Urteil des VG Sigmaringen vom 10.10.2007
VG Sigmaringen (abschiebung, antragsteller, unbestimmte dauer, aussetzung, antrag, aug, zeitpunkt, unterlagen, baden, unmöglichkeit)
VG Sigmaringen Beschluß vom 10.10.2007, 9 K 1516/07
Aussetzung der Abschiebung bei unmittelbar bevorstehender Eheschließung
Leitsätze
Im Falle einer beabsichtigten und unmittelbar bevorstehenden Eheschließung eines Ausländers mit einer
deutschen Staatsangehörigen kann der Tatbestand einer zeitweisen Unmöglichkeit der Abschiebung aus
rechtlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 AufenthG) vorliegen.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, auf gegen den Antragsteller zu 1
gerichtete aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis 16 Tage nach dem Zeitpunkt zu verzichten, zu dem die im
Parallelverfahren 9 K 1389/07 ergangene Entscheidung bei Stattgabe vollzogen, bei Zurückweisung
bestandskräftig, oder das Verfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt ist.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
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Das Gericht konnte durch den Berichterstatter entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt
haben (§ 87a Abs. 2, 3 VwGO).
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Der Antrag auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ist
zulässig, Dies gilt auch, soweit der Antrag neben dem Antragsteller zu 1 von der Antragstellerin zu 2, der
Verlobten des Antragstellers zu 1, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, gestellt wurde. Auch sie ist
antragsbefugt, die Entscheidung betrifft auch ihre Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 GG.
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Der Antrag ist auch begründet. Die Antragsteller haben sowohl das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als
auch eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dies ergibt
sich der Absicht der Eheschließung, die - soweit ersichtlich - unmittelbar bevorsteht.
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Unter gewissen Voraussetzungen kann in Fällen einer beabsichtigten und unmittelbar bevorstehenden
Eheschließung eines Ausländers mit einem deutschen Staatsangehörigen von einer zeitweisen Unmöglichkeit
der Abschiebung aus rechtlichen Gründen zum Zwecke des Schutzes der Eheschließungsfreiheit eines
Ausländers und seiner deutschen Verlobten ausgegangen werden. Insoweit führt der VGH Baden- Württemberg
in seinem Beschluss vom 13.11.2001 - 11 S 1848/01- folgendes aus:
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„Die Aussetzung einer - grundsätzlich rechtlich zwingend gebotenen - Abschiebung eines vollziehbar
ausreisepflichtigen Ausländers (vgl. § 49 Abs. 1 AuslG) wegen einer beabsichtigten Eheschließung mit
einer deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet kommt aus Rechtsgründen jedoch nicht allein
wegen des Verlöbnisses und auch dann nicht in Betracht, wenn die Eheschließung völlig ungewiss ist.
Diese Ungewissheit kann sowohl wegen fehlender formeller (s. dazu insbesondere die §§ 4 ff PStG;
vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.1.2001 - 11 S 2717/00 -) und/oder materieller
Voraussetzungen für die Eheschließung bestehen als auch wegen nicht absehbarer zeitlicher Dauer
des Eheschließungsverfahrens, wenn der Standesbeamte aus Gründen, die in den
Zurechnungsbereich der Verlobten fallen (vgl. dazu auch SächsOVG, Beschluss vom 20.12.1995,
SächsVBl. 1996, 119), einen Termin zur Eheschließung nicht festsetzen kann. Dementsprechend ist
anerkannt, dass im Hinblick auf eine beabsichtigte Eheschließung nur dann ein Rechtsanspruch auf
Erteilung einer Duldung wegen zeitweiser Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen (§
55 Abs. 2 AuslG) bestehen kann, wenn im konkreten Einzelfall die Eheschließung im Bundesgebiet
unmittelbar bevorsteht (vgl. dazu u.a. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 18.12.1997 - A 14 S 3451/97
- und vom 24.1.2001 - 11 S 2717/00 -; SächsOVG, Beschluss vom 20.12.1995, SächsVBl. 1996, 119;
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.8.1999, NVwZ-RR 2000, 641; VG München,
Beschluss vom 11.3.1996, InfAuslR 1996, 178; auch Nr. 55.2.3 AuslG-VwV). Insoweit gibt es keine
allgemein gültige, feste zeitliche Grenze - etwa sechs bis acht Wochen -; vielmehr ist jeweils unter
Berücksichtigung der gegebenen Umstände im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Eheschließung
ernsthaft beabsichtigt ist und unmittelbar bevorsteht. Dabei ist in erster Linie der grundrechtliche
Schutz der Eheschließungsfreiheit zu beachten. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts enthält das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG als wesentlichen Bestandteil
das Recht oder die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen; insbesondere soll
durch Art. 6 Abs. 1 GG auch der ungehinderte Zugang zur Ehe garantiert und die Eheschließung nicht
gefährdet werden. Das Recht der Eheschließungsfreiheit, das weder durch einen Gesetzesvorbehalt
noch auf andere Weise beschränkt ist, sowie das daraus erwachsende Recht zur Abwehr staatlicher
Behinderungen gelten sowohl für Deutsche wie für Ausländer (vgl. insbesondere BVerfG, Beschlüsse
vom 7.10.1970, BVerfGE 29, 166, 175 ff, vom 4.5.1971, BVerfGE 31, 58, 67 ff, und vom 14.11.1973,
BVerfGE 36, 146, 161 ff). Diese grundrechtliche Schutzpflicht des Staates aus Art. 6 Abs. 1 GG im
Hinblick auf die Gewährleistung der Eheschließungsfreiheit ist jedoch im Zusammenhang mit der -
ebenfalls auf Art. 6 Abs. 1 GG beruhenden - Pflicht zu sehen, eine bereits geschlossene, bestehende
Ehe und Familie eines Ausländers mit einem Deutschen bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu
berücksichtigen, wie dies regelmäßig durch eine Abwägung des öffentlichen Interesses an einer
Beendigung des Aufenthalts mit den entgegenstehenden privaten Belangen des Ausländers und seines
Ehepartners nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen muss (...). Dabei sind
jedoch auch die Unterschiede zu berücksichtigen, die sich daraus ergeben, dass eine im Bundesgebiet
gelebte eheliche und familiäre Gemeinschaft grundsätzlich auf unbestimmte Dauer angelegt ist, die
beabsichtigte Eheschließung aber als zeitlich bestimmbarer Vorgang zunächst lediglich die Grundlage
einer danach erst beginnenden ehelichen Lebensgemeinschaft bildet. Diesem Unterschied ist
besonders im Hinblick auf einen erstrebten vorläufigen Rechtsschutz in dem - durch den gesetzlichen
Sofortvollzug geprägten - Vollstreckungsverfahren der Abschiebung Rechnung zu tragen.
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Unter Beachtung dieser rechtlichen Anforderungen ergibt sich für die Beantwortung der Frage, ob eine
Eheschließung unmittelbar bevorsteht und deshalb ein Rechtsanspruch auf Duldung nach § 55 Abs. 2
AuslG bestehen kann, dass nach den Umständen des Einzelfalls außer den zeitlichen Anforderungen
an eine hinreichende Bestimmbarkeit eines Termins zur Eheschließung besonders die formellen und
materiellen Voraussetzungen für die beabsichtigte Eheschließung vorliegen müssen, deren Erfüllung in
die Sphäre der Verlobten fällt. Es bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Beurteilung,
ob eine Eheschließung immer dann schon unmittelbar bevorsteht, wenn - wie dies beim Antragsteller
zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts der Fall war - das
erforderliche Ehefähigkeitszeugnis für den Ausländer vorliegt oder - was ersichtlich in gleicher Weise
ausreichend sein soll - dem zuständigen Standesamt sämtliche für die Befreiung von der Beibringung
des Ehefähigkeitszeugnisses erforderlichen Unterlagen vorliegen (so die Regelung in Nr. 18.0.1 AuslG-
VwV, auf die in Nr. 55.2.3 AuslG-VwV ausdrücklich verwiesen wird). Im Fall des Antragstellers
sprachen jedenfalls die erkennbaren Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts dafür, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine weitere Duldung gegeben
waren, nachdem die in die Sphäre der Verlobten fallenden Anforderungen an eine unverzügliche
Eheschließung ersichtlich erfüllt waren und sich auch abzeichnete, dass die Minderjährigkeit der
deutschen Verlobten des Antragstellers der Eheschließung nicht entgegen stehen würde (vgl. § 1303
BGB).“
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An dieser Rechtslage hat sich infolge des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes nichts geändert; auch § 60a
Abs. 2 AufenthaltsG sieht - jedenfalls - die Aussetzung der Abschiebung vor, solange die Abschiebung aus
rechtlichen Gründen unmöglich ist.
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Die nach der zitierten Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen für eine zeitweilige Aussetzung der
Abschiebung liegen vor. Denn die Antragsteller dürften - soweit sich dies nach Aktenlage beurteilen lässt - in
absehbarer Zeit heiraten; das Gericht hat - wiederum ausgehend von der Aktenlage - auch keine
entscheidungserheblichen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Eheschließungswillens der Antragsteller.
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Die Antragsteller haben gegenüber dem Standesamt auch alle Erklärungen und Unterlagen vorgelegt, soweit
ihnen dies bisher möglich war und in ihrer Macht gestanden hatte. Zwar fehlt noch die Vorlage eines
Ausweispapieres zur Einholung der Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisse, die vom
Oberlandesgericht S. ausgesprochen werden muss, doch verfügt der Antragsteller zu 1 derzeit selbst nicht
über ein solches Papier. Auf einen von den Antragstellern gerichtlich gestellten Antrag wurde jedoch der
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom heutigen Tage (VG Sigmaringen - 9 K
1389/07 -) verpflichtet, dem Standesamt eine Kopie des beim Antragsgegner befindlichen Ersatzpapieres zu
übersenden. Da mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts - nach Auskunft der zuständigen
Standesbeamtin gegenüber dem Gericht - innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Übersendung der
Unterlagen zu rechnen ist und nach Aktenlage auch nichts erkennbar ist, was gegen die Erteilung der
genannten Befreiung sprechen könnte, ist von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung i.S.d. zitierten
Rechtsprechung auszugehen.
10 Angesichts der Nachteile, die eine Abschiebung für die Antragsteller hätte (vgl. hierzu den Beschluss im
Verfahren 9 K 1389/07) ist auch ein Anordnungsgrund gegeben.
11 Der Zeitraum der begehrten Aussetzung der Abschiebung erscheint jedenfalls nicht zu lang, weshalb dem
gestellten Antrag in vollem Umfang stattzugeben war.
12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2
GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs 2004 (hälftiger Auffangstreitwert).