Urteil des VG Saarlouis vom 02.02.2009
VG Saarlouis: aufenthaltserlaubnis, aufschiebende wirkung, einreise, lebensgemeinschaft, hauptsache, visum, vollziehung, vollzug, ausweisungsgrund, straftat
VG Saarlouis Beschluß vom 2.2.2009, 2 L 1905/08
Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung wegen
fehlender Sprachkenntnisse
Leitsätze
1. Dem Anspruch eines ausländischen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der
ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AufenthG kann das fehlende Erfordernis, sich auf einfache Art in deutscher Sprache
verständigen zu können (§§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG) nur dann
entgegengehalten werden, wenn bei dem ausländischen Ehegatten ein erkennbar geringer
Integrationsbedarf i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 2 IntV besteht oder dieser aus anderen Gründen
nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 AufenthG auf Teilnahme am Integrationskurs
hätte.
2. Ein Anspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auf Teilnahme am
Integrationskurs besteht nur für Neuzuwanderer, namentlich nur in den Fällen, in denen
überhaupt der erstmalige Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis in Rede steht.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 01.12.2008 wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
Der Antrag, mit dem die Antragstellerin bei sachgerechtem Verständnis ihres
Rechtsschutzzieles die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen
den Bescheid des Antragsgegners vom 01.12.2008 begehrt, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
statthaft, da ihr fristgerecht erhobener Widerspruch gegen die in dem angefochtenen
Bescheid ausgesprochene Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung
hat und auch die weiter verfügte Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2
VwGO i.V.m. § 20 AG VwGO sofort vollziehbar ist. Der auch im Übrigen zulässige Antrag
hat auch in der Sache Erfolg.
Der Erfolg eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO hängt ab von der Abwägung zwischen
dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung des belastenden Verwaltungsaktes
vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, und dem
öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug der Verfügung, wobei sich diese Abwägung in
erster Linie an den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs
orientiert. Erweist sich danach im Fall der – kraft Gesetzes – ausgeschlossenen
aufschiebenden Wirkung bei summarischer Prüfung der angefochtene Verwaltungsakt als
offensichtlich rechtmäßig, überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse, erscheint
hingegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme als offen oder sogar als eher
unwahrscheinlich, hängt der Erfolg des Aussetzungsantrages von einer umfassenden
Abwägung der widerstreitenden Interessen ab.
Vorliegend kommt dem Interesse der Antragstellerin, zumindest bis zur Entscheidung über
ihren Rechtsbehelf in der Hauptsache vorläufig weiter im Bundesgebiet verbleiben zu
können, der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an ihrer unverzüglichen
Ausreise zu, da gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gegenüber der
Antragstellerin ausgesprochenen Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und
damit auch der Abschiebungsandrohung bestehen.
Bereits im Ausgangspunkt zu Unrecht ist der Antragsgegner davon ausgegangen, dass die
Antragstellerin schon nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des von ihr geltend
gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Danach ist dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen
die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft
im Bundesgebiet zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im
Bundesgebiet hat. Die Antragstellerin ist Ehegattin eines deutschen Staatsangehörigen mit
derzeit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet, ohne dass Zweifel am Bestehen einer
ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet begründet sind. Dass die Antragstellerin
offenbar nicht in der Lage ist, sich in ausreichender Weise in deutscher Sprache zu
verständigen, steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegen der Auffassung des
Antragsgegners nicht entgegen. Zwar setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum
Zwecke der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet
gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG voraus,
dass sich der ausländische Ehegatte zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache
verständigen kann. Dieses Erfordernis ist allerdings, was der Antragsgegner verkannt hat,
gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG dann
unbeachtlich, wenn bei dem ausländischen Ehegatten ein erkennbar geringer
Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Abs. 4 AufenthG erlassenen Rechtsverordnung
besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44
AufenthG auf Teilnahme am Integrationskurs hätte. Dabei bedarf es vorliegend keiner
Entscheidung, ob im Fall der Antragstellerin bereits von einem erkennbar geringen
Integrationsbedarf im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 der Integrationskursverordnung – IntV –
ausgegangen werden kann, weil die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass sie sich ohne
staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben der
Bundesrepublik Deutschland integrieren wird. Denn jedenfalls hätte die Antragstellerin aus
anderen Gründen keinen Anspruch nach § 44 AufenthG auf Teilnahme am Integrationskurs.
Ein solcher Anspruch stünde der Antragstellerin gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) nämlich
nur dann zu, wenn ihr erstmals eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des
Familiennachzuges erteilt würde. § 44 Abs. 1 AufenthG hat damit Neuzuwanderer im
Blickfeld, denen nach dem Aufenthaltsgesetz überhaupt erstmals eine Aufenthaltserlaubnis
erteilt wird
vgl. dazu BayVGH, Urteil vom 19.09.2007 – 19 BV 07.575, zitiert
nach juris -; ferner Hailbronner, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz,
Stand: Dezember 2008, § 44 Rdnr. 3.
Zu diesem von § 44 Abs. 1 AufenthG begünstigten Personenkreis der Neuzuwanderer
gehört die Antragstellerin indes ersichtlich nicht, da ihr aufgrund der am 28.07.2003
erfolgten Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen bereits am 31.07.2003
eine bis zum 31.07.2006 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war. Da dieser
erkennbar auf der Grundlage des § 23 Abs. 1, Abs. 2 AuslG a. F. erteilte Aufenthaltstitel
nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zum 01.01.2005 zunächst gemäß § 101 Abs.
2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
fort galt, stünde der Antragstellerin mithin im Falle der jetzigen Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis kein Anspruch mehr auf Teilnahme an einem Integrationskurs gemäß
§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) AufenthG zu mit der Folge, dass dem ihr zustehenden
Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 AufenthG auch nicht das fehlende Erfordernis, sich auf einfache Art in deutscher
Sprache verständigen zu können, entgegen gehalten werden kann.
Die Ablehnung der Erteilung der von der Antragstellerin begehrten Aufenthaltserlaubnis
erweist sich im Ergebnis auch nicht deshalb als rechtmäßig, weil die Antragstellerin ohne
das für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
erforderliche Visum eingereist ist.
Zwar war die Antragstellerin im Zeitpunkt ihrer erneuten Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland im Dezember 2007 unstreitig nicht mehr im Besitz eines gültigen
Aufenthaltstitels, und bedurfte sie daher für den von ihr offenbar beabsichtigten
längerfristigen Aufenthalt gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eines Visums für das
Bundesgebiet. Die Antragstellerin war auch, wie der Antragsgegner in dem angefochtenen
Bescheid zutreffend dargelegt hat, nicht gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 39
AufenthV berechtigt, den von ihr begehrten Aufenthaltstitel nach der Einreise ins
Bundesgebiet einzuholen. Von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit
dem erforderlichen Visum kann aber nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden,
wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund
besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren
nachzuholen. Das danach in Ansehung des der Antragstellerin gemäß §§ 27 Abs. 1, 28
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zustehenden Rechtsanspruchs auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis eröffnete Ermessen hat der Antragsgegner indes bislang nicht
ausgeübt. Dies begründet ohne Weiteres die Fehlerhaftigkeit der die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners.
Zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung gibt ferner der Umstand Anlass, dass die
Antragstellerin aufgrund ihrer ohne erforderliches Visum erfolgten Einreise zugleich auch
nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt,
wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass kein
Ausweisungsgrund vorliegt. Zwar hat die Antragstellerin durch die mangels eines für den
längerfristigen Aufenthalt erforderlichen Visums unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet
den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verwirklicht, und stellt eine Straftat
grundsätzlich einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften und damit
einen Ausweisungsgrund gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar
vgl. dazu etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 16.03.2002 – 3 BF
205/01 –, zitiert nach juris; ferner Hailbronner, a. a. O., § 55 Rdnr.
23 m. w. N.
Das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht
der Erteilung eines Aufenthaltstitels allerdings nicht zwingend entgegen. Vielmehr kann es
in besonders gelagerten Einzelfällen durchaus gerechtfertigt sein, von den gesetzlichen
Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG abzusehen. Dabei ist ein solcher
Ausnahmefall dann anzunehmen, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich
von der Menge gleichliegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so
bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der
Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentliches Interesses beseitigen
vgl. dazu GK-AufenthaltG, Stand: August 2008, § 5 Rdnr. 27 unter
Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 27.02.1996, BVerwGE 102, 12 ff.
Davon ausgehend lassen weder die Gründe des angefochtenen Bescheides noch das
Vorbringen des Antragsgegners im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erkennen, dass
die besondere Situation der Antragstellerin, in der sie sich mit Blick auf ihre langjährige
eheliche Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen befindet, hinreichend Berücksichtigung
gefunden hat. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der Antragstellerin nach der mit
ihrem deutschen Ehemann am 28.07.2003 geschlossenen Ehe im Rahmen des
Ehegattennachzuges bereits am 31.07.2003 eine bis zum 31.07.2006 befristete
Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, deren Verlängerung bzw. Fortbestand ersichtlich
allein aufgrund des im Mai 2005 aus berufsbedingten Gründen ihres deutschen Ehemannes
erfolgten Fortzuges ins Ausland gescheitert ist. Steht in dem so gelagerten Fall damit
gerade nicht der erstmalige Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des
Ehegattennachzuges, sondern vielmehr die Wiederherstellung der seinerzeit rechtmäßig
begründeten und nach wie vor unverändert bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft
der Antragstellerin mit ihrem deutschen Ehemann im Bundesgebiet in Rede, unterscheidet
sich die Lage der Antragstellerin doch deutlich von derjenigen vergleichbarer Ausländer.
Spricht die danach gegebene Sondersituation der Antragstellerin mithin bereits mit Gewicht
für ein ausnahmsweises Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr.
2 AufenthG, so bedarf es aus Anlass des vorliegenden einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens gleichwohl keiner abschließenden Klärung dieser Frage. Denn
ausgehend von einer insoweit allenfalls hauptsacheoffenen Situation gebietet die im
Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des von der Antragstellerin gegen den Bescheid
des Antragsgegners vom 01.12.2008 erhobenen Widerspruchs. Das Interesse der
Antragstellerin, bis zur Entscheidung über ihren Rechtsbehelf in der Hauptsache von einer
Vollziehung des angegriffenen Bescheides verschont zu bleiben, überwiegt eindeutig das
gegenläufige öffentliche Interesse, da der Antragstellerin sowie ihrem deutschen Ehemann
unter den hier gegebenen Umständen die mit einem sofortigen Vollzug der getroffenen
ausländerrechtlichen Entscheidungen einhergehenden Nachteile für die Aufrechterhaltung
der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet angesichts des verfassungsrechtlich
verbürgten Schutzes der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG nicht zumutbar sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG entsprechend der
ständigen Rechtssprechung der Kammer in ausländerrechtlichen Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes auf die Hälfte des Hauptsachewertes und damit auf 2.500,-- Euro
festgesetzt.