Urteil des VG Stuttgart vom 27.08.2014

VG Stuttgart: pakistan, christliche religion, kirche, minderheit, islam, konversion, bundesamt, familie, flüchtlingseigenschaft, wahrscheinlichkeit

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 27.8.2014, A 11 S 1128/14
Leitsätze
Christen aus Pakistan ist nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres
Glaubens die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Das gilt auch nach einer Konversion vom
Islam.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014
- A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Der am xx.xx.1983 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er kam nach
seinen Angaben am 08.02.2012 mit dem Schiff in die Bundesrepublik Deutschland und
stellte am 27.02.2012 einen Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend: Er habe in
Pakistan Probleme gehabt, weil er mit Christen in die Kirche gegangen sei und Christ
habe werden wollen. Weiter legte er Informationsmaterial und eine Bescheinigung der
Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. vom 11.05.2013 und eine Bescheinigung von
xxx in H. vom 07.05.2013 vor. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens verweist
der Senat auf die Niederschrift seiner Anhörung durch das Bundesamt vom 15.05.2013.
2 Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 20.06.2013 den Antrag auf Anerkennung als
Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte fest, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die
Abschiebung nach Pakistan an.
3 Am 28.06.2013 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart und berief sich
darauf, dass er zwischenzeitlich getauft worden sei. Er legte eine Taufkarte vom
02.06.2013, eine Mitgliedskarte des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden vom
28.05.2013, weiteres Informationsmaterial der Gemeinschaft Entschiedener Christen und
Informationsmaterial des Immigration and Refugee Board of Canada vom 20.09.2013 vor.
4 Nach den im Tatbestand des angegriffenen Urteils enthaltenen Feststellungen antwortete
der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen des Gerichts, welche Gründe es
für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen: Jesus sei
wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er
habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie
geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen
habe. Auf die Frage, welche konkreten Gründe er gehabt habe, nach Deutschland zu
kommen, antwortete er: In Pakistan sei er drei- bis viermal in der Kirche gewesen. Die
Familie habe das nicht gerne gesehen, auch seine Nachbarn nicht. Seine christlichen
Freunde hätten gemeint, er solle lieber in ein christliches Land gehen. Ein christlicher
Freund habe einen Schlepper gekannt. Später berichtigte der Kläger: Das Geld sei erst
bezahlt worden, nachdem es ihm gelungen sei, nach Deutschland zu kommen. Er habe
mit dem Freund Cricket gespielt. Sie seien gemeinsam in die Kirche gegangen. Es habe
sich um seine - des Klägers - Ersparnisse gehandelt.
5 Auf Fragen und Vorhalte seines Prozessbevollmächtigten gab der Kläger weiter an: In
Pakistan hätten sie ihm gesagt, er sei jetzt ein Nicht-Gläubiger. Er sei geschlagen und
bedroht worden. Sie hätten gesagt, es sei besser, ihn zu töten. Geschlagen worden sei er
im achten bzw. neunten Monat des Jahres 2012 (gemeint 2011). Er sei unterwegs zum
Gottesdienst gewesen. Sie hätten ihn angehalten und gesagt, sie würden ihn schlagen,
ihm Fußtritte geben und ihn umbringen. Einmal sei er geschlagen worden. Deswegen sei
er dreimal genäht worden. Er sei zu einem Arzt gegangen, einem Dr. N. in seiner Ortschaft.
Seine ganze Familie sei gegen ihn. Er habe keine Verbindung mehr mit der Familie. Zu
seiner Taufe führte er aus: Dr. S. habe ihn unterrichtet. Er komme einmal in der Woche am
Donnerstagnachmittag. X. sei eine Kirche; es gebe um 18:00 Uhr dort Gottesdienst. Dann
tränken sie Tee. Samstags um 11:00 Uhr gebe es einen gemeinsamen Gottesdienst mit
allen Personen.
6 Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte aus, der Kläger sei als Moslem in Pakistan
mit der christlichen Gemeinde in Berührung gekommen. Die Kontakte seien über einen
Freund hergestellt worden. Er sei vom christlichen Glauben fasziniert gewesen, nachdem
er drei- bis viermal in der Kirche gewesen sei. Er habe dann Probleme mit der Familie
bekommen. Aus seiner Sicht sei die Situation für ihn in Pakistan gefährlich. Es habe bei
ihm schon in Pakistan eine Festlegung auf das Christentum gegeben. Ein Verzicht auf die
Religionsausübung sei nicht Gegenstand von Überlegungen gewesen. Er gehöre der
Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. an und wolle den Glauben mit allen teilen. Er
wollte den Glauben auch in Pakistan weiterleben. Die Abwendung vom muslimischen
Glauben sei aus der Sicht der Hitzköpfe verwerflich. Es stelle sich die Frage, ob der Staat
hinreichende Schritte unternehme, den Kläger ggf. zu schützen. Aus staatlichen
Verfolgungsmaßnahmen könne man schließen, dass der Staat nicht Garant für den Schutz
sein könne.
7 Die Beklagte trat der Klage entgegen.
8 Mit Urteil vom 10.04.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab und
führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe das Gericht nicht davon
überzeugen können, dass er das von ihm geschilderte Schicksal tatsächlich erlitten habe.
Denn der Vortrag enthalte wesentliche Ungereimtheiten und widerspreche zum Teil
erheblich der allgemeinen Lebenserfahrung. So seien schon die Angaben des Klägers,
warum er sich dem Christentum zugewandt habe und schließlich habe taufen lassen,
ausgesprochen vage. Bei der Anhörung habe er hierzu nur angegeben, in der
Cricketmannschaft seien auch Christen gewesen. Mit ihnen sei er zusammen in die Kirche
gegangen. Man habe ihm gesagt, Jesus Christus habe den Leuten die Augen gegeben, er
habe die Verstorbenen wieder lebendig gemacht. Daraufhin sei sein Glaube an die
christliche Religion sehr stark gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe er hierzu
auch nicht viel mehr gesagt. Auf die Frage, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum
Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen, habe er gesagt: Jesus sei wegen ihrer
Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die
christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er
selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auffallend
sei dabei gewesen, dass er bei der Anhörung und auch in der mündlichen Verhandlung
zuerst angegeben habe, in Pakistan sei er drei- bis viermal in die Kirche gegangen, im
weiteren Verlauf der Anhörung habe er dann gesagt, er sei fünfmal in der Kirche gewesen.
Bei einer so geringen Anzahl von Kirchenbesuchen sei davon auszugehen, dass man sich
an diese Anzahl besser erinnere, zumal wenn sie zu einem so wesentlichen Schritt führe,
wie den Übertritt zu einer anderen Religion. Nicht verständlich seien die Angaben des
Klägers zu dem Arzt, zu dem er nach seinen Angaben gegangen sei, nachdem er
geschlagen worden sei. Hierzu habe er bei der Anhörung durch das Bundesamt
angegeben, er habe Dr. S. geheißen, mehr wisse er nicht; er glaube, er sei in der Rxxx
Rxxx in Lahore. In der mündlichen Verhandlung habe er dagegen gesagt, es habe sich um
einen Dr. N. in seiner Ortschaft gehandelt. Es widerspreche auch jeder Lebenserfahrung,
dass der Kläger trotz der Bedeutung seines Schritts weder gewusst habe, wann er
angefangen habe, in Pakistan in die christliche Kirche zu gehen, noch wann sich der
Vorfall abgespielt habe, bei dem er geschlagen worden sei. Die Angaben bei der
Anhörung hierzu seien äußerst vage gewesen, nämlich "irgendwann im Jahr 2011" bzw.
"das sei 2011" gewesen. Wenn sich ein so bedeutsames Ereignis tatsächlich abgespielt
gehabt hätte, hätte der Kläger in der Lage sein müssen, dies zeitlich erheblich konkreter
einzuordnen. Weiter widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand nach
wenigen Kirchenbesuchen, auch wenn er einmal geschlagen worden sei, von seinen
christlichen Freunden den Rat erhalte, sofort in ein christliches Land zu gehen, und dies
auch sofort tue. Immerhin seien 1,6 % der pakistanischen Bevölkerung Christen. Auch sei
es dem Kläger wirtschaftlich gut gegangen. Bei der Anhörung habe er insoweit
angegeben, er habe gut gearbeitet und habe das Geld gespart, das er für die Ausreise
ausgegeben habe. Es könne weiter nicht festgestellt werden, dass für den Kläger allein
wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen in Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohe. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach
Pakistan deshalb darüber hinausgehend Gefahr drohe, weil er die Religion gewechselt
habe und sich dort als Christ betätigen wolle, seien nicht ersichtlich. Auch sei nicht
festzustellen, dass dem Kläger Gefahren im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG oder § 60 Abs.
5 oder Abs. 7 AufenthG drohten.
9 Auf den vom Kläger fristgerecht gestellten Antrag ließ der Senat durch Beschluss vom
11.06.2014 die Berufung insoweit zu, als er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
begehrt und lehnte im Übrigen den Antrag ab.
10 Am 23.06.2014 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet. Er
führt aus: Das Verwaltungsgericht habe sich auf den Standpunkt gestellt, trotz
feststellbarer Verfolgungshandlungen gegen Christen und ungeachtet der Frage, ob der
pakistanische Staat im Hinblick auf die Verfolgung von Christen durch nichtstaatliche
Akteure tatsächlich gänzlich schutzwillig und schutzfähig sei, hätten die
Verfolgungsmaßnahmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die strengen
Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung angenommen werden könnten; es sei keine
hinreichende Verfolgungsdichte feststellbar.
11 Dieser Auffassung könne nicht gefolgt werden. Nach neueren Erkenntnismitteln habe die
Bedrohungslage der Christen in Pakistan jüngst eine neue, noch nicht dagewesene
Qualität erreicht. Bereits im Juni 2013 habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-
Württemberg in seinem Urteil bezüglich der Ahmadi in Pakistan von einer prekären, durch
Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der
Christen in Pakistan gesprochen. Diese Lage habe sich weiter verschlechtert. Vor diesem
Hintergrund drohe der Gruppe der Christen in Pakistan, die es nach ihrem
Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansähen, ihren Glauben in der
Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Verfolgung. Der Schutz religiöser Minderheiten sei in der Verfassung festgeschrieben,
auch gebe es Quoten für ihre Vertretung in staatlicher Beschäftigung und politischer
Vertretung. Ungeachtet dieser Gesetzeslage seien die als solche erkennbaren Christen in
Pakistan aber Diskriminierungen ausgesetzt. Diskriminierungen im wirtschaftlichen
Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt seien verbreitet. Christliche
Gemeinden und Institutionen seien Opfer von Landraub durch muslimische
Geschäftsleute. Auch der Besitz von geflohenen christlichen Privatpersonen werde von
den muslimischen Anwohnern in Besitz genommen. Diskriminierungen und Übergriffe
gingen aber nicht nur von privaten Akteuren aus. Es werde von einem Trend zu
entschädigungslosen Beschlagnahmen christlicher Friedhöfe und von dem Abriss einer
katholischen Einrichtung in Lahore auf Anweisung der örtlichen Regierung im Januar
2012 berichtet. Insbesondere hätten Christen in Pakistan aber schwer unter dem
Blasphemiegesetz zu leiden. Zwar gelte das Blasphemiegesetz dem Wortlaut nach
unterschiedslos für alle Pakistani. Religiöse Minderheiten seien jedoch besonders
betroffen. Zwar sei ein nach dem Blasphemiegesetz verhängtes Todesurteil noch nie
vollstreckt worden, allein der Vorwurf der Blasphemie könne jedoch ausreichen, um die
soziale Existenz des Beschuldigten und seiner Nachbarn zu zerstören. Ansätze, die
darauf abzielten, einen Missbrauch des Blasphemiegesetzes zu verhindern, seien
fehlgeschlagen. Ein beträchtlicher Anteil islamischer Kleriker in Pakistan rufe zu Gewalt
und Diskriminierung gegen Christen auf. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen
Gebieten sei es üblich, über die Lautsprecher von Moscheen dazu zu mobilisieren, gegen
religiöse Minderheiten vorzugehen. Ein Vorwurf gegen ein Mitglied der Minderheit genüge,
damit sämtliche Angehörige der Minderheit in der betreffenden Gegend als Schuldige
betrachtet würden, die bestraft werden müssten. Die National Commission for Justice and
Peace habe 2012 elf gezielte Tötungen an Christen registriert. Die Asian Human Rights
Commission schätze die Zahl der christlichen Mädchen, die jedes Jahr entführt,
vergewaltigt und zwangskonvertiert würden, auf etwa 700.
12 Die genannten Vorfälle seien Eingriffe in die Rechte auf Leben und körperliche
Unversehrtheit der Betroffenen. Sie seien als unmenschliche und erniedrigende
Behandlung zu begreifen. Sofern sie die Betroffenen unter Druck setzten, auf die
Praktizierung ihres Glaubens zu verzichten oder diese einzuschränken, lägen Eingriffe in
die Religionsfreiheit vor. Angesichts der Häufigkeit der Vorfälle in jüngster Zeit und der
Vielzahl von Personen, die bei einem einzigen Überfall auf eine Kirche oder ein Viertel
betroffen seien, oder etwa bei dem Vorwurf der Blasphemie gegen einen Christen
betroffen werden könnten, handele es sich nicht mehr nur um vereinzelte, individuelle
Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr sei jeder als solcher
erkennbare Christ in Pakistan wegen seiner Religion der aktuellen Gefahr eigener
Betroffenheit, also einem realen Risiko ausgesetzt. In die Würdigung einzustellen seien
hierbei nicht allein die Anzahl der wegen Blasphemie erfolgten Anklagen und
Verurteilungen und die Summe der von den Gewaltübergriffen durch Privatpersonen
betroffenen Opfer, sondern auch die nicht quantifizierbare Zahl an Christen, die Opfer von
Diskriminierung im alltäglichen Bereich, etwa bei der Arbeit, würden.
13 Akteure im Sinne von § 3d Abs. 1 AsylVfG seien in Pakistan nicht willens und in der Lage,
Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylVfG zu bieten. Zahlreiche Quellen berichteten, dass der
Staat beim Schutz religiöser Minderheiten vor Angriffen in den verschiedenen
Landesteilen versage. Die Polizei sehe bei Übergriffen von Privatpersonen auf Christen
lediglich untätig zu und biete keinen Schutz, es werde keine effektive Strafverfolgung der
Angreifer betrieben. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative.
14 Das Verwaltungsgericht habe auch eine nähere Prüfung unterlassen, ob all diese
Tatsachen eine systematische, einer Gruppenverfolgung gleichkommende
Diskriminierung darstellten. Alle Quellen wiesen auf eine systematische Diskriminierung
der Christen hin, die in ihren Folgen einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung
gleichkomme.
15 Was die individuelle Situation des Klägers betreffe, habe das Verwaltungsgericht nicht
bezweifelt, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur bezeichneten Gruppe
der Christen in Pakistan gehöre. Der Kläger habe vorgetragen, dass es nach seinem
Glaubensverständnis für ihn identitätsbestimmend sei, seinen Glauben in der Öffentlichkeit
zu leben und ihn in diese zu tragen, und dass ein Verzicht auf die Religionsausübung für
ihn auch in Pakistan nicht in Betracht komme, sondern er seinen Glauben mit allen teilen
wolle. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass der Kläger in Deutschland
nach intensivem Taufunterricht die Taufe empfangen habe und am christlichen Leben
teilnehme, namentlich durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an
donnerstäglichen Unterweisungen. Zwar seien im pakistanischen Strafgesetzbuch
Apostasie, Konversion und Missionierung für Christen nicht unter Strafe gestellt. Der Islam
sei jedoch Staatsreligion. Nach islamischem Recht stehe Konversion vom Islam weg unter
Todesstrafe. Nach einer im April 2010 in Pakistan durchgeführten Umfrage befürworteten
76 % der Befragten die Todesstrafe für die Abwendung vom Islam. Für Christen, die vom
Islam zum Christentum konvertierten und deren Konversion bekannt werde, sei die
Situation kritischer als für geborene Christen. In ihrer Familie stießen sie oft auf
Unverständnis und würden von ihr bedroht und verstoßen, es werde sogar versucht sie
umzubringen, weil der Abfall Schande und Verrat für die ganze Familie sei. Als
Konvertierte bekannte Christen seien Opfer schwerer Diskriminierungen, etwa am
Arbeitsplatz oder durch Behörden. Dies führe dazu, dass die Konversion zu einer
Minderheitenreligion in Pakistan häufig verheimlicht werde. Amnesty International berichte
von einem Mord an einem 18-jährigen Mädchen in Pakistan, das von seinem Bruder
erschossen worden sei, weil es sich zum Christentum bekannt gehabt habe. Im Mai 2013
sei ein 16-jähriger Junge verschwunden, der vom Islam zum Christentum konvertiert
gewesen sei. Zudem würden Konvertiten, die sich vom Islam abgewandt hätten,
unmittelbar von staatlicher Seite diskriminiert. Kinder eines muslimischen Ehepaars, das
vom Islam weg konvertiere, würden als unrechtmäßig betrachtet, sodass der Staat das
Sorgerecht für sie übernehmen könne. Da es nahezu ausnahmslos zu schweren
Diskriminierungen und Verletzungen von Menschenrechten komme, sei die
Verfolgungsdichte so hoch, dass von einer Gruppenverfolgung auszugehen sei. Es
mangele an einer Schutzbereitschaft von Akteuren im Sinn von § 3d AsylVfG. Die
unmittelbare Diskriminierung von staatlicher Seite im Hinblick auf die Kinder von
konvertierten Ehepaaren verstärke die Annahme, dass der pakistanische Staat nicht nur
nicht in der Lage, sondern auch nicht willens sei, Konvertiten Schutz zu bieten. Somit
bestehe für Konvertiten erst recht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Selbst bei einem
Wohnortwechsel, verbunden mit dem Versuch, sich in der neuen Umgebung als
geborener Christ auszugeben, bestehe wenig Aussicht, dass die Konversion geheim
gehalten werden könne. Auch der Kläger, dessen Zuwendung zum Christentum vor seiner
Ausreise in seinem Heimatort bekannt geworden sei, habe keinen Kontakt mehr zu seiner
Familie, die sich geschlossen gegen ihn gestellt habe.
16 Der Kläger beantragt,
17 das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - zu
ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 ihres Bescheids vom 20.06.2013
zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
18 Die Beklagte tritt der Berufung aus den Gründen des angegriffenen Urteils entgegen.
19 Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen individuellen
Verfolgungsgründen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Insoweit wird auf
die Niederschrift verwiesen.
20 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die
gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die Behördenakten der
Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor.
Entscheidungsgründe
21 Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete
Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft
zuzuerkennen.
23 I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG
ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des §
60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne
des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II
S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse,
Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder
wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen
vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder
wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als
Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder
Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der
grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach
Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer
Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der
Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie
der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9
Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden
Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich
sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen,
die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen
oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen
Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen
oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2
AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die
Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3
AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den
als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen
Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des
Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern
1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen
erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG
(vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem
Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden
Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a
AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom
19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ
2013, 936).
27 Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten
Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der
Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab
ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom
20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer
zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten
Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht
besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer
Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen.
Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben
furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach
Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar
einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein,
wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine
politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische
Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer
Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit"
einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das
Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger
Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere
des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen.
Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der
Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat
zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich
eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert
(so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013
- 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung
erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete
Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der
Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann,
wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete
Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall
immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht.
Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden
gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine
Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen
Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der
Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter
Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im
Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach
den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw.
verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln
und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der
Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in
einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch
wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann,
ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei
gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben
muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 -
NVwZ 1991, 384).
30 Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten
Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn
diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen
teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit
vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den
tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein
bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für
die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit
weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle
Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den
Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom
05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte"
voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr
einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte
Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende
individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die
Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet
auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und
qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung
ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen
gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise
spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG
genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der
erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven
Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 -
a.a.O.).
31 Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit
Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den
Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland
landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative
besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche
Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch
nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl.
Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den
Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und
Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei
muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen
betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller
Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von
staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG
einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich
der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG
nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf
eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen
Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in
Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine
kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen
Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei
der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom
21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig
davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1
AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. -
InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die
Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften
Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft
bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des
Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft,
ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche
Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das
Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird
Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom
02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw.
Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass
sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in
sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden;
hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher
Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom
27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden
stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem
Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der
„Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind.
Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der
Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings
begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und
nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im
Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen
veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im
Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation
als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die
Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach
Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende
Verfolgung geltend zu machen.
35 II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung
und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche
volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe,
namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße
körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich
bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren
ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt
hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht.
Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den
Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der
mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien
seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten
und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch
konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des
Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung
nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können
auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es
völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die
Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt
eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der
eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin,
dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine
plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl
von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte.
Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem
Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten
Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im
eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt
wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich
geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter
Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger
Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben
und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall
Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten,
ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen
und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in
einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden
sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren
haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht
nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden
wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in
Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa
sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im
Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger
eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx
angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses
nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im
Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in
der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen
des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das
Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen
Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen
und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung
davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde
sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam
organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr
gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und
Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der
Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den
Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür,
dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht.
Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die
Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht
hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht
geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher
eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen
hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten
oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der
mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen
haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum
passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur
Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er
mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt
angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt
2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt
werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv
auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang
nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er
als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als
verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten
seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und
ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres
Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden
Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl.
AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch
Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178
– im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte
betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit
der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in
Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan,
Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als
der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes
Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig
seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei
der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als
bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem
Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht
wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur
Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten
in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of
Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen
bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur
Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue
Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon
allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind
zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches
Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human
Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam
es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen
(Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen
ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet,
darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum
Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung
eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US
Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden
USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines
britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing
Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht
eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch
staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US
Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im
Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den
zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und
US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im
Folgenden USCRIF IV).
44 Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die
Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher
Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich
Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese
Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige
der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16;
HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und
1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten
gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im
Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233).
Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die
anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100
Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16,
und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge
christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört,
ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA,
S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf
Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013
von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten
Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits-
und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren
oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf
zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer
offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa
BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden
Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report
for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch
festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den
gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl.
auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die
Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze
der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu
betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl.
HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach
dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte
zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere
Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile
vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012,
454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige
Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen
Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann
aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013
festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht
die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen,
jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer
derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa
vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung,
dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen
Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights
Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die
christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang
der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung
nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile
Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen
Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die
christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug
versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten
Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische
Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber
nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der
christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird
beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website
http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass
tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv
praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem
Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte
Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur
vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf
hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere
Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia,
Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic
Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend
als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben.
Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und
Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem
christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch
nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil
Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S.
52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der
Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im
Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß
ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada,
Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions
(2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine
wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in
besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach
Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.),
wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane
nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen
Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff.
1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013
durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen
Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber
zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen,
Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein
durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die
christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die
Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-,
Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt
wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht
effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit
findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in
Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl.
BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum
obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments
Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen
entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn
erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik
mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im
Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem
Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem
grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon
deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der
festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich
fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne
Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende
Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann.
Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur
Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares
und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG,
Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten
Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus,
dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL
liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche
Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu
stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer
Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2
AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen
völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx,
a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in
erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch
flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche
Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch
solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder
persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL
nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches
Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt
und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein
Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards
umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden
Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden
flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies
gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der
christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit
zurückgeführt werden kann.
48 Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit
verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit,
sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler
oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und
bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S.
253).
49 Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch
keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der
christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung
im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der
vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der
Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14).
Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert
und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte
Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen
werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext
einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014,
S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen
sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen
eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio
benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die
Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der
christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls
faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im
Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“
eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber
in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten,
insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein
einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht
unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten
ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion
weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der
Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese
gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben
niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des
Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der
Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu
Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach
kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung
handeln.
53 Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen
dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die
Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln,
um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts
gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit
den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors,
Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über
die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der
geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die
Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß
sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach
Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden
Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst,
unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im
Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in
dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und
die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die
deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist,
tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren
Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller
Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der
Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im
Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen
Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln
immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S.
24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance,
Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag
auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers
nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu
sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat
nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert
behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des
Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung
hingewiesen wurde.
54 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe
dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).