Urteil des VG Schleswig-Holstein vom 02.04.2017

VG Schleswig-Holstein: arzneimittel, beihilfe, apotheke, wasser, lebensmittel, therapie, krankheit, behandlung, begriff, zustand

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Verwaltungsgericht
11. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 A 185/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 6 Abs 1 Nr 2 BhV SH
Beihilfe zu Aufwendungen für Dekokte nach der
traditionellen chinesischen Medizin
Leitsatz
Dekokte aus Heilplanzen nach der TCM sind nicht geeignet, Güter des täglichen Bedarfs
zu ersetzen (entgegen Schleswig-Holsteinisches OVG, U. v. 23.04.2004 - 3 LB 97/03 -).
Tenor
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 04.12.2001 und
des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2004 verpflichtet, der Klägerin weitere
Beihilfeleistungen in Höhe von 395,35 € zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin
Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin steht als Sonderschullehrerin im Dienste des Landes Schleswig-
Holstein und ist beihilfeberechtigt. Mit Formularantrag vom 13.11.2001 beantragte
sie eine Beihilfe über krankheitsbedingte Aufwendungen in Höhe von 4.225,26 DM.
Mit Bescheid vom 04.12.2001 gewährte der Beklagte unter Berücksichtigung des
Bemessungssatzes von 50 % der Klägerin eine Beihilfe von 1.335,43 DM. Für 7
ärztlich verordnete Rezepte über sogenannte „Chinesische Phytotherapeutika“
aus dem Zeitraum vom 31.07.2001 bis 18.10.2001 über insgesamt 1.546,45 DM
(entspricht 790,69 €) lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beihilfe mit der
Begründung ab, es handele sich nicht um beihilfefähige Aufwendungen im Sinne
der Beihilfevorschriften.
Hiergegen legte die Klägerin am 03.01.2002 Widerspruch ein und fügte ein
ärztliches Attest von … (Arzt - Naturheilverfahren) vom 28.12.2001 bei. Danach ist
die Klägerin eine schulmedizinisch ausbehandelte Patientin, der trotz intensiver
Therapie mit Kortison, Bepanthen und weiteren dermatologischen Mitteln und trotz
3- bis 4-jähriger schulmedizinischer Behandlung weder hinsichtlich ihrer
seborrhoischen Dermatitis noch ihres rezidivierenden Gehörgangsekzems
geholfen werden konnte. Durch seine Therapie mit chinesischen Heilkräutern habe
sich das Befinden der Klägerin wesentlich gebessert; das Gehörgangsekzem sei
fast völlig zurückgegangen, die Ekzemanteile im Gesicht seien völlig verschwunden
und die seborrhoische Dermatitis auf dem Kopf habe sich etwa zu 60 bis 70 %
gebessert. Die von ihm verordneten chinesischen Arzneikräuter entsprächen den
deutschen Arzneirichtlinien, sie würden von einem Arzt nach einer genauen
Diagnose rezeptiert und von Apotheken kontrolliert an Patienten per Rezept
abgegeben. Dabei würden die chinesischen Arzneikräuter auf Identität, Qualität
und Toxizität von der Apotheke voruntersucht und bekämen sogenannte
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und Toxizität von der Apotheke voruntersucht und bekämen sogenannte
„Chargen“. Durch die Bezifferung mit Chargen entsprächen die chinesischen
Arzneikräuter den Arzneimittelrichtlinien. Die von … der Klägerin ausgestellten
Rezepte umfassen jeweils 14 bis 17 chinesische Phytotherapeutika (wie
beispielsweise vielblütige Knöterichwurzel, Braunwurz, rote Pfingstrosenwurzel,
chinesischer Engelwurzschweif, Schlangenbartwurzel, Brenndoldenfrucht,
Engelwurzschweif etc.), die nach der Rezepturanweisung „da tal. dos. No. VII als
Dekokt“ zuzubereiten sind.
Mit Schreiben vom 24.01.2002 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass es sich
bei den hier ärztlich verordneten „chinesischen Kräutern“ um solche Mittel
handele, die nach einer Auskunft der obersten Landesbehörde beihilferechtlich wie
chinesische Teemischungen anzusehen sei. Aufwendungen hierfür seien nach § 6
Abs. 1 Nr. 2 S. 4 BhV als Aufwendungen für Mittel, die geeignet seien, Güter des
täglichen Bedarfs zu ersetzen, nicht beihilfefähig. Die Klägerin legte daraufhin eine
weitere Stellungnahme von … zur traditionellen chinesischen Medizin (TCM) vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004 wies der Beklagte den Widerspruch der
Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 23.04.2004 - 3 LB 97/03 - zurück mit der
Begründung, dass aus den verordneten Kräutermischungen Abkochungen
hergestellt würden, die geeignet seien, andere Kräuter oder Kräutermischungen zu
ersetzten, aus denen ebenfalls Tees oder teeähnliche Getränke hergestellt
würden, die anschließend getrunken werden. Bei den verordneten chinesischen
Teemischungen handele es sich somit um Mittel, die geeignet seien, Güter des
täglichen Bedarfs zu ersetzen.
Am 08.09.2004 hat die Klägerin Klage erhoben.
Aus der Bezeichnung, Herstellungsart oder Zweckbestimmung des Herstellers sei
die Einordnung eines Mittels als Arzneimittel oder als tägliches Bedarfsgut nicht
vornehmbar. Entscheidend sei die objektive Beschaffenheit der zu bewertenden
Substanz. Unter „Dekokt“ werde das Aufkochen einer Droge mit Wasser und
anschließendem Ziehenlassen bei leichtem Kochen verstanden. Der Begriff
„Dekokt“ bezeichne mithin lediglich die Herstellungsart einer
Substanzzusammenstellung ohne weiter klassifizierend für dessen Eignung als
Arzneimittel oder als Ersatzbedarfsgut zu sein. Zwar entfalte die in § 2 Abs. 4 AMG
formulierte Vermutung Indizwirkung. Das Schleswig-Holsteinische
Oberverwaltungsgericht verkenne jedoch, dass zugelassene Arzneimittel, die in
pharmazeutischen Listen - Rote Liste, Graue Liste, Grüne Liste sowie
Novitätenliste - aufgenommen werden, nur solche seien, die in Serienproduktion
der pharmazeutischen Industrie hergestellt würden. Von den pharmazeutischen
Listen nicht umfasst seien alle solche Arzneimittel, die aufgrund individueller
ärztlicher Indikation durch einen Pharmazeuten hergestellt werden. Eine Vielzahl
von Arzneimitteln, die auch beihilferechtlich als solche unstreitig angesehen
würden, seien individuell von Apothekern angefertigt. Hierzu gehörten
insbesondere Salben, Tinkturen, seltener auch Tabletten und Dragees,
homöopathische Mittel und auch Dekokte. Einem Dekokt könne deshalb die
Arzneimittelfähigkeit nicht generell abgesprochen werden. Es sei vielmehr auf die
objektiv feststellbare Wirkung und Einsetzbarkeit abzustellen. Die der Klägerin
verordneten Dekokte seien ausschließlich geeignet, ihre Erkrankung bzw. Leiden
zu verbessern bzw. zu beseitigen. Eine andere Eignung, insbesondere als Ersatz
für Güter des täglichen Bedarfs, sei ausgeschlossen. Die Einnahme der
entsprechenden Dekokte sei für denjenigen, der nicht ähnliche körperliche und
gesundheitliche Voraussetzungen wie die Klägerin aufweise, kontraindiziert und
ggfs. auch gesundheitsschädlich.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, an sie die beantragte Beihilfe in Höhe von
790,69 € zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seinen Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die
vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen
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vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfe in gesetzlicher Höhe
für die ihr verordneten Dekokte aus chinesischen Phytotherapeutika. Insoweit sind
die angegriffenen Bescheide als rechtswidrig aufzuheben (§ 113 Abs. 5 S. 1
VwGO).
Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung
bei der Antragstellung auf die Klageschrift Bezug genommen („beantragte Beihilfe
in Höhe von 790,69 € zu bezahlen“). Der genannte Betrag ist aber offensichtlich
nur als Rechnungsgröße zu behandeln, wie auch durch die Wendung „beantragte
Beihilfe“ ersichtlich wird. Der Betrag von 790,69 € wurde auch von den Beteiligten
in der mündlichen Verhandlung nur als Rechnungsgröße angesehen.
Zwar genügen die - im vorliegenden Verfahren vom Beklagten angewandten -
Beihilfevorschriften (BhV) nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des
Gesetzesvorbehalts (BVerwG, U. v. 17.06.2004 - 2 C 50.02 -, DVBl. 2004, 1420 ff).
Für eine Übergangszeit ist allerdings von der Weitergeltung der Beihilfevorschriften
als Verwaltungsvorschriften auch im Landesbereich auszugehen, denn damit ist
gewährleistet, dass die Leistungen im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit
nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden (BVerwG, U. v.
25.01.2004 - 2 C 24.03 -).
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Nr.
2 BhV. Danach sind aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig die Aufwendungen für
die vom Arzt schriftlich verordneten Arzneimittel.
Die beihilferechtlichen Vorschriften und auch die dazu von der zuständigen
Behörde herausgegebenen Hinweise enthalten keine Definition des Begriffs
„Arzneimittel“. Es besteht aber weitgehend Einigkeit darüber, dass als
Ausgangspunkt für die Einordnung eines medizinischen Präparats unter dem
Begriff des „Arzneimittels“ auf die Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Arzneimittelgesetz
(AMG) zurückgegriffen werden kann. Zwar ist der vom Arzneimittelgesetz verfolgte
Zweck, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen (§ 1 AMG), so
dass dessen Begriffsbestimmung nicht ohne weiteres auf das Beihilferecht
übertragen werden kann, welches die Beteiligung des Dienstherrn an den Kosten
der Krankenbehandlung der Beamten und ihrer Angehörigen regelt. Als
Ausgangspunkt für die Bestimmung der dort verwendeten gleichlautenden Begriffe
kann es aber dienen (BVerwG, U. v. 30.05.1996 - 2 C 5/95 -, DVBl. 1996, 1149 f.).
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus
Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder
tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte
Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Unter den
Stoffbegriff im Arzneimittelgesetz fallen u. a. neben chemischen Elementen und
Verbindungen und deren Gemische und Lösungen auch Pflanzen, Pflanzenteile,
Pflanzenbestandteile, Algen, Pilze und Flechten in bearbeitetem oder
unbearbeitetem Zustand (§ 3 Nr. 2 AMG). Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG sind
Arzneimittel nicht Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Dies sind nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG)
Nr. 178/2002 alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen
nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem,
teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen
aufgenommen werden (d. h. im Sinne der Terminologie des bislang geltenden
LMBG „verzehrt“ werden); nicht zu den Lebensmitteln gehören danach jedoch
Arzneimittel (Art. 2 Abs. 2 d VO (EG) 178/2002).
Daraus folgt, dass die Qualifizierung eines Erzeugnisses oder Stoffes als
Arzneimittel dann nicht in Betracht kommt, wenn seine Eigenschaft als
Lebensmittel, wozu auch die „Nahrungsergänzungsmittel“ (vgl. Richtlinie
2002/46/EG) gehören, festgestellt wird. Derselbe Stoff kann nicht gleichzeitig
Lebensmittel und Arzneimittel sein (vgl. hierzu OVG Lüneburg, B. v. 08.06.2004,
NVwZ-RR 2004, 840 ff.).
Ergänzend hierzu erklären die hier anzuwendenden Beihilfevorschriften
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Ergänzend hierzu erklären die hier anzuwendenden Beihilfevorschriften
Aufwendungen für Mittel als nicht beihilfefähig, die geeignet sind, Güter des
täglichen Bedarfs zu ersetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 4 BhV).
Legt man diese Kriterien bei der Beurteilung der streitgegenständlichen
Rezepturen zugrunde, ist festzustellen, dass die verordneten Dekokte den
Arzneimitteln zugeordnet werden müssen, welche nicht geeignet sind, Güter des
täglichen Bedarfs zu ersetzen.
Zwar sind die streitgegenständlichen Mittel bzw. verschriebenen Stoffe als
Arzneimittel in Deutschland nicht zugelassen. Eine derartige Zulassung (vgl. § 2
Abs. 4 AMG) ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel
im medizinischen Sinne handelt. Mit einer Zulassung bzw. Registrierung können
diese Produkte in die verschiedensten pharmazeutischen Listen (Rote Liste, Graue
Liste, Grüne Liste, Novitätenliste) aufgenommen werden. Andererseits steht die
Nichtaufnahme in eine der genannten Listen nicht der Annahme der
Arzneimitteleigenschaft eines Präparates entgegen, zumal die genannten Listen
jeweils spezielle Zielrichtungen haben (Fertigarzneimittel, homöopathische Liste,
Neuheiten) und an der Schulmedizin und tradierten westlichen Medizin
ausgerichtet sind.
Der beihilferechtliche Arzneimittelbegriff umfasst - wie dargestellt - u. a. die
unmittelbar zur Heilung oder Linderung einer Krankheit dienenden Stoffe und
Zubereitungen aus Stoffen. Die der Klägerin von ihrem Arzt auf der Grundlage der
alten traditionellen chinesischen Medizin verordneten Dekokte aus Heilpflanzen
zählen zu den Arzneimitteln im beihilferechtlichen Sinn. Die in einer
(spezialisierten) Apotheke nach der verordneten Rezeptur unter Berücksichtigung
der in dem Arzneibuch der chinesischen Medizin dargestellten Monographien
zubereiteten Dekokte aus chinesischen Heilpflanzen und Heilpflanzenteilen sind
zum einen vom Laien selbst nicht herstellbar und dienten zum anderen nach ihrer
Zweckbestimmung der Heilung der Ekzeme und Dermatitis, unter der die Klägerin
litt. Die Zweckbestimmung dieser Dekokte ist damit auch erkennbar auf die
Heilung von Krankheiten gerichtet (so auch OVG Hamburg, U. v. 24.09.2004, IÖD
2005, 54 ff.; auch dort ging es um ein von der …-Apotheke in Hamburg
zubereitetes Dekokt aus Heilpflanzen nach der TCM).
Die Kosten der für die Klägerin rezeptierten Dekokte gehören auch nicht zu den
Aufwendungen für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu
ersetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 4 BhV). Die Kammer folgt für die der Klägerin
verordneten Dekokte nicht der gegensätzlichen Meinung des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. U. v. 23.04.2004 - 3 LB 97/03 -),
wonach generell chinesische Arzneimittel, die abgekocht und getrunken werden,
geeignet seien, andere Kräutertees und Kräuterteemischungen zu ersetzen und
damit den Gütern des täglichen Bedarfs zuzurechnen seien. Als Güter des
täglichen Bedarfs im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 4 BhV sind all diejenigen Mittel
anzusehen, die dem Grunde nach unabhängig von einer Erkrankung bei
jedermann anfallen und deren Kosten zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten
zu zählen sind. Zu diesem Ausgabenkreis zählen Aufwendungen der täglichen
Ernährung, der Körperpflege, Nahrungsergänzungsmittel oder auch kosmetische
Mittel. Diese im Rahmen des täglichen Bedarfs anfallenden Aufwendungen sind
bereits durch die Dienst- oder Versorgungsbezüge gedeckt und können deshalb
nicht Eingang in die Beihilfe finden (vgl. Mildenberger, Beihilfevorschriften des
Bundes und der Länder, Kommentar Bd. I, Anmerkung 8 zu § 6 BhV). Die Frage
der Zuordnung in diesem Sinne entscheidet sich nicht nach den subjektiven
Vorstellungen eines Herstellers - dessen Beschreibungen und
Produktinformationen im Übrigen auch häufig irreführend sein werden - oder eines
Anwenders, sondern es ist die objektive Eignung des Mittels maßgebend.
Maßgeblich im beihilferechtlichen Sinne ist dabei der überwiegende Zweck, dem
das Mittel nach wissenschaftlicher oder allgemeiner Verkehrsanschauung zu
dienen bestimmt ist (OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 09.05.2005, IÖD 2005, 213 ff.:
OVG Lüneburg, B. v. 08.06.2004, aaO). Dies ist hier bei der nach der Schulmedizin
austherapierten Klägerin, der die im Rahmen dieser Therapie eingesetzten
Medikamente wie Kortison u. a. nicht helfen konnten, der Einsatz der nach der
traditionellen chinesischen Medizin verordneten Dekokte aus (chinesischen)
Kräutern und Pflanzenbestandteilen als Arzneimittel.
Es handelt sich gerade nicht um solche Heiltees, die als Lebens- oder
Genussmittel einzustufen sind. Tees und Dekokte haben gemeinsam, dass sie aus
Pflanzenteilen unter Einsatz von heißem Wasser hergestellt werden. Tees werden
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Pflanzenteilen unter Einsatz von heißem Wasser hergestellt werden. Tees werden
durch das Überbrühen (Aufguss) und anschließendes Ziehenlassen von Blättern,
Blüten oder Früchten mit heißer Flüssigkeit - in der Regel Wasser - hergestellt.
Neben den „echten Tees“ aus der Teepflanze werden auch Aufgüsse aus anderen
Pflanzen als Tee bezeichnet, wie Früchtetee (beispielsweise Hagebutte,
Wildkirsche, Apfel etc.), Kräutertee (wie beispielsweise Pfefferminze, Kamille,
Lindenblüte, Zitronengras) oder Gewürztee. Dem gegenüber ist ein Dekokt
(Abkochung oder Absud) ein wässeriger Extrakt, der durch das Kochen von festen
Drogen wie Hölzern, Rinden, Wurzeln, Blättern oder Blüten gewonnen wird. Ein
Dekokt wird üblicherweise mit heißem oder kaltem Wasser angesetzt und erst
anschließend zum Kochen gebracht. Dabei hängt Ausgangstemperatur und
Kochdauer von den jeweils verwendeten Rohstoffen ab. Je nachdem, welcher
Inhaltsstoff extrahiert werden soll, muss eine kürzere oder längere Dauer
angesetzt werden; dabei sind Kochzeiten von 10 bis 30 Minuten oder mehr, aber
auch ein Ansetzen über Nacht möglich. Manche Arzneipflanzen werden
anschließend gefiltert oder abgepresst. Die Herstellung von Dekokten ist eine der
ältesten pharmazeutischen Methoden zur Extrahierung von Wirkstoffen aus
Arzneipflanzen.
Die verordneten Dekokte haben einen sehr unangenehmen bitteren Geschmack.
Bereits deshalb sind sie nicht mit Tees gleichzusetzen, die als Lebens- oder
Genussmittel einzustufen sind. Außerdem werden die Abkochungen in der …-
Apotheke in Hamburg, einer auf die Herstellung von Dekokten nach der
traditionellen chinesischen Medizin spezialisierte Apotheke, zubereitet. Auch sind
bei derartig komplexen Rezepturen aus bis zu 17 verschiedenen einzelnen
Bestandteilen je nach Rezeptur die unterschiedlichen Kochzeiten der einzelnen
Pflanzenteile zu berücksichtigen, so dass - außer dem fehlenden Fachwissen - eine
Herstellung zuhause durch den Patienten selbst ausgeschlossen ist. Es kann
deshalb nicht angenommen werden, die Dekokte dienten ihrer objektiven
Zweckbestimmung nach dazu - oder seien auch nur geeignet -, andere Getränke
zu ersetzen (vgl. OVG Hamburg, U. v. 24.09.2004, aaO). Nach allgemeiner
Verkehrsanschauung sind die hier im Streit stehenden Dekokte den Arzneimitteln
zuzurechnen.
Die Beihilfefähigkeit der verordneten Dekokte ist vorliegend auch nicht nach § 6
Abs. 2 BhV ausgeschlossen; ein Ausschluss oder eine Begrenzung der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Behandlung nach der traditionellen
chinesischen Medizin durch das zuständige Ministerium besteht nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 1 S. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 4 zuzulassen.