Urteil des VG Schleswig-Holstein vom 02.04.2017

VG Schleswig-Holstein: freiwillige leistung, schüler, gesetzlicher vertreter, satzung, realschule, eltern, wechsel, schulbesuch, anerkennung, schulpflicht

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Verwaltungsgericht
9. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 A 207/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 114 Abs 1 SchulG SH, § 136
SchulG SH
Kein Anspruch auf kostenlose Schülerbeförderung bzw.
Schülerfahrtkostenerstattung
Leitsatz
1. Das Schl.-Holst. Schulrecht begründet keinen Anspruch der Schüler/innen oder ihrer
Eltern auf kostenlose Schülerbeförderung; allerdings muss der Träger der
Schülerbeförderung in der Praxis den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten und darf
über die Kostenerstattung nicht willkürlich entscheiden.
2. Nach diesem Maßstab ist es gerichtlicherseits nicht zu beanstanden, wenn zwar die
Kosten der Schülerbeförderung zum Besuch einer weiterführenden allgemein bildenden
Schule bis Jahrgangsstufe 10, nicht aber zum Besuch einer berufsbildenden Schule mit
Ziel eines Mittleren Abschlusses übernommen werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der
Vollstreckungsschuld abwenden, wenn der Beklagte nicht vorher seinerseits
Sicherheit leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Schülerfahrkarte für das Schuljahr 2007/2008.
Der im Jahre 1991 geborene Kläger mit Wohnsitz im Kreisgebiet des Beklagten
erwarb 2007 den regulären Hauptschulabschluss und besucht seit Beginn des
Schuljahres 2007/2008 eine Berufsfachschule in B-Stadt mit dem Ziel, dort nach
zwei Jahren einen Mittleren Abschluss zu erwerben.
Am 13. Juli 2007 beantragte sein gesetzlicher Vertreter beim Beklagten die
Ausstellung einer Schülerfahrkarte mit dem Hinweis, dass der Kläger im Wege des
Vollzeitschulbesuches einen allgemein bildenden Schulabschluss anstrebe. Mit
Bescheid vom 02. August 2007 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Nach § 114
Abs. 1 SchulG seien die Schulträger nur dann Träger der Schülerbeförderung,
wenn die Schülerinnen und Schüler die Grundschulen, die Jahrgangsstufen fünf bis
zehn der weiterführenden allgemein bildenden Schulen sowie Förderzentren
besuchten. Auch wenn der Kläger einen allgemein bildenden Abschluss anstrebe,
besuche er keine allgemein bildende Schule. In dem dagegen am 27. August 2007
eingelegten Widerspruch wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass es in
Schleswig-Holstein für Hauptschüler nicht die Möglichkeit gebe, den Mittleren
Bildungsabschluss in Form eines zehnten Schuljahres zu absolvieren.
Bildungsbemühte Hauptschüler würden in unzulässiger Weise benachteiligt, wenn
nur Schüler der Realschule eine entsprechende Schülerbeförderung erhielten.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober
2007 als unbegründet zurück. Rechtsgrundlage der Entscheidung sei das
Schulgesetz nebst Satzung des Beklagten über die Anerkennung der notwendigen
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Schulgesetz nebst Satzung des Beklagten über die Anerkennung der notwendigen
Kosten für die Schülerbeförderung vom 25. Juni 2007. Nach § 114 Abs. 1 SchulG
seien die Schulträger der in den Kreisen liegenden öffentlichen Schulen nur dann
Träger der Schülerbeförderung, wenn Schülerinnen und Schüler die Grundschulen,
Jahrgangsstufen fünf bis zehn der weiterführenden allgemein bildenden Schulen
sowie Förderzentren besuchten. Weiterführende allgemein bildende Schulen seien
nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SchulG die Regionalschule, die Gemeinschaftsschule und das
Gymnasium sowie - bis zum Ablauf des 31. Juli 2010 - die Haupt- und Realschulen.
Berufsbildende Schulen seien in dieser abschließenden Aufzählung explizit nicht
erfasst. Entsprechend sehe auch die Satzung des Beklagten insoweit keine
Kostenerstattung vor. Es komme demnach nicht auf den erreichbaren Abschluss,
sondern allein auf die besuchte Schulart an. Das Schulgesetz sehe auch keine
Ausnahmemöglichkeit vor. Der Widerspruchsbescheid wurde am 3. November
2007 zugestellt.
Am 3. Dezember 2007 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass
ihm der geltend gemachte Anspruch aus § 114 SchulG in Verbindung mit der
Satzung über die Anerkennung der notwendigen Kosten für die
Schülerbeförderung zustehe. Die vorgenommene Differenzierung nach dem
Wortlaut der Vorschrift, wonach ein Anspruch nur für „weiterführende allgemein
bildende Schulen“ in Frage komme, verstoße gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, da kein sachlich einleuchtender Grund
für diese Differenzierung bestehe. Dies gelte insbesondere für Schüler, die den
Abschluss einer weiterführenden allgemein bildenden Schule anstrebten. Im
Gegensatz zu den „typischen“ Schülern der berufsbildenden Schulen hätten sie
keine abgeschlossene Berufsausbildung oder sonstige Verdienstmöglichkeiten, die
eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Gerade Hauptschüler wie der Kläger seien
in der finanziellen und beruflichen Situation nicht von „typischen“ Realschülern zu
unterscheiden. Hinzu komme, dass er zum Schuljahresbeginn 2007/2008 gar nicht
die Möglichkeit gehabt hätte, die zehnte Jahrgangsstufe an einer allgemein
bildenden Schule zu besuchen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 2007 in der
Form des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2007 zu verpflichten, dem
Kläger eine Schülerfahrkarte für das Schuljahr 2007/2008 auszustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass der Wortlaut des § 114 SchulG eindeutig sei und sich
ausdrücklich nur auf Schülerinnen und Schüler der Primarstufe und der
Sekundarstufe I bis zur Beendigung der Vollzeitschulpflicht beziehe. Schüler der
berufsbildenden Schulen hätten demgegenüber bereits ihre Vollzeitschulpflicht
absolviert. Von daher liege kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, der eine
anderslautende Auslegung der Norm gebiete. Das Unterscheidungskriterium der
Vollzeitschulpflicht iSd § 20 Abs. 2 S.1 SchulG sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Der Gesetzgeber habe im Bereich der gewährenden Verwaltung
einen weiten Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen an die Frage angeknüpft
werde, ob der Schulbesuch pflichtig sei oder freiwillig wahrgenommen werde. Es sei
sachgerecht, bei einem freiwilligen Schulbesuch die Kosten der
Schülerbeförderung nicht mehr zu übernehmen. Zweck des Gesetzes sei es nicht,
eine völlige gleichförmige Belastung herzustellen. Würde man der Auffassung des
Klägers folgen, müsste auch für alle anderen Schüler der Sekundärstufe II eine
Kostenerstattung erfolgen. Hierzu sei der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht
verpflichtet. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Erfüllung der Schulpflicht
traditionell als Bringschuld verstanden werde, weshalb die Eltern die Pflicht hätten,
für den Transport ihrer Kinder zu sorgen und die damit verbundenen Kosten als Teil
des allgemeinen Lebensführungsaufwandes zu tragen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur
Entscheidung übertragen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und dem beigezogenen Verwaltungsvorgang des
Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Ablehnung der Erteilung einer
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Ablehnung der Erteilung einer
Schülerfahrkarte für das Schuljahr 2007/2008 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
Ein Anspruch auf Erteilung einer Schülerfahrkarte besteht nicht, ergibt sich
insbesondere nicht aus der Satzung des Beklagten über die Anerkennung der
notwendigen Kosten für die Schülerbeförderung vom 25. Juni 2007
(Schülerbeförderungssatzung) iVm § 114 SchulG n.F. (in Art. 1 des Gesetzes zur
Weiterentwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2007,
GVOBl. 2007, S. 39 ff.).
Ungeachtet der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der geltend gemachten
Anspruchsnorm bestimmt § 136 SchulG n.F., dass u.a. die Bestimmungen im 6.
Teil des Gesetzes - dazu gehören die §§ 111-114 SchulG n.F. - keine Ansprüche
der Schulleiterinnen, Schulleiter, Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen oder Schüler
gegen den Schulträger, den Träger der Schülerbeförderung oder das Land
begründen. Gleichermaßen schließt § 1 Abs. 4 der Schülerbeförderungssatzung
Rechtsansprüche Dritter unter Verweis auf § 136 SchulG aus. Dieser Ausschluss
subjektiver Rechte war bereits in § 81 SchulG a.F. vorgesehen und geht darauf
zurück, dass das Gesetz lediglich das Verhältnis des Landes gegenüber den
Schulträgern und den Trägern der Schülerbeförderung regelt, nicht jedoch das
Verhältnis zu den Schulbenutzern. Den objektiven Verpflichtungen der Schulträger
und der Träger der Schülerbeförderung sollen keine subjektiven Rechte der
Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte gegenüberstehen
(Karpen/Lorentzen in: Praxis der Kommunalverwaltung, Kommentar zum SchulG
a.F., § 80 Anm. 5.3, § 81 Anm. 1 u. 2).
Der Kläger hat allerdings einen Anspruch darauf, dass der Beklagte über sein
Begehren in ermessensfehlerfreier Weise entscheidet, insbesondere frei von
Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) seine Entscheidungen trifft (vgl. OVG Schleswig, Urt. v.
05.03.1992 - 3 L 5/91 -, Die Gemeinde 1993, 258 = SchlHAnz 1993, 120; Urt. v.
25.03.1994 - 3 L 204/93 -, Die Gemeinde 1994, 228). Auch unter diesem
rechtlichen Blickwinkel ist der angefochtene Bescheid rechtlich nicht zu
beanstanden.
Das OVG Schleswig hat in der genannten Entscheidung vom 25.03.1994
ausgeführt:
„Für die Frage, ob der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei betätigt hat, indem er der
Klägerin die begehrte Bewilligung versagt hat, kommt es auf die Auslegung des
Schulgesetzes bzw. der Satzung des Beklagten nicht an. Das Schulgesetz enthält
im Hinblick auf Schülerbeförderungskosten - wie ausgeführt - keine
Rechtsanspruchsnormen für Bürger. Dieser Ausschluß subjektiver Rechte wirkt sich
auch auf die Ermessensbetätigung der Schulträger bei der Entscheidung über
entsprechende Anträge aus. Die gesetzlichen Regelungen zu den
Schülerbeförderungskosten (§ 80 SchulG) entfalten keine Rechtswirkung außerhalb
der Organbereiche, für die sie verbindlich sind (Land, Kreise, Gemeinden,
Schulträger). Insoweit ist das Schulgesetz vergleichbar mit einem Haushaltsplan,
der ebenfalls einen gesetzlichen Ausschluß von Außenwirkungen enthält (vgl.
BVerfG, Beschluß vom 22.10.1974 - 1 BvL 3/72 -, E 38, 121). Konstruierte man
über den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG einen subjektiven Rechtsanspruch
darauf, daß das Ermessen in der vom Gesetz vorgesehenen Weise zu betätigen
sei, würde der Wille des Gesetzgebers, der erkennbar darin besteht, dem Bürger
die Berufung auf das Gesetz zu verwehren, unterlaufen. Die vorstehenden
Ausführungen gelten für die Satzung des Beklagten entsprechend.
Dem Schulgesetz und der Satzung des Beklagten kommen daher hinsichtlich der
Bestimmungen zu den Schülerbeförderungskosten im Verhältnis zwischen dem
Schulträger und dem Bürger nicht mehr Gewicht zu als einer nur für die
Verwaltung verbindlichen Richtlinie (vgl. Urteil des Senats vom 05.03.1992 - 3 L
5/91 -, Die Gemeinde 1993, 258 = SchlHA 1993, 120).
Eine im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes relevante Selbstbindung
entsteht noch nicht, wenn ausschließlich für die Verwaltung verbindliche
Vorschriften erlassen werden oder sie sich selbst - innerbehördliche - Richtlinien,
Anweisungen oder dergleichen gibt. Ein im beschriebenen Sinne der Selbstbindung
relevantes Verhalten liegt erst dann vor, wenn und soweit die Verwaltung sich nach
außen hin, d.h. dem Bürger gegenüber betätigt. Danach kommt es nicht darauf
an, wie eine für die Verwaltung verbindliche Vorschrift auszulegen wäre, wenn die
Auslegung nach den für Rechtsanspruchsnormen entwickelten Grundsätzen
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Auslegung nach den für Rechtsanspruchsnormen entwickelten Grundsätzen
vorzunehmen wäre. Sofern die Normen allein die Verwaltung binden, sind sie nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Senat teilt, nicht der
gerichtlichen Interpretation unterworfen (vgl. BVerwG, aaO). Entscheidend ist
vielmehr, wie die die Verwaltung bindende Vorschrift von der Verwaltung selbst -
nach ihrem eigenen Verständnis - gehandhabt wird. Denn der Gleichheitssatz, an
dem die Ermessensausübung zu messen ist, stellt nicht auf den Wortlaut der die
Verwaltung bindenden Vorschrift, sondern auf ihre Handhabung ab (vgl. BVerwG,
Beschluß vom 01.06.1979 - 6 B 33.79 ZBR 1980, 24; Urteil vom 26.04.1979, aaO).
Es kommt also darauf an, welche Verwaltungspraxis sich aufgrund der Vorschrift
entwickelt hat. Nur die bisherige Verwaltungspraxis bindet die Verwaltung dem
Bürger gegenüber (vgl. Dürig in Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum
Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rdn. 432 m.w.N.).“
Dem schließt sich das erkennende Gericht an (vgl. schon Urt. v. 02.06.2006 iVm
Gerichtsbescheid v. 10.04.2006 - 9 A 320/05 - und Gerichtsbescheid vom
09.01.2006 - 9 A 774/04 -). Richterlicher Prüfungsmaßstab kann unter diesen
Umständen nur sein, ob die Verwaltung in Anwendung der für sie verbindlichen
Vorschriften den Gleichheitssatz bzw. sonstige rechtliche Regelungen willkürlich
verletzt oder höherrangige Zweckbestimmungen nicht beachtet hat (vgl. BVerwG,
Urt. v. 26.04.1979 - 3 C 111/79 -, BVerwGE 58, 45 ff. = NJW 1979, 2059 ff.; Beschl.
v. 21.09.1993 - 2 B 109/93 - in Juris).
Auch in Anwendung dieser Grundsätze ist eine Rechtswidrigkeit der erfolgten
Ablehnung einer Schülerfahrkarte nicht festzustellen. Es ist weder dargelegt noch
ersichtlich, dass der Beklagte die Kosten für eine Schülerbeförderung in anderen
Fällen als notwendig anerkannt hätte, wenn eine Schülerin oder ein Schüler eine
berufsbildende Schule besucht, um dort einen Mittleren Abschluss zu erwerben.
Nach den in der mündlichen Verhandlung erfolgten und unbestritten gebliebenen
Ausführungen des Beklagten orientiert sich die Verwaltungspraxis strikt am
Wortlaut des § 114 Abs. 1 SchulG n.F. und entsprechend an § 1 Abs. 1 der
Schülerbeförderungssatzung. Eine Kostenerstattung für die Beförderung von
Schülern erfolge nur dann, wenn eine Grundschule, eine der Jahrgangsstufen fünf
bis zehn der weiterführenden allgemein bildenden Schulen oder ein Förderzentrum
besucht werde, also auch beim Besuch der 10. Jahrgangsstufe an einer
Hauptschule. Eine Erstattung erfolge hingegen nicht, wenn nach Absolvierung der
Vollzeitschulpflicht von neun Schuljahren ein 10. Schuljahr an einer
berufsbildenden Schule besucht werde. Hiervon ausgehend lässt sich vorliegend
keine willkürliche Entscheidung unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG feststellen,
da sich die dem Kläger gegenüber erfolgte Ablehnung einer Schülerfahrkarte im
Rahmen der geschilderten Praxis bewegt.
Darüber hinaus stellt die dargestellte Verwaltungspraxis ebenso wenig wie die
Regelung des § 114 Abs. 1 SchulG n.F. selbst eine ungerechtfertigte
Ungleichbehandlung von Berufs- und Realschülern dar, die einen Mittleren
Abschluss anstreben bzw. von Berufs- und Hauptschülern, die ein 10. Schuljahr
absolvieren.
Verfassungsrechtlich ist die Schülerbeförderung als eine freiwillige Leistung der
öffentlichen Hand anzusehen. Bei deren Ausgestaltung hat der Gesetzgeber (und
die am Gesetz ausgerichtete Verwaltungspraxis) einen weiten
Gestaltungsspielraum, der es zum einen unter Beachtung des Willkürverbots aus
Art. 3 Abs. 1 GG erlaubt, die Erbringung der öffentlichen Leistung von einer
Gegenleistung der Begünstigten abhängig zu machen (BVerwG, Beschl. v.
22.10.1990 - 7 B 128/90 - DVBl. 1991, S. 59 ff.) und zum anderen, vielfältige
Lebensverhältnisse durch eine einheitliche Regelung zu erfassen und hierbei ohne
Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz oder das Sozialstaatsprinzip gewisse
tatsächliche Verschiedenheiten aufgrund der unterschiedlichen Lebensverhältnisse
zu vernachlässigen. Dieser Gestaltungsspielraum wird erst dann überschritten,
wenn die Vorgehensweise sich nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken
orientierten Betrachtungsweise verträgt und mangels einleuchtender Gründe als
willkürlich beurteilt werden muss (vgl. Kammerbeschl. v. 17.9.2007 - 9 B 67/07 -).
Eine solche Willkürlichkeit ist bei Anknüpfung an die Vollzeitschulpflicht bzw. die
regelmäßige Dauer des Schulbesuches je nach Schulart sowie an den Besuch
ausschließlich allgemein bildender Schulen iSd § 114 Abs. 1 iVm § 9 Abs. 1 Nr. 2
und § 146 Abs. 4 S. 1 SchulG n.F. nicht gegeben.
Die Vollzeitschulpflicht umfasst die Pflicht zum Besuch einer Grundschule und
einer Schule der Sekundarstufe I oder einer Sonderschule/eines Förderzentrums
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einer Schule der Sekundarstufe I oder einer Sonderschule/eines Förderzentrums
von insgesamt neun Schuljahren (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SchulG a.F., § 20 Abs. 2 Nr. 1
SchulG n.F.). Die regelmäßige Dauer des Schulbesuchs der einzelnen Schülerin /
des einzelnen Schülers ergibt sich aus der Zahl der Schulleistungsjahre der
jeweiligen Schulart (§ 38 Abs. 1 SchulG a.F., § 18 Abs. 1 SchulG n.F.). Nach § 12
Abs. 2 S. 1 SchulG a.F. und § 146 Abs. 2 S. 1 SchulG n.F. umfasst die Hauptschule
fünf Klassen- bzw. Jahrgangsstufen. Nach § 12 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 SchulG a.F. -
gültig gemäß Art. 3, § 2 Abs. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des
Schulwesens in Schleswig-Holstein (aaO) bis zum 31. Juli 2007 - konnte die
Hauptschule eine 10. Klassenstufe haben mit dem Ziel, die allgemeine Bildung
und Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die Arbeitswelt zu erweitern
und zu vertiefen. Bei erfolgreicher Teilnahme wurde ein Abschluss erworben, der
die schulischen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Fachoberschule und die
Fachschule enthalten kann. Statt der fünf Jahrgangsstufen können die
Hauptschulen gemäß der Nachfolgeregelung des § 146 Abs. 2 S. 2 SchulG n.F. seit
dem 1. August 2007 ab der achten Jahrgangsstufe flexible Übergangsphasen
bilden, die drei Jahre dauern und die Schülerinnen und Schüler auf den
Hauptschulabschluss vorbereiten; mithin sieht auch das neue Schulrecht im
Rahmen der flexiblen Übergangsphase eine weitere Jahrgangsstufe an
Hauptschulen vor. Der Erwerb eines Mittleren Abschlusses ist damit allerdings
nach beiden Modellen nicht verbunden (vgl. Vereinbarung über die Schularten und
Bildungsgänge im Sekundarbereich I, Beschluss der KMK vom 03.12.1993 i.d.F.
vom 02.06.2006 unter: www.kmk.org/schul/home.htm?pub). Dessen ungeachtet
wäre es dem Kläger nur dann möglich gewesen, freiwillig den sog. erweiterten
Hauptschulabschluss iSd § 12 Abs. 3 SchulG a.F. zu erwerben, wenn die von ihm
besuchte Hauptschule eine solche 10. Jahrgangsstufe tatsächlich angeboten
hätte. Strebte er hingegen nach dem regulären Hauptschulabschluss einen
Mittleren Schulabschluss an, so war und ist dieser auch noch gegenwärtig in
Schleswig-Holstein generell an berufsbildenden Schulen und nicht an Realschulen
zu erwerben. Die noch bis zum 31. Juli 2008 geltende Landesverordnung über die
Aufnahme, das Aufsteigen nach Klassenstufen, die Dauer des Schulbesuchs und
die Abschlussprüfung an der Realschule vom 27. Februar 1995 (NBl MWFK/MFBWS
Schl.-H. 1995, 67) sieht in ihrem § 1 vor, dass die Aufnahme in die Realschule
durch einen Wechsel aus einer Grundschule oder den Wechsel während der
Orientierungsstufe, durch den Wechsel aus einer anderen Realschule, durch den
Wechsel vom Gymnasium oder durch den Wechsel aus einer Gesamtschule
erfolgt. Der Wechsel aus einer anderen als den genannten Schulen ist nur in
Ausnahmefällen vorgesehen, wenn die Aufnahme pädagogisch sinnvoll erscheint
und zu erwarten ist, dass die Schülerin oder der Schüler in der Realschule
erfolgreich mitarbeiten kann. Demgegenüber sehen § 88 Abs. 1 S. 2 und § 89 Abs.
2 S. 2 SchulG n.F. insoweit vor, dass an einer Berufs- bzw. Berufsfachschule
weitere schulische Abschlüsse und Berechtigungen erworben werden können.
Häufiges Motiv für den Besuch der Berufsfachschule ist deshalb gerade der
Wunsch, hier nach Abschluss der allgemein bildenden Hauptschule den Mittleren
Bildungsabschluss zu erwerben und sich gleichzeitig auf eine Berufsausbildung
vorzubereiten (Karpen/Lorentzen aaO, § 19 Anm. 1). Entsprechend sieht die seit
dem 1. August 2007 geltende Landesverordnung über die Berufsfachschule vom
22. Juni 2000 (NBl MBF Schl.-H. 2007, 155) in § 1 Abs. 1, § 6 Abs. 1 vor, dass die
Berufsfachschule mit dem Ziel einer beruflichen Grundbildung und des Erwerbs
des Mittleren Schulabschlusses in einem zweijährigen Bildungsgang besucht
werden kann. Dieser Mittlere Schulabschluss wird in allen Bundesländern
anerkannt und ist dem Realschulabschluss gleichwertig (Karpen/Lorentzen aaO, §
19 Anm. 2; Beschluss der KMK aaO).
Diese Regelungen zeigen in ihrer Gesamtschau, dass es nicht nur für den Kläger in
seinem speziellen Jahrgang, sondern dass es nach erfolgreichem Besuch der 9.
Klassenstufe für Hauptschüler generell gegenwärtig nicht vorgesehen ist, dass sie
für ein Jahr auf die Realschule wechseln, um dort den Realschulabschluss zu
erwerben. Der Hauptschulbesuch ist vielmehr darauf ausgerichtet, einen
Abschluss zu vermitteln, der den Anforderungen für eine Berufsausbildung in
einem anerkannten Ausbildungsberuf entspricht und zugleich weitere schulische
Bildungsgänge eröffnet. Bei diesen weiteren schulischen Bildungsgängen soll es
sich gerade nicht um solche allgemein bildender Schulen handeln, sondern um
solche berufsbildender Schulen. Der an der Berufsfachschule zu erwerbende und
vom Kläger auch angestrebte Mittlere Schulabschluss ist dem Realschulabschluss
zwar gleichwertig, setzt aber einen zwei jährigen Schulbesuch voraus und
vermittelt sogleich eine berufliche Grundbildung, die an allgemein bildenden
Schulen nicht zu erwerben ist.
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Diese Unterschiede rechtfertigen die § 114 Abs. 1 SchulG vorgesehene und vom
Beklagten entsprechend praktizierte Beschränkung der Kostenerstattung auf Fälle
des Besuchs allgemein bildender Schulen. Eine Gleichbehandlung des
Schulbesuchs an einer Berufsfachschule zwecks Erreichung des Mittleren
Schulabschlusses mit dem Schulbesuch einer Hauptschule zwecks Erreichung des
erweiterten Hauptschulabschlusses nach Klassenstufe 10 bzw. des Besuchs einer
Realschule zwecks Erreichung des Realschulabschlusses ist daher nicht zwingend
geboten. Die damit einhergehende finanzielle Belastung der Berufsfachschüler
mag zwar zu einer auf Begabtenförderung und Ausschöpfung aller
Bildungsreserven gerichteten Schulpolitik tendenziell in einem gewissen
Widerspruch stehen, begründet jedoch noch keine mit dem Gleichheitssatz
unvereinbare Benachteiligung: „Entscheidend ist, dass die ungleiche Behandlung
der Schülergruppen im Hinblick auf die die Erstattungsregelung tragenden Gründe
nicht unverständlich bleibt“ (BVerwG, Beschl. v. 22.10.1990, a.a.O.).
Schließlich verstößt die geschilderte Verwaltungspraxis auch nicht gegen sonstige
höherrangige Rechtsgrundsätze. Aus den Bestimmungen des Grundgesetzes lässt
sich insbesondere keine verfassungsrechtliche Pflicht ableiten, die
Schülerbeförderung unentgeltlich zu regeln bzw. zu handhaben: „So gewähren
weder das Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG, den Bildungsweg ihrer Kinder
bestimmen zu können, das Grundrecht des Schülers auf Bildung aus Art. 2 Abs. 1
GG, noch das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip einen Anspruch
auf kostenlose Schülerbeförderung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1990
- 7 B 128/90 - DVBl. 1991, S. 59 ff.).“ Ebenso wenig vermittelt die in § 20 Abs. 1 S.
1 SchulG n.F. als Konkretisierung des staatlichen Bildungs- und
Erziehungsauftrages im Sinne des Art. 7 GG normierte allgemeine Schulpflicht
einen Anspruch auf eine kostenlose Schülerbeförderung: „Denn die Erfüllung der
Schulpflicht ist traditionell als Bringschuld zu begreifen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 25.08.2003 - 2 A 10588/03 - DÖV 2004, S. 350 ff.). Aus diesem Grund obliegt
es grundsätzlich den Eltern, für einen Transport zu und von den Schulen zu sorgen
und die damit verbundenen Kosten als Teil des allgemeinen
Lebensführungsaufwandes zu tragen. Die Schülerbeförderung stellt dagegen
vielmehr eine freiwillige Leistung der öffentlichen Hand dar“ (Kammerbeschl. v.
17.9.2007 - 9 B 67/07 -).
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung folgt
aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
folgt aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.