Urteil des VG Sigmaringen vom 24.01.2017

syrien, asylg, flüchtlingseigenschaft, politische verfolgung

VG Sigmaringen Urteil vom 24.1.2017, A 4 K 5434/16
Rechtsschutzbedürfnis bei Klagen syrischer Flüchtlinge auf Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft; Heranziehung zum Wehrdienst als Anerkennungsgrund;
Rückkehrerverfolgung droht weiterhin
Leitsätze
1. Klagen syrischer Asylbewerber, mit dem Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, fehlt nicht das
Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn ihnen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde.
2. Nach der derzeitigen Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass wehrfähige männliche Personen syrischer
Staatsangehörigkeit der Gefahr ausgesetzt sind, in einer die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG
erfüllenden Weise zum Wehrdienst herangezogen zu werden.
3. Nach derzeitiger Erkenntnislage bestehen keine Anhaltspunkte, welche den Schluss rechtfertigen würden,
dass die in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg angenommene Rückkehrerverfolgung nicht mehr
bestehen würde.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 wird hinsichtlich dessen Ziffer 2
aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2 Die 1981 und 1986 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige
und miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe sind die 2011 und 2014 geborenen Kläger zu 3) und 4)
hervorgegangen. Die Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben von der Volkszugehörigkeit Araber und
sunnitischer Religionszugehörigkeit. Die Meldung als Asylsuchende erfolgte am ...09.2015 in Heidelberg, die
Asylantragstellung am ...05.2016. Die Kläger sind nunmehr in ... wohnhaft.
3 Ausweislich der Aktenvermerke in der Behördenakte vom ...02.2016 konnten bei den syrischen Reisepässen
der Kläger keine Manipulationen festgestellt werden; die Reisepässe entsprächen dem bei der Beklagten
bekannten Vergleichsmaterial.
4 In seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Sigmaringen am ...09.2016 gab der
Kläger zu 1) an, dass er sich mit seiner Familie in Deir ez-Zor und dort im Stadtviertel Hay Al Kosour
aufgehalten und als Sportlehrer gearbeitet habe. Auf entsprechende Nachfragen gab er an, dass Deir ez-Zor
am Fluss Euphrat liege. Es gebe dort die Tageszeitung Al Furat. Im Euphrat gebe es die Insel Hawijat Kati. Er
sei von Syrien mit dem Bus in den Libanon, von dort mit der Fähre in die Türkei und mit einem Boot nach
Griechenland gefahren. Von dort sei er weiter über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Österreich nach
Deutschland gereist. Er habe von ... 2002 bis ... 2004 Wehrdienst geleistet. Politisch habe er sich nicht
betätigt. Kriegsverbrechen, gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, den Einsatz von chemischen
Waffen oder ähnliches habe er nicht beobachtet. Seine Heimatstadt sei zweigeteilt gewesen. Der Nord-
Osten und das Umland seien von ISIS besetzt gewesen. Der süd-westliche Teil, in welchem er gewohnt
habe, sei von Regierungstruppen besetzt gewesen. Diese hätten von ihm erwartet, dass er kämpfe.
Aufgrund seiner Ablehnung habe man ihn unter Druck gesetzt. Man habe ihm nichts zu essen oder zu
trinken gegeben. Das Wohnhaus der Familie sei durch das Artilleriefeuer des ISIS zerstört worden. Er sei
daraufhin mit seiner Familie ein paar Straßen weiter zu seinen Eltern gezogen. Die Familie habe sodann Deir
ez-Zor mit dem Ziel Damaskus verlassen wollen. Sein Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Schließlich habe
die Familie nach Damaskus fliehen können. Er persönlich sei auf dem Weg kontrolliert, bedroht und
geschlagen worden. Er habe mit seinen Kindern fünf Stunden in der Sonne stehen müssen. Dies sei so
erniedrigend gewesen, dass er sich nach sechs Wochen in Damaskus entschlossen habe, auszureisen, zumal
das Leben in Damaskus genauso unsicher und teurer sei. Des Weiteren sei in Damaskus für ihn und seine
Familie als Sunniten kein Platz. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien fürchte er den Tod. Er wolle für keine
der Kriegsparteien kämpfen und befürchte, deshalb getötet zu werden. Dies befürchte er aufgrund der
Zwangsrekrutierung in Syrien und der fehlenden Lebensgrundlage für sich und seine Familie. In der
Anhörung beschränkte der Kläger zu 1) seinen Asylantrag auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
5 In ihrer Anhörung am selben Tag gab die Klägerin zu 2) an, sie habe ihr Heimatland am ...09.2015 verlassen
und sei am ...09.2015 nach Deutschland eingereist. Sie habe bis zur Ausreise mit ihrer Familie in Deir ez-
Zor, dort im Stadtviertel Hay Al Kosour und danach im Viertel Hay Al Roshdia bei den Eltern ihres Mannes
gelebt. In Syrien habe sie ein Anglistik-Studium mit Diplom abgeschlossen. Sie habe als Englischlehrerin an
einer staatlichen Schule gearbeitet, nach Kriegsbeginn sei sie jedoch nur zu Hause gewesen. Auf Nachfrage
gab sie an, dass es in Deir ez-Zor die Tageszeitung Al Furat sowie eine gleichnamige Universität gebe. Sie
wolle hier leben, in Syrien habe sie nur im Hause gelebt. Ihr könne in Syrien alles passieren. Sie wolle nicht
mehr zurück. In Deir ez-Zor sei die Lage völlig unsicher. Es gebe wenig zu essen und zu trinken. Die
täglichen Bombardierungen seien lebensbedrohlich. Ihr Mann sei von Regierungstruppen bedroht und
erniedrigt worden. Als Sunniten würden sie im ganzen Land missachtet. In der Anhörung beschränkte sie
ihren Asylantrag auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
6 In einem Aktenvermerk in der Behördenakte vom ...09.2016 wird festgehalten, dass nach Auffassung des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge eine positive Entscheidung nach § 3 Abs. 1 AsylG wahrscheinlich
erscheine. Die Kläger stammten „zweifelsohne aus Deir ez-Zor in Syrien“. Das Asylvorbringen sei „glaubhaft
dargestellt“ worden.
7 In einem weiteren Aktenvermerk vom ...10.2016 wird in der Behördenakte ausgeführt, dass in allen
Landesteilen Syriens ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Für alle Zivilpersonen liege eine
Gefahrverdichtung vor, d.h. sie seien bereits allein durch ihre Anwesenheit in Syrien einer
schutzauslösenden individuellen Gefahr aufgrund willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Eine Verfolgung „in
Anknüpfung an eines der Merkmale der GFK“ sei nicht glaubhaft geltend gemacht worden, sodass kein
Flüchtlingsschutz gewährt werden könne.
8 Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...10.2016 – den Klägern zu 1) und 2) am
...11.2016 zugestellt – wurde den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und die Asylanträge im
Übrigen abgelehnt. Hinsichtlich der Flüchtlingseigenschaft wurde ausgeführt, dass die vom Kläger zu 1)
befürchtete Heranziehung zum Wehrdienst nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könne.
Aus dem Vortrag der Kläger seien weder eine konkrete Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich
relevantes Merkmal ersichtlich. Es sei nicht ersichtlich, dass wegen der Ausreise flüchtlingsrechtlich
relevante Maßnahmen drohten. Wegen der weiteren Begründung wird auf den verfahrensgegenständlichen
Bescheid Bezug genommen.
9 Die Kläger haben am 15.11.2016 beim erkennenden Gericht Klage erhoben. Zur Begründung wird auf die
Anhörung der Kläger zu 1) und 2) im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Die Verweigerung des
Militärdienstes werde als Zuwendung zum regierungsfeindlichen Lager angesehen. Bereits der Aufenthalt
und die Asylantragstellung im Ausland würden als feindliche Akte angesehen. Dies gehe aus der
Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Beirut hervor.
10 Die Kläger beantragen,
11 ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und
Flüchtlinge vom ...10.2016 hinsichtlich dessen Ziffer 2 aufzuheben.
12 Die Beklagte ist der Klage schriftsätzlich entgegengetreten.
13 Auf Antrag der Kläger wurde ihnen mit Beschluss der Kammer vom ...01.2017 Prozesskostenhilfe für das
vorliegende Verfahren bewilligt. In der mündlichen Verhandlung am 24.01.2017 wurden die Klägerin zu 2)
und der Kläger zu 1) getrennt voneinander informatorisch befragt.
14 Informatorisch befragt gab die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung an, sie habe mit ihrer Familie in
einem Viertel der Regierung gelebt. Es habe Bombardierungen gegeben und keine Sicherheit. Die Kinder
hätten nicht zur Schule gehen können.
15 Auf Befragen des Gerichts führte sie weiter aus, sie hätten bei der Familie ihres Mannes im Stadtteil Kosour
gelebt. Im Stadtteil Roshdija habe sie ihren Mann geheiratet und dort hätten sie früher auch gelebt. Das
Gebiet sei zerstört worden, es habe Bombardierungen gegeben und auch ihr Haus sei getroffen worden.
Wer genau diesen Teil besetzt habe, wisse sie nicht; es gebe in Syrien viele Gruppen, die Gegner des
Regimes seien. Sie habe sich mehrheitlich im Haus aufgehalten und letztlich nicht viel gesehen. Primär habe
sie die Bombardierungen mitbekommen. In Deir ez-Zor habe es keine Infrastruktur, kein Essen und kein
Wasser mehr gegeben. Die Situation sei immer unerträglicher und das Leben unmöglich geworden. Ihr Mann
habe Essen besorgt, viele seien schon vor der Dämmerung oder kurz nach dem Frühgebet losgezogen, da es
lange Wartezeiten gegeben habe. Es sei immer schlimmer geworden.
16 Auf weiteres Befragen des Gerichts nach der Flucht nach Damaskus gab die Klägerin zu 2) an, es habe
Wartelisten für die Ausreise gegeben; man habe sich registrieren fassen müssen. Schließlich sei ihnen dies
gelungen und sie seien nach Damaskus ausgeflogen. In Damaskus habe sich die Familie etwa einen Monat,
vielleicht auch mehr, aufgehalten. Aus Damaskus seien sie dann mit einem Bus in den Libanon geflohen.
17 Gefragt nach besonders einprägsamen Ereignissen gab die Klägerin zu 2) an, dass sie in Damaskus
aufgehalten worden seien. Sie hätten zwei Stunden warten müssen. Ihr Mann sei mit Maschinengewehren
geschlagen worden; man habe ihm gesagt, dass er kämpfen solle. Genau wisse sie nicht, wie lange es
gedauert habe; es sei sehr lang gewesen. Es seien Regierungstruppen gewesen.
18 In seiner Anhörung gab der Kläger zu 1) – informatorisch nach dem Leben in Deir ez-Zor befragt – an, dass
die Familie in einem Haus in Al Roshdija gelebt habe. Dieses sei bei Bombardierungen zerstört worden und
die Familie sei dann zu seinen Eltern gezogen. Der Stadtteil, in dem seine Eltern lebten, heiße Al Kosour und
sei von den Regierungstruppen besetzt. Al Roshdija sei in der Hand des IS und dieser habe ein Embargo
gegen die Regierung verhängt.
19 Nach dem Einsturz des Hauses und dem Embargo des IS Anfang 2015 habe die Regierung die
Zivilbevölkerung aufgefordert, an die Front zu gehen. Er selbst sei Sportlehrer und habe weder Lust an der
Front zu kämpfen noch könne er dies. Die Regierung wolle einen dazu zwingen. Wenn man die Aufforderung
zu kämpfen nicht befolge, gebe es zunächst kein Essen. Dann sei die Familie nach Damaskus geflohen.
20 Die Versorgung mit Essen sei sehr gering gewesen. Für ihn als Mann sei aber nicht nur die Essensversorgung
relevant, sondern auch der Kriegsdienst. Er sei gezwungen gewesen zu fliehen. Die Familie sei dann auch
gezwungen gewesen, ausgeflogen zu werden, um nicht auf der Reise nach Damaskus vom IS aufgegriffen zu
werden. Die Reise sei später genehmigt worden, sodass sie nach Damaskus hätten fliegen können. Es sei
schwer gewesen, aber schließlich sei es genehmigt worden.
21 Unterwegs in Damaskus sei er mit seiner Familie angehalten und von Regierungstruppen kontrolliert
worden. Man habe anhand des Ausweises gesehen, dass er aus Deir ez-Zor stamme. Anfangs habe er zwei
Stunden warten müssen, danach dann noch zwei oder zweieinhalb Stunden. Erst habe er warten müssen,
dann habe man ihn mit Absicht warten lassen, nachdem man ihn aufgefordert habe, für die Regierung zu
kämpfen. Als er dies verweigert habe, sei er u.a. mit einem Gewehrkolben geschlagen und beleidigt worden.
Insofern – so gab der Kläger zu 1) auf Vorhalt an – könne es gut sein, dass er in der Anhörung beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Gesamtzeit mit vier bis viereinhalb oder fünf Stunden
beschrieben habe.
22 Auf Nachfrage gab der Kläger zu 1) an, der Flug nach Damaskus sei im 7. oder 8. Monat des Jahres 2015
gewesen. In Damaskus habe sich die Familie etwa ein bis eineinhalb Monate aufgehalten. Mit dem Bus seien
sie in den Libanon und mit dem Schiff in die Türkei gereist.
23 Auf Nachfrage, was er im Falle einer Rückkehr für sich selbst und isoliert für seine Frau befürchte, gab er an,
dass er als Verräter gelte, weil er nicht gekämpft habe. Weil sie Sunniten seien, gebe es nicht so gute
Möglichkeiten; vielleicht würden er und seine Familie getötet, sie hätten aber jedenfalls keine gute Zukunft.
Auf Nachfrage, wie die Rekrutierung ablaufe, gab er an, dass es keine Briefe oder ähnliches gebe, man werde
auf der Straße oder am Checkpoint „geschnappt“. Auf Nachfrage gab er an, dass auch Leute verschwänden;
er wisse von vielen Leuten, die aufgegriffen worden und dann nicht mehr aufgetaucht seien. Bei der
Ausreise sei er an der Grenze und vom Zoll sowohl von libanesischen als auch syrischen Behörden
kontrolliert worden.
24 Dem Gericht liegt ein Ausdruck der elektronischen Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diese und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
25 1. Die Kammer ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, nachdem dieser nicht dem Berichterstatter
zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist (vgl. § 76 Abs. 1 AsylG).
26 2. Das Gericht kann gem. § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden, obwohl die Beklagte nicht zur mündlichen
Verhandlung erschienen ist, nachdem sie ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen wurde, dass auch
ohne ihr Erscheinen verhandelt werden kann.
27 3. Die Klage ist auch zulässig, da sie insbesondere fristgemäß erhoben worden ist und auch ein
Rechtsschutzbedürfnis besteht. Denn die aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erteilte
Aufenthaltserlaubnis wird gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG – mit Verlängerungsmöglichkeit – längstens für
drei Jahre erteilt, während subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG – wie den Klägern
–lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwei Jahre erteilt
werden darf. Der Status eines anerkannten Flüchtlings im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit der
Genfer Flüchtlingskonvention gewährt daher einen für die Kläger günstigeren Status, als der ihnen
gewährte subsidiäre Schutzstatus. Es kann deshalb vorliegend offenbleiben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis
mit Blick auf den durch § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG eingeschränkten Familiennachzug bei subsidiär
Schutzberechtigten, deren Kernfamilie sich bereits im Bundesgebiet befindet, bestehen kann.
II.
28 Die Klage ist auch begründet. Der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesamts für Migration und
Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger
haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie die gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllen.
29 Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner
Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen
Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in
dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren
kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
30 Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder
dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen unveränderlichen gemeinsamen Hintergrund gemein haben
oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen
sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem
betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als
andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A
10922/16 –, juris; Nds. OVG, Urteil vom 21.09.2015 – 9 LB 20/14 –, juris).
31 Dabei ist die Furcht vor Verfolgung begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund
der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h.
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 – A 11 S
689/13 –, juris). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vom 20.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie
(QRL) – ist die Tatsache, dass ein Asylantragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften
Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein
ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des jeweiligen Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw.
dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen
dagegen, dass dieser Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht
wird.
32 Entscheidend ist insofern, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der
Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als
unzumutbar erscheint (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.11.2015 – A 12 S 1999/14 –, juris). Dies
kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50
Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 – 9 C 118.90 –,
Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 147).
33 Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der
vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für
eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen
sprechenden Tatsachen überwiegen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 – 9 C 32.87 –, Buchholz
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80). Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles im Sinne einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch
das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C
23.12 –, Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 14). Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller
Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in
seine Betrachtung einbeziehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2016 – A 10 S 332/12 –, juris).
Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für
eine Verfolgung besteht, kann die Intensität der drohenden Verfolgung aus der Sicht eines besonnenen und
vernünftig denkenden Menschen für die Entscheidung maßgeblich sein, ob er in seinen Heimatstaat
zurückkehren will oder nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B 06.30883 –, juris).
34 Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen,
die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat; insbesondere auch auf einem
Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder
Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die – wie hier – bereits während eines Erstverfahrens
oder erst mit der Ausreise verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die
Flüchtlingsanerkennung müssen diese – anders als bei der Asylanerkennung – nicht auf einer festen, bereits
im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom
18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen
beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller
von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Erst für nach dem erfolglosen
Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der
Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom
18.12.2008 – 10 C 27.07 –, Buchholz 402.25 § 28 AsylVfG Nr. 24 ). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren –
wie hier – ist demnach die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG,
Urteil vom 05.03.2009 – 10 C 51.07 –, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 28).
35 Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der
Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt
stimmig zu schildern (vgl. §§ 15, 25 Abs. 1 AsylG; BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 – 9 C 321/85 –, Buchholz
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64).
36 Ist – wie im vorliegenden Fall – der Sachverhalt soweit ermittelt, dass alle ernsthaft in Betracht kommenden
Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem
Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Ziel dieser Würdigung des
Gesamtergebnisses und insbesondere der verfügbaren Beweis- und Erkenntnismittel ist die Begründung der
richterlichen Überzeugung über das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen bestimmter erheblicher Umstände. Es ist
demgemäß zu erkennen, wie stark oder schwach die einzelnen Umstände und Elemente des Prozessstoffs
auf das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein der behaupteten Tatsache hinweisen, wobei das aus
seiner Lebens- und Welterfahrung gewonnene Erfahrungswissen und die Erfahrungssätze des erkennenden
Richters den Maßstab bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.03.1971 – VIII C 24.70 –, BVerwGE 38, 10 <12>).
Das dem Gericht bekannte Wissen über allgemein offenkundige Tatsachen bzw. die aus der amtlichen
Tätigkeit gewonnenen Kenntnisse ergänzen diesen Maßstab der Beweiswürdigung (Dawin, in:
Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108 VwGO Rn. 16 (Stand: April 2013), m.w.N.).
37 Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und
keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem
für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen
gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A
10922/16 –, juris). Zudem ist die besondere Beweisnot des hinsichtlich der guten Gründe für seine
Verfolgungsfurcht mit der Beweislast beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen. Mit Rücksicht
darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden als „Zeuge in eigener Sache“ und dessen
Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25
§ 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
38 Je größer unter Anwendung dieses Maßstabs die Zahl der übereinstimmenden und je geringer die Zahl der
differierenden Merkmale unter den den Prozessstoff bildenden Elementen ist, desto größer ist die
Allgemeingültigkeit einer Hypothese, und umso geringer ist die Zufälligkeit der Ähnlichkeit, Gleichartigkeit
oder Identität in Bezug auf ein einzelnes Merkmal (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108
VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.). Dabei unterliegt die Überzeugungsbildung des Gerichts seiner
„Freiheit“, d.h. einer richterlichen Einschätzungsprärogative (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth
(Hrsg.), VwGO, 6. Aufl., 2014, § 108 Rn. 10). Diese findet ihre Grenze in den Denkgesetzen, dem
Willkürverbot und in dem Gebot der vollständigen Würdigung des gesamten Prozessstoffs (BVerwG,
Beschluss vom 17.10.2012 – 8 B 47/12 –, NVwZ-RR 2013, 97 <100>). In diesem Rahmen ist das Gericht
berechtigt, auf jedes Einzelelement des Prozessstoffs zurückzugreifen, andererseits aber auch verpflichtet,
das Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschöpfen (statt vieler BVerwG, Urteil vom 14.06.1985 –6 C 33/82
–, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 169; Beschluss vom 21.01.2014 – 10 B 3/14 –, Buchholz 310 § 108 Abs. 1
VwGO Nr. 81).
39 Das erkennende Gericht muss demnach alle geeigneten Erkenntnismittel nutzen, wobei eine Verletzung der
gerichtlichen Aufklärungspflicht regelmäßig dann nicht vorliegt, wenn das Gericht den nach seiner
Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für
aufgeklärt hält und die – wie hier zumindest im vorbereitenden Verfahren – sachkundig vertretenen
Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gestellt oder im vorbereitenden Verfahren angekündigt haben
(BVerwG, Urteil vom 27.07.1983 – 9 C 541.82 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146; Beschluss vom
10.10.2013 – 10 B 19.13 –, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 67).
40 1. Die Kammer ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabs zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den
Klägern um syrische Staatsangehörige handelt, die aus Syrien ausgereist sind, ohne dass sie vor ihrer
Ausreise aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 AsylG niederlegten Merkmale verfolgt worden wären.
41 Bilden – wie im vorliegenden Fall hinsichtlich des individuellen Schicksals der Kläger – Aussagen natürlicher
Personen über Wahrnehmungen und Erlebnisse die einzigen Mittel zur Sachverhaltsermittlung, sind diese im
Wege der Aussageanalyse dahingehend zu würdigen, ob sie glaubhaft sind, d.h. ob sie Tatsachen schildern,
hinsichtlich derer das Gericht überzeugt ist, dass sie sich – wie sie im Verwaltungsverfahren und im Prozess
vorgebracht wurden – zugetragen haben (vgl. Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO, § 108
VwGO Rn. 13 (Stand: April 2013), m.w.N.).
42 Kein anderer Maßstab kann für die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als „Zeuge in eigener Sache“ gelten,
welche im Asylverfahren hinsichtlich des Flucht- oder Verfolgungsschicksals des Asylsuchenden regelmäßig
als einziges Erkenntnismittel in Betracht kommen und so gesteigerte Bedeutung erfahren (BVerwG,
Beschluss vom 10.05.2002 – 1 B 392.01 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259; Urteil vom 16.04.1985 – 9
C 109.84 –, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32).
43 Gegenstand der Prüfung der Glaubhaftigkeit, welche damit in Ermangelung anderer Ermittlungsansätze
aufgerufen ist, ist die Frage, ob die Angaben hinsichtlich eines bestimmten tatsächlichen Geschehens
zutreffen oder nicht. Dabei ist zunächst zu unterstellen, dass die Aussage weder wahr noch falsch ist; es
sind auf Grundlage eines Glaubhaftigkeitswerts von Null weitere Hypothesen zu bilden (sog.
„Nullhypothese“, vgl. hierzu m.w.N. BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746
<2747>; zu deren Anwendbarkeit außerhalb des Strafprozesses LSG Baden-Württemberg, Urteil vom
15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690; zu deren Bedeutung für die richterliche
Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 27.03.2003 – 1 StR 524/02 –, NStZ-RR 2003, 206 <208>).
44 Ergibt sich, dass diese Hypothese, die Aussage sei weder wahr noch falsch, nicht zutreffen kann, bspw. weil
sich die Aussage durch genügend Qualitätsmerkmale auszeichnet, die den Schluss rechtfertigen, dass sie der
Wahrheit entspricht, d.h. die „Nullhypothese“ mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung
stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre
Aussage handelt (BGH, Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746 <2747>; OLG Stuttgart,
Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506; VG Meiningen, Beschluss vom 08.12.2011 – 6 D
60012/11 Me –, juris).
45 Demnach ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass Aussagen über Erlebtes und Nicht-Erlebtes
sich in ihrer Qualität unterscheiden (sog. „Undeutsch-Hypothese“, vgl. zum Ganzen Bender/Nack/Treuer,
Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 283 ff.), sodass die Aussage zunächst inhaltsorientiert
und sodann merkmalsorientiert dahingehend überprüft werden kann, ob sie Merkmale bzw. Anzeichen
enthält, die für ihre Glaubhaftigkeit sprechen (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW
2006, 3506).
46 Als solche sog. „Realitäts-“oder „Glaubhaftigkeitsanzeichen“ kommen insbesondere ein Detailreichtum,
Angaben zu im Hintergrund stehenden Umständen, eine nicht chronologische und unpräzise – gleichwohl
inhaltlich ausführliche – Erzählweise im Gegensatz zur Wiedergabe angelernter oder ausgedachter
Informationen in Betracht (vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 19.07.2006 – 2 WD 13/05 –, NVwZ-RR 2007,
182; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2011 – L 6 VG 584/11 –, BeckRS 2012, 70690;
Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl., 2014, Rn. 370 ff. und 409 ff.).
47 Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sieht das Gericht die Angaben der Kläger zu 1) und 2) als glaubhaft
an. Ihre Angaben stehen hinsichtlich des wesentlichen Kerngeschehens, aber auch im Hinblick auf den, das
Kerngeschehen umgebenden, inhaltlichen Gesamtzusammenhang und mit ihrem Vorbringen im
Behördenverfahren in dessen wesentlichen, das Geschehen prägenden Elementen, in inhaltlicher
Übereinstimmung. Inhaltlich waren die Angaben weitgehend widerspruchsfrei, wobei die Widersprüchlichkeit
in den Angaben der Klägerin zu 2) hinsichtlich der Dauer der Kontrolle am Checkpoint in Damaskus,
zunächst erheblich von der anfänglich angegebenen Dauer von vier Stunden abwich. Ihr gesamtes
Aussageverhalten war indes von Unsicherheiten – teilweise auch gegenüber dem Gericht – geprägt. Ihr war
eine klare Sorge in der Erzählung anzusehen und es war offensichtlich, dass der Fokus ihrer Wahrnehmung
auf dem Geschehenen selbst und dem Schicksal ihres Ehegatten und ihrer Kinder, nicht aber auf der, in
diesem Detail zum Randgeschehen zählenden, zeitlichen Dauer lag. Das generell einzelfallbezogen und so
im Falle der Klägerin zu 2) unter diesem Gesichtspunkt zu bestimmende Kerngeschehen hat sie
widerspruchsfrei geschildert (vg. zur Bestimmung des „Kerngeschehens“ OLG Stuttgart, Urteil vom
08.12.2005 – 4 Ws 163/05 –, NJW 2006, 3506 <3507>). Die Klägerin zu 2) gab nämlich an, dass es sich
insgesamt um eine in ihrer subjektiven Wahrnehmung lange Zeit gehandelt habe, was inhaltlich zu den
Angaben des Klägers zu 1) jedenfalls nicht in Widerspruch steht, sondern vielmehr der vom Kläger zu 1)
angegebenen Dauer von vier bis fünf Stunden entspricht.
48 Das Aussageverhalten – insbesondere des Klägers zu 1) – war flüssig und nicht detailarm. Der Kläger zu 1)
machte von sich aus Angaben, welche einzelne Details zum Geschehen enthielten, wie den Umstand, dass
er mit einem Gewehrkolben geschlagen worden sei. Andererseits war er auch in der Lage, andere von ihm
als selbstverständlich angenommene Umstände – wie die Tatsache, dass keine förmlichen
Einberufungsbescheide zum Wehrdienst ergingen – auf Nachfrage zu ergänzen. Dies erfolgte schnell und
ohne nachzudenken oder zu zögern unter Einbettung in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang mit einer
Selbstverständlichkeit und Präzision, welche die Überzeugung rechtfertigt, dass ein wahrheitswidriges
Erfinden dieser Angaben anhand von Gerüchten oder Medienberichten auch einer kompetenteren
Aussageperson nicht ohne weiteres in dieser Gestalt möglich gewesen wäre.
49 Das Aussageverhalten zeichnete sich bei beiden Klägern dadurch aus, dass sie in ihrer Erzählweise selbst
inhaltlich und zeitlich „sprangen“ und auch auf Nachfrage des Gerichts in der Lage waren, in einen anderen
Teil ihrer Erzählung gedanklich einzusteigen, was für die Wiedergabe selbst erlebter Ereignisse – im
Gegensatz zu einer stereotypen streng chronologischen Erzählweise – spricht.
50 Auf Grundlage dieser Glaubhaftigkeitsanzeichen gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Angaben
der Kläger zu 1) und 2) glaubhaft sind, die Kläger aus Syrien stammen und der Kläger zu 1)
Rekrutierungsbemühungen und -versuchen der syrischen Regierung ausgesetzt war. Zugleich gelangt das
Gericht zu der Überzeugung, dass die Kläger jedenfalls nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder
politischen Einstellung als solches vor ihrer Ausreise aus Syrien verfolgt wurden. Dies kann jedoch
offenbleiben.
51 2. Soweit anhand der verfügbaren Erkenntnismittel ersichtlich, ist die Kammer jedoch im Ergebnis mit der
überwiegenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon überzeugt, dass
zumindest bis in das Jahr 2013 hinein eine sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung schutzsuchender syrischer Staatsangehöriger aufgrund ihrer
illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung oder einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt, bei
einer Wiedereinreise nach Syrien bestand (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S
2046/13 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –, juris; OVG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A –, juris). Dies findet tatsächliche Bestätigung im Bericht
des Auswärtigen Amtes vom 28.12.2009 (AA, Ad-hoc Ergänzungsbericht zum Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: Dezember 2009)).Amtliche Auskünfte
des Auswärtigen Amtes stellen dabei Beweismittel eigener Art dar, denen – auch nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts – eine „Bemühung um Objektivität“ innewohnt, sodass sie den tatsächlichen
Verhältnissen am Nächsten kommen (BVerfG, Beschluss vom 23.02.1983 – 1 BvR 990/82 –, BVerfGE 63, 197
<214 f.>). Ihnen kommt daher ein hoher Beweiswert zu (Berlit, in: Gemeinschaftskommentar AsylG (GK-
AsylG), § 78 Rn. 400 (Stand: April 1998)).
52 a. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2012 wurde hierzu ausgeführt, dass seit den
anfänglich friedlichen Protesten im Jahre 2011 (sog. „Arabischer Frühling“) das Regime mit massiven
Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung – vor allem durch den Einsatz der Armee, von
Sicherheitskräften und staatlich organisierten Milizen reagiert hat. Reformen würden als sog.
„Papierreformen“ nicht den Kern des Konflikts, d.h. den Fortbestand des Regimes und die Fortdauer der
Repressionen – antasten (AA, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Arabischen Republik Syrien vom 17.02.2012, Stand: Februar 2012, S. 5).
53 Aufgrund dieser Erkenntnislage ist der VGH Baden-Württemberg zuletzt im Jahr 2013 davon ausgegangen,
dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bislang in der Rechtsprechung angenommene Gefahr
einer sog. „Rückkehrerverfolgung“ nicht mehr bestehen würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom
29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Allein die aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen bestehenden hohen
Zahlen an Wiedereinreisen nach Syrien höben nicht per se die Möglichkeit des Regimes auf, die Herkunft der
Rückkehrer zu kontrollieren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –,
juris).
54 Dem schließt sich die Kammer an, da sie die Auffassung des VGH Baden-Württemberg teilt, dass es nicht
nachvollziehbar erscheint, dass im Falle eines totalitären Regimes, welches um sein Überleben kämpft, dieses
im Rahmen eines bewaffneten bürgerkriegsähnlichen Konflikts seine bisherige Praxis der Annahme einer
potentiellen Regimegegnerschaft bei Rückkehrern ändert und nunmehr im Rahmen der Einreise eine
abstrakte repressionsneutrale Vorfeldkontrolle vornimmt und erst dem nachgelagert – ggf. zwischen
freiwilliger Ausreise und zwangsweiser Abschiebung differenzierend – Repressionen ausübt (VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –, juris). Ein derartiges differenziertes und
bürokratisches Vorgehen nach – in quasi-rechtsstaatlicher Weise – abstrakt-generell vorgezeichneten
Kriterien erscheint abgesehen von dessen Praktikabilität im Falle eines in der Krise agierenden totalitären
Regimes bei lebensnaher Betrachtung auch nach Auffassung der Kammer eher fernliegend und kann unter
den aktuellen Umständen ohne nähere Anhaltspunkte wohl kaum in ernst zu nehmender Weise erwartet,
unterstellt oder angenommen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S
2046/13 –, juris).
55 b. Die Kammer gelangt anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung, dass
hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“, d.h. der Vermutung einer Regimegegnerschaft bei
wiederkehrenden Syrern aus dem Ausland durch das syrische Regime, keine flüchtlingsrechtlich erhebliche
Änderung eingetreten ist. Damit gelangt sie zu der Überzeugung, dass jedenfalls derzeit eine begründete
Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt.
56 Die Kammer ist als erkennendes Gericht dabei nicht gehalten, „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche
Anhaltspunkte nach theoretisch denkbaren Ermittlungsansätzen – wie etwa einer veränderten
sicherheitsbehördlichen Praxis in Syrien – zu suchen und solchen ohne auch nur eine ansatzweise
Tatsachengrundlage nachzugehen (vgl. zur sog. „Ausforschung“ durch das Gericht bspw. BVerwG, Beschluss
vom 15. Februar 2008 – 5 B 196/07 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 362; Beschluss vom 05.10.1990
– 4 B 249/89 –, Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6; Beschluss vom 29.03.1995 – 11 B 21/95 –, Buchholz 310
§ 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266; vgl. zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2016 – 5 S
1443/14 –, juris).
57 Dass Ermittlungsbemühungen bspw. über Auskünfte des Auswärtigen Amtes – nicht zuletzt mangels
diplomatischer Vertretung in Syrien – ergebnislos ausfallen, zeigen bereits die jüngsten Stellungnahmen des
Auswärtigen Amtes vom 02.01.2017, welche dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erteilt wurden, sodass aus
Sicht der Kammer keine weiteren Ermittlungsansätze bestehen.
58 aa. Die Kammer stützt daher ihre Erkenntnis dabei zunächst auf den Bericht der kanadischen Immigrations-
und Flüchtlingsbehörde vom 19.01.2016. In diesem wird unter Berufung auf sachverständige Auskünfte das
Verfahren bei der Wiedereinreise nach Syrien näher beschrieben.
59 Nach diesem Bericht erfolgen an den Einreisestellen, d.h. am internationalen Flughafen in Damaskus sowie
an den Grenzkontrollpunkten Kontrollen der Ausweispapiere sowie Rücksprachen mit nationalen Stellen. Es
erfolgen Abfragen und Abgleiche mit Such- und Fahndungsmeldungen. Dabei ist nach sachverständigen
Angaben das Verfahren dahingehend ausgestaltet, dass die Grenzbeamten und Sicherheitsbehörden über
eine sog. „carte blanche“ – also eine Blankoermächtigung – für die Behandlung ihnen verdächtig
erscheinender Personen erhalten haben (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of
returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points,
including failed refugee claimants, people who exited the illegally, and people who have not completed
military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion - (im Folgenden: „Syria:
Treatment of returnees“) -, 2015, S. 3). Dies beinhaltet nach sachverständigen Angaben die sofortige
Ingewahrsamnahme der jeweiligen Person, welche zu einem sog. „Verschwinden“ oder Folter führen kann
(so auch Amnesty International, Amnesty Report 2016: Syrien, im Internet abrufbar unter
www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien). Es können ferner Meldeauflagen verhängt werden. Insgesamt
wird das Verfahren im Hinblick auf Rückkehrer als „unpredictable“ – unvorhersehbar – beschrieben. Bereits
dies für sich genommen spricht für das Fortbestehen von Einreiserepressionen – bzw. der begründeten
Furcht vor solchen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG – sowie deren Bestärkung durch die Erteilung von
Blankoermächtigungen an Sicherheitsbehörden und damit die staatliche Freigabe für willkürliche
Festnahmen und sonstige Maßnahmen.
60 Dies findet Bestätigung im Menschenrechtsbericht des U.S.-Außenministeriums, wonach die syrische
Regierung Dissidenten und frühere Einwohner ohne bekannte politische Betätigung, welche nach Jahren
freiwilligen Asyls nach Syrien zurückkehren wollten, verhaftet hat (United States Department of State,
Syria 2015 Human Rights Report, S. 34, im Internet allgemein abrufbar unter
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947). Dass sich diese
Ausführungen ausschließlich auf Sonderfälle (früherer) politischer Betätigung beziehen würden, vermag die
Kammer nicht zu erkennen, da sich die vom OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 16.12.2016 (Az.: 1 A
10922/16, juris) angeführte Erläuterung im Bericht des Außenministeriums nicht etwa auf die Feststellung
genereller Verhaftungen von Dissidenten und Rückkehrern bezieht, sondern auf die dem vorangestellt
angeführte Verhaftung politisch auffälliger Rückkehrer.
61 Hierauf kommt es indes nicht an, da bereits die objektiv bestehende Möglichkeit, dass ein längerer
Auslandsaufenthalt für die syrischen Behörden einen hinreichenden Anlass für die Unterstellung einer
potentiell staatsfeindlichen Betätigung darstellt, für die Bejahung einer begründeten Furcht im Sinne des § 3
Abs. 1 AsylG genügt. Denn allein die Möglichkeit, bei einem erst noch kürzlich bestehenden und in Vollzug
gesetzten System genereller Rückkehrerverfolgung, allein aufgrund eines Asylantrags im Ausland in den
Fokus der syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten, rechtfertigt aus der objektiven Sicht eines
verständigen Menschen in der Situation der Kläger die Befürchtung, bei der Einreise aufgegriffen und allein
wegen der unterstellten politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass
die allgemeinen Haftbedingungen in Syrien derzeit unabhängig von einer politischen Gesinnung –
insbesondere für weibliche Gefangene mit Blick auf Vergewaltigungen sowie gewaltsame Penetrationen mit
Gegenständen, aber auch für die übrigen Gefangenen – in keiner Weise mit der Menschenwürde vereinbar
oder den Betroffenen zumutbar sind, zumal ausweislich des Berichts des U.S.-Außenministeriums
verschiedene Foltermethoden willkürlich bis hin zum Tode eingesetzt werden und die Leichen der jeweiligen
Gefangenen durch Verbringung in die Hafträume noch lebender Häftlinge zu Folterinstrumenten
verobjektiviert werden (United States Department of State, Syria 2015 Human Rights Report, S. 5 f. unter
ausführlicher Beschreibung der einzelnen Foltermethoden).
62 Da diese Methoden jedoch bereits an Checkpoints sowie im Rahmen formellen als auch informellen
Gewahrsams im Rahmen der Einreisekontrollen angewendet wurden (Immigration and Refugee Board of
Canada, Syria: Treatment of returnees, 2015, S. 3; vgl. hierzu auch VG Sigmaringen, Urteil vom 16.12.2016
– A 5 K 1495/16 –, juris, m.w.N.), besteht nach Auffassung der Kammer für die Kläger objektiv die Besorgnis,
aufgrund ihrer Ausreise und ihrer Asylantragstellung bzw. ihres Auslandsaufenthalts bei ihrer Rückkehr als
potentielle Regimegegner verhaftet und sodann in diesem Status und aufgrund dessen den im Bericht des
U.S.-Außenministeriums dargestellten Methoden unterworfen zu werden. Diese Erkenntnisse erhöhen aus
Sicht eines verständigen Menschen nochmals dahingehend die Hemmschwelle, in das Heimatland
zurückzukehren, dass bereits eine unter 50 % liegende Wahrscheinlichkeit zum Objekt der Folgen einer –
auch anlasslos unterstellten Regimegegnerschaft als sog. „Polit-Malus“ – zu werden, es gebieten wird, sich
nicht diesem Risiko auszusetzen.
63 bb. Das Vorbringen der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 16.09.2016 im Verfahren 3 K 368/16 des
Verwaltungsgerichts des Saarlandes vermag es nicht, diese Annahme zu entkräften oder ernsthaft in
Zweifel zu ziehen. Dass das syrische Regime an der Ausgabe von Reisepässen „gut verdiene“ und aufgrund
der Visafreiheit gegenüber der Türkei in dem Bewusstsein der legalen Ausreise Pässe ausgeben mag, steht
den zumindest im Jahr 2012 noch bestehenden Repressionen im Sinne einer „Rückkehrerverfolgung“ nicht
entgegen, da das syrische Regime mit derartigen Maßnahmen nicht das Ziel der Ausreiseverhinderung
verfolgt, sondern letztlich die möglichst umfassende Eliminierung potentiell oppositioneller oder
regimefeindlicher Tendenzen im Inland. Die Ausreise ist nämlich nicht zwingend darauf gerichtet, wieder in
das Heimatland zurückzukehren. Erfolgt jedoch eine Rückkehr, widerspricht eine Verfolgung von
Rückkehrern als potentielle Staatsfeinde nicht sinnlogisch einer vorherigen Förderung der Ausreise.
64 Im Übrigen dürfte es auch dem syrischen Regime bekannt sein, dass es allein mit dem Instrument der
Passversagung kaum möglich sein dürfte, illegale Ausreisen zu verhindern. Allein die in der Stellungnahme
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016 in jenem Verfahren zitierte Auskunft des
Auswärtigen Amtes, wonach „keine Erkenntnisse“ zu einer aktuellen Rückkehrerverfolgung vorliegen,
vermag es nicht, ein Nicht-Mehr-Bestehen derartiger Repressionen darzulegen oder derart in Zweifel zu
ziehen, als dass es der Kammer hinsichtlich eines zwischenzeitlichen dauerhaften Entfallens von generellen
Repressionen gegenüber Rückkehrern auch nur eine im Ansatz hinreichende Überzeugungsgewissheit (§
108 Abs. 1 VwGO) vermitteln könnte. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Auskunft des Auswärtigen Amtes
vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, welches sich im Wesentlichen ebenfalls nur auf die Mitteilung
beschränkt, dass keine Erkenntnisse vorlägen. Liegen dem Auswärtigen Amt nach dessen eigenen Angaben
keine Erkenntnisse vor, kann darauf aufbauenden Auskünften auch kein Beweiswert zukommen. Vielmehr
spricht die in der Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zitierte Meldung des
Fernsehsenders n-tv vom 01.12.2015, wonach der syrische Präsident Assad eine „Unterwanderung“ der
syrischen Flüchtlinge „durch Terroristen“ annehme, mehr für eine verstärkte Überwachung von Rückkehrern
als für eine Aufgabe der bisherigen Repressionen bei einer Wiedereinreise.
65 Dies steht aus Sicht der Kammer in Einklang mit verschiedenen – öffentlich zugänglichen – Berichten
(Stiftung Wissenschaft und Politik, Hintergrund Syrien vom 05.08.2015, S. 8 f.; Tharir Institute for Middle
East Policy, Russia’s Exit from Syria Highlights Assad’s Limitations, vom 15.03.2016), denen zufolge sich der
syrische Präsident Assad im Jahr 2015 dahingehend geäußert hat, dass das Vaterland denen gehöre, die es
verteidigten und beschützten. Bereits diese Aussage deutet auf eine Zuordnung rückkehrender Flüchtlinge
zu nicht-vaterlands- bzw. nicht-regimetreuen und zugleich – zumindest potentiell – oppositionsfreundlichen
Kategorien bzw. deren Ansehung als eine Art „Verräter“ – im Gegensatz zu kämpfenden oder im Heimatland
verbleibenden Syrern – hin. Dies genügt aus Sicht der Kammer im Falle einer kürzlich noch bestehenden
Rückkehrerverfolgung für die objektiv gerechtfertigte Besorgnis, allein aufgrund der jedenfalls nicht
ausdrücklich genehmigten Ausreise und der Asylantragstellung oder des längeren Auslandsaufenthalts im
Falle der Wiedereinreise Repressionen des syrischen Staats weiterhin ausgesetzt zu sein.
66 cc. Auf das Fortbestehen eines Systems gezielter Überprüfung von Rückkehrern, wie sie sich aus den derzeit
verfügbaren Erkenntnismitteln ergibt, deutet als Indiztatsache auch der Umstand hin, dass syrische
Nachrichtendienste im Jahr 2015 nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz auch im
Bundesgebiet entsprechende vorbereitende Aufklärung betrieben haben (Bundesministerium des Innern,
Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263; vgl. hierzu VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –,
abrufbar im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen). Nach diesen Erkenntnissen verfügen die syrischen
Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und der Auflösungserscheinungen im Machtapparat des
syrischen Regimes unverändert über leistungsfähige Strukturen. Der Aufgabenschwerpunkt besteht
offenbar in der Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes (Bundesministerium des Innern,
Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Zwar mag eine nachrichtendienstliche Überwachung sämtlicher
syrischer Staatsangehöriger durch das syrische Regime in Deutschland nicht bestehen (so OVG Rheinland-
Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 – 1 A 10922/16 –, juris). Dass aber überhaupt eine Überwachung von Gegnern
durch ein angeschlagenes Regime im Ausland möglich ist und aufrecht erhalten wird, deutet darauf hin, dass
die Überwachung von Syrern im Ausland durch die syrischen Sicherheitsbehörden möglichst
aufrechterhalten und weiterverfolgt werden soll. Insofern bestehen für die Kammer kaum Anhaltspunkte,
welche daran zweifeln ließen, dass die in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg festgestellten
Repressionen gegen Rückkehrer ebenfalls weiterhin aufrechterhalten werden und auch tatsächlich
aufrechterhalten werden können.
67 dd. Die Auffassung der Kammer steht dabei jedenfalls im Ergebnis in Einklang mit den Entscheidungen des
VG Sigmaringen (Urteile vom 23.11.2016 – A 5 K 1495/16 und A 5 K 1372/16 –), des VG Karlsruhe (Urteil
vom 29.11.2016 – A 8 K 4182/16 –), VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 – 8 K 2127/16.A –, veröffentlicht
im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen), VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 – 1 K 5093/16.TR –) sowie
des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts, welches in seiner Entscheidung vom 29.07.2015
(Geschäftszahl W224 2102645-1, ECLI:AT:BVWG:2015:W224.2102645.1.01) ausgeführt hat, dass
Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl ersucht haben, und solche, die in der Vergangenheit
Verbindung mit der Muslimbruderschaft hatten, bei ihrer Rückkehr gerichtlich belangt worden seien. Die
Regierung habe routinemäßig Dissidenten und frühere Staatsbürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit
verhaftet, die versuchten, nach Jahren oder Jahrzehnten im Exil in das Land zurückzukehren. Dies
wiederum wird bestätigt durch den Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen,
wonach einzelnen Gruppen offenbar willkürlich durch syrische Behörden Meinungen und Ansichten
unterstellt werden (UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen
Republik Syrien fliehen, 4. Fassung - (November 2015) -, S. 11 f.).
68 ee. Wie die 5. Kammer des VG Sigmaringen ausgeführt hat (Urteil vom 16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris),
können bei alledem zunächst die, wenn auch rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber – wie im Rahmen
einer Entscheidung nach § 73 AsylG – indiziell bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der
Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht gänzlich außer Acht gelassen
werden. Dieser stützt sich – soweit ersichtlich – nicht auf neue Erkenntnismittel, die ggf. Anlass zu einer
Neubeurteilung der Sachlage hätten geben können. Augenfällig erscheint vielmehr, dass die politische
Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016
(BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für „nur“ subsidiär
Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG für zwei Jahre ausgesetzt hat (VG Sigmaringen, Urteil vom
16.12.2016 – A 5 K 1495/16 –, juris). Wie aus öffentlich zugänglichen Unterlagen zum Vortrag des
Sonderbeauftragten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für unbegleitete Flüchtlinge am
17.06.2016 in Neumünster (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf;
https:// www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) hervorgeht, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht
mehr vermutet wird, dass bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein
„flüchtlingsrelevantes“ Merkmal droht. Insofern erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb gerade ab dem
17.03.2016 die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nicht mehr gegeben sein sollen. Dies spiegelt
sich im vorliegenden Fall auch in den Aktenvermerken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wider,
in welchen einerseits eine Flüchtlingseigenschaft bejaht, andererseits aber wiederum verneint wird, ohne
dass neue Erkenntnisse über den vorliegenden Sachverhalt oder die allgemeine Lage in Syrien, welche
gegen ein Fortbestehen der Rückkehrerverfolgung sprächen, vorlägen.
69 c. Die Kammer ist aufgrund der verfügbaren Erkenntnismittel ferner davon überzeugt, dass sich die Gefahr
von Repressionen allein aufgrund des Auslandsaufenthalts auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im
Sinne einer Art „Sippenhaft“ bezieht und schließt sich insofern den Ausführungen im Urteil der 5. Kammer
des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.11.2016 (Az.: A 5 K 1495/16, juris) an. Es kann in diesem
Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass Behörden eines in seiner Macht angeschlagenen
Regimes zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen differenzieren; vielmehr dürfte aufgrund der
willkürlichen Handhabe und der sog. „carte blanche“-Ermächtigung für Sicherheitsbehörden an
Einreisepunkten davon auszugehen sein, dass sich Repressionen nicht nur auf solche Rückkehrer erstrecken,
von denen theoretisch eine Gefahr ausgeht. Vielmehr ist nicht zuletzt mit Blick auf die im Bericht des U.S.-
Außenministeriums dargelegten Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG
zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen diese richten oder diese zum Druckmittel
gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden. Deshalb müssen sich die minderjährigen Kläger zu 3) und 4)
nicht auf das sog. „Familienasyl“ nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung der
Flüchtlingseigenschaft ihrer Eltern verweisen lassen (VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K
1495/16 –, juris).
70 3. Über diese allgemeine Rückkehrerverfolgung hinaus sind jedenfalls beim Kläger zu 1) und den
Angehörigen seiner Kernfamilie – den Klägern zu 2)-4) – die Voraussetzungen der Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft erfüllt, da er im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG
Bestrafung oder Strafverfolgung im Falle der Verweigerung einer Einberufung in die syrischen Streitkräfte
befürchten muss.
71 Die strafbewehrte Wehrpflicht eines Staates begründet indes nicht in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne
des § 3 Abs. 1 AsylG, sondern nur dann, wenn der Militärdienst in einem Konflikt abgeleistet werden müsste
und Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG
fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Vorliegend liegt jedoch eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne
des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Wehrpflicht vor, da nach den verfügbaren
Erkenntnismitteln objektiv zu besorgen ist, dass syrische Staatsangehörige männlichen Geschlechts zum
Wehrdienst herangezogen und in diesem Rahmen zu Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG unter
Androhung von Strafe oder Bestrafung gezwungen werden.
72 a. Die Kammer ist davon überzeugt, dass in Syrien zwar ein gesetzlich oder quasi-gesetzlich geregeltes
Wehrpflichtwesen besteht, diese Regelungen jedoch nicht eingehalten werden und dass die syrische
Regierung vielmehr darum bemüht ist, den Personalbestand der staatlichen Armee mittels willkürlicher
Einberufungen und Zwangsrekrutierungen zum Wehrdienst aufzustocken. Dies ergibt sich auch aus den
glaubhaften Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, indem er anschaulich solche
willkürlichen Zwangsrekrutierungssituationen und -handlungen schilderte. Nach dem Bericht der finnischen
Einwanderungsbehörde (Maahanmuuttovirasto) vom 23.08.2016 sind die Gesetze – auch die Wehrpflicht in
Syrien betreffend – weiterhin in Kraft. Demnach sind männliche Syrer im Alter von 18-42 Jahren
wehrpflichtig, während die Altersgrenze für den Dienst als Reservist bei 52 Jahren bzw. 54 Jahren im Falle
eines akademischen Abschlusses liegt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, national defense forces,
armed groups supporting syrian regime and armed opposition (im Folgenden: „Syria: Military Service“, 2016,
S. 5).
73 Ausweislich dieses Berichts legt die syrische Regierung nach den Angaben einer Kontaktperson einer
westlichen Botschaft in Beirut, um anarchistische Zustände zu verhindern, Wert auf den Schein, dass sich
im Land und an der Macht des Regimes nichts geändert habe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service,
2016, S. 5). Viele Männer in Syrien erhalten nach diesem Bericht seit dem Beginn des Konflikts, bspw.
aufgrund einer Flucht innerhalb des Landes, keine Rekrutierungsunterlagen mehr. Die
Rekrutierungsvorgaben wurden demnach sodann vom Regime angepasst, sodass eine Rekrutierung nunmehr
in jedem Rekrutierungsbüro oder auch auf der Straße, in Checkpoints oder anderen Orten des Landes
stattfinden kann (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 5). Gesetzliche Ausnahmen von
der Wehrpflicht mögen dabei zwar formal weiterhin in Kraft sein. Allerdings bietet nach den derzeit
vorliegenden Erkenntnissen auch die Vorlage einer Bescheinigung über die Wehrfreiheit keinen
hinreichenden Schutz, da flächendeckend eine Nicht-Beachtung von Ausnahmetatbeständen selbst bei
vorgelegten Bescheinigungen zu beobachten ist (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military
Service, 2015, S. 11 f.) und es auch zur Vernichtung derartiger Unterlagen durch die Sicherheitskräfte bei
deren Vorlage kommt (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10).
74 Dies spiegelt sich nach den Erkenntnissen der dänischen Migrationsbehörde auch in der alltäglichen Praxis
wider. Männer werden nunmehr auch auf der Straße, in Universitäten, an Kontrollpunkten und sonstigen
Orten, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, rekrutiert; dabei kommt es teilweise zu willkürlichen
Maßnahmen und Ausübung von Gewalt (Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service,
Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG (im Folgenden: „Syria – Update on Military
Service“, 2015, S. 10; Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). So werden
Wehrdienstvermeider bspw. in Massenverhaftungen, Tür-zu-Tür-Aktionen und in Universitäten rekrutiert.
Unternehmen wurden unter der Androhung eines Geschäftsverbots verpflichtet, Arbeitnehmer zum
Wehrdienst zu entsenden (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 6). Dies spiegelt sich im
glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1) – aber auch in Ansätzen in den Angaben der Klägerin zu 2) – wider,
wonach der Kläger zu 1) mehrfach darauf angesprochen wurde, warum er nicht kämpfe und im Rahmen
einer Kontrolle auch geschlagen und mit seiner Familie willkürlich festgehalten wurde.
75 Fahnenflucht wird mit der Todesstrafe (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S. 10) oder mit
Gefangenschaft, sog. „incomunicado“-(Isolations-)Haft, Folter und lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet
(Danish Immigration Service, Syria – Update on Military Service, 2015, S. 18 f.). Im Übrigen kann ein
Fahnenflüchtiger eingezogen und umgehend – auch an der Front – eingesetzt oder in Haft genommen
werden. Dabei gilt es als wahrscheinlich, dass dieser in der Haft gefoltert wird (Maahanmuuttovirasto, Syria:
Military Service, 2016, S. 10). Der Umgang mit Deserteuren hängt von den Umständen im Land ab und
variiert; Gleiches gilt für zivile Armeebeschäftigte (Maahanmuuttovirasto, Syria: Military Service, 2016, S.
10). Es ist daher mit Blick auf die weitgehenden Ermächtigungen der syrischen Sicherheitsbehörden nicht
auszuschließen und vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) entsprechend seiner im
Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Besorgnis, aufgrund seiner Flucht als „Verräter“ angesehen
und damit den gleichen Folgen ausgesetzt sein wird, wie ein Deserteur oder sonstiger Fahnenflüchtiger.
76 Dies für sich genommen genügt zwar nicht, um die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft zu
begründen. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Kammer anhand der derzeit verfügbaren
Erkenntnismittel und der voranstehend beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der
Kläger zu 1) – wie von ihm befürchtet – objektiv im Falle seiner Einberufung in die syrische arabische Armee
zur Erfüllung seiner Wehrpflicht im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung Verbrechen im
Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat
besorgen müsste.
77 b. Anhand der den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bildenden Erkenntnismittel gelangt die Kammer
zu der Überzeugung, dass der Wehrdienst in der syrischen Armee die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5
AsylG an eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erfüllt.
78 aa. Verschiedenen Medienberichten kann entnommen werden, dass es zumindest in Aleppo – aber auch in
oppositionell kontrollierten Gebieten – in jüngerer Zeit zum Einsatz von chemischen Waffen – zumindest
unter billigender Inkaufnahme ziviler Kollateralschäden – gekommen ist, deren Zurechnung nach diesen
Berichten zu Einsätzen der syrischen Regierungstruppen nahe liegt (vgl. den Bericht von amnesty
international vom 11.08.2016, Syria: Fresh chemical attack on Aleppo a war crime, allgemein im Internet
abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/latest/news/ 2016/08/syria-fresh-chemical-attack-on-aleppo-a-
war-crime/; siehe auch CNN, White House condemns Syria’s chemical weapons use, vom 26.08.2016, im
Internet allgemein abrufbar unter http://edition.cnn.com/2016/08/25/politics/un-report-chemical-weapons-
syria/).
79 bb. Hierfür spricht allem voran der dritte Bericht der gemeinsamen Untersuchung der Vereinten Nationen
und der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW), welcher den Ermittlungsstand zum
19.08.2016 wiedergibt. Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt fünf Vorfälle im Jahr 2014 sowie
sechs Vorfälle im Jahr 2015 untersucht.
80 Diese Ermittlungen ergaben, dass in Talmenes (Gouvernement Idlib) am 21.04.2014 ein Helikopter der
syrischen arabischen Armee einen Gegenstand mit einer toxischen Substanz auf ein Gebäude abwarf. Dabei
stützt sich der Bericht auf Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen, wonach toxische Substanzen nach
dem Abwurf einer sog. „Fassbombe“ freigesetzt wurden, während am selben Tag Kampfhandlungen
zwischen Regierungstruppen und bewaffneter Opposition stattfanden. Dabei wurde von den Konfliktparteien
nicht bestritten, dass es in jenem Ort zum Einsatz von Chlorgas – dessen Einsatz als Kampfstoff seit 1993
völkerrechtlich verboten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) des Übereinkommens über das Verbot der
Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher
Waffen – Chemiewaffenübereinkommen – vom 13.01.1993, BGBl. 1994 II, S. 807) – kam, während keine
Hinweise darauf bestehen, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls oppositionelle Gruppen in Talmenes Helikopter
eingesetzt hätten (OPCW, Third report of the Organization for the Prohibition of Chemical Weapons - United
Nations Joint Investigative Mechanism vom 24.08.2016 (im Folgenden: „Third report of the OPCW“), S. 13).
Sachverständige Analysen ergaben dabei Spuren von Ammonium und Chlor. Die Angaben der syrischen
Regierung zu jenem Vorfall wurden als forensisch mit der Spurenlage unvereinbar angesehen (OPCW, Third
report of the OPCW, S. 50).
81 Im Bericht der OPCW wird weiter berichtet, dass sich am 16.03.2015 in Sarmin (Gouvernement Idlib) ein
ähnlicher Abwurf eines Gegenstands mit anschließender Freisetzung toxischer Substanzen durch die
syrische arabische Armee ereignete. Forensische Analysen haben demnach ergeben, dass ein Gerät oder
eine „Fassbombe“ aus einem Helikopter abgeworfen wurde, welches sodann durch einen Belüftungsschacht
in ein Wohnhaus eingeschlagen ist. Verschiedene Videoaufnahmen zeigen nach diesem Bericht
Chlorkohlenwasserstoff-Behälter innerhalb des Hauses sowie eine lila-violett-farbene Substanz auf dem
Fußboden, welche auf den Einsatz von Kaliumpermanganat – etwa in Verbindung mit Glycerin als Zünd-
oder Sprengmittel – hindeutet (OPCW, Third report of the OPCW, S. 81). Verschiedene Quellen hätten auch
bestätigt, dass es zu jenem Zeitpunkt Flugaktivitäten der syrischen arabischen Armee gegeben habe, was
von der syrischen Regierung bestritten worden sei (OPCW, Third report of the OPCW, S. 13 f.).
Fluorchlorkohlenwasserstoff (englisch Hydrochlorofluorcarbon – HCFC –) wird nach diesem sachverständigen
Bericht in der zivilen Verwendung als Kühlmittel eingesetzt und ist als solches allgemein zugänglich.
Dennoch bedarf es zum Einsatz als chemischen Kampfstoff – dem syrischen Regime zur Verfügung stehender
– technischer Fähigkeiten und Einrichtungen zur Abfüllung als Flüssigkeit oder kompressiertes Gas (OPCW,
Third report of the OPCW, S. 10). Die Angaben der syrischen Regierung, wonach der Vorfall in jenem
Wohnhaus auf die Explosion eines Flüssiggaskochers zurückzuführen sei, wurden mangels dem
entsprechender Brandspuren als unwahrscheinlich eingeschätzt (OPCW, Third report of the OPCW, S. 83).
82 In Zusammenhang mit weiteren drei Chlorgas-Vorfällen im Jahr 2015 wird davon ausgegangen, dass
Sprengsätze mit Fluorchlorkohlenwasserstoff und Kaliumpermanganat eingesetzt wurden (OPCW, Third
report of the OPCW, vom 24.08.2016, S. 13 f.).
83 Am 16.03.2015 kam es nach diesem OPCW-Bericht überdies in Qmenas (Gouvernement Idlib) zu einem
Vorfall, hinsichtlich dessen die Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Helikopter ein Gerät oder
eine „Fassbombe“ abgeworfen hat. Ferner kam es in Kafr Zita (Gouvernement Hama) am 11.04.2014 sowie
in Binnish (Gouvernement Idlib) am 24.03.2015 und in Al-Tamanah (Gouvernement Idlib) am 29. und
30.04.2014 zum Einsatz chlorhaltiger Kampfstoffe (OPCW, Third report of the OPCW, S. 15 ff.), hinsichtlich
derer die Indizienlage uneindeutig ist.
84 cc. Die Kammer gelangt aufgrund dieser als objektiv einzuschätzenden Erkenntnisse aus vor Ort geführten
Ermittlungen der OPCW zu der Überzeugung, dass die objektive Besorgnis besteht, dass die syrische Armee
als staatlicher Akteur (§ 3c Nr. 1 AsylG) u.a. durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe unter billigender
Inkaufnahme ziviler Opfer Handlungen begeht, die das Chemiewaffenübereinkommen verletzen und so die
Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG erfüllen (zu den Voraussetzungen Bergmann, in:
Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 3 AsylG Rn. 7). Dies findet weitere Bestätigung
in der Einschätzung des britischen Homeoffice (Home Office, Country Information and Guidance – Syria: the
Syrian Civil War, August 2016, S. 19).
85 Insofern schließt sich die Kammer den Ausführungen der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in
deren Urteil vom 23.11.2016 (A 5 K 1495/16, juris) sowie denen im Urteil des Verwaltungsgerichts
Meiningen vom 01.07.2016 (1 K 20205/16 Me, juris) an, wonach die Art und Weise, wie die syrischen
Regierungskräfte wahllos, willkürlich und zumeist völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen – teilweise
unter Einsatz verbotener Kriegswaffen – töten und welche Ziele sie dabei auswählen, eine Haltung der
syrischen Machthaber mit dem offenkundigen Ziel aufzeigt, jede – tatsächlich bestehende oder auch nur
seitens des Regimes unterstellte – Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere
Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken und sich hierfür wehrpflichtigen Syrer vor den §§ 3a Abs. 2
Nr. 5, 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG nicht zumutbaren Arten der Kriegsführung in einem Konflikt zu bedienen (vgl.
hierzu auch BayVGH, Pressemitteilung vom 13.12.2016).
86 dd. Darüber hinaus ist die Kammer – wie auch hinsichtlich der sog. „Rückkehrerverfolgung“ – davon
überzeugt, dass Repressionen aufgrund von Wehrdienstverweigerung auch die Kläger zu 2)-4) als nahe
Angehörige des Klägers zu 1) dergestalt treffen können, dass auch ihnen – abgeleitet vom Kläger zu 1) –
eine Stellung als „Verräter“ oder Sympathisanten im Sinne eines eigenen „Polit-Malus“ zugerechnet wird
oder sie zum Druckmittel gegenüber dem Kläger zu 1) verobjektiviert werden. Demnach ist es auch in
Zusammenhang mit dem syrischen Wehrdienst den Klägern zu 2)-4) nicht zumutbar, erst im Wege des sog.
„Familienasyls“ ein humanitäres Aufenthaltsrecht vom Kläger zu 1) abzuleiten.
87 4. Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei den Klägern
erfüllt und die Klage begründet.
III.
88 Die Beklagte trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gem. § 83b AsylG gerichtskostenfreien
Verfahrens.