satzung nicht gestellt worden und nun nicht mehr möglich. Für den Beginn der Frist sei
das Ende des Mitgliedschaftsverhältnisses am 31.03.2011 von Bedeutung. Die hier
maßgeblichen materiellen Rechtsfragen seien vom Senat auch schon entschieden
worden. Die angegriffenen Regelungen seien danach rechtmäßig. Die Verordnung (EWG)
Nr. 1408/71 sei hier nicht anwendbar, weil sie nur staatenübergreifende Sachverhalte
erfasse.
43 Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
sowie die Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
44 1. Der Senat entscheidet über den Antrag gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch
Beschluss, weil die für die Entscheidung maßgebliche Sachlage geklärt und eine
mündliche Verhandlung daher nicht erforderlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom
31.03.2011 - 4 BN 18/10 -, Juris Rn. 29).
45 Die Beteiligten wurden zu dieser Verfahrensweise angehört. Sie sind mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
46 Auch die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK sind insoweit beachtet. Rechte und Pflichten
aus einer berufsständischen Versorgung dürften in den Anwendungsbereich dieser
Vorschrift fallen. Jedenfalls werden sozialversicherungsrechtliche Ansprüche dazu gezählt
(vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 6 Rn. 17). Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt
sich zwar die Verpflichtung, grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung
abzuhalten. Eine Ausnahme gilt jedoch bei außergewöhnlichen Umständen. Dabei kommt
es auf die Art der Sache an. Von einer mündlichen Verhandlung kann abgesehen werden,
wenn das Gericht nur über Rechtsfragen entscheiden muss, die nicht besonders schwierig
sind und keine Fragen allgemeiner Bedeutung aufwerfen (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Art.
6 Rn. 171). So liegt der Fall hier.
47 2. Der Antrag ist unzulässig.
48 Die Antragstellerin begehrt, „die Satzung der Antragsgegnerin in der Fassung vom
01.01.2011“ für unwirksam zu erklären. Damit richtet sie sich mit einem
Normenkontrollantrag gegen die Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in
Baden-Württemberg vom 20.10.1993 (Die Justiz 1994 S. 5) sowie die
Änderungssatzungen vom 25.10.1995 (Die Justiz S. 465), vom 08.04.1999 (Die Justiz S.
167), vom 13.10.2003 (Die Justiz S. 633), vom 07.12.2004 (Die Justiz S. 510), vom
24.02.2006 (Die Justiz S. 156), vom 19.11.2008 (Die Justiz S. 360), vom 14.07.2009 (Die
Justiz S. 214) und vom 07.12.2010 (Die Justiz S. 392). Denn diese Satzungen galten zum
01.01.2011.
49 Die nachfolgenden Änderungssatzungen vom 11.01.2012 (Die Justiz S. 57) und vom
26.07.2012 (Die Justiz S. 367) werden von der Antragstellerin mit ihrem
Normenkontrollantrag nicht angegriffen.
50 a) Soweit sich die Antragstellerin gegen die Änderungssatzung vom 07.12.2010 (Die
Justiz S. 392) wendet, fehlt es dem Normenkontrollantrag an der Antragsbefugnis nach §
47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
51 Das Erfordernis, mit der Normenkontrolle eine Rechtsverletzung geltend zu machen (vgl. §
47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), ist § 42 Abs. 2 VwGO entlehnt. Erforderlich, aber auch
ausreichend ist es daher, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen
vorträgt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass er durch die Norm in seinen
Rechten verletzt wird. Nur dann, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig
nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet, kann die Antragsbefugnis verneint werden
(vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2002 - BVerwG 9 CN 1.02 -, BVerwGE 117, 209, 211).
52 Danach steht der Antragstellerin die Antragsbefugnis nicht zu.
53 Die Änderungssatzung vom 07.12.2010 (Die Justiz S. 392) fasst § 11 Abs. 2 der Satzung
neu, ändert § 11a, fasst § 12 Abs. 3 neu, ändert § 15, fasst § 17 Abs. 3 und § 18 Abs. 6
neu, ändert § 22, fasst § 24 Abs. 1 neu, ändert § 25, fasst § 28 und § 30 Abs. 3 neu, ändert
§§ 31, 37 und 39 Abs. 1 sowie §§ 42 und 45 und fügt § 44a ein.
54 Mit keiner dieser Vorschriften setzt sich die Antragsstellerin auch nur im Ansatz
auseinander. Sie zeigt keine Tatsachen auf, aus denen sich die Möglichkeit einer
Rechtsverletzung durch die Normen dieser Änderungssatzung ergibt. Sie macht lediglich
geltend, die „Satzung der Antragsgegnerin in der Fassung vom 01.01.2011“ sei ungültig,
weil die Voraussetzungen der Satzung für eine Anwartschaft zu streng seien, so dass sie
aufgrund ihrer kurzen und beendeten Mitgliedschaft keine Rentenanwartschaft besitze.
55 An den aus Sicht der Antragstellerin zu engen Voraussetzungen für eine Alters- oder
Berufsunfähigkeitsrente bzw. die Erstattung und Überleitung der Beiträge in § 18 Abs. 1
und 3 bis 5, § 20 Abs. 1 und 4 sowie § 21 der Satzung hat sich jedoch durch die
Änderungssatzung vom 07.12.2010 nichts geändert. Sie waren bereits in früheren
Fassungen der Satzung, zum Teil schon seit der Ursprungsfassung so eng bzw. ohne die
Möglichkeit einer Anwartschaft bei nur kurzer Mitgliedschaftsdauer. So regelte bereits § 20
Abs. 4 der Satzung vom 20.10.1993 (Die Justiz 1994 S. 5), dass Voraussetzung für die
Gewährung einer Altersrente die mindestens fünfjährige Mitgliedschaft und die Zahlung
der festgesetzten Beiträge für mindestens sechzig Monate ist. Diese Vorschrift, die von der
Antragstellerin insbesondere angegriffen wird, gilt bis heute unverändert. Des Weiteren
galt diese Vorschrift bereits nach der Ursprungsfassung auch für ehemalige Mitglieder,
deren Beiträge weder erstattet noch übergeleitet worden sind (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 2 der
Satzung vom 20.10.1993 mit dem heute geltenden § 20 Abs. 1 Satz 4 der Satzung). Auch
eine Berufsunfähigkeitsrente wird bereits seit der Ursprungsfassung der Norm nur für
Mitglieder bezahlt.
56 Im näheren Regelungsumfeld der für eine solche Rentenanwartschaft bzw. die Erstattung
oder Überleitung der Beiträge relevanten Normen wurde lediglich § 18 Abs. 6 der Satzung
durch die Änderungssatzung vom 07.12.2010 neu gefasst. Er betrifft das Ruhen der
Erstattung oder Überleitung für den Fall, dass eine Familiensache anhängig ist, bei der ein
Versorgungsausgleich stattfinden kann. Aber auch bezüglich dieser Bestimmung zeigt die
Antragstellerin nicht im Ansatz auf, dass sie durch sie in ihren Rechten verletzt sein
könnte.
57 b) Im Übrigen, das heißt soweit sich der Normenkontrollantrag gegen die Satzung vom
20.10.1993 (Die Justiz 1994 S. 5) sowie die folgenden Änderungssatzungen bis
einschließlich der Änderungssatzung vom 14.07.2009 (Die Justiz S. 214) richtet, ist er
nicht innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden.
58 Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes
vom 01.11.1996 (BGBl. I S. 1626), das am 01.01.1997 in Kraft getreten ist, war ein
Normenkontrollantrag innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach Bekanntmachung der
Rechtsvorschrift zu stellen. Nach Art. 10 Abs. 4 des Gesetzes vom 01.11.1996 - einer
Überleitungsvorschrift - begann für Rechtsvorschriften, die vor dem 01.01.1997 bekannt
gemacht worden sind, die Frist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit Inkrafttreten des
Gesetzes vom 01.11.1996 zu laufen.
59 Ausgehend hiervon begann für die Satzung vom 20.10.1993 (Die Justiz 1994 S. 5) und die
Änderungssatzung vom 25.10.1995 (Die Justiz S. 465) die Antragsfrist nach § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO am 01.01.1997 zu laufen und endete mit dem 31.12.1998.
60 Zum 01.01.2007 wurde die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO durch Art. 3 Nr. 1 Buchst. a
des Gesetzes vom 21.12.2006 (BGBl. I S. 3316) auf ein Jahr verkürzt. Nach der hierzu
erlassenen Übergangsvorschrift des § 195 Abs. 7 VwGO galt für Rechtsvorschriften, die
vor dem 01.01.2007 bekannt gemacht wurden, die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in
der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung.
61 Die nach § 195 Abs. 7 VwGO übergangsweise fortgeltende Frist von zwei Jahren war
damit für die Änderungssatzungen vom 08.04.1999 (Die Justiz S. 167), vom 13.10.2003
(Die Justiz S. 633), vom 07.12.2004 (Die Justiz S. 510) und vom 24.02.2006 (Die Justiz S.
156) von Relevanz. Bei Einlegung des vorliegenden Normenkontrollantrags am
03.11.2011 war sie bereits abgelaufen.
62 Für die Änderungssatzungen vom 19.11.2008 (Die Justiz S. 360) und vom 14.07.2009
(Die Justiz S. 214) war dagegen die Ein-Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wie er
derzeit gilt, maßgebend. Die genannten Satzungen wurde im Dezember 2008 bzw. im
August 2009 amtlich bekanntgemacht. Bei Einlegung des vorliegenden
Normenkontrollantrags am 03.11.2011 war auch diese Frist bereits abgelaufen.
63 Die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO wurde auch nicht durch Bekanntmachung der
innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO angegriffenen Änderungssatzung vom
07.12.2010 (Die Justiz S. 392) im Dezember 2010 für die übrigen hier relevanten
Satzungen neu in Lauf gesetzt. Bei Normänderungen beginnt die Frist des § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO nur für die geänderten Bestimmungen neu, nicht jedoch für die unverändert
gebliebenen Bestimmungen, auch wenn sie vom Satzungsgeber erneut in seinen Willen
aufgenommen worden sein sollten. Durch Änderung einer Satzung wird eine abgelaufene
Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann erneut in Gang gesetzt, wenn die
Änderungssatzung neue Rechtsvorschriften enthält, die nun angegriffen werden und die
eine zusätzliche Beschwer durch die bisher geltenden, für sich genommen nicht mehr
angreifbaren Vorschriften bewirken, etwa weil sie deren Anwendungsbereich oder
materiellen Gehalt ändern (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 07.02.1961 -
2 BvR 23/61 -, BVerfGE 12, 139, 141, sowie Beschlüsse des Ersten Senats vom
19.03.1968 - 1 BvR 554/65 -, BVerfGE 23, 229, 237, und vom 06.06.1989 - 1 BvR 921/85 -,
BVerfGE 80, 137, 149; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30.07.2003 - 1
BvR 646/02 -, Juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 21.01.2004 - 8 CN 1/02 -, BVerwGE 120,
82; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.10.2010 - 5 S 1292/10 -, DVBl. 2011, 239; Bay. VGH,
Urteile vom 02.10.2001 - 23 N 01.723 -, BayVBl. 2002, 531, und vom 15.06.2005 - 4 N
03.1045 -, BayVBl. 2006, 16; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 18.06.2003 - 8 C 12003/02 -, Juris
Rn. 18; Sächs. OVG, Urteil vom 20.08.2008 - 5 D 24/06 -, Juris Rn. 19; OVG NRW, Urteil
vom 12.12.2005 - 10 D 27/03.NE, Juris Rn. 51; Wysk, in: ders. , VwGO, 2011, § 47
Rn. 23; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 47 Rn. 83; Ziekow, in: Sodan/ders.
, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 47 Rn. 289a; Heusch/Sennekamp, in: Umbach/Cle-
mens/Dollinger , BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 93 Rn. 90). Eine solche Ausnahme liegt
hier indes nicht vor. Die Antragstellerin macht nicht geltend, dass die Vorschriften der
Änderungssatzung vom 07.12.2010 (Die Justiz S. 392) die belastende Wirkung der zuvor
vom Antragsgegner erlassenen Satzungsbestimmungen, bezüglich derer die Antragsfrist
bereits abgelaufen ist, erweitern. Die aus Sicht der Antragstellerin zu engen
Voraussetzungen der Satzung, die in ihrem Fall, das heißt bei kurzer und beendeter
Mitgliedschaft, eine Anwartschaft ausschließen, blieben durch die Änderungssatzung vom
07.12.2010 unberührt. Daher kann sie nun auch keine hierauf bezogene Normergänzung
mehr geltend machen (vgl. zur Normergänzung: Kopp/Schenke, a.a.O., § 47 Rn. 14;
Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 47 Rn. 20).
64 Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO kommt nicht in Betracht.
Diese ist bezüglich der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgeschlossen, sonst hätten
alle Personen, die erst nach Ablauf der Antragsfrist von der Vorschrift betroffen werden,
einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Damit würde die
gesetzgeberische Absicht einer Befristung der prinzipalen Normenkontrolle weitgehend
obsolet (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 47 Rn. 83; Bay. VGH, Urteil vom 17.11.2009 - 1 N
08.2796 -, BayVBl. 2010, 439, OVG LSA Urteil vom 26.10.2011 - 2 K 10/10 -, Juris Rn. 64;
noch offen gelassen: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.07.2001 - 5 S 2711/99 -, Juris).
65 Die Einstufung der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO als Ausschlussfrist und der damit
einhergehende Ausschluss einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erscheint auch
nicht im Hinblick auf das aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot der Gewährleistung eines
effektiven Rechtschutzes gegen Akte öffentlicher Gewalt bedenklich. Bedenken bestünden
allenfalls dann, wenn ein Betroffener nach Ablauf der Ausschlussfrist keine Möglichkeit
mehr hätte, sich gegen eine Rechtsverletzung durch die oder aufgrund der Norm zur Wehr
zu setzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21.11.1996 - 1
BvR 1862/96 -, NJW 1997, 650). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Normenkontrolle
gemäß § 47 VwGO ist verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 27.07.1971 - 2 BvR 4434/70 -, BVerfGE 31, 364, 367 f.; Bay. VGH,
Urteil vom 17.11.2009 - 1 N 08.2796 -, BayVBl. 2010, 439). Es genügt auch, wenn die
Möglichkeit der inzidenten Rechtskontrolle - beispielsweise im Rahmen einer
Feststellungsklage - besteht (vgl. dazu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom
17.01.2006 - 1 BvR 541/02 u.a. -, BVerfGE 115, 81).
66 Abgesehen davon lägen hier auch nicht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt. Auch von Amts wegen ist hier
nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO eine Wiedereinsetzung nicht möglich, weil die versäumte
Rechtshandlung - der Normenkontrollantrag - nicht innerhalb der Zwei-Wochenfrist nach
Wegfall des Hindernisses nachgeholt wurde. Spätestens mit dem Schreiben des
Antragsgegners vom 01.04.2011 waren der Antragstellerin die sich aus der Satzung
ergebenden Folgen bekannt. Der Normenkontrollantrag wurde erst am 03.11.2011 gestellt.
67 3. Die Antragstellerin trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die
Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten
Zulassungsgründe vorliegt.
68 Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nummer II.14.3 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ
2004, S. 1327). Geht es - wie hier - im Recht der freien Berufe um einen Rentenanspruch,
ist der dreifache Jahresbetrag der Rente maßgeblich. Aus dem Schreiben des
Antragsgegners an die Antragstellerin vom 30.06.2011 ergibt sich, dass ihr zum
01.01.2011 bereits eine Anwartschaft auf eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 499,19
EUR pro Monat zugestanden hat, die sie mit dem Ende der Mitgliedschaft verloren hat.
Dieser Betrag ist hier der Berechnung zugrunde zu legen. Das von der Antragstellerin
bemängelte Fehlen einer Anwartschaft auf eine Altersrente kann hier außer Betracht
bleiben.
69 Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung ist der Beschluss unanfechtbar (vgl. § 68 Abs. 1 Satz
5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).