Urteil des VG Saarlouis vom 11.03.2011

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VG Saarlouis Urteil vom 11.3.2011, 3 K 458/09
Leitsätze
Nach dem Gesetzeszweck kommen Unterhaltsvorschussleistungen nach dem UVG allein
für den Elternteil in Betracht, der Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen
muss.
Rechtsmittel-AZ: 3 D 137/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin bezog in der Zeit vom 01.04.2007 bis zum 31.12.2007 für ihren Sohn vom
Beklagten laufend Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von insgesamt 1.131,- EUR. Am
17.12.2007 erlangte der Beklagte über den Kriminaldienst Kenntnis davon, dass die
Klägerin und der Kindesvater in der Zeit der Gewährung der Unterhaltsvorschussleistungen
nie getrennt gelebt haben. Diesbezüglich sei ein Ermittlungsverfahren wegen Sozialbetrugs
von der ARGE eingeleitet worden, die ihrerseits im Wege eines sozialgerichtlichen
Verfahrens Zahlungen zurückverlange.
Mit Bescheid vom 21.07.2008 nahm der Beklagte seine Bescheide vom 20.04.2007,
15.06.2007 und vom 29.11.2007 zurück und verlangte die von der Klägerin erlangten
Leistungen in Höhe von 1.131,- EUR abzüglich eines zwischenzeitlich erfolgten
Erstattungsbetrages in Höhe von 105,- EUR, also insgesamt noch 1.026,- EUR zurück, da
gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG dem Kind der Klägerin zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf
diese UVG-Leistung zugestanden habe.
Den gegen diesen Bescheid am 11.08.2008 erhobenen Widerspruch begründete die
Klägerin damit, der Sachverhalt stimme nicht ganz. Grundsätzlich sei richtig, dass der
Kindsvater sich in dem streitgegenständlichen Zeitraum fast täglich in ihrer Wohnung
aufgehalten habe. Gemeldet sei er jedoch in W. gewesen, wo er auch gewohnt habe. In
ihrer Wohnung habe sich der Kindsvater überwiegend aufgehalten, um das Umgangsrecht
mit seinem Sohn auszuüben oder gemeinsam seinen Vater zu pflegen, dessen Betreuer er
auch gewesen sei. Er habe sich daher auch oft in der Unterkunft seines Vaters aufgehalten
und gelegentlich auch dort - aber auch in ihrer Wohnung - übernachtet. Sie hätten jedoch
getrennt gewirtschaftet und in der Zeit nicht in einem eheähnlichen Verhältnis gelebt.
Der Kreisrechtsausschuss des Landkreises wies den Widerspruch durch
Widerspruchsbescheid vom 30.04.2009 zurück. Zur Begründung ist ausgeführt,
Rechtsgrundlage für die Einstellung und die Rückforderung der
Unterhaltsvorschussleistungen seien die §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 3
UVG. Die Klägerin habe im Leistungszeitraum mit dem Kindesvater zusammengelebt. Nach
Sinn und Zweck der Regelung sei der Begriff des Zusammenlebens i.S.d. § 1 Abs. 3 UVG
weit auszulegen und setze nicht voraus, dass eine sogenannte eheähnliche Lebens- oder
Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft oder eine gegenseitige Verantwortungs- oder
Einstehensgemeinschaft bestehe. Vielmehr ergebe sich aus dem Gesetzeszweck, dass
diese Sozialleistung nur für Kinder derjenigen Elternteile erfolgen solle, die Alltag und
Erziehung auf sich gestellt bewältigen müssten. Ferner lasse sich der Begründung der
Fassung des § 1 Abs. 3 UVG im maßgebenden Ausschussbericht des § 1 Abs. 3 UVG
folgendes entnehmen: „Diese im Entwurf enthaltene Ausschlussvorschrift wurde erweitert
1. um den Fall, dass der alleinstehende Elternteil mit dem anderen Elternteil
zusammenlebt, ohne mit diesem verheiratet zu sein und 2. um den Fall, dass er nicht die
für Durchführung des Gesetzes erforderlichen Auskünfte erteilt. Die erste Erweiterung ist
erforderlich, weil in diesem Fall – trotz förmlichen Alleinstehens des den Berechtigten
betreuenden Elternteils – faktisch eine vollständige Familie vorhanden ist.“. Davon
ausgehend sei bei der Auslegung des Begriffes des Zusammenlebens im Sinne von § 1
Abs. 3 UVG entscheidend darauf abzustellen, ob die Eltern eines Kindes nur in der Weise
Kontakt haben, die eher der Situation eines alleinstehenden Elternteils entspreche oder ob
unter Berücksichtigung der verschiedenen Formen familiären Zusammenlebens eher von
einer faktisch vollständigen Familie auszugehen sei. Aufgrund der Einlassung der Klägerin
sei vorliegend von einem Zusammenleben im Sinne von § 1 Abs. 3 UVG auszugehen. Die
Klägerin habe selbst angegeben, dass der Kindesvater sich im maßgeblichen Zeitraum fast
täglich in ihrer Wohnung zur Ausübung des Umgangsrechtes mit seinem Sohn aufgehalten
und auch bei ihr übernachtet habe. Dass der Kindesvater daneben noch eine andere
Wohnung inne gehabt habe und dort auch gemeldet gewesen sei, schließe das
Zusammenleben in o. g. Sinne ebenso wenig aus, wie der Umstand, dass er die Wohnung
der Klägerin für die Pflege seines Vaters, zu dessen Betreuer er bestellt worden sei,
vorübergehend verlassen und gelegentlich auch bei seinem Vater übernachtet habe. Von
einer „Alleinerziehung“ des Kindes könne hier nicht mehr ausgegangen werden. Der
Kindesvater habe vielmehr Mitbetreuung und Fürsorge für das Kind ausgeübt, so dass
faktisch eine vollständige Familie vorhanden gewesen sei. Die Klägerin habe die Zahlung
der Unterhaltsvorschussleisten im maßgeblichen Zeitraum zumindest fahrlässig verursacht,
indem sie falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht habe und nicht auf das
Zusammenleben mit dem Kindesvater hingewiesen habe. Der Klägerin sei bereits mit den
Antragsunterlagen ein Merkblatt zum Unterhaltsvorschussgesetz und Erläuterungen zum
Ausfüllen des Antrages ausgehändigt worden. Das Merkblatt enthalte einen ausführlichen
Hinweis darauf, dass der Anspruch ausgeschlossen sei, wenn beide Elternteile in häuslicher
Gemeinschaft miteinander lebten, gleich, ob sie miteinander verheiratet seien oder nicht.
Die Klägerin habe auch ausdrücklich die Entgegennahme des Merkblattes bestätigt. Die
Klägerin habe die zu Unrecht geleisteten Unterhaltsvorschusszahlungen
entgegengenommen und behalten, obwohl sie habe wissen können und müssen, dass die
Voraussetzungen für die Zahlung dieser Leistungen von vorneherein nicht vorgelegen
hätten. Der Beklagte habe daher zu Recht die zu Unrecht erlangten Leistungen
zurückgefordert.
Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin eigenen Angaben zufolge am 13.05.2009
zugestellt.
Am 18.05.2009 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung macht sie geltend, ihre Aussage bei der Polizei widerrufen zu haben, weil
diese unter dubiosen Umständen zustande gekommen sei. Ergänzend trägt sie vor, im
streitgegenständlichen Zeitraum habe sie nicht mit dem Kindesvater zusammengelebt.
Dieser sei in die B.-R.-Straße 25 in W. umgezogen und habe auch dort seinen
Lebensmittelpunkt gehabt. Sie habe weiter in der K.-Straße in der 5. Etage gewohnt und
dort alleine und ohne fremde Hilfe ihre Tochter und ihren Sohn versorgt und erzogen. Der
Vater des Kindesvaters sei in dessen Appartement in der 6. Etage oder in ihrer Wohnung
zusammen von ihr und dem Kindesvater gepflegt worden. Private Gründe hätten den
Kindesvater veranlasst, sich eine eigene Wohnung zu nehmen und das vorherige
Zusammenleben aufzugeben. Der Umstand, dass der Energieversorger ihr ab 1.12.2007
wegen ihrer Schulden die Energielieferung für die Wohnung versagt habe und der Tod des
Vaters des Kindesvaters (am 7.8.2007) seien die Gründe gewesen, weshalb der
Kindesvater zum 01.12.2007 wieder zu ihr gezogen sei. Es habe daher keine
Bedarfsgemeinschaft zwischen ihr und dem Kindesvater bestanden; jeder habe für sich
alleine gewirtschaftet. Darüber hinaus verwies sie darauf, durch die ARGE zur Beantragung
der UVG-Leistungen gedrängt worden zu sein. Sie habe keinen finanziellen Vorteil gehabt,
weil die ARGE ihr die UVG-Leistungen als Einkommen angerechnet habe. Weiterhin regte
sie einen Ausgleich zwischen ARGE und UVG-Kasse an, da sie im Falle einer Rückzahlung
der UVG-Leistungen einen Anspruch gegen die ARGE auf Nachzahlung des jeweils
einbehaltenen Betrages habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.07.2008 und den
Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 30.04.2009
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bekräftigt der Beklagte, die Ausführungen insbesondere des
Widerspruchsbescheides teils wiederholend, teils ergänzend, dass es für ein
Zusammenleben i.S.d. § 1 Abs. 3 UVG nicht auf das Bestehen einer eheähnlichen
Gemeinschaft ankommt. Es genüge, wenn aufgrund der häufigen Anwesenheit des
anderen Elternteils und der Betreuung durch ihn faktisch eine vollständige Familie
vorhanden sei. Dies sei hier aber der Fall gewesen, so dass der Anspruch auf
Unterhaltsvorschussleistungen ausgeschlossen gewesen sei.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 14.10.2010 einen Antrag der Klägerin auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen; die gegen
diesen Beschluss von der Klägerin erhobene Beschwerde wurde vom OVG des Saarlandes
mit Beschluss vom 06.01.2011 -3 D 137/10- zurückgewiesen, wobei zur Begründung
ebenfalls auf die fehlende Erfolgsaussicht der Klage verwiesen wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten und des
Kreisrechtsausschusses. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Anfechtungsklage ist gemäß §§ 40, 42 Abs. 1, 68 ff. VwGO zulässig, aber
unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 21.07.2008 und der Widerspruchsbescheid vom
30.04.2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs.
1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat die in der Zeit vom 01.04.2007 bis 31.12.2007 für ihr
Kind von der Beklagten erbrachten Unterhaltsvorschussleistungen gemäß § 5 Abs. 1 UVG
zu erstatten, da die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistungen in diesem
Zeitraum nicht vorgelegen haben und die Klägerin dies gewusst oder infolge Fahrlässigkeit
nicht gewusst hat (vgl. §§ 1 Abs. 3, 1. Alt., 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist davon auszugehen, dass in den genannten
Kalendermonaten der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3, 1. Alt. UVG gegeben war.
Nach § 1 Abs. 2 UVG in der hier anzuwendenden Fassung vom 17.07.2007 hat Anspruch
auf Unterhaltsvorschuss, wer das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im
Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder
geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt und nicht oder nicht
regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil erhält. Nach § 1 Abs. 3 UVG besteht ein
solcher Anspruch jedoch nicht, wenn der ledige Elternteil mit dem anderen Elternteil
zusammenlebt.
Ein solches Zusammenleben der Klägerin mit dem Vater des Kindes ist für die hier
streitigen Monate April bis November 2007 gegeben.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf die Ausführungen im
Ausgangs- und Widerspruchsbescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO), im Beschluss der Kammer
vom 14.10.2010 -11 K 458/09-, mit dem der Antrag der Klägerin auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde und im Beschluss des OVG des Saarlandes vom
06.01.2011 -3 D 137/10-, mit dem die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der
Kammer vom 14.10.2010 zurückgewiesen wurde.
An den dort gemachten Ausführungen wird auch nach dem Ergebnis der mündlichen
Verhandlung festgehalten. Letztlich ist entscheidend, dass die Klägerin in ihrem selbst
verfassten Widerspruchsschreiben vom 11.08.2008 ausgeführt hat, dass sich der
Kindsvater im streitigen Zeitraum "natürlich fast täglich in meiner Wohnung aufgehalten
hatte". In ihrer Wohnung habe sich der Kindsvater überwiegend aufgehalten "um
Umgangsrecht mit seinem Sohn auszuüben.". Damit hat die Klägerin dargelegt, dass sie
und der Kindsvater in einer Weise Kontakt hatten, die (eher) einer vollständigen Familie
entspricht. Dabei spricht mit Gewicht für die Richtigkeit dieser Angaben, dass diese in
relativ engem zeitlichen Zusammenhang zum streitigen Zeitraum erfolgten und gerade
auch in Ansehung des von der Klägerin "widerrufenen" und den Beteiligten bekannten
polizeilichen Protokolls vom 25.06.2008, in dem diese umfängliche Angaben zu ihren
persönlichen Lebensverhältnissen einschließlich der Verbindung zu dem Vater ihres Kindes
gemacht hat, gemacht worden sind. An diesen Angaben in der Widerspruchsbegründung
ist die Klägerin festzuhalten, zumal sie diese im Verlauf des Widerspruchsverfahrens mit
Schreiben vom 08.10.2008 nochmals bestätigte ("…natürlich war Herr ... fast täglich mit
seinem/unseren Sohn zusammen…"). Diese Schilderungen sowie die seitens des
Bevollmächtigten der Klägerin und Kindsvaters in der mündlichen Verhandlung gemachten
Angaben zum Ablauf des täglichen Lebens mit der Klägerin und dem gemeinsamen Kind
lassen jedenfalls nicht den Schluss darauf zu, dass im Falle der Klägerin die Situation eines
Elternteils vorliegt, der Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen muss und für
den nach dem Gesetzeszweck allein Unterhaltsvorschussleistungen in Betracht kommen.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, §§ 708
Nr. 11, 711 ZPO.