Urteil des VG Saarlouis vom 20.02.2007
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VG Saarlouis Beschluß vom 20.2.2007, 10 L 157/07
Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen gelegentlichen Cannabiskonsums.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt, die aufschiebende Wirkung seines
Widerspruchs vom 18.01.2007 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
17.01.2007, mit dem ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde, wieder herzustellen, ist
gemäß § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der
Antrag ist jedoch nicht begründet.
Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung im angefochtenen
Bescheid den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend damit
begründet, dass ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, weil die
weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr mit Risiken für das Leben und die
Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer verbunden wäre. Dies ist angesichts des hohen
Stellenwertes der gefährdeten Rechtsgüter als ausreichend zu erachten, um dem
Begründungserfordernis Genüge zu tun.
Die vom Gericht zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich danach, ob
das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung
gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO). Im Rahmen dieser vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung sind die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Die Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem
zum Entscheidungszeitpunkt gegebenen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos
bleiben wird; bei offensichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs überwiegt
demgegenüber das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Im vorliegenden Fall hat der vom Antragsteller erhobene Widerspruch voraussichtlich keine
Aussicht auf Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung des Antragsgegners vom
17.01.2007 erweist sich im Rahmen der im vorliegenden Verfahren nur möglichen
summarischen Überprüfung der Rechtslage sowie nach Maßgabe der derzeit vorliegenden
Erkenntnisse im Ergebnis als rechtmäßig.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe q StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1
FeV ist die Fahrerlaubnis einem ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber zwingend zu entziehen,
ohne dass dabei ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV
bestimmt, dass u.a. derjenige ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs ist, der
Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 und 6 der FeV aufweist. In der im
konkreten Fall einschlägigen Anlage 4 der FeV sind bestimmte Erkrankungen oder
Störungen aufgelistet, die - teilweise differenziert für bestimmte Fahrerlaubnisklassen - die
Fahrungeeignetheit oder die bedingte Eignung anzeigen oder aber keine Auswirkungen auf
die Eignung haben. Nach Nr. 9.2 ist bei der Einnahme von Cannabis zwischen der
regelmäßigen und der gelegentlichen Einnahme zu unterscheiden. Im erstgenannten Fall
fehlt es regelmäßig an der Fahreignung (Nr. 9.2.1), während es im zweiten Fall darauf
ankommt, ob der Betreffende zwischen Konsum und Fahren trennen kann und zudem
keine zusätzliche Einnahme von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine
Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen (Nr. 9.2.2).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben ist der Antragsteller wegen der durch
die Blutanalyse nachgewiesenen und von ihm nicht in Abrede gestellten zumindest
gelegentlichen Einnahme von Cannabis sowie seines Unvermögens zum Trennen von
Fahren und Konsum voraussichtlich nach Maßgabe der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zum
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet.
Der Antragsteller fiel Bediensteten der Polizeiinspektion A-Stadt am 22.10.2006 dadurch
auf, dass er beim Führen seines Fahrzeuges einen Joint rauchte. Er gab an, dass er gerade
von seinem Anwesen weggefahren und nur ca. 30 Meter gefahren sei und erst einen Zug
an dem Joint gemacht habe. Bei seiner weiteren Befragung auf der Dienststelle der
Polizeiinspektion A-Stadt erklärte er außerdem, er rauche „von Zeit zu Zeit“ einmal einen
Joint. Auto würde er dann allerdings nicht fahren. Die im Anschluss an diesen Vorfall
entnommene Blutprobe des Antragstellers vom 22.10.2006 ergab Werte von 0,002 mg/l
Tetrahydrocannabinol (= 2,0 ng/ml THC), 0,001 mg/l Hydroxy-THC und 0,076 mg/l
Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (vgl. Ergebnis der toxikologischen Untersuchung des
Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes vom 10.11.2006).
Ab welcher THC-Konzentration ein fahreignungsrelevanter Cannabiseinfluss angenommen
werden kann, ist in der Rechtsprechung maßgeblich für den Bereich einer THC-
Konzentration zwischen 1,0 ng/ml und 2,0 ng/ml umstritten.
Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 14.07.2006, 1 W 35/06, und vom
01.06.2006, 1 W 26/06, sowie vom 21.12.2006, 1 W 55/06; BVerfG,
Beschluss vom 20.06.2002, 1 BvR 2062/96; Bay.VGH, Beschluss vom
25.01.2006, 11 CS 05.1711, wonach bei gelegentlichem Konsum von Cannabis
und Fahren mit einer THC-Konzentration zwischen 1,0 ng/ml und 2,0 ng/ml ein
medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert wird; siehe auch OVG
Schleswig-Holstein, Beschluss vom 07.06.2005, 5 MB 49/05; OVG Hamburg,
Beschluss vom 15.12.2005, 3 BS 214/05; VGH Baden-Württemberg, Beschluss
vom 27.03.2006, 10 S 2519/05 und vom 15.11.2004, 10 S 2194/04, die ein
fehlendes Trennungsvermögen schon bei einem THC-Wert zwischen 1,0 ng/ml
und 2,0 ng/ml annehmen; siehe auch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
13.01.2004, 7 A 10206/03, wonach zusätzlich die Feststellung
cannabisbedingter Beeinträchtigungen erforderlich sei; alle Entscheidungen
zitiert nach juris
Im vorliegenden Fall erreichte der Antragsteller eine THC-Konzentration von 2,0 ng/ml, bei
der sich ausweislich einer gutachterlichen Stellungnahme, die dem OVG Rheinland-Pfalz
(a.a.O.) vorlag, immerhin bei circa 50 % der Cannabiskonsumenten Beeinträchtigungen
feststellen ließen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller einräumte, „von
Zeit zu Zeit“ einen Joint zu rauchen. Hinzu tritt der Umstand, dass der Antragsteller sein
Eingeständnis, gelegentlich Cannabis zu konsumieren, zwar mit der Behauptung zu
relativieren versucht hat, „Auto würde er dann nicht fahren“, diese angebliche Einstellung
aber dadurch konterkariert wird, dass er am 22.10.2006 unmittelbar zu Beginn einer Fahrt
mit dem Auto am Steuer einen Joint rauchend, angetroffen worden ist (vgl. den
polizeilichen Vermerk vom 18.11.2006, Bl. 2 VA). Angesichts der festgestellten THC-
Konzentration spricht überdies einiges dafür, dass der Antragsteller entgegen seinen
Angaben mehr als einen Zug von dem Joint geraucht hat. Diese Umstände rechtfertigen die
Annahme, dass er nicht in der Lage ist, zwischen Konsum und Fahren zu trennen, was
aber für die Bejahung seiner Fahreignung bei gelegentlichem Konsum von Cannabis nach
Nr. 9.2.2. der Anlage zur FeV unerlässlich ist. Nach der Bewertung der Anlage 4 zur FeV ist
er daher nicht als fahrgeeignet anzusehen. Bei dieser Sachlage war der Antragsgegner
nach § 11 Abs. 7 FeV nicht verpflichtet, vor der Entziehung der Fahrerlaubnis die
Beinbringung weiterer Gutachten bezüglich des Antragstellers anzuordnen.
Nach summarischer Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren besteht allein aufgrund
der Erklärung des Antragstellers, seit dem 22.10.2006 kein Cannabis mehr konsumiert zu
haben, und seiner erklärten Bereitschaft, sich regelmäßig einem Drogen-Screening zu
unterziehen, keine Veranlassung anzunehmen, er könnte seine Fahreignung
zwischenzeitlich wieder erlangt haben. Diesen Umständen ist vielmehr im Rahmen des
Wiedererteilungsverfahrens Rechnung zu tragen.
Die Anhängigkeit eines Bußgeldverfahrens hinderte den Antragsgegner nicht an der
Einleitung des Entziehungsverfahrens, da beide Verfahren unterschiedliche Zielrichtungen
verfolgen. Während in dem Bußgeldverfahren der erfolgte Verstoß geahndet werden soll,
geht es in dem Verfahren auf Entziehung der Fahrerlaubnis darum, eine zukünftig
bestehende Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Dies folgt auch im Umkehrschluss
aus der Tatsache, dass in § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG nur die Anhängigkeit eines
Strafverfahrens als Hinderungsgrund bestimmt wird und auch nur insoweit, als dort ein
Entzug der Fahrerlaubnis in Betracht kommt, was im Bußgeldverfahren, in dem allenfalls
ein Fahrverbot verhängt werden kann, nicht der Fall ist. In jedem Fall hat die
Fahrerlaubnisbehörde - auch bei Anhängigkeit eines Bußgeldverfahrens - gerade die Eignung
des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen, die im Bußgeldverfahren nicht
geprüft wird, in eigener Zuständigkeit zu prüfen.
Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.12.2006, 1 W 55/06, m.w.N. zur
Rechtsprechung,
Ebenso wenig ist es entscheidungserheblich, dass die Staatsanwaltschaft Saarbrücken das
gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsverfahren eingestellt hat (vgl. Schreiben vom
31.01.2007). Dieser Umstand mag darauf beruhen, dass beim Antragsteller ein
Eigenkonsum vorgelegen hat, der Anlass zum Absehen von Verfolgung gegeben haben
mag (vgl. § 31 a Abs. 1 BtMG).
Ist demnach der Antragsgegner mit großer Wahrscheinlichkeit zu Recht von der fehlenden
Eignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges ausgegangen, erweist sich
dementsprechend die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist daher angesichts der hohen Bedeutung der
Sicherheit des Straßenverkehrs unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr
gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr.
46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 2005, 1525).