Urteil des VG Saarlouis vom 09.07.2009
VG Saarlouis: besondere härte, kostenbeitrag, erwerb, aufschiebende wirkung, anrechenbares einkommen, erhaltung, rückführung, vollziehung, anerkennung, härtefall
VG Saarlouis Urteil vom 9.7.2009, 11 K 815/08
Hilfe zur Erziehung - Kostenbeitrag- keine Anrechnung unwirtschaftlicher Verbindlichkeiten
Leitsätze
Wenn bei bereits bestehender desolater Finanzlage und erheblichen von der Klägerin nicht
mehr zu leistenden Rückzahlungsverbindlichkeiten weitere Schuldverpflichtungen (hier:
Erwerb mehrerer voll finanzierter Mietshäuser) eingegangen werden, um die zu erwarteten
Gewinne zur Rückführung ihrer Gesamtverbindlichkeiten einzusetzen, entspricht eine
solche Verhaltensweise nicht den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Lebensführung.
Bei der Anwendung des Begriffs der besonderen Härte in § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB 8 kommt
es maßgeblich darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschrift zu einem den
Leitvorstellungen der §§ 91 ff. SGB 8 nicht entsprechenden Ergebnis führen würde.
Der Sozialgesetzbuchgeber geht - wie sich aus § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB 8 mit Gewicht
ergibt - als "Leitvorstellung" davon aus, dass Belastungen aus der Finanzierung von
Immobilien nur dann an-zuerkennen sind, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen
sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin adoptierte im Jahre 1993 (Beschluss des Amtsgerichts) ihre Enkeltochter.
Dieser wurde seit dem 03.05.2005 Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (in einer
Pflegefamilie) gewährt (§ 33 SGB VIII). Seit dem 16.02.2008 erhält sie Hilfe für junge
Volljährige (Nachbetreuung, § 41 SGB VIII; monatliche Kosten nach Aktenlage zuletzt
1.893,50 EUR). Die wiederverheiratete Klägerin ist als Rechtspflegerin tätig
(Besoldungsgruppe A 11). Sie ist Eigentümerin eines selbst genutzten Wohnhauses sowie
mehrerer Mietshäuser; den pfändbaren Teil ihrer Bezüge hat sie 1987 an ihre Hausbank
abgetreten.
Der Beklagte zog die Klägerin mit Bescheid vom 04.08.2005 zu den Kosten der
Vollzeitpflege heran (331,20 EUR monatlich ab dem 01.05.2005). Nach einer Änderung
der gesetzlichen Vorschriften setzte der Beklagte den Kostenbeitrag mit Bescheid vom
03.02.2006 neu fest (01.04. bis 30.09.2006: 403,10 EUR monatlich; ab 01.10.2006:
laufend monatlich 475,00 EUR). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit
Anhörungsschreiben des Beklagten vom 21.02.2006 wurde der Klägerin mitgeteilt, ab
dem 01.04.2006 werde ein Kostenbeitrag in Höhe von 380,00 EUR laufend monatlich
gefordert. Der Kreisrechtsausschuss wies mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom
07.03.2007 ergangenem Widerspruchsbescheid den Widerspruch (gegen den „Bescheid“
vom 21.02.2006) zurück. Daraufhin beantragte die Klägerin beim Verwaltungsgericht des
Saarlandes Eilrechtsschutz und erhob Klage; beide Verfahren wurden nach entsprechenden
Hauptsacheerledigungserklärungen eingestellt (Beschlüsse der Kammer vom 27.08.2007 -
11 L 587/07- und vom 25.09.2007 -11 K 582/07-). Mit ohne mündliche Verhandlung am
06.12.2007 ergangenem Widerspruchsbescheid wurde auch das Widerspruchsverfahren
eingestellt.
Der Beklagte setzte den Kostenbeitrag der Klägerin (nach entsprechender Neuberechnung)
daraufhin mit Bescheid vom 26.07.2007 ab dem 01.04.2006 auf 380,00 EUR fest
(zugleich ist ausgeführt, für den Zeitraum vom 01.04.2006 bis zum 31.07.2007 ergebe
sich eine Forderung von 3.422,00 EUR). Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit
Eingang beim Beklagten vom 31.07.2007 Widerspruch ein (ein von der Klägerin außerdem
anhängig gemachtes Eilrechtsschutzverfahren wurde nach entsprechenden
Hauptsacheerledigungserklärungen mit Beschluss der Kammer vom 28.11.2007 –11 L
1182/07– eingestellt).
Mit nach entsprechender Anhörung ergangenem Bescheid vom 24.10.2007 setzte der
Beklagte unter Sofortvollzugsanordnung den Kostenbeitrag ab dem 01.04.2007 (die
Klägerin war zwischenzeitlich befördert worden) auf 525,00 EUR monatlich fest (zugleich
ist ausgeführt, für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis zum 31.10.2007 ergebe sich eine
Forderung von 2.789,00 EUR). Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Eingang beim
Beklagten vom 16.11.2007 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der
Vollziehung; ein von der Klägerin außerdem anhängig gemachtes Eilrechtsschutzverfahren
wurde mit Beschluss der Kammer vom 03.01.2008 –11 L 1988/07– eingestellt.
Nach entsprechender Anhörung setzte der Beklagte mit Bescheid vom 29.04.2008 den
Kostenbeitrag unter Sofortvollzugsanordnung ab dem 01.03.2008 (die Klägerin erhält
aufgrund der zwischenzeitlichen Volljährigkeit von … seit März 2008 kein Kindergeld und
keinen Ortszuschlag mehr) auf 380,00 EUR monatlich fest (zugleich ist ausgeführt, für den
Zeitraum vom 01.03. bis zum 30.04.2008 ergebe sich eine Forderung von 760,00 EUR).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Eingang beim Beklagten vom 06.05.2008
Widerspruch ein.
Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16.07.2008 ergangenen
Widerspruchsbescheiden entschied der Kreisrechtsausschuss des Landkreises über die
Widersprüche der Klägerin gegen die Kostenbeitragsbescheide des Beklagten vom
26.07.2007, 24.10.2007 und 29.04.2008.
Der Widerspruch gegen den Kostenbeitragsbescheid vom 26.07.2007 wurde mit folgender
Begründung zurückgewiesen:
" … Rechtsgrundlage für die Erhebung des Kostenbeitrages ist § 92
Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 SGB VIII.
Danach sind nach Maßgabe der §§ 93, 94 SGB VIII Elternteile zu den
Kosten u.a. der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege aus ihrem
Einkommen heranzuziehen.
… Die Berechnung des Einkommens und die Ermittlung des
Kostenbeitrags ist - entgegen der Auffassung der Wf. - zutreffend
ermittelt.
Nach § 92 Abs. 1 SGB VIII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in
Geld oder Geldeswert. Danach hat der Wg. das
Bruttoerwerbseinkommen der Wf. aus ihrer Beamtentätigkeit mit
einem monatlichen Betrag von 2.511,84 EUR berücksichtigt. Hiervon
waren in Abzug zu bringen nach § 93 Abs. 2 SGB VIII die nach Grund
und Höhe angemessenen Beiträge zu öffentlichen oder privaten
Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Absicherung der
Risiken Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit.
Insoweit hat der Wg. die Krankenversicherungsbeiträge für die Wf.
(382,75 EUR) und für die Adoptivtochter (38,50 EUR)
einkommensmindernd berücksichtigt und in Abzug gebracht.
Als weitere berücksichtigungsfähige Belastungen kommen nach § 93
Abs. 3 SGB VIII insbesondere in Betracht Beiträge zu öffentlichen oder
privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die mit der
Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
Schuldverpflichtungen.
Grundsätzlich sieht § 93 Abs. 3 SGB VIII die Möglichkeit eines
Pauschalabzugs vor. Sind jedoch - wie hier - die Belastungen höher
als der pauschale Abzug (hier 536,14 EUR) so können auch die
höheren Belastungen abgezogen werden, soweit sie nach Grund und
Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen
Lebensführung nicht verletzen. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen
des Wg. die Belastungen in tatsächlicher Höhe anzuerkennen. Bei der
Anerkennung der tatsächlichen Belastungen ist ein strenger Maßstab
anzulegen. Insbesondere sind Schuldverpflichtungen nur dann zu
berücksichtigen, wenn es sich um die Anschaffung notwendiger
Wirtschaftsgüter handelt. Im Übrigen sind die höheren Belastungen
nachzuweisen.
Aufgrund der gesetzlichen Regelungen hat der Wg. an
Abzugspositionen nach § 93 Abs. 3 SGB VIII berücksichtigt die von der
Wf. - allerdings nicht - nachgewiesenen Fahrtkosten zur Arbeitsstätte
als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige
Ausgaben in Höhe von 38,77 EUR sowie die - hälftigen - Belastungen
aus dem eigengenutzten Hausanwesen in Höhe von 509,72 EUR.
Unter Berücksichtigung dieser Belastungen ergab sich ein insgesamt
anrechenbares Einkommen von 1.596,10 EUR.
Bei diesem Einkommen ergab sich nach der Anlage zu § 1 der
Kostenbeitragsverordnung eine Einstufung der Wf. in die
Einkommensgruppe 8, Beitragsstufe 1 ein Kostenbeitrag von 380,-
EUR.
Die Berechnungen des Wg. sind korrekt auf der Grundlage der derzeit
geltenden Bestimmungen durchgeführt. Der Wg. hat die vom
Einkommen in Abzug zu bringenden Positionen großzügig und
wohlwollend berechnet.
Weitere Abzugsbeträge sind nicht berücksichtigungsfähig.
Insbesondere waren weitere Schuldverpflichtungen als die für das
eigengenutzte Haus nicht anrechenbar. Soweit die Wf. im Rahmen
der Berechnung des Kostenbeitrags berücksichtigt wissen will, ihre
Schuldverpflichtungen aus dem kauf mehrerer Mietshäuser, die
jeweils - bei bereits bestehenden erheblichen
Darlehensverbindlichkeiten aus anderen Gründen - voll finanziert
worden sind, steht dem entgegen, dass eine Anerkennung höherer
Belastungen nach § 93 Abs. 3 SGB VIII nur möglich ist, soweit diese
nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer
wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzten. Dies trifft für die von
der Wf. vorgebrachten Schuldverpflichtungen aus
Bankverbindlichkeiten zum Erwerb von Mietshäusern nicht zu, wie
auch für die etwaige Anerkennung sonstiger mit der Erzielung von
Einkünften aus der Vermietung und Verpachtung verbundenen
notwendigen Ausgaben.
Zwar handelt es sich bei den Schuldverpflichtungen um solche, die
die Wf. bereits vor beginn der Hilfegewährung eingegangen ist,
gleichwohl scheidet eine Berücksichtigung dieser
Schuldverpflichtungen aus. Sie genügen nicht dem strengen Maßstab
des § 93 Abs. 3 SGB VIII. Wenn bei bereits bestehender desolater
Finanzlage und erheblichen und von der Wf. nicht mehr zu leistenden
Rückzahlungsverbindlichkeiten weitere Schuldverpflichtungen
eingegangen werden, um - wie von der Wf. beabsichtigt - die
erwarteten Gewinne zur Rückführung ihrer Gesamtverbindlichkeiten
einzusetzen, entspricht eine solche Verhaltensweise nicht den
Grundsätzen einer wirtschaftlichen Lebensführung. Das Eingehen
weiterer Verbindlichkeiten war weder aus wirtschaftlichen noch
sozialen Gründen angezeigt. Der Erwerb weiterer Wohnhäuser hat
nicht eigenen Wohnzwecken gedient, sondern war Grundlage eines
Finanzierungssystems, mit dem Schuldverpflichtungen durch das
Eingehen weiterer und höherer Schuldverpflichtungen zurückgeführt
werden sollten, ohne dass den Schuldverpflichtungen gesicherte
Einnahmen gegenüberstanden. Mietausfälle und Schwankungen des
Immobilienmarktes waren bei diesem Finanzierungssystem ebenso
wenig berücksichtigt, wie die Notwendigkeit der Bildung von
Rücklagen zur Erhaltung der Bausubstanz und sonstiger notwendiger
Reparaturarbeiten zur Erhaltung der Vermietbarkeit. Aufgrund der
zutage getretenen Gesamtumstände hätte jede sich wirtschaftlich
verhaltende Person an der Reduzierung der bereits bestehenden
nicht unerheblichen Verbindlichkeiten gearbeitet und wäre bei
finanziell derart aussichtsloser Lage nicht noch weitere
Schuldverpflichtungen eingegangen. Dass es der Wf. gelungen ist -
zumindest zu Beginn - Einnahmen in einer Höhe zu erzielen, die eine
teilweise Rückführung bestehender Verbindlichkeiten ermöglichte,
ändert nichts an der Unwirtschaftlichkeit ihres Verhaltens. Zu den
bereits vorhandenen erheblichen Schuldverpflichtungen sind nunmehr
weitere dazugekommen, die mit den vorhandenen Einnahmen
weiterhin nicht zurückgeführt werden können, es ist vielmehr - wie zu
erwarten war - eine weitere Erhöhung der Schuldenlast eingetreten.
Ein wirtschaftliches Verhalten ist darin nicht zu erkennen.
Der Schuldenstand von 1.100.000 EUR zum 31.12.2006, die Zins-
und Tilgungslasten von etwa 76.000 EUR bei einem
Jahreseinkommen von rund 40.000 EUR zuzüglich der - wie von der
Wf. selbst eingeräumten - erheblich reduzierten Mieteinnahmen
sprechen für sich. Insoweit kann von dem Grunde und der Höhe nach
angemessenen Belastungen und einer wirtschaftlichen
Lebensführung nicht mehr gesprochen werden. Insbesondere kann
dieses unwirtschaftliche Verhalten nicht zu Lasten der öffentlich
finanzierten Jugendhilfeleistungen gehen. …
Ein Absehen von der Kostenfestsetzung unter Berücksichtigung von
Härtefallgesichtspunkten (§ 92 Abs. 5 SGB VIII) kommt vorliegend
nicht in Betracht. Weder werden durch die Erhebung des
Kostenbeitrags Ziele und Zwecke der Jugendhilfeleistung gefährdet,
da die Wf. bereits vor der Neuregelung der Bestimmungen zum
Kostenbeitrag für ihre in Vollzeitpflege untergebrachte Tochter
unbeanstandet Kostenbeiträge gezahlt hat und für sie daher die
Inanspruchnahme der Jugendhilfeleistungen letztlich nicht von der
Erhebung von Kostenbeiträgen abhängig ist, noch ergeben sich aus
der Anhörung der Wf. oder sonst zu Tage getretenen Umständen
Anhaltspunkte, die auf eine etwaige Härte hindeuteten.
Unterhalsansprüche gleichrangig Berechtigter werden nicht
geschmälert, auch wird die Wf. durch die Heranziehung selbst nicht
hilfebedürftig. Insbesondere ergeben sich Härtefallgesichtspunkte
auch nicht aus ihrer durch unwirtschaftliches Verhalten entstandenen
wirtschaftlichen Lage."
Der Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 24.10.2007 wurde vom
Kreisrechtsausschuss aufgehoben, soweit er einen den Betrag von 475,00 EUR
übersteigenden Kostenbeitrag ab dem 01.04.2007 festsetzte; im Übrigen wurde der
Widerspruch zurückgewiesen, wobei in den Gründen im Wesentlichen ausgeführt ist, unter
Berücksichtigung des Pauschalabzugs von 25 v. H. nach § 93 Abs. 3 SGB VIII und der
daraus folgenden Einstufung des bereinigten Einkommens ergebe sich ein Kostenbeitrag
von 475,00 EUR statt 525,00 EUR; weitere Abzugsbeträge, insbesondere weitere
Schuldverpflichtungen als die für das eigengenutzte Haus seien nicht
berücksichtigungsfähig; ein Härtefall komme nicht in Betracht - insoweit sind die
Ausführungen mit denen des Verfahrens … identisch.
Hinsichtlich des Kostenbeitragsbescheides des Beklagten vom 29.04.2008 wurde der
Widerspruch der Klägerin ebenfalls zurückgewiesen. In den Gründen ist im Wesentlichen
ausgeführt, zwar seien die anerkennungsfähigen hälftigen Belastungen aus dem
eigengenutzten Hausanwesen geringfügig höher als der Pauschalabzug, sie führten jedoch
nicht zu einer geringeren Festsetzung des Kostenbeitrages, weil sich jedenfalls an der
Einkommensgruppe nichts ändere; weitere Abzugsbeträge, insbesondere weitere
Schuldverpflichtungen als die für das eigengenutzte Haus seien nicht
berücksichtigungsfähig; ein Härtefall komme nicht in Betracht - insoweit entsprechen die
Ausführungen denen der Verfahren … und ….
Diese Widerspruchsbescheide wurden an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin jeweils
am 22.07.2008 als Einschreiben zur Post gegeben.
Die Klägerin hat am 25.08.2008 (einem Montag) Klage erhoben, mit der sie sich gegen die
Kostenfestsetzungsbescheide des Beklagten vom 26.07.2007, 24.10.2007 und
29.04.2008 in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide wendet sowie
Rückgängigmachung deren zwischenzeitlicher Vollziehung begehrt. Sie trägt im
Wesentlichen vor, bei der Berechnung ihres festzusetzenden Einkommens seien gem. § 93
Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII ihre erheblichen Schuldverpflichtungen aus der Anschaffung
der Mietshäuser zu berücksichtigen. Allein im Jahr 2006 hätten ihre monatlichen
Schuldverpflichtungen 5.598,41 EUR betragen und damit die Mieteinnahmen (abzüglich
Unkosten, ohne Abschreibungen) um 2.196,99 EUR überstiegen. Eine Pauschalierung (§ 93
Abs. 3 Satz 3 SGB VIII) komme bei der Berechnung ihres Einkommens nicht in Betracht; es
habe ein (individueller) Abzug zu erfolgen (§ 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII). Die
Voraussetzungen hierfür seien erfüllt; insbesondere verstießen ihre Belastungen nicht
gegen die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung. Infolge der Insolvenz des
Unternehmens ihres früheren Ehemannes habe sie erhebliche Bürgschaftsverpflichtungen
zu erfüllen gehabt. Alleine die Schulden aus einem Kredit bei der …-Bank hätten sich am
30.09.1988 auf über 730.000,-- DM belaufen. Im Rahmen einer zustande gekommenen
Vergleichsvereinbarung sei dieser Betrag durch Zahlung von 70.000,-- DM (50.000,-- DM in
1998 und 20.000,-- DM in 2000) abzulösen gewesen. Zur Tilgung dieser Verbindlichkeiten
habe sie ab dem Jahr 1997 voll kreditfinanzierte Mietshäuser erworben. Die erheblichen
monatlichen positiven Mieteinkünfte in den Jahren 1997 bis 2002 hätten es ihr ermöglicht,
ihren Zahlungsverpflichtungen aus der Vergleichsvereinbarung mit der …-Bank
nachzukommen, so dass sie von der …-Bank aus der gesamtschuldnerischen Haftung
entlassen worden sei. Erst ab dem Jahr 2003 seien die Mieteinkünfte eingebrochen. Die
hierfür maßgeblichen Gründe – starker Mieterwechsel mit Neuvermietungsaufwand und
Wohnungsfreistand infolge der verschlechterten wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der
Hartz IV-Gesetze – seien für sie beim Erwerb der Häuser objektiv nicht vorhersehbar
gewesen. Es sei der Zeitpunkt zugrunde zu legen, in dem die Belastungen eingegangen
worden seien. Die nachfolgend eingetretene negative Entwicklung habe außerhalb ihres
Einflusses gelegen und sei nicht auf ihr Verschulden zurückzuführen. Ohne den Erwerb der
Mietshäuser würde sie sich somit noch heute den Altschulden ausgesetzt sehen; diese
wären jedoch im Rahmen des § 93 Abs. 3 SGB VIII zu berücksichtigen. Auch habe sie zum
Zeitpunkt des Erwerbs der Mietshäuser keine Kenntnis von der späteren Kostenbelastung
durch die auswärtige Unterbringung von … gehabt. Weiterhin sei ihr Einkommen zum
Zeitpunkt der Adoption wesentlich geringer gewesen; die Erzielung eines
Zusatzeinkommens aus der Anschaffung von sechs Mietshäusern sei erforderlich gewesen,
um ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe bestreiten zu können.
Der Beklagte hätte daher im Rahmen der Ermittlung des Kostenbeitrages über den
angemessenen Umfang der dem Grunde nach abzugsfähigen Schuldverpflichtungen aus
dem Erwerb der Mietshäuser befinden müssen; neben ihrem Bruttoeinkommen (von
monatlich 2.511,84 EUR) seien ihre Schuldverpflichtungen aus der Anschaffung der sechs
Mietshäuser und die monatlichen Raten zu berücksichtigen. Der Schuldenstand zum
31.12.2006 habe ca. 1,3 Mio. EUR, die Zins- und Tilgungslasten ca. 76.000,-- EUR
betragen; darüber hinaus sei ihr Gehalt seit 1987 an ihre Hausbank abgetreten. Daher
führten die angefochtenen Bescheide zu einer unzumutbaren Härte, insbesondere in
Relation zu ihrem Nettoeinkommen. Da der Beklagte jedoch sein ihm insoweit obliegendes
Ermessen nicht ausgeübt habe, seien die angefochtenen Bescheide insgesamt
rechtswidrig. Daher sei auch deren Vollziehung rückgängig zu machen. Zudem sei der
vollstreckte Betrag fehlerhaft, wie näher dargelegt wird.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
I.
1. den Bescheid des Beklagten vom 29.04.2008 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2008
aufzuheben;
2. den Bescheid des Beklagten vom 26.07.2007 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2008
aufzuheben;
3. den Bescheid des Beklagten vom 24.10.2007 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2008
aufzuheben;
4. den Beklagten zu verurteilen, in Bezug auf die
streitgegenständlichen Bescheide eine Neuberechnung der
Kostenbeiträge unter Berücksichtigung sämtlicher
Verbindlichkeiten der Klägerin vorzunehmen;
II.
den Beklagten zu verurteilen, die Vollziehung
1. des Bescheides vom 29.04.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.07.2008,
2. des Bescheides vom 26.07.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.07.2008,
3. des Bescheides vom 24.10.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.07.2008,
rückgängig zu machen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, die Klägerin werde zu Recht zu den Kostenbeiträgen
herangezogen. Die Belastungen der Klägerin für ihr selbstgenutztes Wohnhaus und ihre
berufsbedingten Aufwendungen seien bereits berücksichtigt. Der Anrechnung der
Schuldverpflichtungen aus dem Kauf der Mietshäuser stehe entgegen, dass deren
Anerkennung nur möglich sei, soweit diese nach Grund und Höhe angemessen seien und
die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzten (§ 93 Abs. 3 SGB VIII).
Es entspreche nicht den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Lebensführung, wenn bei
bereits bestehender desolater Finanzlage weitere Schuldverpflichtungen eingegangen
würden, um die erwarteten Gewinne zur Rückführung ihrer Gesamtverbindlichkeiten
einzusetzen. Der Erwerb von Mietshäusern sei Grundlage eines Finanzierungssystems
gewesen, mit dem Schuldverpflichtungen durch das Eingehen weiterer und höherer
Schuldverpflichtungen zurückgeführt werden sollten. Mietausfälle und Schwankungen des
Immobilienmarktes seien bei diesem Finanzierungssystem ebensowenig berücksichtigt wie
die Notwendigkeit der Bildung von Rücklagen zur Erhaltung der Bausubstanz und sonstiger
notwendiger Reparaturarbeiten zur Erhaltung der Vermietbarkeit. Aufgrund der zutage
getretenen Gesamtumstände hätte jede sich wirtschaftlich verhaltende Person an der
Reduzierung der bereits bestehenden nicht unerheblichen Verbindlichkeiten gearbeitet und
wäre bei finanziell derart aussichtsloser Lage nicht noch weitere Schuldverpflichtungen
eingegangen. Dass es der Klägerin gelungen sei – zumindest zu Beginn – Einnahmen in
einer Höhe zu erzielen, die eine teilweise Rückführung bestehender Verbindlichkeiten
tatsächlich ermöglicht habe, ändere nichts an der Unwirtschaftlichkeit ihres Verhaltens. Zu
den bereits vorhandenen erheblichen Schuldverpflichtungen seien nunmehr weitere
hinzugekommen, die mit den vorhandenen Einnahmen wohl nie mehr zurückgeführt
werden könnten. Ein wirtschaftliches Verhalten sei hierin nicht zu erkennen. Der
Schuldenstand von ca. 1,3 Millionen EUR zum 31.12.2006, die Zins- und Tilgungslasten
von etwa 76.000,00 EUR bei einem Jahreseinkommen von rund 40.000,00 EUR zuzüglich
der – von der Klägerin selbst eingeräumten – erheblich reduzierten Mieteinnahmen
sprächen für sich. Insoweit könne von dem Grunde und der Höhe nach angemessenen
Belastungen und einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht mehr gesprochen werden.
Insbesondere könne dieses unwirtschaftliche Verhalten nicht zu Lasten der öffentlich
finanzierten Jugendhilfeleistungen gehen. Gründe für eine besondere Härte (§ 92 Abs. 5
SGB VIII) könnten nicht festgestellt werden. Belastungen, die dem Vermögensaufbau
dienten oder auf Spekulationsverlusten beruhten, würden insofern nicht erfasst. Der enge
finanzielle Spielraum begründe keine besondere Härte. Die Klägerin sei in der Lage
gewesen, frühzeitig durch wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen ihre Schulden
zurückzuführen und damit für eigene Wohnzwecke nicht notwendige Verpflichtungen, die
sie aber zur Erhaltung des gewohnten Lebensstils für notwendig gehalten habe, los zu
werden. Dass das Gehalt der Klägerin seit 1987 an die Hausbank abgetreten sei, sei ihm,
dem Beklagten, im Übrigen nicht bekannt gewesen.
Der Beklagte erließ mit Datum vom 19.08.2008 eine Pfändungs- und
Überweisungsverfügung hinsichtlich des Arbeitseinkommens der Klägerin (Gesamtbetrag:
9.520,65 EUR; Drittschuldner: …). Hinsichtlich dieser Verfügung teilte die … dem Beklagten
mit Schreiben vom 25.08.2008 u.a. mit, dass andere Gläubiger auf die Forderung
Ansprüche von insgesamt 158.391,89 EUR erheben würden und die Forderung für andere
Gläubiger i.H.v. insgesamt 309.604,92 EUR gepfändet sei; von den monatlichen Bezügen
der Klägerin seien derzeit 662,05 EUR pfändbar.
Auf entsprechenden Eilrechtsschutzantrag der Klägerin wurde mit Beschluss der Kammer
vom 28.11.2008 –11 L 882/08– festgestellt, dass die vorliegende Klage hinsichtlich des
Kostenbeitragsbescheides vom 26.07.2007 und des aufgrund mündlicher Verhandlung
vom 16.07.2008 ergangenen Widerspruchsbescheides mangels diesbezüglicher sofortiger
Vollziehbarkeit aufschiebende Wirkung hat.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten des
vorliegenden Verfahrens und der Verfahren 11 K 582/07 (11 L 587/07), 11 L 1182/07, 11
L 1988/07 und 11 L 882/08 sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten
und die Widerspruchsakten. Ihr Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte nach den entsprechenden Erklärungen der Beteiligten durch den
Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung ergehen (§§ 87 a Abs. 2, Abs. 3, 101 Abs. 2
VwGO).
Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu I) als Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1,
42 Abs. 1, Alt. 1, 44 VwGO zulässig, aber unbegründet.
Die Kostenbeitragsbescheide des Beklagten vom 26.07.2007, vom 24.10.2007 und vom
29.04.2008 in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide vom 16.07.2008 sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin schon von daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs.
1 Satz 1 VwGO); eine Grundlage für den im Klageantrag zu II) von der Klägerin gegen den
Beklagten geltend gemachten Anspruch, "die Vollziehung der Kostenbeitragsbescheide
rückgängig zu machen" besteht daher nicht, § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Maßstab für den jeweils erhobenen Kostenbeitrag hinsichtlich der Hilfe zur Erziehung in
Form der Vollzeitpflege sind – im hier maßgeblichen Zeitraum ab April 2006 bis Februar
2008 - §§ 91 Abs. 1 Nr. 5 lit. a, 92 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 33 SGB VIII.
Hinsichtlich der – ab März 2008 geleisteten – Hilfe für junge Volljährige (Nachbetreuung)
ergibt sich die rechtliche Grundlage der Beitragsforderung aus § 91 Abs. 1 Nr. 8, 92 Abs. 1
Nr. 5 Halbs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 41 SGB VIII (in den im diesem Zeitraum jeweils
maßgeblichen Fassungen).
Nach diesen Vorschriften ist die Heranziehung der Klägerin zu einem Kostenbeitrag
rechtlich nicht zu beanstanden; insbesondere sind im Rahmen der Berechnung der Höhe
des Kostenbeitrags die Belastungen der Klägerin aus der Finanzierung ihrer Mietshäuser
nicht zu berücksichtigen und die Härtefallregelung des § 92 Abs. 5 SGB VIII findet keine
Anwendung. Zur Begründung wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO zunächst auf die
zutreffenden Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden verwiesen; diese halten auch
mit Blick auf den Vortrag der Klägerin im gerichtlichen Verfahren einer Überprüfung stand.
Die fraglichen Verbindlichkeiten aus der Finanzierung der Mietshäuser der Klägerin können
im Rahmen des § 93 Abs. 3 SGB VIII nicht als einkommensmindernd angesehen werden,
da sie nicht nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer
wirtschaftlichen Lebensführung verletzen.
Wenn - wie vorliegend - bei bereits bestehender desolater Finanzlage und erheblichen und
von der Klägerin nicht mehr zu leistenden Rückzahlungsverbindlichkeiten weitere
Schuldverpflichtungen eingegangen werden, um - wie von der Klägerin beabsichtigt - die
erwarteten Gewinne zur Rückführung ihrer Gesamtverbindlichkeiten einzusetzen,
entspricht eine solche Verhaltensweise nicht den Grundsätzen einer wirtschaftlichen
Lebensführung. Es liegt vielmehr - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat - ein hoch
riskantes Immobilienspekulationsgeschäft vor, das - auch und gerade mit Blick auf die
Lebenssituation der Klägerin bei Abschluss der Immobilienkaufverträge - den Keim des
Scheiterns in sich getragen hat. Der Erwerb weiterer Wohnhäuser diente nicht eigenen
Wohnzwecken, sondern war allein Grundlage eines Finanzierungssystems, mit dem
Schuldverpflichtungen durch das Eingehen weiterer und höherer Schuldverpflichtungen
zurückgeführt werden sollten, ohne dass den Schuldverpflichtungen gesicherte Einnahmen
gegenüberstanden. Mietausfälle und Schwankungen des Immobilienmarktes waren bei
diesem Finanzierungssystem ebenso wenig berücksichtigt, wie die Notwendigkeit der
Bildung von Rücklagen zur Erhaltung der Bausubstanz und sonstiger notwendiger
Reparaturarbeiten zur Erhaltung der Vermietbarkeit. Dass es der Klägerin gelungen ist -
zumindest zu Beginn - Einnahmen in einer Höhe zu erzielen, die eine teilweise Rückführung
bestehender Verbindlichkeiten ermöglichte, ändert nichts an der Unwirtschaftlichkeit ihres
Verhaltens. Es ist vielmehr - wie zu erwarten war - eine weitere Erhöhung der Schuldenlast
eingetreten. Das Eingehen weiterer Verbindlichkeiten war vorliegend daher weder aus
wirtschaftlichen noch sozialen Gründen angezeigt.
vgl. im Übrigen dazu, dass Schuldverpflichtungen für fremdgenutzte
Immobilien generell nicht berücksichtigungsfähig sind VG Augsburg,
Beschluss vom 25.02.2008 -Au 3 S 08.167-, juris-Rdnr. 27; vgl.
auch VG Neustadt/W., Urteil vom 19.07.2007 -2 K 15/07.NW-, juris-
Rdnr. 36, wonach entsprechende Darlehensverbindlichkeiten wegen
des im Sozialrecht geltenden Verbots des vertikalen Verlustausgleichs
lediglich in Höhe korrespondierender Einnahmen anzuerkennen sind
und sich daher nicht einkommensmindernd auswirken können; zur
Frage der nur eingeschränkten Berücksichtigung von
Verbindlichkeiten aus der Finanzierung selbst eines eigengenutzten
Wohnhauses vgl. im Übrigen Urteile der Kammer vom 31.10.2008 –
11 K 436/07 und 455/07–, je m.w.N..
Der Beklagte hat auch zu Recht die Voraussetzungen eines Härtefalls im Sinne des § 92
Abs. 5 Satz 1 SGB VIII verneint. Nach § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII soll von der Heranziehung
(zu einem Kostenbeitrag) im Einzelfall ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn sonst
Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine
besondere Härte ergäbe. Eine besondere Härte im Sinne der Vorschrift ist vorliegend nicht
zu bejahen.
Bei der Anwendung des - gerichtlich voll überprüfbaren - unbestimmten Rechtsbegriffs der
besonderen Härte ist nach den von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten
Grundsätzen davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Härtevorschriften regelmäßig
deshalb einführt, weil er mit den Regelvorschriften zwar dem typischen Lebenssachverhalt
gerecht werden kann, wie er dem Gesetz zugrunde liegt, nicht aber dem atypischen. Da
die atypischen Fälle, eben wegen ihrer atypischen Ausgestaltung, nicht mit den abstrakten
Merkmalen der Gesetzessprache erfasst werden können, muss der Gesetzgeber neben
den Regeltatbestand einen Ausnahmetatbestand setzen, der zwar in den einzelnen
Merkmalen unbestimmt ist, jedoch bei einer sinngerechten Anwendung ein Ergebnis
gestattet, das dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen Zielrichtung gleichwertig ist.
Hiernach kommt es bei der Anwendung des Begriffes der besonderen Härte maßgeblich
darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschrift zu einem den Leitvorstellungen der §§ 91
ff. SGB VIII nicht entsprechenden Ergebnis führen würde
vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1966 –V C 88.64-, BVerwGE 23,
149; Brandenburgisches OVG, Urteil vom 19.06.2003 -4 A 4/02-,
juris-Rdnr. 54, m.w.N.; Hamburgisches OVG, Urteil vom 03.09.1993
–Bf IV 28/92-, juris-Rdnr. 36, m.w.N.; vgl. auch VG Ansbach, Urteil
vom Urteil vom 25.09.2008 –AN 14 K 06.03973-, juris-Rdnr. 25,
m.w.N.; VG Münster, Urteil vom 03.09.2008 -6 K 795/07-, juris-
Rdnr. 19, m.w.N.; VG Osnabrück, Urteil vom 29.06.2007 -6 A
119/06-, juris-Rdnr. 15, m.w.N.; vgl. auch Hauck/Noftz, SGB VIII, § 92
Rdnr. 28, m.w.N. (Stand: V/06); Schellhorn u.a., SGB VIII, 3. Aufl.
2007, § 92 Rdnr. 17, m.w.N..
Wann ein den Leitvorstellungen der §§ 91 ff. SGB VIII widersprechender Fall vorliegt, lässt
sich nicht pauschal beantworten, sondern ist stets von den besonderen Umständen des
Einzelfalls abhängig. Auf den vorliegenden Fall bezogen ergibt sich dies berücksichtigend
kein Härtefall. Zwar ist in den Blick zu nehmen, dass die Klägerin völlig überschuldet ist.
Ihren Schuldverpflichtungen von unstreitig ca. 1,3 Mio. EUR (Stand 31.12.2006) stehen
offenkundig keine entsprechend werthaltigen Immobilien bzw. sonstigen Aktiva gegenüber.
Die sich aus ihren Verbindlichkeiten ergebenden Zins- und Tilgungslasten von jährlich ca.
76.000.- EUR (d.h. monatlich ca. 6.333.- EUR) sind vor dem Hintergrund eines
Nettomonatseinkommens von nach Aktenlage ca. 2.390.- EUR zu sehen und offenkundig
auch unter Berücksichtigung noch erzielter Mieteinnahmen kaum zu bewältigen. Diese
durch den Erwerb mehrerer - vollfinanzierter - Mietshäuser selbst verschuldete Situation
der Klägerin stellt aber keine "besondere, atypische Belastungssituation" dar. Der
Sozialgesetzbuchgeber geht - wie sich aus § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII mit Gewicht ergibt -
als "Leitvorstellung" davon aus, dass solche Belastungen nur dann anzuerkennen sind,
soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer
wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzten, was hier aber - wie oben ausführlich
dargelegt - gerade nicht der Fall ist.
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbs. 1
VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §
167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Gegenstandswert wird gemäß §§ 2 Abs. 1, 23 Abs. 1 RVG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG – in
Orientierung an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, Ziff. 21.4
– auf (die Summe aus 12 x 380,00 EUR = 4.560.- EUR, 11 x 475.- EUR = 5225.- EUR
und 12 x 380.- EUR = 4.560.- EUR, d.h.) 14.345.- EUR festgesetzt.