Urteil des VG Stuttgart vom 05.11.2009

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VG Stuttgart Beschluß vom 5.11.2009, 12 K 3961/09
(Widerspruch gegen Untersagung des Schulbesuchs)
Leitsätze
Der Widerspruch gegen die Untersagung des Schulbesuchs nach § 90 Abs. 9 SchulG BW hat aufschiebende Wirkung.
Tenor
Dem Antragsteller wird mit Wirkung ab 30.10.2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... in ... beigeordnet.
Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verfügung der Rektorin der ...-Schule vom 20.10.2009 aufschiebende
Wirkung hat.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung eines noch zu erhebenden Widerspruchs gegen die Verfügung der Rektorin der ...-
Schule vom 20.10.2009 anzuordnen, ist in den Antrag umzudeuten festzustellen, dass sein Widerspruch gegen diese Verfügung aufschiebende
Wirkung hat. Denn der Antragsteller hat inzwischen Widerspruch gegen die Verfügung erhoben. Der Widerspruch hat auch aufschiebende
Wirkung, der Antragsgegner geht aber davon aus, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs entfällt.
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Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ergibt sich aus Folgendem:
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Ein Widerspruch hat nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt nur unter den in §
80 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere liegt kein Fall vor, für den
Landesrecht die aufschiebende Wirkung vorschreibt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
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Eine solche Regelung enthält für den vorliegenden Fall nicht § 90 Abs. 3 Satz 3 SchG. § 90 SchG erfasst allgemein "Erziehungs- und
Ordnungsmaßnahmen". Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG können die dort genannten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen getroffen werden.
Nach § 90 Abs. 3 Satz 3 SchG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Aus der systematischen Stellung
dieses Satzes ergibt sich, dass er sich (nur) auf die zuvor genannten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen beziehen kann.
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Die Verfügung der Rektorin der ...-Schule vom 20.10.2009, um die es vorliegend geht, ist dagegen unter Anwendung von § 90 Abs. 9 SchG
erlassen worden. Nach dieser Vorschrift kann der Schulleiter in dringenden Fällen einem Schüler vorläufig bis zu fünf Tagen den Schulbesuch
untersagen, wenn ein zeitweiliger Ausschluss vom Unterricht zu erwarten ist, oder er kann den Schulbesuch vorläufig bis zu zwei Wochen
untersagen, wenn ein Ausschluss aus der Schule zu erwarten ist. Diese Vorschrift steht in doppelter Weise außerhalb der Systematik des § 90
Abs. 3 SchG. Es handelt sich zum einen um eine eigenständige Regelung, die in einem eigenen Absatz getroffen wurde. Zum anderen
ermöglicht sie eine Maßnahme, die nicht zu den in § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG genannten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gehört. Denn sie
ermöglicht die Untersagung des Schulbesuchs. Dies ist begrifflich etwas anderes, als Ausschluss vom Unterricht oder Ausschluss aus der
Schule. Dies zeigt schon die Wortwahl in § 90 Abs. 9 SchG. Dort wird gerade zwischen Untersagung des Schulbesuchs, zeitweiligem Ausschluss
vom Unterricht und Ausschluss aus der Schule unterschieden. Dem steht nicht entgegen, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs zur
Einfügung des § 90 Abs. 3 Satz 3 SchG (Landtagsdrucksache 13/1424) die Untersagung des Schulbesuchs als "vorläufiger Schulausschluss"
bezeichnet wurde. Denn ein "vorläufiger Schulausschluss" gehört nicht zu den Maßnahmen, die in § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG genannt werden.
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Eine entsprechende Anwendung von § 90 Abs. 3 Satz 3 SchG auf die durch § 90 Abs. 9 SchG ermöglichten Maßnahmen kommt nicht in Betracht.
Dem steht einmal die enge systematische Verknüpfung von § 90 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 SchG entgegen. Zum anderen enthält § 90 Abs. 3 Satz
3 SchG eine Ausnahme von der oben genannten Regel, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben.
Ausnahmeregelungen sind aber grundsätzlich eng auszulegen.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass § 90 Abs. 9 SchG schon von der Natur der Sache her nur dringende Fälle erfasst, in denen Maßnahmen
schnell wirken müssten. Denn es ist Sache des Gesetzgebers, dem Rechnung zu tragen. Im Übrigen ist es dem Schulleiter unbenommen, für
solche Maßnahmen den Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen.
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Ein anderes Ergebnis gebietet nicht die Begründung des Gesetzentwurfs zur Einfügung des § 90 Abs. 3 Satz 3 SchG (Landtagsdrucksache
13/1424). Dort wird zu Abs. 3 Satz 3 ausgeführt: "... (es) ist ... allgemein anerkannt, dass Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen möglichst ohne
Verzögerung realisiert werden müssen, so dass die Schulen die sofortige Vollziehung anordnen können. Dies ist dann eine Formalität, die zu
einem verzichtbaren zusätzlichen Aufwand führt." Entsprechende Ausführungen zu § 90 Abs. 9 SchG enthält die Begründung nicht.
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Auf diesen Gründen beruht auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt .... Sie kann allerdings erst ab
30.10.2009 erfolgen, weil der entsprechende Antrag erst zu diesem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist.
10 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO.
11 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.