Urteil des VG Saarlouis vom 11.05.2006

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VG Saarlouis Urteil vom 11.5.2006, 10 K 125/04.A
Zur Behandelbarkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung im Kosovo
Leitsätze
Eine posttraumatische Belastungsstörung, die im Bundesgebiet bereits geraume Zeit psy-
chotherapeutische behandelt worden ist, und keiner zwingenden Psychotherapie bedarf,
kann im Kosovo zumutbar medikamentös behandelt werden, so dass vom Vorliegen eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht auszugehen ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Tatbestand
Die im Juni 1999 in das Bundesgebiet eingereiste Klägerin ist albanische Volkszugehörige
aus dem Kosovo. Ihr nach Einreise gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid der Beklagten
vom 31.01.2002, 2477153-138, zurückgewiesen; die hiergegen eingelegte Klage, zu
deren Begründung sich die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Ärztin für
Allgemeinmedizin A., H., vom 20.01.2003 auf eine Antrumgastritis, eine Cephalgie und ein
posttraumatisches Belastungssyndrom berief, wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts
des Saarlandes vom 29.01.2003, 10 K 46/02.A, zurückgewiesen.
Am 27.11.2003 beantragte die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann, dessen
Verfahren inzwischen beendet ist (vgl. den Beschluss der Kammer vom 17.10.2005, 10 K
88/05.A), das Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere unter Berufung auf eine
vorliegende psychische Erkrankung und legte dazu Atteste des Facharztes für Neurologie
und Psychiatrie Dr. med. Al-M., B., vom 15.07.2003 und vom 20.10.2003 vor, wonach sie
wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Wege einer Gesprächstherapie und
mit Antidepressiva behandelt werde. Weiter legte sie Psychologische Bescheinigungen von
Therapie Interkulturell e.V., Saarbrücken, vom 30.07.2003 und 15.12.2003 vor. Weitere
Atteste legte sie bei der Anhörung durch die Beklagte am 16.03.2004 vor. Aus diesen
ergibt sich, dass sie mit dem Medikament Doxepin behandelt wird und vom zuständigen
Sozialamt 15 Sitzungen Psychotherapie genehmigt sind, da sie, wie aus dem Attest von
Therapie Interkulturell vom 15.03.2004 hervorgeht, bei einer während des Krieges im
Kosovo erfolgten Flucht misshandelt worden sei.
Mit Bescheid vom 07.04.2004, lehnte die Beklagte den Antrag ab und begründet ihn im
wesentlichen damit, dass die geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe bezüglich des
Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG angesichts der veränderten
politischen Verhältnisse im Kosovo nicht vorlägen und die von der Klägerin geltend
gemachten Erkrankungen das Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht rechtfertigten, da
diese Erkrankungen im Kosovo behandelbar seien. Im Übrigen sei der Gesamtbeurteilung
der zu den Erkrankungen der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen nicht zu entnehmen,
dass es sich um besonders schwerwiegende Krankheitsbilder handele, die einer
außergewöhnlich intensiven Behandlung bedürften. Eine etwa dem psychologischen Bericht
vom 15.03.2004 zu entnehmende Dramatik im Hinblick auf die Situation der Klägerin habe
sich bei ihrer informatorischen Anhörung durch die Beklagte insofern nicht bestätigt, als die
angeblichen Erlebnisse, die zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt haben
könnten, letztlich im wesentlichen unsubstantiiert geblieben seien, wie dies auch bereits
während des vorangegangenen Asylverfahrens der Fall gewesen sei. Auch aus dem
Umstand, dass nach Angaben der Klägerin ihre Symptomatik sich im wesentlichen
erstmals anlässlich ihrer letzten Schwangerschaft gezeigt habe, sei vielmehr davon
auszugehen, dass sie sich in einer allgemeinen Überforderungssituation befinde, ohne dass
die spezifische Situation in der Heimatregion, insbesondere nach den dort mittlerweile
erfolgten Veränderungen, die hauptsächliche Ursache hierfür sein könne. Nach allem sei ein
Rückkehrhindernis im Sinne von § 53 AuslG nicht zu erkennen.
Gegen den an sie am 08.04.2004 per Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid erhob
die Klägerin am 22.04.2004 Klage, mit dem sie ihr Begehren auf Feststellung von
Abschiebungshindernissen unter Vorlage weiterer aktueller ärztlicher Atteste weiter
verfolgt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 07.04.2004, und
Abänderung des Bescheides vom 31.01.2002, 2477153-138, die Beklagte zu
verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz
1 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage unter Berufung auf die Gründe des angefochtenen Bescheides entgegen.
Der Beteiligte, der generell auf Ladung zur mündlichen Verhandlung verzichtet hat, hat sich
zur Klage nicht geäußert.
Das Gericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 15.12.2004 Prozesskostenhilfe bewilligt
und den Rechtsstreit durch Beschluss vom 17.10.2005 (wiederholt mit Beschluss vom
22.11.2005) dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Das Gericht hat mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15.12.2005 ergangenem
Beschluss Beweis erhoben über
a) den derzeitigen psychischen Gesundheitszustand der Klägerin, insbesondere über die
Fragen,
aa) ob und ggf. welche psychische Erkrankung bei ihr nach Art und Schwere vorliegt,
bb) ob insbesondere die von der Diplom-Psychologin S.-G., B-Stadt, in deren Attest vom
07.10.2005 getroffenen Diagnosen einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung,
einer schweren Depression und einer generalisierenden Angststörung und die dem
fachärztlichen Attest des Dr. med. Al-M., B., vom 29.09.2005 zu entnehmenden
Erkrankungen unter Berücksichtigung
- der bis zur Stellung dieser Diagnosen vergangenen Zeit seit Einreise der
Klägerin in das Bundesgebiet im Juni 1999 und
- der bisherigen fachärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung
zutreffen, ggf. insbesondere,
aa) welche Therapie – nach Art, Umfang und voraussichtlicher Dauer - zur Behandlung der
Erkrankungen notwendig sind, insbesondere, ob eine – wie bisher z.T. bereits praktiziert –
medikamentöse Behandlung ausreicht,
bb) welchen Fortschritt die bisherige Behandlung der Klägerin erreicht hat, sowie
b) darüber, wie es sich für die Klägerin mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit
gesundheitlich auswirken wird, wenn sie in ihr Herkunftsland zu rückkehren müsste,
insbesondere über die Fragen,
aa) wie es sich grundsätzlich auf den Gesundheitszustand der Klägerin auswirken würde,
wenn die derzeit für notwendig gehaltene Behandlung wegen der (erzwungenen) Ausreise
abgebrochen würde und sie nach Rückkehr in ihr Herkunftsland angemessen, nur
unzureichend oder nicht entsprechend behandelt bzw. ausschließlich medikamentös mit
begleiten - den supportiven Gesprächen behandelt werden könnte und
bb) ob die Klägerin im Falle einer erzwungenen Rückkehr eine erhebliche Verschlimmerung
ihrer Erkrankung gewärtigen müsste,
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, und mit der Erstellung des Gutachtens
den Chefarzt Dr.med. W. H., SHG Kliniken S.berg, S., beauftragt.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten
vom 23.02.2006 (Bl. 111 ff. GA) Bezug genommen.
Die Beteiligten haben nach Anhörung und Stellungnahme zum Gutachten übereinstimmend
auf (weitere) mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakten einschließlich der Akte 10 K 46/02.A und der vorgelegten Verwaltungsakten
der Beklagten und der Ausländerbehörde, der ebenso wie der der aus der
Sitzungsniederschrift beigefügten Liste hervorgehenden Dokumente aus der gerichtlichen
Dokumentation Serbien und Montenegro Gegenstand der mündlichen Verhandlung war,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Da die Beklagte ordnungsgemäß und mit einem Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102
Abs. 2 VwGO geladen worden ist und der Beteiligte auf förmliche Ladung verzichtet hat,
konnte trotz ihres Ausbleibens verhandelt werden. Im Einverständnis der Beteiligten ergeht
die Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach §
60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens. Die Ablehnung
des entsprechenden Antrages der Klägerin durch den angefochtenen Bescheid der
Beklagten vom 07.04.2004 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in
ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Ein Abschiebungsverbot im Sinne der genannten Vorschrift kann sich aus der Gefahr
ergeben, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat
verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Da § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben
voraussetzt, muss prognostisch eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer
Intensität zu erwarten sein. Dies ist zu bejahen, wenn sich der Gesundheitszustand wegen
fehlender Behandlungsmöglichkeit im Herkunftsland wesentlich oder gar lebensbedrohlich
verschlechtert. Konkret wäre die Gefahr, wenn diese Verschlechterung der Gesundheit
alsbald nach Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat einträte, weil er auf die
dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen ist und
auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen kann.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1997, 9 C 58/96, BVerwGE 105, 383; des
weiteren Urteil vom 15.10.1999, 9 C 7/99, Buchholz 402, 240, § 53 AuslG Nr.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG „soll“ ("darf" i.d.F. des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) von
der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort
für diesen Ausländer (landesweit) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit besteht. Hierzu beruft sich die Klägerin darauf, physisch und psychisch erkrankt zu
sein, so dass es ihr unmöglich sei, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Auf Grund der
gerichtlichen Beweisaufnahme hierzu steht indes zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass
ein Anspruch der Klägerin auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes wegen der von
ihr geltend gemachten Erkrankungen – insbesondere der psychischen Erkrankung – nicht
besteht.
In der zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entwickelten und für den nahezu wortgleichen § 60 Abs.
7 Satz 1 AufenthG (vgl. bereits oben) ebenfalls gültigen Rechtsprechung betreffend
krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse ist anerkannt, dass ein Abschiebungsverbot
nach der letztgenannten Vorschrift auch darin begründet sein kann, dass sich die Krankheit
eines ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach der Rückkehr in seinen Heimatstaat
wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlimmern würde, weil die
Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind und er auch anderswo wirksame Hilfe
nicht in Anspruch nehmen könnte.
Vgl. dazu z.B. BVerwG, Urteil vom 29.7.1999, 9 C 2.99 sowie Urteil vom
25.11.1997, 9 C 58.96, BVerwGE 105, 383 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG
1990 Nr. 10
Für die dahingehende Prognose ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit der so
umschriebenen Gefahr erforderlich. Daraus folgt, dass die im konkreten Einzelfall für eine
zu erwartende Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden
Umstände überwiegen müssen. Dies erfordert die zusammenfassende verständige
Würdigung aller objektiven Umstände unter Einbeziehung des Ranges des gefährdeten
Rechtsgutes und der Zumutbarkeit des mit der Rückkehr verbundenen Risikos aus der
Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Dritten dahingehend, ob die Umstände die
erhebliche Gefahr einer Rechtsgutverletzung erwarten lassen.
Das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit der zu erwartenden Gefährdungssituation ist
dabei nur dann gegeben, wenn der Eintritt der Gefahr eine bedeutende
Rechtsgutbeeinträchtigung nach sich zieht. Ausgehend von einer unzureichenden
medizinischen Behandlungsmöglichkeit liegt das für die hieraus resultierende akute
Lebensgefahr auf der Hand und heißt für den Fall der befürchteten Verschlimmerung einer
bereits vorhandenen Erkrankung, dass sich der Gesundheitszustand nach Ankunft im
Zielland der Abschiebung in absehbarer Zeit wesentlich oder sogar lebensbedrohlich
verschlechtern wird. Der Begriff der wesentlichen Verschlechterung liegt nur dann vor,
wenn die befürchtete ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustandes nach Rückkehr
derart gravierend sein wird, dass außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische
Schäden oder existenzbedrohende Zustände zu erwarten sind. Daraus leitet sich zugleich
ab, dass eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann
vorliegt, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der
dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend
zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem
ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des
sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den
Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben sicher.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.12.
2004, 13 A 125/04.A, m.w.N.
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt:
Zunächst ist festzustellen, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid, dessen
Begründung die Kammer folgt (§ 77 Abs. 2 AsylVfG), zutreffend ausgeführt hat, dass sich
eine berücksichtigungsfähige extreme Gefahrenlage für die Klägerin, einer albanischen
Volkszugehörigen aus dem Kosovo, bei Rückkehr nach Serbien und Montenegro (Kosovo)
aus der dortigen allgemeinen und wirtschaftlichen Lage nicht ergibt. Es liegen keine
neueren Erkenntnisse vor, noch hat die Klägerin neuere Erkenntnisse in das Verfahren
eingebracht, die eine andere Bewertung rechtfertigen würden. Auch die von ihr geltend
gemachten Erkrankungen führen nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes.
Was die behaupteten physischen Erkrankungen angeht, beruft sich die Klägerin auf die
Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. C., H., vom 13.10.2003 (Bl. 3 BA-
Akte). Hiernach leidet sie neben „einer erlebnisreaktiven Depression“ an einer erosiven
Gastritis (Entzündung der Magenschleimhaut) und einer Pollakisurie (häufiges Entleeren
kleiner Harnmengen). Nach dem Attest des Allgemeinarztes Dr. San. vom 27.09.2005
leidet sie an einer gastrointestinalen „Motitlitätsstörung“ (offensichtlich gemeint:
Motilitätsstörung), die medikamentös behandelt wird, und an einem
Brustwirbelsäulensyndrom, das, wie der Hinweis auf eine dahingehende psychiatrische
Therapie belegt, offensichtlich mit der weiter diagnostizierten posttraumatischen
Belastungsstörung, zu der die Kammer Beweis erhoben hat (vgl. dazu unten), in
Zusammenhang steht. Sämtliche so bescheinigten physischen Erkrankungen sind weder
nach ihren konkreten Auswirkungen auf die Klägerin noch nach ihrer Schwere näher
substantiiert worden. Von einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankungen, die, wie
der Beklagte im angefochtenen Bescheid zu Recht dargelegt hat, im Kosovo behandelbar
sind, bei Rückkehr kann nicht ausgegangen werden.
Auch die von der Klägerin geltend gemachte psychische Erkrankung führt unter
Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere des hierzu
eingeholten Gutachtens des Dr. H. vom 23.02.2006 (im Folgenden: Gutachten), weder
unter dem Gesichtspunkt einer schweren Depression noch dem einer schweren
posttraumatischen Belastungsstörung noch einer generalisierenden Angststörung, wie sie
insbesondere den im Beweisbeschluss der Kammer vom 15.12.2005 aufgeführten
ärztlichen bzw. psychologischen Bescheinigungen zu entnehmen sind, zur Annahme eines
Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Das eingeholte, auf einer ausführlichen fachärztlichen Untersuchung der Klägerin und der
Auswertung der Verfahrensakten beruhende Gutachten entspricht ersichtlich den an ein
zur Beweisführung geeignetes Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen.
Diesbezüglich haben die Beteiligten im Übrigen keine Bedenken erhoben.
Was die im Attest der Diplom-Psychologin S.-G. diagnostizierte schwere Depression (ICD 10
F 32.2) und generalisierte Angststörung (ICD 10 F 41.1) anbelangt, steht auf Grund des
Gutachtens zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Klägerin psychische
Erkrankungen dieser Formen nicht vorliegen. Der Gutachter schließt auf der Grundlage der
von ihm vorgenommenen eingehenden Untersuchung der Klägerin unter Einbeziehung der
im Verfahren vorgelegten ärztlichen und psychologischen Bescheinigungen sowohl das
Vorliegen einer schweren Depression ebenso aus, wie das Vorliegen einer Angststörung als
eigenständigem Krankheitsbild. Er geht vielmehr unter überzeugender Darlegung im
Einzelnen davon aus, dass die entsprechenden Symptome in Form depressiver
Verstimmung und vermehrter Ängstlichkeit und die dem Attest des Facharztes für
Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. Al-M., B., vom 29.09.2005 zu entnehmenden
Symptome die von ihm diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F
43.1) kennzeichnen.
Die danach festzustellende posttraumatische Belastungsstörung, wegen der die Klägerin
bereits seit geraumer Zeit in medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung
steht, führt indes nicht zur Annahme eines Anspruchs nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kann nämlich unter
Berücksichtigung der zusammenfassenden Ausführungen des Gutachters zu den
dahingehend gestellten Beweisfragen nicht davon ausgegangen werden, dass diese
Erkrankung sich bei einer Rückkehr der Klägerin in ihr Herkunftsland erheblich oder sogar
lebensbedrohlich verschlechtern wird. Hierbei ist maßgebend, dass das Gutachten unter
Hinweis auf die zwischenzeitliche psychotherapeutische und nervenfachärztliche
Behandlung der Klägerin zu dem Ergebnis kommt, dass inzwischen Fortschritte in der
Behandlung des posttraumatischen Belastungssyndroms in Form einer deutlichen Tendenz
zur Rückbildung („die Ängste, Erinnerungen mit sich aufdrängenden Bildern treten nur noch
nächtlich auf“; Gutachten S. 32, Bl. 142 GA) erkennbar sind. Der Gutachter hält
hinsichtlich der mit der Erkrankung einhergehenden somatoformen Störung
(Kopfschmerzen, abdominale Beschwerden) eine psychotherapeutische Behandlung nicht
für geboten (Gutachten S. 34, Bl. 144 GA), erwartet insoweit bei Rückkehr keine
erhebliche Verschlimmerung und spricht im Übrigen vom Vorliegen der „Restsymptomatik
einer posttraumatischen Belastungsreaktion“ (Gutachten S. 35, Bl. 145 GA). Aus einer bei
Rückführung zu erwartenden erheblichen existenziellen Verunsicherung (Gutachten S. 33,
Bl. 143 GA) schließt der Gutachter im Hinblick auf die posttraumatische Belastungsreaktion
unter Berücksichtigung eines Abbruchs der laufenden Behandlung auf eine „zweifelsohne“
zu erwartende „Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Klägerin“ (Gutachten S.
34, Bl. 144 GA), stellt indes nicht fest, dass diesbezüglich eine wesentliche
Verschlimmerung zu erwarten ist, sondern lässt diese Frage – als nicht sicher einschätzbar
– letztlich offen. Da die posttraumatische Belastungsreaktion „eine komplexe Behandlung
mit medikamentöser, insbesondere auch mit psychotherapeutischer Behandlung“
erfordert, eine „günstige Prognose“ grundsätzlich dann zu erwarten ist, wenn die
medikamentöse Behandlung „durch kurz- bis mittelfristige psychotherapeutische
Interventionen verstärkt werden kann“ (Gutachten S. 31 f., Bl. 141 f. GA), die bisher
erfolgte längerfristige, auch psychotherapeutische Behandlung der Klägerin so erfolgreich
war, dass nunmehr lediglich noch von einer „Restsymptomatik“ auszugehen ist, und die
gutachterliche Feststellung der Symptomatik erschwert wird „durch die nachvollziehbare
Interessenlage der Probandin, die expliziert erklärte, dass sie aus familiären und
wirtschaftlichen Gründen nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren möchte“ (Gutachten S.
29, Bl. 139 GA; „Tendenzreaktion“, Gutachten S. 35, Bl. 145 GA), geht die Kammer zum
Entscheidungszeitpunkt von einem weitgehend stabilisierten gesundheitlichen Zustand der
Klägerin aus.
Nach alledem lässt sich aus dem Gutachten folgern, dass die bisherige Behandlung dazu
geführt hat, dass die Klägerin einen stabilen Zustand dahingehend erreicht hat, dass eine
weitere psychotherapeutische Behandlung nicht zwingend notwendig und damit eine
Verbesserung der Erkrankung eingetreten ist, die eine erhebliche Verschlechterung bei
Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwarten
lässt, zumal dort die weitere medizinische Behandlung in Form auch von allgemein-
medizinischer, medikamentöser Behandlung mit Psychopharmaka möglich ist.
Insoweit muss sich die Klägerin allerdings auf die in ihrem Heimatland möglichen und
üblichen Therapiemethoden (z.B. mit weniger wirksamen und/oder mit vermehrten
Nebenwirkungen verbundenen Medikamenten) als zumutbar verweisen lassen, auch wenn
sie den in Deutschland geltenden medizinischen oder psychotherapeutischen Standards
nicht entsprechen. Der Auskunftslage zufolge
vgl. etwa Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 30.08.2005 (Stand: Mai 2005)
und vom 22.11.2005 (Stand: November 2005), jeweils: 508.516.80/3 SCG
sind die in der „essential drug list“ aufgeführten Psychopharmaka im Kosovo auch
kostenlos erhältlich. Nur in Einzelfällen kommt es vor, dass Medikamente, die eigentlich
kostenfrei sind, gegen Bezahlung ausgehändigt werden. Die meisten anderen Medikamente
können in privaten Apotheken erworben werden, die über ein breites Spektrum von
Arzneimitteln zur Behandlung von psychischen Erkrankungen verfügen. Als albanische
Volkszugehörige kann sich die Klägerin von vorneherein nicht darauf berufen, dass sie nach
Rückkehr in den Kosovo die dort mögliche Behandlung ihrer Erkrankung nicht erhalten wird.
Individuelle Gründe, die eine andere Bewertung erforderten sind weder vorgetragen noch
sonst ersichtlich.
Daran hält die Kammer unter Berücksichtigung der neueren Erkenntnisquellen,
insbesondere auch der die Aufnahme von Verhandlungen über den weiteren Status des
Kosovo betreffenden Nachrichten, fest, da diesen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die
Situation geändert hat bzw. in absehbarer Zukunft zum Nachteil – auch – der Klägerin
ändern wird, zu entnehmen sind.
Vgl. insbesondere den Lagebericht Serbien und Montenegro
(Kosovo; Stand. November 2005) des Auswärtigen Amtes vom
22.11.2005, 508-516.80/3 SCG
Die Klage hat nach alledem keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§
167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.