Urteil des VG Saarlouis vom 25.02.2011

VG Saarlouis: kosovo, serbien, abschiebung, humanitäre hilfe, verschlechterung des gesundheitszustandes, unhcr, bundesamt für migration, familie, grundversorgung, sozialhilfe

VG Saarlouis Urteil vom 25.2.2011, 10 K 659/10
Roma-Ehe; Lebensgefährten; Kinder; Serbien und Kosovo als Zielland einer Abschiebung;
Krankheiten
Leitsätze
Zur Frage der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für
eine Roma-Familie, bei der ein Elternteil und zwei Kinder in Serbien und ein Elternteil und ein
Kind im Kosovo geboren wurden bezogen auf Serbien und Kosovo.
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klagen bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs.
2 bis 6 AufenthG zurückgenommen worden sind.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Tatbestand
Die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 5. sind die leiblichen Eltern der Kläger zu 2. bis 4.. Die
Kläger zu 1. und 5. sind nach ihren Angaben seit 2006 nach Roma-Sitte verheiratet und
leben seitdem zusammen. Die Kläger zu 1., 2. und 3. sind in Leskovac, Serbien, die Kläger
zu 4. und 5. in Gnjilane, Kosovo, geboren. Alle Kläger zählen sich zur Volksgruppe der
Roma, sprechen deren und die serbische Sprache und sind Moslems. Im Wesentlichen
übereinstimmend haben die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 5. in der Anhörung durch die
Beklagte angegeben, dass der Kläger zu 5. mit seiner Familie während des Kosovo-Krieges
nach Serbien geflüchtet sei, wo er in Leskovac gelebt und die Klägerin zu 1. kennengelernt
habe. Dort seien auch seine beiden ersten Kinder, die Kläger zu 2. und 3., geboren. Etwa
eineinhalb Jahre vor der Ausreise sei die gesamte Familie aus dem Kosovo nach Gnjilane
umgezogen, weil der Kläger zu 5. in Serbien aufgrund des Umstandes, dass er Moslem
und Roma sei, Diskriminierungen und Beleidigungen ausgesetzt gewesen sei. Aber auch im
Kosovo habe man Probleme gehabt, weil es der Klägerin zu 1. beispielsweise zunächst
verweigert worden sei, sie im Krankenhaus aufzunehmen, als ihr drittes Kind, der Kläger zu
4., geboren worden sei und erst nach längerem hin und her sie dann zwar doch
aufgenommen, aber nicht angemessen behandelt worden sei. Etwa drei Monate vor der
Ausreise sei der Kläger zu 5. einmal von drei Albanern überfallen worden, als er von der
Arbeit habe nach Hause gehen wollen. Man habe ihm vorgeworfen, dass seine
Lebensgefährtin Serbin sei, und ihm erklärt, dass er nach Serbien gehen solle. Man habe
ihn geschlagen und mit einem Messer verletzt. Er habe sich wegen des Vorfalls nicht an die
Sicherheitskräfte gewandt, weil man ihm zuvor gedroht habe, dass dies schlimme Folgen
für ihn haben werde. Nach diesem Vorfall habe man den Entschluss gefasst, zusammen
nach Deutschland zu reisen. Die Kläger zu 1. und 5. haben weiter übereinstimmend erklärt,
weder im Kosovo noch in Serbien jemals irgendwelche Schwierigkeiten mit staatlichen
Sicherheitskräften gehabt zu haben.
Die von den Klägern nach ihrer Einreise am 27.04.2010 gestellten Asylanträge vom
05.05.2010 hat die Beklagte mit Bescheid vom 22.06.2010, 5423269-170, hinsichtlich
der Kläger zu 1. - 4. und mit Bescheid vom selben Tag mit dem Geschäftszeichen
5423298-150 hinsichtlich des Kläger zu 5. jeweils abgelehnt und jeweils festgestellt, dass
die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Darüber hinaus
wurden die Antragsteller jeweils aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb
eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidungen zu verlassen und ihnen im Falle der
Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Serbien oder in den Kosovo bzw. in
einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme
verpflichtet ist, angedroht.
Zur Begründung der Entscheidungen wird auf die Gründe der angefochtenen Bescheide
verwiesen und gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG von einer weiteren Darstellung des
Tatbestandes insoweit abgesehen.
Insbesondere liege ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG solle von einer Abschiebung abgesehen werden,
wenn dem Ausländer eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit drohe. Gefahren in diesem Sinne seien im Falle der Kläger nicht glaubhaft geltend
gemacht. Eine auf die Person der Kläger zu beziehende individuelle und konkrete
Gefahrenlage lasse sich nicht feststellen. Soweit die Kläger allgemein schlechte
Lebensbedingungen geltend machten, beriefen sie sich auf eine Gefährdung einer
gesamten Bevölkerungsgruppe. Bei allgemeinen Gefahren i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 3
AufenthG i. V. m. Art. 15 lit. c Qualifikationsrichtlinie könne von einer Abschiebung
abgesehen werden, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im
Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde und die Betreffenden gleichsam sehenden
Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würden (BVerwGE 99,
324, 328).
Eine zu berücksichtigende extreme Gefahrenlage ergebe sich nicht aus der allgemeinen
wirtschaftlichen Situation in Serbien, da trotz der politischen Veränderungen die
Wirtschaftslage für den Großteil der Bevölkerung nach wie vor schlecht sei und eine hohe
Arbeitslosigkeit bestehe. Trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage sei aber die
Grundversorgung in der Republik Serbien mit existenziellen Lebensmitteln als gesichert
anzusehen, insbesondere inzwischen auch bezüglich über die Grundversorgung
hinausgehender Lebensmittel. Die Versorgung der sozial schwachen Bevölkerungsgruppen
durch internationale Organisationen habe zwar abgenommen, spiele aber dennoch eine
wichtige Rolle, vor allem im ländlichen Bereich. In Serbien bestehe die Institution der
Sozialhilfe, die den Bürgern gewährt werde, die arbeitsunfähig seien und außerdem keine
eigenen Mittel zum Lebensunterhalt hätten. Neben der Sozialhilfe würden weitere
staatliche Unterstützungsmaßnahmen an Bedürftige, das sogenannte Familiengeld, und
Kindergeld ausgezahlt, wie sich dies jeweils aus dem Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Republik Serbien des Auswärtigen Amtes vom
22.09.2008, 508-516.80/3 SRB, ergebe.
Es werde auch nicht verkannt, dass die Lebensbedingungen für Flüchtlinge und Heimkehrer
in der Regel sehr schwierig seien und viele auf die humanitäre Hilfe internationaler
Organisationen angewiesen seien. Gleichwohl lägen keine existenziellen Gefährdungen vor,
die nach ihrer Intensität und Schwere einer Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkämen.
Rückkehrer müssten sich grundsätzlich an ihrem letzten Wohnort registrieren lassen und
hätten nach Arbeitsaufnahme bzw. Anmeldung als Arbeitssuchende kostenfreien Zugang
zur Gesundheitsversorgung, wie dies aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom
20.05.2008 an das VG Aachen hervorgehe. Die Versorgung von Flüchtlingen und
Vertriebenen, die noch im Kollektivzentrum lebten, werde zum Teil durch internationale
humanitäre Hilfe sichergestellt. Die medizinische Grundversorgung sei gesichert, da eine
gesetzliche Krankenversicherung existiere, die unabhängig von einem echten
Arbeitsverhältnis bestehe und eine kostenfreie Gesundheitsfürsorge auch bei
Arbeitslosigkeit zum Ziel habe. Grundsätzlich seien lebensrettende und lebenserhaltende
Maßnahmen für Patienten und auch für mittellose Rückkehrer aus dem Ausland kostenlos.
Es gebe nur sehr wenige Erkrankungen, die im öffentlichen Gesundheitssystem aufgrund
fehlender Ausrüstung grundsätzlich nicht oder nur schlecht behandelt werden könnten. Die
Grundversorgung mit häufig verwendeten, zunehmend auch mit selteneren Medikamenten
sei gewährleistet. Dabei werde nicht verkannt, dass insbesondere die Lage der Roma in
Serbien schwierig sei und internationalen Standards nicht entspreche. Die schwierige
soziale und wirtschaftliche Lage begründe jedoch kein Abschiebungsverbot. Sie müsse von
den Klägern ebenso wie von vielen ihrer Landsleute bewältigt werden. Anhaltspunkte dafür,
dass die Situation in Serbien derart bedrohend sei, dass Angehörige der Volksgruppe der
Roma sehenden Auges in den Tod geschickt würden, lägen nicht vor, wie dies
insbesondere das OVG B-Stadt im Urteil vom 26.01.2004, 1 R 27/03, so bewertet habe.
Angehörige der Volksgruppe der Roma würden im Rahmen des staatlichen
Gesundheitssystems die gleichen Rechte wie die serbische Mehrheitsbevölkerung genießen.
Gelegentlich gebe es zwar Hinweis auf diskriminierendes Verhalten durch Angehörige
medizinischer Einrichtungen gegenüber Roma. Diese beschränkten sich in der Regel jedoch
auf abweisendes oder unfreundliches Verhalten (so das Bundesasylamt der Republik
Österreich über die Lage der Roma in Serbien, Wien, 19.01.2010).
Gegen die den Klägern am 28.06.2010 jeweils zugestellten Bescheide erhoben diese am
12.07.2010 – die Kläger zu 1. bis 4. unter dem Aktenzeichen 10 K 659/10, der Kläger zu
5. unter dem Aktenzeichen 10 K 658/10 - Klage. Zu deren Begründung legen die Kläger zu
1. bis 4. dar, dass es sich bei ihnen um serbische Staatsangehörige handele, die zur Ethnie
der Roma zählten, wobei die Besonderheit bestehe, dass die Kläger zu 1. bis 3. in Serbien
geboren seien, wohingegen der Kläger zu 4. Gnjilane im Kosovo geboren sei, von wo aus
offenbar auch die Ausreise nach Deutschland erfolgt sei. Die Kläger, vor allem die Klägerin
zu 1., hätten auf die misslichen Umstände hingewiesen, die sie als Roma sowohl in Serbien
als auch im Kosovo vorgefunden hätten. So sei ein menschenwürdiges Leben bzw. eine
Existenzsicherung nicht möglich gewesen. Dies habe vor allem dazu geführt, sowohl
Serbien als auch später den Kosovo zu verlassen. Die Beklagte habe auch einräumen
müssen, dass die Lebensumstände, welche die Roma in Serbien vorfänden, nicht geeignet
seien, ein Leben zu führen, wie dies in Mitteleuropa möglich sei. Dies gelte sowohl für die
Grundversorgung als auch für die medizinische Versorgung, wobei gerade die medizinische
Grundversorgung nach der Lesart des Auswärtigen Amtes als gesichert anzusehen sei.
Daher könne es durchaus hinkommen, dass man von einer medizinischen
Grundversorgung auch für Roma sprechen könne, dies allerdings vor dem Hintergrund,
dass die Grundversorgung auch selbst bezahlt werden müsse. Unterhalte man sich mit
Roma, die Glück gehabt hätten, in Deutschland einen Aufenthaltstitel zu haben und
jederzeit nach Serbien ein- und ausreisen zu können, so werde von diesen vorbehaltlos
bestätigt, dass eine Versorgung nur gegen entsprechende Barzahlungen möglich sei.
Dessen ungeachtet litten die Kläger zu 2. bis 4. offenbar unter verschiedenen Krankheiten.
Vor allem der Kläger zu 4. dürfte erheblich krank sein, was aus der ärztlichen
Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dr. med. S., vom 06.08.2010 hervorgehe.
Danach leide der Kläger zu 4. unter rezidivierenden fieberhaften Infekten, sei dystroph (6,8
kg – 71 cm) und in seiner Gesamtentwicklung deutlich „retendiert“. Eine gezielte
Krankengymnastik sei bis auf Weiteres notwendig. Weiterhin bestehe ein Hodenhochstand,
der zunächst über 4 Wochen mit entsprechenden Hormonen behandelt werden müsse. Bei
den Klägern zu 2. und 3. bestünden erheblich vergrößerte Adenoiden mit
Hörbeeinträchtigung, so dass eine Operation demnächst notwendig werde. Aus dem
ärztlichen Attest der Caritasklinik S., S., vom 12.09.2010 gehe hervor, dass die Klägerin zu
1. an einer akuten Tonsillitis beidseits, die neben einer intravenösen Antibiotikatherapie mit
Penicillin und analgetischer Therapie mit Paracetamol behandelt werde, leide. Unter dieser
Therapie sei ein deutlicher Rückgang der Entzündungsparameter erfolgt, die Fortführung
der Antibiotikatherapie mit Penicillin sei erforderlich. Weiter sei nebenbefundlich eine
Schwangerschaft in der ca. 6. Woche festgestellt worden.
Mit Attest der Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe Dres. med. G., A-Stadt, vom
02.11.2010 wurde die bereits attestierte Schwangerschaft der Klägerin zu 1. bestätigt
und als voraussichtlicher Entbindungstermin der 23.04.2011 genannt. Weiter wird dann
ausgeführt, körperlich sollte noch eine Schonung eingehalten werden und es sei möglich,
dass danach eine Tonsillektomie nötig sei.
Die Kläger beantragten jeweils schriftsätzlich, ihnen unter entsprechender Aufhebung der
entgegenstehenden Bescheide Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG zu
gewähren.
Die Kläger zu 1. bis 4. beantragen in der mündlichen Verhandlung,
unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der
Beklagten vom 22.06.2010, 542323269-170,
festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs.
7 Satz 1 AufenthG vorliegt,
und erklären:
Im Übrigen wird die Klage zurückgenommen.
Der Kläger zu 5. beantragt in der mündlichen Verhandlung,
unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der
Beklagten vom 22.06.2010, 5423298-150, festzustellen,
dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG vorliegt,
und erklärt:
Im Übrigen wird die Klage zurückgenommen.
Die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte beantragt jeweils
schriftsätzlich,
die Klagen jeweils abzuweisen.
Sie tritt den Klagen unter Berufung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide entgegen.
Mit Beschlüssen vom 07.11.2010 hat die Kammer die jeweiligen Verfahren 10 K 658/10
und 10 K 659/10 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen und durch Beschluss des
Einzelrichters vom 19.11.2010 beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung
miteinander verbunden und unter dem Aktenzeichen 10 K 659/10 fortgeführt, sowie dem
Kläger zu 4. Prozesskostenhilfe bewilligt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Einzelrichter mit Beschluss vom 24.01.2011 den
Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde, deren
Inhalt, ebenso wie der aus der der Sitzungsniederschrift beigefügten Liste hervorgehenden
Dokumente aus der gerichtlichen Dokumentation Serbien-Kosovo-Montenegro Gegenstand
der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Da die Beklagte ordnungsgemäß und mit einem Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102
Abs. 2 VwGO geladen worden ist, konnte trotz ihres Ausbleibens im Termin verhandelt und
entschieden werden.
Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit die
Kläger ihre ursprünglich auch die Feststellungen der Beklagten in den angefochtenen
Bescheiden zu § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG umfassenden Klagen zurückgenommen und die
Verpflichtungsanträge alleine unter Berufung auf individuelle Gründe in Form von
Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten bei Rückkehr nach Serbien bzw. in den Kosovo
auf die Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt und insoweit ihren
schriftsätzlich gestellten, auf § 60 Abs. 7 AufenthG gestützten Antrag bei verständiger
Würdigung klargestellt haben.
Im Übrigen sind die zulässig erhobenen Klagen im verbliebenen Umfang abzuweisen, da
keiner der Kläger Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach der alleine
noch geltend gemachten Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat.
Die Beklagte ist in den angefochtenen Bescheiden - soweit nach den im Klageverfahren
beschränkt gestellten Anträgen hier noch von Bedeutung - zu Recht davon ausgegangen,
dass vorliegend kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs.
7 Satz 1 AufenthG besteht – und zwar was eine Abschiebung nach Serbien ebenso
anbelangt wie eine Abschiebung in den Kosovo. Dabei begegnet die von der Beklagten
vorgenommene (alternative) Zielstaatsbestimmung bezogen auf Serbien bzw. Kosovo
keinen Bedenken. Unbeschadet der Frage des Rechtscharakters der Zielstaatsbestimmung
nach § 59 Abs. 2 AufenthG
vgl. dazu etwa die Darstellung bei Hofmann/Hoffmann,
HK-Ausländerrecht, 2008, § 59 AufenthG Rdn. 14 ff.
bestimmt diese jedenfalls das zielstaatsbezogene behördliche Prüfungsprogramm – hier in
Anknüpfung an die unterschiedliche Herkunft insbesondere der Kläger zu 1. und 5. und den
früheren Aufenthalt der Kläger sowohl in Serbien als auch im Kosovo, wobei indes
festzustellen ist, dass dem Bescheid der Beklagten nur eine Prüfung nach § 60 Abs. 1
AufenthG für beide nunmehr als selbständig anzusehenden Herkunftsländer zu entnehmen
ist, während eine Prüfung nach § 60 Abs. 7 AufenthG alleine bezogen auf Serbien erfolgt
ist. Dies führt indes nicht zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide; vielmehr obliegt die
erforderliche umfassende Prüfung auf der Grundlage des für Verfahren der vorliegenden Art
geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nach Klageerhebung der Kammer.
Dabei ist unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie in die Bewertung u. a.
einzubeziehen, dass auf Grund des dortigen, etwa gegenüber dem der ehelichen
Lebensgemeinschaft in § 26 AsylVfG umfassenderen Begriffes der Familie aus Art. 2 lit. h)
Richtlinie 2004/83/EG, zu dem auch mit ihren leiblichen minderjährigen Kindern in
dauerhafter eheähnlicher Lebensgemeinschaft zusammenlebende Personen – hier die allein
nach Roma-Sitte verheirateten Kläger zu 1. und 5. mit ihren Kindern – zählen, auf die
Rückkehr - auch im Wege einer eventuellen Abschiebung - der Kläger als Familienverband
abzustellen ist. Im Übrigen ist Art. 8 EMRK zu beachten, der ebenfalls einen weiten
Familienbegriff eröffnet.
In Bezug auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
sind dahingehende Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst erkennbar – und zwar
bezogen auf Serbien wie den Kosovo. Dies gilt im Übrigen auch für das Vorliegen einer
erheblichen individuellen Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, mit dem Art.
15 c Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (ABl. L 304/12) in nationales Recht
umgesetzt wurde.
Für Serbien, dem Geburtsland der Kläger zu 1. bis 3., wo sich die Kläger nach den
Angaben des Klägers zu 5. in seiner Anhörung durch die Beklagte bis Ende 2008, dem
Zeitpunkt zu dem sie alle nach Gnjilane, Kosovo, gezogen sind, aufgehalten haben, gilt
nach der Rechtsprechung der Kammer, dass dorthin zurückkehrenden Angehörigen der
Volksgruppe der Roma generell keine Gefährdung im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG
droht. Dies hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden, denen die Kammer insoweit
folgt (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) bereits zutreffend dargelegt.
Vgl. dazu etwa die Urteile der Kammer vom 10.09.2009,
10 K 750/08, vom 10.02.2010, 10 K 572/09, vom
24.06.2010, 10 K 211/09, und 16.07.2010, 10 K
471/10; vgl. dazu auch Lageberichte des Auswärtigen
Amtes (AA) zur Republik Serbien (Stand: August 2008)
vom 22.09.2008 und vom 04.06.2010 (Stand: Mai
2010) – jeweils: 508-516.80/3 SRB; amnesty
international, ai-Report 2010, Serbien (einschließlich
Kosovo), S. 398 ff.
Vor diesem Hintergrund führt die Berufung der Kläger zu 1. bis 4. auf Erkrankungen nicht
zur Annahme eines jeweils individuellen Abschiebungsverbotes hinsichtlich Serbien als
Abschiebezielland nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Aus diesem Vorbringen können sie keinen
Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG herleiten, da bezogen auf Serbien die einem
Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift zugrunde zu liegende Voraussetzung, nämlich
die Gefahr einer konkreten und alsbald zu erwartenden Verschlimmerung der Erkrankungen
bei Rückkehr, nicht festgestellt werden kann.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll ("darf" i.d.F. des früheren § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG) von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden,
wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht.
Entscheidend ist allein, ob für den Ausländer eine konkrete, individuelle Gefahr für die in der
Vorschrift genannten Rechtsgüter besteht und die Gefahr dem Einzelnen landesweit droht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, 9 C 9.95, BVerwGE
99,324 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 1 =
InfAuslR 1996, 149, zitiert nach juris
In der Rechtsprechung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, die für den seit 01.01.2005 an dessen
Stelle getretenen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gleichermaßen gilt, ist dabei anerkannt,
dass ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift auch darin begründet sein kann, dass
sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach der Rückkehr in seinen
Heimatstaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlimmern würde, weil die
Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind und er auch anderswo wirksame Hilfe
nicht in Anspruch nehmen könnte.
Vgl. dazu z.B. BVerwG, Urteil vom 29.7.1999, 9 C 2.99,
sowie Urteil vom 25.11.1997, 9 C 58.96, BVerwGE 105,
383 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 10, jeweils
zitiert nach juris
Hiernach sind indes regelmäßig nur solche Umstände relevant, die für den betreffenden
Ausländer den Aufenthalt im Zielland der angedrohten Abschiebung unzumutbar machen
und damit in Gefahren begründet liegen, welche diesem im Zielstaat drohen
(zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote). Treten die befürchteten negativen
Auswirkungen jedoch allein durch die Abschiebung als solche (wie auch durch jedes
sonstige Verlassen des Bundesgebietes) und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im
Zielstaat der Abschiebung ein, so handelt es sich um ein so genanntes inlandsbezogenes
Vollstreckungshindernis. Ein solches ist nicht durch das Bundesamt der Beklagten bei der
Entscheidung über Abschiebungsverbote, sondern durch die zuständige Ausländerbehörde
gemäß § 60 a Abs. 2 bis 5 AufenthG (Duldung) zu berücksichtigen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.9.1999, 9 C 8.99, und vom
15.10.1999, 9 C 7.99, beide zitiert nach juris
Für die Prognose einer Gefährdung nach Rückkehr in das Herkunftsland im dargestellten
Sinn ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit der so umschriebenen Gefahr erforderlich.
Vgl. Huber, AufenthG, 2010, § 60 Rdnr. 105, m. w. N.
Daraus folgt, dass die im konkreten Einzelfall für eine zu erwartende Rechtsgutverletzung
sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Umstände überwiegen müssen. Dies
erfordert die zusammenfassende verständige Würdigung aller objektiven Umstände unter
Einbeziehung des Ranges des gefährdeten Rechtsgutes und der Zumutbarkeit des mit der
Rückkehr verbundenen Risikos aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen
Dritten dahingehend, ob die Umstände die erhebliche Gefahr einer Rechtsgutverletzung
erwarten lassen.
Das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit der zu erwartenden Gefährdungssituation ist
dabei nur dann gegeben, wenn der Eintritt der Gefahr eine bedeutende
Rechtsgutbeeinträchtigung nach sich zieht. Ausgehend von einer unzureichenden
medizinischen Behandlungsmöglichkeit liegt das für die hieraus resultierende akute
Lebensgefahr auf der Hand und heißt für den Fall der befürchteten Verschlimmerung einer
bereits vorhandenen Erkrankung, dass sich der Gesundheitszustand nach Ankunft im
Zielland der Abschiebung in absehbarer Zeit wesentlich oder sogar lebensbedrohlich
verschlechtern wird. Der Begriff der wesentlichen Verschlechterung liegt nur dann vor,
wenn die befürchtete ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustandes nach Rückkehr
derart gravierend sein wird, dass außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische
Schäden oder existenzbedrohende Zustände zu erwarten sind. Daraus leitet sich zugleich
ab, dass eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann
vorliegt, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der
dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend
zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem
ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des
sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den
Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben sicher. Dabei ist in der
Rechtsprechung der Kammer weiter geklärt, dass sich der Ausländer grundsätzlich auf den
Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten
Erkrankungen allgemein besteht, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden
ist, weil der dortige Standard eine adäquate Behandlung der Erkrankung nicht zu leisten
vermag, zumutbar verweisen lassen muss.
Vgl. etwa die Urteile der Kammer vom 19.07.2005, 10 K
360/03.A, vom 01.09.2005, 10 K 505/03.A, und vom
25.09.2008, 10 K 25/06.A, jeweils m.w.N.
Hiervon ausgehend lässt sich nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der
Entscheidung der Kammer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für
die Kläger aus den von ihnen geltend gemachten Erkrankungen und fehlenden
Behandlungsmöglichkeiten in Serbien nicht herleiten.
Hierzu hat die Beklagte in dem die Klägerin zu 1. bis 4. betreffenden Bescheid zutreffend
ausgeführt, dass in Serbien die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung gesichert
ist und auch den Minderheitengruppen zur Verfügung steht. Diese Bewertung, auf die nach
§ 77 Abs. 2 AsylVfG verwiesen werden kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung der
Kammer und den zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisquellen.
Danach gilt, dass den Klägern sämtlich bei einer Rückkehr nach Serbien, wo die Kläger zu
1. bis 3. geboren sind und sie von ihrer Geburt bis zum Wohnortwechsel in den Kosovo im
Jahre 2008 ständig gelebt haben und der Kläger zu 5. nach seinen Angaben von 1999 bis
2008 jahrelang gelebt und gearbeitet hat, eine Wohnsitznahme und Registrierung als
Voraussetzung für den Erhalt sozialer Leistungen einschließlich medizinischer Versorgung
aller Voraussicht nach nicht verwehrt werden kann und wird.
Hierfür ist einmal von Bedeutung, dass die Kläger zu 1. bis 3. und 5. während ihres
Aufenthaltes in Serbien Wohnraum besessen haben und ihren Lebensunterhalt durch die
Arbeit des Klägers zu 5. haben sicherstellen können. Der Letztgenannte hat in seiner
informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer seine Angaben
gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren bestätigt, wonach er in Serbien einen
für den Unterhalt seiner Familie einschließlich Mietzahlungen ausreichenden monatlichen
Verdienst von 150,-- bis 200,-- Euro erzielt hat. Dies hat die Klägerin zu 1. nach Maßgabe
ihrer Angaben in der informatorischen Anhörung der Kammer bestätigt und
folgendermaßen bewertet: „Es hat gereicht, wir haben gut gelebt.“ Anhaltspunkte dafür,
dass es den Klägern bei einer Rückkehr ihrer Familie nach Serbien nicht gelingen wird,
diesen Lebensstandard erneut zu erreichen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Hinzu kommt, dass nach den weiteren Angaben der Klägerin zu 1. in der mündlichen
Verhandlung deren Großeltern sowie – insoweit sind ihre Angaben indes widersprüchlich -
weitere Verwandte in Serbien (im Haus der Großeltern) leben. Auf die angesichts des
familiären Zusammenhalts innerhalb der Volksgruppe, der die Kläger entstammen, zu
erwartende Unterstützung, wie sie der traditionellen Einstellung innerhalb des
Traditionskreises der Minderheit der die Kläger angehören, entspricht, jedenfalls durch die in
Serbien lebenden Großeltern der Klägerin zu 1. und die Realisierung von Transferleistungen
der nach Angaben der Klägerin zu 1. im Bundesgebiet lebenden Verwandten, wozu auch
deren Eltern gehören, müssen sich die Kläger entsprechend der ständigen Rechtsprechung
der Kammer
vgl. etwa das Urteil 16.07.2010, 10 K 2165/09
(ergangen zu Roma aus dem Kosovo)
in zumutbarer Weise verweisen lassen.
Aufgrund ihres bis vor wenigen Jahren noch bestehenden festen Wohnsitzes in Serbien
bestehen zudem keine Zweifel, dass ihnen bei Rückkehr weder eine Registrierung noch
erforderlichenfalls die Gewährung von Sozialleistungen einschließlich Schutz im
Krankheitsfall verweigert werden wird.
Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass die von den Klägern zu 1. bis 4. geltend gemachten
Erkrankungen sämtlich in Serbien behandelbar sind und die medizinische Versorgung auch
den Angehörigen der Minderheit der Roma nicht vorenthalten wird. Hierzu hat die Beklagte
in dem angefochtenen Bescheid bezüglich der Kläger zu 1. bis 4. bereits das Notwendige
gesagt. Das gilt letztlich auch für die erstmals in der mündlichen Verhandlung von der
Klägerin zu 1. unter Vorlage der Psychologischen Bescheinigung des Dipl.-Psychologen E,.,
A-Stadt, vom 23.02.2011 bescheinigten „Symptome einer Angststörung mit Borderline-
Elementen, u. U. auch einer posttraumatischen Belastungsstörung.“ Abgesehen davon,
dass sich sowohl aus der in der Bescheinigung geschilderten „Vorgeschichte“ als auch der
dort dargelegten Symptomatik Erlebnisschilderungen der Klägerin zu 1. – so soll in Serbien
auch ihr Vater geschlagen worden sein, als er sich für den Kläger zu 5. eingesetzt haben
soll, und sie selbst sexuell belästigt und auf den Boden geschlagen („Überall sei Blut
gewesen.“) worden sein – ergeben, die diese – und auch nicht der Kläger zu 5. – weder im
Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren gemacht hat, die Diagnose mithin
auf zweifelhaften – zumindest widersprüchlichen – Erhebungen beruht, handelt es sich
ersichtlich um keine psychische Erkrankung von einer Schwere, für die nach Rückkehr nach
Serbien alsbald eine wesentliche Verschlimmerung im oben dargelegten Sinn zu erwarten
ist. Auch die übrigen der Klägerin zu 1. attestierten Erkrankungen sind ersichtlich nicht von
einer Schwere, die eine Verschlimmerung in diesem Sinn erwarten lassen. Aus dem
Arztbericht der Caritasklinik S. S. vom 12.09.2010 (Bl. 48 GA) geht eine akute Tonsillitis,
also eine Entzündung im Rachenbereich, insbesondere der Gaumenmandeln,
vgl. Pschyrembel, Therapeutisches Wörterbuch, 2.Auflage
2001, S. 909
hervor, die nach den dortigen Verlaufsangaben („Deutlicher Rückgang der
Entzündungsparameter“) erfolgreich behandelt worden ist und nach der dort weiter
empfohlenen ambulanten Weiterbehandlung im Wege der Fortführung der
„Antibiotikatherapie mit Penicillin ... für 4 Tage“ als abgeschlossen angesehen werden
muss, zumal die Klägerin zu 1. insoweit keinen weiteren akuten Behandlungsbedarf
fachärztlich aus dem Bereich der HNO-Heilkunde belegt hat. Lediglich aus dem Ärztlichen
Attest des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. med. G., A-Stadt, vom
02.11.2010 ergibt sich der Hinweis, dass es nach der Entbindung im Rahmen der
bestehenden Schwangerschaft mit Entbindungstermin 23.04.2011 als „möglich“
angesehen wird, „dass danach eine Tonsillektomie nötig“ sein könne. Diese eher vage
Prognose belegt bereits keine bestehende medizinische Notwendigkeit für einen derartigen
operativen Eingriff in Form einer „Mandeloperation“, zumal eine Tonsillektomie nur bei
chronisch rezidivierender Tonsillitis mit jährlich 3 – 5 antibiotikapflichtigen
Tonsillitisbehandlungen seit mindestens zwei bis drei Jahren indiziert ist und neben oder
statt einer medikamentösen Behandlung auch eine Behandlung im Wege
naturheilkundlicher Verfahren beschrieben wird.
Vgl. a. a. O.
Im Übrigen handelt es offensichtlich nicht um eine Erkrankung von einer Schwere, die bei
Rückkehr und fehlender Behandlungsmöglichkeiten in Serbien, wofür entsprechend dem
von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid belegten medizinischen Standard nichts
spricht, alsbald eine wesentliche Verschlimmerung im hier fraglichen Sinne erwarten lässt.
Die der Klägerin zu 1. attestierte Schwangerschaft stellt für sich von vorneherein bereits
keine Erkrankung dar. Soweit hierzu der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten
Ärztlichen Bescheinigung des behandelnden Gynäkologen vom 24.02.2011 eine vorzeitige
Wehentätigkeit zu entnehmen ist und körperliche Schonung zur Vermeidung einer
Frühgeburt als notwendig bezeichnet wird, handelt es sich um einen Sachverhalt (von
letztlich vorübergehender Dauer), der ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot begründen
kann, für dessen Feststellung, wie bereits allgemein dargelegt, nicht die Beklagte sondern
die Ausländerbehörde zuständig ist, so dass diese Umstände vorliegend nicht zu
berücksichtigen sind.
Auch die hinsichtlich der Kläger zu 2. und 3. mit Ärztlicher Bescheinigung des Kinderarztes
Dr. med. L., A-Stadt, vom 06.08.2010 (Bl. 29 GA) attestierten „erheblich vergrößerten
Adenoiden mit Hörbeeinträchtigung“ führen nicht zur Feststellung des mit der Klage
begehrten Abschiebungsverbotes, auch wenn dort weiter erklärt wird, eine Operation
werde „demnächst notwendig.“ Hierfür ist von Bedeutung, dass die Kläger in der
mündlichen Verhandlung die bestehende akute Notwendigkeit einer Polypenoperation nicht
einmal dargelegt haben, nachdem seit Erstellung des Attestes inzwischen fast ein halbes
Jahr vergangen ist, ohne dass in dieser Zeit offenbar eine Behandlungsnotwendigkeit
bestanden hat. Zudem handelt es sich gerichtsbekannt um einen einfachen Routineeingriff,
vgl. i. Ü. etwa die Darstellung über „Die Adenoide (Polypen
der Kinder) Polypenoperation (Adenotomie) unter
www.hno-gummersbach.de/adenoide.htm (Internet-
Recherche vom 22.02.2011
der regelmäßig ambulant durchgeführt wird. Es bestehen schlechterdings auch keinerlei
Zweifel, dass die fragliche Operation dem medizinischen Standard in Serbien entspricht und
sie den Klägern zu 2. und 3. bei einer Rückkehr dorthin erforderlichenfalls zur Verfügung
steht.
Auch die für den Kläger zu 4. im kinderärztlichen Attest vom 06.08.2010 attestierten
rezidivierenden fieberhaften Infekte stellen ersichtlich keine Krankheit von einer Schwere
dar, die eine Berücksichtigung im Rahmen der hier vorzunehmenden Prüfung
rechtfertigten. Soweit der Bescheinigung weiter zu entnehmen ist, dass er zum dortigen
Untersuchungszeitpunkt im August 2010 „dystroph (6,8 kg – 71 cm) und in seiner
Gesamtentwicklung deutlich retendiert“ (gemeint wohl: retardiert) gewesen ist, gilt letztlich
nichts anderes. Insoweit fehlt es an einem Beleg für eine fortbestehende
Behandlungserforderlichkeit, die im Übrigen nach dem Attest selbst offensichtlich alleine in
einer „gezielten“ Krankengymnastik bestanden hat. Das gilt auch für den weiter
attestierten Hodenhochstand, der „zunächst über 4 Wochen mit entsprechenden
Hormonen behandelt“ worden ist. Auch diesbezüglich fehlt es an jeglicher Angabe und
Substantiierung durch den Kläger zu 4. bzw. seine anwaltlich vertretenen gesetzlichen
Vertreter, ob überhaupt noch eine Behandlungsbedürftigkeit besteht. Die insoweit in dem
weiter vorliegenden Vorläufigen Arztbrief des M. Klinikums S. B-Stadt über den stationären
Aufenthalt des Klägers zu 4. vom 19. bis 23.12.2010 hinsichtlich der Diagnose
„Entwicklungsretardierung“ bzw. „statomotorische Retardierung“ angesprochene und als
noch ausstehend bezeichnete Stoffwechseldiagnostik ist offenbar nicht erfolgt. Anlass für
die stationäre Aufnahme des Klägers zu 4. war ersichtlich eine akute RSV-Pneumonie, die
nach Entlassung „in stabilem Allgemeinzustand“ bei medikamentöser Nachbehandlung bis
zum 31.12.2010 als geheilt anzusehen ist.
Was schließlich die von den Klägern zu 1. und 5. vorgetragenen Übergriffe insbesondere
gegenüber dem Kläger zu 5. in Serbien, die nach dessen Angaben von einer kleinen Gruppe
von Serben, die auch mit Drogen zu tun hatten, ausgegangen sein sollen, anbelangt,
spricht bereits nichts dafür, dass die Kläger selbst bei einer Rückkehr an ihren letzten
Wohnort nach der inzwischen vergangenen Zeit gerade wieder auf diese Gruppe treffen
werden, zumal sie sich, wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend
dargelegt hat, auch andernorts in Serbien niederlassen können, insbesondere der
Großraum Belgrad ein Sammelbecken auch für die Gruppe der Roma darstellt und von
einer ausreichenden Schutzfähigkeit und -willigkeit der Sicherheitsbehörden auszugehen ist,
so dass die Kläger, was sie in der Vergangenheit nach ihren Angaben unterlassen haben,
zumutbar darauf zu verweisen sind, polizeilichen Schutz zu suchen.
Nach allem fehlt es, was eine Abschiebung nach Serbien anbelangt, für sämtliche Kläger an
den Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG.
Nichts anderes gilt zum Kosovo als Zielland einer Abschiebung der Kläger.
Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Anspruchs nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist
zu beachten, dass die so festzustellende Situation insbesondere auch der Gruppe der
Minderheit der Roma im Kosovo alle Angehörigen der Gruppe, der die Kläger zuzuordnen
sind, trifft und damit § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG eingreift. Danach sind Gefahren in dem
Zielstaat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer
angehört, allgemein ausgesetzt sind, alleine bei der Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 S. 1
AufenthG zu berücksichtigen. Auch wenn sich also aus der schlechten allgemeinen Lage
insbesondere der Angehörigen von Minderheiten Gefahren i. S. v. § 60 Abs. 7 S. 1
AufenthG ergeben, können sich die Kläger hierauf nicht berufen. Dies gilt auch, angesichts
des Umstandes, dass die Kläger zu 1. bis 5. gesundheitliche Beschwerden geltend
gemacht haben. Damit unterscheiden sie sich jedenfalls nicht von der Bevölkerungsgruppe
der Roma im Kosovo, zu der wiederum eine Vielzahl von Personen gehört, die die Situation
mit den Klägern teilt.
Ein darüber hinaus gegebener individueller Anspruch auf Abschiebungsschutz auf der
Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift erfordert nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch der saarländischen
Verwaltungsgerichte, dass die Kläger bei einer Rückkehr „sehenden Auges dem Tod oder
schwersten Verletzungen überantwortet“ würden,
vgl. etwa Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms,
Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, § 60 AufenthG
Rdnr. 21, m.w.N.
ihnen also erhebliche Gefahren für die körperliche Unversehrtheit bzw. ihr Leben drohen.
Davon kann indes auch unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Lebensumstände und den
Umständen, die sie nach Rückkehr an ihren Herkunftsort im Kosovo zu erwarten haben
werden, keine Rede sein.
Was dabei speziell die von den Klägern zu 1. bis 4. geltend gemachten Erkrankungen
angeht, handelt es sich dabei, wie bezogen auf Serbien als Abschiebzielland bereits
ausgeführt, unter Berücksichtigung der vorgelegten Bescheinigungen und Atteste nicht um
Erkrankungen, bei denen zu erwarten ist, dass nach der Rückkehr alsbald mit einer ein
Abschiebungsverbot rechtfertigenden wesentlichen Verschlimmerung zu rechnen ist.
Sowohl hinsichtlich der von der Klägerin zu 1. geltend gemachten Tonsillitis als auch der für
die Kläger zu 2. und 3. geltend gemachten Adenoiden bestehen – ungeachtet des
Umstandes, dass die Kläger einen aktuell oder in absehbarer Zeit bestehenden
Operationsbedarf nicht belegt haben – im Kosovo Behandlungsmöglichkeiten.
Vgl. die Auskünfte der Deutschen Verbindungsbüros in
Pristina vom 18.06.2004, RK 516.80, und vom
02.04.2004, RK 516.80, 32/2-64-00
Was die dem Kläger zu 4. attestierte Retardierung anbelangt, ist zwar davon auszugehen,
dass im Kosovo eine Behandlung von Wachstumsstörungen in Form einer
Hormonbehandlung indiziert bei hypophysärem Kleinwuchs nicht durchführbar ist;
vgl. die Berichte des Deutschen Verbindungsbüros in
Pristina vom 21.04.2004, RK 516.80, 2.1361 kr, und
vom 07.11.2005, RK 516.80 – E 178/05
im Falle des Klägers zu 4. sind aber weder die entsprechende Diagnose gestellt,
vgl. dazu Pschyrembel, Therapeutisches Wörterbuch, 2.
Auflage 2001, S. 971
noch ist die Erforderlichkeit einer Hormonbehandlung auch nur behauptet.
Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass die Kläger bei Rückkehr in den Kosovo auch nicht
aus finanziellen Gründen von einer erforderlichen Krankheitsbehandlung, auch wenn hierzu
Eigenbeiträge entrichtet werden müssen, ausgeschlossen sein werden und sie – wie bis zu
ihrer Ausreise – ihren Lebensunterhalt sicherstellen können.
Allgemein hat sich der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zur
Problematik von Krankheit und Kosovo sowie zur Teilhabe von Minderheitenangehörigen an
der Gesundheitsversorgung bezogen auf die hier fragliche Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG wie folgt geäußert:
Vgl. das Urteil vom 30.09.2010, 2 A 439/09
„Ausweislich des aktuellen
Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und
abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom
20.6.2010 – Stand: Mai 2010 –
stellt sich die öffentliche Gesundheitsversorgung mit Blick auf die Bedürfnisse der Klägerin
im Wesentlichen wie folgt dar: Das öffentliche dreistufige Gesundheitssystem im Kosovo
besteht aus kommunalen Erstversorgungszentren (primäre Gesundheitsversorgung),
Krankenhäusern auf regionaler Ebene (sekundäre Gesundheitsversorgung) und einer
spezialisierten medizinischen Versorgung durch die Universitätsklinik Pristina auf der dritten
Stufe. In Peje gibt es neben einem medizinischen Hauptzentrum ein Regionalkrankenhaus,
in dem Patienten von Fachärzten ambulant und stationär behandelt werden. Zusammen
mit den Einnahmen aus Zuzahlungen der Patienten reichen die Mittel aber nur zur
Finanzierung einer Gesundheitsversorgung auf einfachem Niveau aus. Einschränkungen
sind insbesondere auf den schlechten Zustand von Krankenhäusern und
Gesundheitsstationen sowie auf teilweise veraltete Ausstattungen zurückzuführen. Die
Medikamentenversorgung im staatlichen Gesundheitswesen wird vom
Gesundheitsministerium zentral gesteuert, beschafft und an alle medizinischen
Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens weitergeleitet. Im Bedarfsfall sind alle
vom Gesundheitsministerium zugelassenen Medikamente über Apotheken im Kosovo
gegen Zahlung des Verkaufspreises erhältlich. Für medizinische Leistungen sowie für
bestimmte Basismedikamente (verzeichnet in der sog. „Essential Drug List“) zahlt der
Patient Eigenbeteiligungen, die nach vorgegebenen Sätzen pauschal erhoben werden. Von
der Zuzahlungspflicht befreit sind jedoch u.a. Empfänger von Sozialleistungen, chronisch
Kranke und Personen über 65 Jahre. Das Gesundheitsministerium verfügt außerdem über
ein Budget, um Personen ohne ausreichende finanzielle Mittel Medikamente, die nicht in der
„Essential Drug List“ verzeichnet sind, zur Verfügung stellen zu können; die Bewilligung
erfolgt aber nur in Ausnahmefällen, wenn der Patient ansonsten in eine lebensbedrohliche
Situation geraten würde. Bisher aufgetretenen Korruptionsfällen im öffentlichen
Gesundheitswesen vor dem Hintergrund der durch Finanzknappheit bedingten niedrigen
Gehälter des medizinischen Personals wurde mit einer Lohnerhöhung und der Zahlung von
Verpflegungs- und Fahrtkostenzuschüssen und Schichtzulagen ab Februar 2010
entgegenzutreten versucht. Privatärztliche Leistungen sind frei verhandelbar und vom
Patienten selbst zu zahlen.
Auch nach Auffassung des UNHCR ist das öffentliche Gesundheitssystem derzeit nicht in
der Lage, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Medikamente, die im öffentlichen
Gesundheitssystem verfügbar seien, seien vor allem auf gängige Krankheitsbilder
ausgerichtet. Viele Patienten mit seltenen oder chronischen Erkrankungen (z.B. fehlende
Wachstumshormone, Hämophilie, HIV/Aids) könnten in den öffentlichen
Gesundheitseinrichtungen und staatlichen Apotheken nicht die Behandlung erhalten, die sie
benötigten. Zwar könnten private Apotheken die Medikamente bisweilen importieren, doch
sei dies oft teuer und die Lieferung nicht gewährleistet. Nach der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe sind die meisten der eigentlich kostenfreien Medikamente in öffentlichen
Apotheken überhaupt nicht vorrätig, sondern würden nur in privaten Apotheken oder bei
Großhändlern gegen Bezahlung abgegeben. Seit dem Jahr 2009 wurden allerdings die
Haushaltsmittel für den Einkauf der Basismedikamente erheblich von 6 Mio. auf 16 Mio.
EUR erhöht und damit die Versorgung der Patienten mit Basismedikamenten verbessert.
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann davon ausgegangen werden, dass die
öffentliche Medikamentenversorgung im Kosovo - selbst bei „gängigen“ Krankheiten - nicht
zuverlässig gewährleistet ist und daher in Betracht gezogen werden muss, dass der
Kranke auf die private Beschaffung in privaten Apotheken angewiesen ist.
UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des
internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem
Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 23; Schweizerische
Flüchtlingshilfe, Kosovo: Zur Rückführung von Roma vom
21.10.2009, S. 15; Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Pristina, Stellungnahme vom 7.7.2010 an
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – RK 516.80 – E
99/09 –
Dass der Zugang zu der medizinischen Versorgung für die Klägerin wegen ihrer Roma-
Volkszugehörigkeit erhebliche Probleme aufwerfen würde, wie die Klägerin meint, ist nach
den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen nicht zutreffend. Zwar weist der UNHCR darauf
hin, dass der Zugang zur medizinischen Grundversorgung für (Kosovo-Serben und) Kosovo-
Roma über die Paralleleinrichtungen im Kosovo erfolgte, deren Erstarken die ethnische
Trennung der Kosovo-Serben und Kosovo-Roma von der mehrheitlich kosovo-albanischen
Bevölkerung fortgesetzt habe und an die sich die in der Minderheit befindlichen Kosovo-
Serben und Kosovo-Roma für soziale und administrative Dienstleistungen vorrangig
wendeten
.
Ausweislich der Stellungnahmen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
ist der Zugang zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten des öffentlichen
Gesundheitssystems für die Bevölkerung im Kosovo jedoch unabhängig von ihrer
ethnischen Herkunft gewährleistet; Fälle, in denen Personen der Zugang verwehrt worden
sei, weil sie Angehörige einer der im Kosovo lebenden Minderheitengemeinschaften seien,
seien nicht bekannt. Auch der European Return Fund sieht für Minderheiten insoweit –
sogar ausdrücklich für Peje – kein Zugangs-, sondern ein Finanzierungsproblem.
UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des
internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem
Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 23; UNHCR, UNHCR-
Richtlinien zur Feststellung des internationalen
Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom
9.11.2009, Bl. 12; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur
Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von
Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 12;
UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des
internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem
Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 12; European Return Fund,
Social, administrative and economic background of
sustainable return to Kosovo, Fact Finding Mission Report
2009, vom 10.2.2010, Bl. 32“
Dieser Bewertung folgt die Kammer auch unter Berücksichtigung der zum hier
maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisquellen.
Vgl. insbesondere den Lagebericht Kosovo des AA vom
06.01.2011; UNICEF – Deutsches Komitee für UNICEF e.
V., Knaus/Widmann/u.a., Studie: Integration unter
Vorbehalt – Zur Situation von Kindern kosovarischer
Roma, Ashkali und Ägypter in Deutschland und nach ihrer
Rückführung in den Kosovo, Köln, 2010; Schweizerische
Flüchtlingshilfe, Grégoire Singer, Kosovo: Update – Zur
Lage der medizinischen Versorgung, Bern; vom
01.09.2010; Der Tagesspiegel vom 29.09.2010, EU-
Kommission warnt vor Abschiebung von Roma in den
Kosovo; Berliner Zeitung - abgedruckt in ai, ASYL-INFO
11/2010, S. 7, vom 07.10.2010, Petra Sorge: Im Nichts –
Zur Abschiebung einer Ashkali-Familie in den Kosovo – in
die alte Heimat, die für sie nie eine gewesen ist; vgl. zur
Fallschilderung auch: SZ vom 23./24.10.2010; Human
Rights Watch: Lage abgeschobener Roma – Bericht vom
27.10.2010 – vollständiger englischer Text – vgl. die
deutschsprachige Zusammenfassung in: ai, Asylmagazin
12/2010; ai – ASYL-INFO 11/2010, Online-Aktion:
Abschiebungen von Roma in den Kosovo stoppen; FR vom
21.12.2010 und 12.01.2011; Berliner Zeitung vom
12.01.2011; NZZ vom 19.01.2011
Nach Auffassung der Kammer ist vor diesem Hintergrund bereits mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Kläger sich bei einer Rückkehr an ihren
Herkunftsort, Gnjilane, wo sie in der „A. 154“ (vgl. die Angabe des Klägers zu 5., Bl. 40 der
ihn betreffenden BA) gewohnt haben, werden registrieren lassen können. Nach den die
Angaben der Kläger zu 1. und 5. in der Befragung durch die Beklagte weitestgehend
bestätigenden und ergänzenden Angaben im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung
durch die Kammer sind sie in ein leerstehendes Haus einer Tante des Klägers zu 5.
gezogen und konnten sich dort ungehindert einrichten. Der Kläger zu 5. hat nach seinen
Angaben zudem Sozialhilfe für das im Kosovo geborene dritte Kind, den Kläger zu 4.,
beantragt und sollte 40.-- Euro erhalten, wobei das nur deshalb nicht erfolgt ist, weil er sich
nicht um die Ausstellung geforderter Geburtsurkunden für sich und das Kind gekümmert
hat, nachdem er bereits stark auf die Ausreise nach Deutschland fixiert gewesen sein will.
Das belegt eindeutig, dass die Kläger während ihres Aufenthalts im Kosovo registriert
gewesen sind und bei einer Rückkehr sich wieder werden registrieren lassen können.
Nach den Erkenntnissen der Kammer
vgl. insbesondere Ministerium für Inneres, Sport und
Integration des Landes Niedersachsen, Bericht über die
Reise einer Delegation des niedersächsischen Ministeriums
für Inneres, Sport und Integration in die Republik Kosovo
vom 15. – 18.11.2009; Mattern, Kosovo: Zur
Rückführung von Roma; Update der SFH-Länderanalyse,
Bern, 21.10.2009; ai Berlin, Stellungnahme zur Situation
der Roma im Kosovo, 06.05.2010
können sich aus dem Ausland zurückkehrende frühere jugoslawische Staatsangehörige aus
dem Kosovo grundsätzlich nur an dem Ort registrieren lassen, für den sie vor ihrer Ausreise
aus dem Kosovo zuletzt gemeldet waren, und ist eine freie Wahl des Ortes der
Wohnsitznahme nach einer Rückkehr aus Deutschland insoweit nicht möglich, als auch nur
am letzten Wohnort Sozialleistungen beantragt werden können. Dementsprechend setzt
das Verfahren zur Prüfung der Rückübernahmeersuchen aus Deutschland auch die
Überprüfung einer entsprechenden Registrierungsmöglichkeit voraus. Aufgrund der
vorliegend eindeutig zu erwartenden Wohnsitznahme der Kläger bei einer Rückkehr am Ort
ihrer Herkunft ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass irgendetwas einer Registrierung an
diesem Ort entgegenstehen könnte. Von daher kommt es auch nicht darauf an,
vgl. das Urteil der Kammer vom 24.06.2010, 10 K
484/09
dass es nach einem Bericht des Idealvereins
Chachipe a.s.b.l., Béreldange, Luxemburg, Wer ist
verantwortlich? Berichterstattung über ethnisch motivierte
Gewalt gegen Roma im Kosovo – Eine Fallstudie, vom
18.08.2009, vgl. www.romarights.wordpress.com
gerade in der A., einem traditionellen Roma-Viertel in Gnjilane am 30. oder 31.07.2009
einen Übergriff von Kosvo-Albanern gegenüber dort lebenden Roma gegeben haben soll,
von dem die Kläger des vorliegenden Verfahrens indes nichts berichtet haben. Dem Bericht
lässt sich dieser Vorfall und darüber hinaus entnehmen, dass den eingeschalteten
Sicherheitsbehörden eine Aufklärung des Vorfalls letztlich nicht möglich war. Dort ist aber
zugleich zu entnehmen, dass im fraglichen Ort eine Romagemeinschaft existiert und aus
dem Vorfall und seiner polizeilichen Verarbeitung letztlich nicht geschlossen werden kann,
dass die Sicherheitsbehörden im Großen und Ganzen nicht schutzbereit sind, zumal
deutliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die polizeiliche Sicht, der Fall sei nicht
deutliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die polizeiliche Sicht, der Fall sei nicht
als ethnisch motiviert einzustufen und die daran beteiligten Personen hätten untereinander
noch einige offene Rechnungen im Zusammenhang mit „Treibstoff-Delikten
(Schmuggelgeschäften)“, nicht widerlegt ist. Von daher kann weder von einer allgemeinen
Gefährdungslage ausgegangen werden noch eine tatsächliche Registrierung und
Wohnsitznahme für Roma in Gnjilane als unmöglich angesehen werden.
Im Falle der Kläger kommt hinzu, dass nach den Angaben des Klägers zu 5. gegenüber der
Beklagten sein Vater ebenfalls in dieser Straße wohnt (Bl. 41 von dessen BA), er den
Lebensunterhalt für seine Familie alleine mit dem Sammeln von Alteisen bis zur Ausreise
durchgängig hat bestreiten können und er von den in der Nachbarschaft lebenden Roma
unterstützt („Sie haben mir geholfen.“) worden ist. Dass es sich bei diesen um alte Leute
gehandelt haben soll, ist dabei nicht von Belang.
Ist mithin davon auszugehen, dass den Klägern bei einer Rückkehr eine Registrierung an
ihrem Herkunftsort im Kosovo möglich sein wird, so stehen ihnen zudem auch
grundsätzlich alle Maßnahmen der Sozialhilfe und der Teilhabe am öffentlichen
Gesundheitssystem zur Verfügung.
Vgl. zur Sozialhilfe das Gesetz Nr. 2003/15, LAW ON THE
SOCIAL ASSISTANCE SCHEME IN KOSOVO, vom
18.08.2003, Official Gazette of the Provisional Institutions
of Self Governement in Kosovo, Pristina, Nr. 15 vom
01.08.2007, www.ks-gov.net/gazetazyrtare ; zur
Gesundheitsversorgung im Kosovo vgl. i. Ü. die Auskünfte
der Deutschen Botschaft in Pristina vom 11.02.2009, RK
516.80-E 201/07, vom 26.06.2009, …-E 101/08, vom
15.12.2009, ... –E 116/08, und vom 26.02.2010, …-E
170/09
Im Übrigen sind die Kläger aus den bereits im Rahmen der Prüfung eines
Abschiebungsverbotes bezogen auf Serbien dargelegten Gründen auch auf die
Unterstützung zumindest des dort lebenden Vaters des Klägers zu 5. und
Transferleistungen weiterer im Bundesgebiet bzw. in Serbien lebender Verwandter
zumutbar zu verweisen. Die Kammer hat zu dieser Problematik im o.a. Urteil vom
24.06.2010 bezogen auf die dortigen Kläger folgendes ausgeführt, was allgemein auch auf
die Kläger übertragbar erscheint:
„Was die Sicherstellung des wirtschaftlichen Existenzminimums anbelangt, kommt es im
Falle der Kläger indes letztlich nicht darauf an, ob sie tatsächlich in den Genuss der im
Kosovo bestehenden Möglichkeit der Sozialhilfe, die strengen Anforderungen unterliegt,
kommen werden. Der Kläger zu 1. hat in der Anhörung in der mündlichen Verhandlung
dargelegt, dass in der Zeit des Aufenthalts in Mazedonien Transferleistungen durch die in
Westeuropa lebenden Kinder der Kläger in Höhe von insgesamt 200,-- Euro im Monat
erfolgt sind. Auf diese Transferleistungen, die den Sozialhilfesatz einer 2–Personen-Familie
in Höhe von 50,-- Euro pro Monat und auch den Satz einer 7-Personen-Familie in Höhe von
75,-- Euro pro Monat eindeutig um ein Mehrfaches übersteigen, müssen sich die Kläger
verweisen lassen, zumal sie nach den vorliegenden Erkenntnisquellen im Hinblick auf diese
Transferleistungen von dem Bezug von Sozialhilfe ausgeschlossen wären. Von daher
kommt es nicht darauf an, ob Gewährung von Sozialhilfe eventuell bezogen auf andere
Voraussetzungen scheitern könnte.
Vgl. die Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Pristina an das BAMF vom 26.06.2009, RK
516.80-E101/08
Auch die in der Auskunft mitgeteilten Durchschnittspreise von Lebensmitteln und anderen
Artikeln
a.a.O. (S. 4)
widerlegen, dass ein Zweipersonenhaushalt mit einer Transferleistung, wie sie die Kläger
bis zu ihrer Einreise von ihren in Westeuropa lebenden Kindern (zur Zeit neben der Klägerin
zu 2. des eingestellten Verfahrens 10 K 485/09 ein Sohn in Deutschland, ein Sohn in den
Niederlanden und zwei Söhne in Schweden; Bl. 60 BA) erhalten haben, auskommen
können und werden. Anhaltspunkte dafür, dass den Klägerin nach einer Rückkehr diese
Transferleistungen nicht mehr zur Verfügung gestellt würden, sind nicht ersichtlich und
wären auch mit der traditionellen Einstellung familiärer Unterstützung innerhalb des
Traditionskreises, aus dem die Familie der Kläger stammt, nicht vereinbar.
Vgl. dazu im Übrigen: Auskünfte der Dt. Botschaft Pristina
an das BAMF vom 09.02.2009, RK 516.80-E111/08, vom
18.03.2009,… E 27/08, vom 08.05.2009, … - E 282/07,
vom 17.08.2009, … - E 90/09; Pichler, BMI der Republik
Österreich, Kosovo-Länderbericht II/2009, Pristina,
27.09.2009; ai, a.a.O.; Austrian Centre for Country of
Origin & Asylum Research and Documentation, ACCORD-
Anfragebeantwortung zu Sozialhilfe im Kosovo vom
11.02.2009, a-6587-1 (ACC-KOS 6587),
www.ecoi.net/file_upload/response_en_114993.html
(Internet-Recherche vom 23.06.2010)
Unabhängig von der Frage, ob den Klägern überhaupt oder darüber hinaus Renten- bzw.
Sozialhilfeleistungen aufgrund der entsprechenden Gesetze des Kosovo zur Verfügung
stünden, haben sie jedenfalls auf der Grundlage der zu erwartenden Registrierung an ihrem
Herkunftsort Anspruch auf Teilhabe an den in ihrem Herkunftsland angeboten
medizinischen Leistungen und ist zudem angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden
Transferleistungen auch davon auszugehen, dass sie die erforderliche medizinische
Behandlung auch bei eventuell fällig werdenden Zuzahlungen oder bei Inanspruchnahme
privater kostenpflichtiger ärztlicher Leistungen erhalten werden.“
Dem Fehlen des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs steht auch nicht
entgegen, dass sich die Kläger zu 1. und 5. darauf berufen haben, der Klägerin zu 1. sei bei
der Geburt des Klägers zu 4. wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma bzw.
weil sie zudem als „Serbin“ angesehen werde, die notwendige Geburtshilfe im
Krankenhaus verweigert worden. Davon kann angesichts der von ihr selbst in ihrer
Anhörung in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargelegten Umstände, dass sie
letztlich doch im Krankenhaus aufgenommen worden ist, sie kein bestehendes
Schwangerschaftsrisiko geltend gemacht hat und ersichtlich problemlos entbunden hat
sowie dass ihr jedenfalls von den dort anwesenden jungen, mit Kitteln gekleideten Frauen
die Nabelschnur durchtrennt worden und damit offenbar doch durch Klinikpersonal eine
gewisse Geburtshilfe geleistet worden ist, keine Rede sein, auch wenn der von ihr und dem
Kläger zu 5. im Übrigen geschilderte Umgang mit einer schwangeren Frau bzw. Frau, die
gerade ein Kind geboren hat, nicht als menschenwürdig empfunden werden konnte.
Hieraus kann indes nicht der Schluss gezogen werden, dass den Klägern zukünftig die
notwendige Hilfe bei akuter Erkrankung oder der Klägerin zu 1. bei einer erneuten
Schwangerschaft und dabei eventuell bestehenden Komplikationen verwehrt bzw. nur
unter unwürdigen Umständen gewährt werden wird.
Ebensowenig ist die von dem Kläger zu 5. geschilderte und von der Klägerin zu 1.
bestätigte Auseinandersetzung mit Albanern von Relevanz, zumal der Kläger zu 5. es nach
seinen Angaben unterlassen hat, den Schutz der Sicherheitsbehörden zu suchen.
Nach allem sind die Klagen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 bzw. §§ 92 Abs. 3 Satz 1, 155 Abs. 2
VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.