Urteil des VG Sigmaringen vom 09.03.2011
VG Sigmaringen: universität, amt, ausbildung, örtliche zuständigkeit, rückforderung, spanien, praktikum, vertrauensschutz, tourismus, vollzeitbeschäftigung
VG Sigmaringen Urteil vom 9.3.2011, 1 K 12/10
Unanwendbarkeit von BaFöG § 45a Abs 2 bei Zuständigkeitswechsel vom Amt für Auslandsförderung zum Amt für Ausbildungsförderung
Leitsätze
§ 45 a Abs. 2 BAföG findet wegen der Sonderregelung über die ausschließliche Zuständigkeit des Amtes für Auslandsförderung nach § 45 Abs. 4
BAföG für die Entscheidung über die Ausbildungsförderung für eine Ausbildung im Ausland, für die mit den §§ 5 ff. BAföG besondere Vorschriften zu
beachten sind, keine Anwendung bei einem Zuständigkeitswechsel von einem solchen Amt auf ein für die Inlandsförderung zuständiges Amt für
Ausbildungsförderung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klage richtet sich gegen die Rückforderung von für den Monat Mai 2006 bewilligter und gezahlter Ausbildungsförderung.
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Die Klägerin, die die lettische Staatsangehörigkeit besitzt, begann im Sommersemester 2002 das Studium in der Fachrichtung
Tourismuswirtschaft (Diplom) an der Fachhochschule W.. Ab September 2005 wechselte sie an die Universität V. in Spanien und beantragte
beim Beklagten hierfür für den Bewilligungszeitraum 09/2005-08/2006 Ausbildungsförderung.
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Mit Bescheid vom 27.02.2006 erhielt die Klägerin für die Zeit von 09/2005-02/2006 Ausbildungsförderung von monatlich 633 Euro. Die
Begrenzung des Bewilligungszeitraums auf 2/2006 erfolgte wegen Erreichung der Förderungshöchstdauer.
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Auf ihren Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für eine Studienzeit nach Überschreitung der Förderungshöchstdauer verlängerte
der Beklagte die Förderungshöchstdauer der Klägerin für ein Semester und bewilligte ihr mit Bescheid vom 30.03.2006 für die Zeit von nur
3/2006-07/2006 Ausbildungsförderung in Höhe von 643 Euro monatlich.
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Anfang November 2006 teilte das Studentenwerk O. dem Beklagten mit, die Klägerin habe bereits ab Mai 2006 ein 1. Praxissemester im Inland
absolviert und am 21.06.2006 Ausbildungsförderung für ein Studium im Inland beantragt. Ab Juni 2006 erhielt die Klägerin vom Studentenwerk
O. für das Studium im Inland Ausbildungsförderung.
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Mit Bescheid vom 29.11.2006, der den Abgangsvermerk 04.01.2007 trägt, setzte der Beklagte unter Aufhebung früherer Bescheide den
Förderungsbetrag für die Zeit von 03/2006-04/2006 auf monatlich 729 Euro und für die Zeit von 05/2006-07/2006 auf 0 Euro, ferner einen
Rückforderungsrestbetrag von 1757 Euro fest.
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Am 07.02.2007 legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, sie sei während des Praktikums in Deutschland weiterhin an der
Universität in V. eingeschrieben gewesen und habe dort noch bis zum Ende des Studiums ihre notwendigen Klausuren geschrieben, die letzte
im Juni 2006. Sie sei bis Ende April 2006 in Spanien geblieben. Mit dem Betrieb sei vereinbart gewesen, dass sie die wegen des
Auslandsstudiums benötigten Termine frei bekommen könne.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2009, zugestellt am 01.12.2009, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Da die Änderung im
laufenden Bewilligungszeitraum eingetreten sei, sei der ursprüngliche Bescheid hinsichtlich des Bewilligungszeitraums gemäß § 53 Satz 1 Nr. 2
BAföG vom Beginn des Monats an, der auf den Eintritt der Änderung folge, zu ändern. Trete eine Änderung zu Ungunsten des Auszubildenden
zum Monatswechsel ein, sei zu unterscheiden, ob die Änderung bereits mit dem Ablauf eines Monats oder erst mit Beginn eines Monats eintrete.
Der maßgebliche Umstand sei nicht die Aufnahme des Praktikums, sondern das Ende der bis zu diesem Zeitpunkt betriebenen Ausbildung an
der Universität V., das am 30.04.2006 gewesen und damit bereits zum Mai 2006 zu berücksichtigen sei. Da die Klägerin eine
Praktikantentätigkeit im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung wahrgenommen habe, habe sie kein förderungsfähiges Studium in V. mehr
betrieben. Deswegen sei es ohne Belang, ob die Klägerin noch an der Universität V. Prüfungsleistungen zu erbringen gehabt habe.
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Am 04.01.2010, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben, soweit es um die Rückforderung von Ausbildungsförderung für den Monat Mai
2006 in Höhe von 643 Euro geht. Zur Begründung wird vorgetragen, zwar habe sie ab 01.05.2006 ihr Praktikum in Deutschland begonnen. Das
Semester in Spanien sei jedoch nicht beendet und die Teilnahme an Vorlesungen verpflichtend gewesen. Sie habe noch wichtige Prüfungen in
Spanien ablegen müssen und das Praktikum in Deutschland nicht schwerpunktmäßig betrieben. Wann die Klausuren geschrieben worden seien,
sei nicht mehr exakt bekannt. Sie habe in unverschuldeter Weise nicht rechtzeitig einen Antrag auf Inlands-BAföG gestellt, hätte jedoch
unzweifelhaft einen Anspruch darauf gehabt. Daher seien ihr die Leistungen für Mai 2006 zu belassen. Zudem fehle es an einer
Ermessensausübung und dürfte der Rückforderungsanspruch verjährt gewesen sein.
10 Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
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den Bescheid des Beklagten vom 27.11.2006 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 27.11.2009 insoweit aufzuheben, als
für den Monat Mai 2006 Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von 643 Euro zurückgefordert werden
12
sowie
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die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
14 Der Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16 Zur Begründung verweist er auf die Gründe seines Widerspruchsbescheides. Ergänzend wird ausgeführt, der Einwand, die Klägerin habe in
unverschuldeter Weise nicht rechtzeitig einen Antrag auf Inlands-BAföG gestellt, gehe fehl, weil es hier um eine Rückforderung des nur für die
Auslandsförderung zuständigen Amtes gehe. Zudem sei die Antragstellung für die Gewährung von Ausbildungsförderung Voraussetzung. Im Mai
2006 habe die Klägerin keinen Antrag für eine Inlandsförderung gestellt. Ermessen sei für die Frage der Rückforderung nicht eingeräumt. Die
vierjährige Verjährungsfrist des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 4 SGB X sei nicht abgelaufen gewesen. Die Nachforschungen der
Beklagten über den Fakultätsbeauftragten der Universität V. hätten ergeben, dass die Klägerin dort Prüfungen im Fach Englische Sprache für
Tourismus I und II jeweils im Monat Februar 2006, die Prüfung Englische Sprache für Tourismus III dann noch im Juni 2006 geschrieben habe.
Die Klägerin habe im Verwaltungsverfahren selbst angegeben, jedenfalls ab Mai im Praktikum in B. gewesen zu sein.
17 Dem Gericht haben die Förderungsakten des Beklagten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird darauf sowie auf die Gerichtsakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe
18 Die Kammer konnte trotz des Ausbleibens der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Klägerin in
der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Folge hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).
19 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid über die Rückforderung der Ausbildungsförderung vom 27.11.2006 für den Monat Mai
2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2009 ist rechtmäßig.
20 Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 30.03.2006 ist § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Danach wird der
Bewilligungsbescheid geändert, wenn sich ein für die Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand ändert. Die Änderung erfolgt zu Ungunsten
des Auszubildenden vom Beginn des Monats an, der auf den Eintritt der Änderung folgt. Die maßgebliche Änderung erfolgte hier im April 2006
durch die tatsächliche Aufgabe des Studiums zum Ende des Monats April an der Universität V. wodurch die Förderungsfähigkeit des
Auslandsstudiums der Klägerin entfallen ist (zum für die Änderung maßgeblichen Umstand vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.05.2002
- 3 L 177/00 - Juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 31.08.2007 - 1 K 1778/08 - Juris). Denn für den zu Grunde liegenden Bewilligungszeitraum
wurde vom Beklagten Ausbildungsförderung allein für das Auslandsstudium gewährt.
21 Die Änderung eines Bescheides nach § 53 BAföG ist eine gebundene Entscheidung. Ermessen ist nicht auszuüben. Die Berücksichtigung von
Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes sieht § 53 BAföG nicht vor. Vertrauensschutz kann daher nur unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip
gewährt werden. Dieser kann hinter dem im SGB X geregelten Vertrauensschutz zurückbleiben (vgl. Rothe/Blanke,
Bundesausbildungsförderungsgesetz, Loseblattsammlung, 5. Auflage, § 53 BAföG Rdnr. 17 ff, Stand Dezember 2000). Vertrauensschutz
scheidet aber jedenfalls dann aus, wenn der Auszubildende die Angabe von für die Leistung maßgeblichen Umständen schuldhaft unterlässt.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I hat, wer Sozialleistungen erhält, alle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind,
unverzüglich mitzuteilen. Hiergegen hat die Klägerin verstoßen. Sie hat dem Beklagten die Beendigung ihrer Ausbildung an der Universität in V.
mit Ablauf des Monats April 2006 nicht mitgeteilt. Dass die an der Universität in V. absolvierte Ausbildung mit Ablauf des Monats April 2006
beendet war, wird durch den Beginn des Praktikums zum 01.05.2006 bei der Kurverwaltung B. deutlich. Der zwischen der Klägerin und der Stadt
B. geschlossene „Vertrag über das erste praktische Studiensemester" vom 23./29.03.2006 verpflichtet die Ausbildungsstelle, die Klägerin mit der
Regelarbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigung auszubilden (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 des Vertrages). Selbst wenn der Klägerin nach ihrem Vortrag die
Möglichkeit eingeräumt wurde, noch während des praktischen Studiensemesters Prüfungen an der Universität in V. zu absolvieren, schloss die
Aufnahme des praktischen Studiensemesters die gleichzeitige Möglichkeit zur Durchführung der Ausbildung an der Universität V. aus.
22 Eine schlichte Weitergewährung der für die Ausbildung an der Universität in V. bewilligten Ausbildungsförderung war gesetzlich nicht möglich.
Das gemäß § 45 Abs. 4 BAföG für die Entscheidung über die Ausbildungsförderung für eine Ausbildung im Ausland ausschließlich zuständige
Amt für Ausbildungsförderung hat die Ausbildungsförderung allein für das Auslandsstudium bewilligt. Nur hierauf erstreckt sich seine
Zuständigkeit.
23 § 45 Abs. 4 BAföG stellt eine Sonderregelung mit Ausschließlichkeitscharakter dar (vgl. Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, § 45
Rn. 15).
24 § 45 a Abs. 2 BAföG, wonach, hat die örtliche Zuständigkeit gewechselt, das bisher zuständige Amt die Leistungen noch so lange erbringen
muss, bis sie von dem nunmehr zuständigen Amt fortgesetzt werden, steht der Rückforderung nicht entgegen. Diese Vorschrift findet wegen der
Sonderregelung über die ausschließliche Zuständigkeit des Amtes für Auslandsförderung nach § 45 Abs. 4 BAföG für die Entscheidung über
Ausbildungsförderung für eine Ausbildung im Ausland, für die mit den §§ 5 ff. BAföG besondere Vorschriften zu beachten sind, keine Anwendung
bei einem Zuständigkeitswechsel von einem solchen Amt auf ein für die Inlandsförderung zuständiges Amt für Ausbildungsförderung.
25 Nachdem der Bewilligungsbescheid zutreffend nach § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG geändert worden ist, richtet sich die Erstattung nach § 50 SGB X.
Nach § 50 Abs. 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Der
Erstattungsanspruch verjährt nach § 53 Satz 3 BAföG, § 50 Abs. 3, 4 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der
Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 3 SGB X, also der Rückforderungsbescheid, unanfechtbar geworden ist. Diese Frist ist ohne weiteres gewahrt,
Verjährung mithin nicht eingetreten.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer macht von der Möglichkeit, das Urteil wegen der Kosten für vorläufig
vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch (§ 167 Abs. 2 VwGO). Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Da die Klägerin
die Verfahrenskosten zu tragen hat, ist ihr Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO gegenstandslos.
27 Die Berufung ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorliegen. Die Frage, ob § 45 a Abs. 2 BAföG
auf Fälle, bei denen der Zuständigkeitswechsel von einem für die Auslandsförderung zuständigen Amt für Ausbildungsförderung auf ein für die
Inlandsförderung zuständiges stattfindet, keine Anwendung findet, hat grundsätzliche Bedeutung. Sie kann sich in einer Vielzahl von Fällen
stellen und war, soweit erkennbar, noch nicht Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen.