Urteil des VG Saarlouis vom 28.11.2007
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VG Saarlouis Urteil vom 28.11.2007, 10 K 52/07
Zur Berechnung der Fristen zur Löschung von Eintragungen im Verkehrszentralregister
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen eine vom Beklagten ausgesprochene
gebührenpflichtige Verwarnung nach dem straßenverkehrsrechtlichen Punktsystem.
Nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 14.11.2005 waren zum damaligen
Zeitpunkt zu Lasten des Klägers folgende (verkürzt wiedergegebene) Verkehrsverstöße im
Verkehrszentralregister eingetragen:
Tatzeit
Art der Zuwiderhandlung
Punkte Rechtskraft Tilgungsdatum
04.11.2002 Überschreiten der höchst-
zulässigen Geschwindigkeit
außerorts um 63 km/h
4
01.02.2003 01.02.2005
31.01.2005 Sicherheitsabstand weniger
als 2/10 des halben
Tachowertes
4
03.11.2005 03.11.2007
Angesichts dessen unterrichtete der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 16.12.2005
darüber, dass für diesen im Verkehrszentralregister wegen zweier Ordnungswidrigkeiten
insgesamt acht Punkte eingetragen seien und sprach wegen des erreichten Punktestandes
eine gebührenpflichtige Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG aus. Ferner wies
er den Kläger auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar für auffällige
Verkehrsteilnehmer hin sowie darauf, dass bei Teilnahme an einem solchen Seminar die
Möglichkeit eines Punkteabzuges besteht.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein und begründete diesen
sinngemäß damit, dass die Verwarnung ungerechtfertigt sei, weil mit Blick auf die
zweijährige Tilgungsfrist die erste im Zentralregister erfasste Tat nicht hätte berücksichtigt
werden dürfen und sich deshalb nur vier Punkte ergäben. Zwischen der ersten Tat vom
4.11.2002 und der zweiten Tat am 31.1.2005 liege offenkundig eine Zeitspanne von mehr
als zwei Jahren. Stelle man auf die Rechtskraft der Entscheidungen ab, ergebe sich nichts
anderes. Bezüglich der Zuwiderhandlung vom 4.11.2002 sei nach Auskunft seitens des
Ordnungsamts in Saarlouis vom Zustelldatum 17.1.2003 auszugehen, so dass binnen 14
Tagen, mithin mit Ablauf des 30.1.2003, Rechtskraft eingetreten sei. Hieraus ergebe sich,
dass die zweite Tat vom 31.1.2005 zwei Jahre und einen Tag nach diesem Zeitpunkt
begangen worden sei. Des Weiteren habe hinsichtlich der zweiten Tat Rechtskraft erst am
3.11.2005 bestanden. Der für die Tilgung maßgebliche Zwei-Jahres-Zeitraum sei daher bei
jeder Betrachtungsweise überschritten.
Der Beklagte half dem Widerspruch nicht ab. Da der Kläger auf ein Schreiben des
Beklagten, in welchem dieser seine Rechtsansicht darlegte, nicht reagierte, legte der
Beklagte den Widerspruch dem Rechtsausschuss für den Stadtverband Saarbrücken am
23.2.2006 vor.
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.3.2006 wies der Rechtsausschuss den
Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der angefochtene
Bescheid rechtlich nicht zu beanstanden sei, denn der Beklagte habe den Kläger zu Recht
wegen des Erreichens von acht Punkten im Verkehrszentralregister verwarnt. Der Kläger
müsse zur Kenntnis nehmen, dass die hier maßgebliche Zweijahresfrist mit der
Unanfechtbarkeit der Entscheidung betreffend die Ordnungswidrigkeit beginne, deren
Zeitpunkt im Zentralregister für die Behörde verbindlich dokumentiert sei. Werde innerhalb
dieser Zweijahresfrist eine weitere Tat begangen, die die Eintragung von Punkten nach sich
ziehe, so sei dafür nach allgemeiner Meinung der Tatzeitpunkt ausschlaggebend.
Zuzugeben sei, dass im vorliegenden Falle die Tilgungsfrist für die ersten vier Punkte
nahezu abgelaufen gewesen sei; aber auch nur ein Tag Differenz - wie hier - reiche aus, die
gesetzlichen Rechtsfolgen auszulösen, wonach die Punkte für die zweite Tat die ersten
Punkte für einen weiteren Zeitabschnitt "mitnähmen". Der Widerspruch habe daher keinen
Erfolg.
Der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 4.4.2006
zugestellt worden. Am 23.5.2006 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur
Begründung wiederholt er sein aus dem Verwaltungsverfahren bekanntes Vorbringen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 16.12.2005 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29.3.2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Zur Begründung nimmt er auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten und des Rechtsausschusses beim
Stadtverband Saarbrücken verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist bereits
unzulässig.
Die Klagefrist ist nicht eingehalten.
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach
Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Vorliegend ist dem Kläger der mit
einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid
ausweislich der hierüber gefertigten Postzustellungsurkunde -im Wege der Ersatzzustellung
durch Übergabe an dessen Mutter- am 4.4.2006 wirksam zugestellt worden. Die Klagefrist
endete somit gemäß § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO mit Ablauf des
4.5.2006. Erhoben wurde die Klage indes erst am 23.5.2006 und damit verspätet. Ein
Grund zur Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist (§ 60 VwGO) ist weder geltend
gemacht worden noch sonst ersichtlich.
Im Falle einer versäumten Klagefrist – wie hier – ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt,
in die sachliche Prüfung des Klagebegehrens einzutreten. Dennoch sieht die Kammer mit
Blick auf die sinngemäße Äußerung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass die
angegriffene Entscheidung sein Gerechtigkeitsempfinden verletze, Anlass zu folgenden - für
die hier zu treffende Entscheidung allerdings nicht mehr relevanten - Hinweisen zur
Rechtslage:
Der Beklagte hat im angegriffenen Bescheid zutreffend angenommen, dass für den Kläger
im Verkehrszentralregister acht Punkte eingetragen waren und deshalb zu Recht eine
gebührenpflichtige Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG ausgesprochen.
Insbesondere waren die ersten vier zu Lasten des Klägers im Verkehrszentralregister
erfassten Punkte im maßgeblichen Zeitpunkt, als der Kläger erneut eine
Ordnungswidrigkeit beging, noch nicht tilgungsreif.
Die Tilgungsfrist beträgt bei Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit zwei Jahre (§
29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG) und beginnt bei verwaltungsbehördlichen Bußgeldbescheiden
mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der Entscheidung (§ 29 Abs. 4 Nr. 3
StVG). Es kommt daher entgegen der Ansicht des Klägers für den Beginn der Tilgungsfrist
weder auf den Tattag, noch das Datum des Bußgeldbescheides oder darauf an, ob der
Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit des Bußgeldbescheides durch irgendwelche Umstände –
evtl. auch durch die Einlegung von Rechtsbehelfen seitens des Betroffenen –
hinausgeschoben wird.
Etwas anderes gilt hinsichtlich der hier aufgeworfenen Frage, ob eine neue
Ordnungswidrigkeit die Löschung einer bereits vorhandenen Eintragung wegen einer
Ordnungswidrigkeit hindert. Hierbei ist entscheidend, ob der Tattag der neuen
Ordnungswidrigkeit noch in den Lauf der Tilgungsfrist für die erste Tat fällt. Trifft dies zu,
wird der Ablauf der Tilgungsfrist für die zuerst eingetragene Ordnungswidrigkeit gehemmt,
d.h. die erste Eintragung bleibt bestehen (vgl. § 29 Abs. 6 Sätze 1 und 2 StVG). Dies gilt
allerdings nur unter der weiteren Voraussetzung, dass die zweite Tat innerhalb eines Jahres
seit Eintritt der Tilgungsreife eingetragen wird (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG).
Vorliegend hat der Kläger ausgehend von dem - soweit ersichtlich - zutreffenden
Zustelldatum 17.1.2003 für den ersten Bußgeldbescheid die zweiwöchige Frist bis zur
Unanfechtbarkeit der betreffenden Entscheidung unter Einschluss des Tages der Zustellung
berechnet und so als Ende der Frist den 30.1.2003 ermittelt. Die von ihm vorgenommene
Berechnung ist indes fehlerhaft, da eine derartige Frist nach den Vorschriften der §§ 187
bis 193 BGB, welche auch für das Verwaltungsverfahren maßgeblich sind (vgl. § 31 Abs. 1
VwVfG bzw. § 31 Abs. 1 SVwVfG), an dem auf die Zustellung folgenden Tag - hier also ab
dem 18.1.2003 - zu laufen beginnt und nach zwei Wochen mit dem Ablauf desjenigen
Tages der letzten Woche endet, der dem Tage der Zustellung entspricht (vgl. §§ 187 Abs.
1, 188 Abs. 2 HS 1 BGB). Diese Entsprechung besteht hier zwischen dem 17.1.2003,
dem Freitag, an dem die Zustellung erfolgte, und dem 31.1.2003, ebenfalls ein Freitag, an
dem zwei Wochen später um 24:00 Uhr die Rechtsmittelfrist endete. Unanfechtbar war
die Entscheidung somit ab dem nächsten Tag, dem 1.2.2003 (0:00 Uhr).
Da dieser Tag (1.2.2003) indes bei der Berechnung der zweijährigen Tilgungsfrist
einzubeziehen ist (vgl. §§ 187 Abs. 2 Satz 1, 188 Abs. 2 HS 2 BGB), endete diese mit dem
Ablauf des 31.1.2005. Die vom Kläger an diesem Tag begangene zweite
Ordnungswidrigkeit liegt daher noch innerhalb der Tilgungsfrist für die erste
Ordnungswidrigkeit. Darüber hinaus ist die Entscheidung zum zweiten Verkehrsverstoß
während des Laufs der Überliegefrist (1.2.2005 bis 31.1.2006), und zwar am
14.11.2005, zur Eintragung gelangt. Damit waren alle Voraussetzungen für eine
Ablaufhemmung (vgl. oben) gegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG in Höhe eines Viertels des
Auffangwertes (5.000,-- EUR) auf 1.250,-- EUR festgesetzt.