Urteil des VG Saarlouis vom 23.03.2011

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VG Saarlouis Beschluß vom 23.3.2011, 1 L 82/11
Rechtsschutz eines Dritten gegen einen für ihn nachteiligen Verwaltungsakt, der von dem
durch diesen belasteten Adressaten nicht angegriffen wird.
Leitsätze
Kommt der streitigen Regelung im verwaltungsgerichtlich maßgeblichen Verhältnis der
Behörde zu den beteiligten belasteten privaten Dritten auf Grund der verbindlichen
Erklärung der Behörde, sie messe dem Widerspruch aufschiebende Wirkung bei,
gegenwärtig keine Wirksamkeit zu, ist die Inanspruchnahme einstweiligen gerichtlichen
Rechtsschutzes nicht geboten.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der
Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 65.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antrag des Antragstellers,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens betreffend die
Zulässigkeit der Phantasiebezeichnung „Marsecco“ bei der
Vermarktung von italienischem IGT-Perlwein in Deutschland, den Ab-
und Weiterverkauf des Perlweins „Vino Frizzante, IGT delle Venezie,
Marzemino“ mit der Phantasiebezeichnung „Marsecco“ nach
Maßgabe des Schreibens der Antragsgegnerin vom 04.10.2010 zu
dulden,
hat keinen Erfolg.
1.)
Der Antragsteller mit Sitz in Hamburg vermarktet den in Italien für den deutschen Markt
hergestellten streitigen Perlwein unter diversen Los-Nummern. Unter dem 13.07.2010
wurde ihm von der für ihn zuständigen Behörde der Freien und Hansestadt Hamburg
wegen als geringfügig eingestufter Kennzeichnungsmängel eine Ausnahmegenehmigung
nach dem Weingesetz für bestimmte Los-Nummern, unter anderem für die Los-Nr. L 09-
252 (480 Flaschen à 0,75 l), erteilt.
Von der Ausnahmegenehmigung erfasste Los-Nummern hat der Antragsteller an die
Beigeladene verkauft, die den Wein vermarktet.
Die Antragsgegnerin hat die Beigeladene am 23.08.2010 auf Grund einer Probe vom
28.04.2010 darüber belehrt, dass der Wein mit der Los-Nr.: L 09-252 über die
Kennzeichnungsmängel der Ausnahmegenehmigung hinaus zur Irreführung geeignet sei,
weil der vorliegende Perlwein einen Restzuckergehalt von 32 g/Liter habe und die
Bezeichnung „Marsecco“ trage. In diesem Begriff sei die Bezeichnung „Secco“ enthalten,
die als Geschmacksangabe für einen italienischen Perlwein IGT delle Venezie zugelassen
sei, wenn der Restzuckergehalt zwischen 0 und 15 g/ Liter betrage.
Nach einer Intervention des Antragstellers erklärte die Antragsgegnerin unter dem
04.10.2010:
„Bezugnehmend auf Ihre Erläuterungen möchten wir sie darauf
hinweisen, dass unsere Belehrung vom 23.08.2010 nicht als
Verkaufsverbot zu verstehen ist. Einem Abverkauf der an Lager
befindlichen Ware mit der bestehenden Ausnahmegenehmigung aus
Hamburg steht (stand) aus Sicht der Weinüberwachung nichts im
Wege, da die Erteilung einer Belehrung als durchaus übliche
Maßnahme angesehen wird.“
Mit Datum vom 20.12.2010 verfügte die Antragsgegnerin gegenüber der Beigeladenen,
dass der Wein mit der Los-Nr.: L 09-252 wegen seines Restzuckergehalt von 32 g/Liter
und der Bezeichnung „Marsecco“ irreführend gekennzeichnet und somit nicht verkehrsfähig
sei, er dürfe weder in Verkehr gebracht, eingeführt oder ausgeführt oder beworben
werden.
Die Beigeladene hat keinen Rechtsbehelf gegen die Anordnung ergriffen. Der Antragsteller
hat fristgerecht gegen die Verfügung Widerspruch erhoben und um einstweiligen
gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Zu seinem Ziel erklärte er: „Mit dem vorliegenden
einstweiligen Anordnungsantrag soll der auf der Grundlage des Schreibens der
Antragsgegnerin vom 04.10.2010 bestehende Rechtszustand aufrecht erhalten werden.“
2.)
Der Antragsteller hat kein schützenwertes Interesse an einer Entscheidung außerhalb eines
Verfahrens zur Hauptsache. Die Antragsgegnerin hat von einer Anordnung der sofortigen
Vollziehung der Verfügung vom 20.12.2010 abgesehen und misst seinem Widerspruch
aufschiebende Wirkung zu. Damit droht gegenwärtig keine Verwaltungsvollstreckung. Dass
die durch den Verwaltungsakt im Sinne des § 80 VwGO belastete Beigeladene die
aufschiebende Wirkung leugnet, ist ebenso wie die Frage, ob der Antragsteller tatsächlich
durch das Handeln der Antragsgegnerin in eigenen Rechten verletzt ist und vorläufig
Rechtsschutz nach § 80 VwGO erlangen kann bzw. sonst nach § 123 VwGO der
Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet oder ihm völlig versperrt ist,
vgl. BVerwG, Urteile vom 23.01.1992 - 3 C 33/89 -, BVerwGE 89,
320 (Anspruch auf Widerruf einer Erklärung); 10.09.1992 - 3 C
19/90 BVerwGE 91, 1 (Unzumutbarkeit des Abwartens einer
entsprechenden Verbotsverfügung); 23.05.2002 - 3 C 28/01 -,
NVwZ 2003, 354 („Darüber hinaus hat die Klägerin auch ein
berechtigtes Interesse daran, sich von dem Vorwurf, nicht
verkehrsfähige weinhaltige Produkte vertrieben zu haben, zu
exculpieren, da hierdurch die Geschäftsbeziehung zu der Ladenkette
der Firma L. erheblich gestört worden ist.“); Beschluss vom
05.02.2010 - 3 B 60/097 -, juris, unter Bezug auf OVG Rheinland-
Pfalz, Urteil vom 07.10.1986 - A 48/86 -, NVwZ 1987, 425 (Ein
Bescheid kann einen Dritten allein wegen seiner Begründung in seinen
Rechten verletzen, sofern dieser Dritte die Begründung als
diskriminierend ansehen oder infolge der Begründung mit mittelbaren
beruflichen Nachteilen rechnen muss.); OVG Nordrhein - Westfalen,
Beschlüsse vom 12.10.2010 - 13 A 567/10 -, juris; 26.10.2010 - 13
A 637/10 -, juris (Es bleibt offen, ob die Lieferantin eines
Lebensmittels als Nichtadressatin einer dieses Lebensmittel
betreffenden, aber gegen einen anderen an der Lebensmittelkette
beteiligten Unternehmer gerichteten Ordnungsverfügung klagebefugt
ist. Die Feststellungsklage ist unzulässig, wenn sich die Behörde
gegenüber der Lieferantin als Nichtadressatin einer
lebensmittelrechtlichen Ordnungsverfügung weder irgendwelcher
verwaltungsrechtlicher Eingriffsbefugnisse berühmt noch die
Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen sie angedroht hat.); VGH
Hessen Beschluss vom 10.11.1995 - 14 TH 2919/94 -, DVBl 1996,
573 („dass der nicht an sie gerichtete Verwaltungsakt von ihnen
auch nicht angefochten werden kann; und zwar selbst dann nicht,
wenn die mittelbare Wirkung des Verwaltungsaktes für Dritte, die mit
dessen Adressaten in privat-rechtlichen Geschäftsbeziehungen
stehen und Eigentümer betroffener Sachen sind, eine wirtschaftliche
Existenzbedrohung begründen kann“)
unerheblich, da der streitigen Regelung im verwaltungsgerichtlich maßgeblichen Verhältnis
der Behörde zu den beteiligten belasteten privaten Dritten auf Grund der verbindlichen
Erklärung der Antragsgegnerin, sie messe dem Widerspruch aufschiebende Wirkung bei,
gegenwärtig keine Wirksamkeit zukommt. Damit steht verwaltungsrechtlich einem dem
Inhalt des Schreibens vom 04.10.2010 entsprechenden Abverkauf nichts entgegen. Die
Inanspruchnahme einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes ist nicht geboten.
3.)
Soweit die Antragsgegnerin bereits vor Antragstellung den Vorgang der Staatsanwaltschaft
Saarbrücken zugeleitet hat, hat dieses einstweilige Rechtsschutzverfahren keinen Einfluss
auf den Ausgang des gegen den Geschäftsführer der Beigeladenen geführten
Ermittlungsverfahrens.
4.)
Die Erteilung einer vorläufigen Ausnahmegenehmigung bezüglich der Bezeichnung „secco“
auf einen Antrag des Antragstellers durch die Antragsgegnerin kommt mangels örtlicher
Zuständigkeit nicht in Betracht und ist daher in diesem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nicht in den Blick zu nehmen.
Dies gilt auch bezüglich eines einstweiligen vorbeugenden Feststellungsbegehrens. Soweit
die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin begründet ist, stünde dem wegen der
getroffenen Anordnung vom 20.12.2010 nunmehr § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen,
wonach eine Feststellung nicht begehrt werden kann, wenn der Betroffene seine Rechte
durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können.
vgl. VG Trier, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 650/09.TR -, juris, wo es
auch heißt: „Zwar ist das Wort "Secco" aus dem italienischen Wort
"Prosecco" entnommen, das den Namen einer alten Rebsorte aus
Venetien/Italien bezeichnet und mit dem italienischen Adjektiv secco
(trocken) nichts zu tun hat.“
Nach Anhörung des Antragstellers ist der Antrag daher zurückzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladenen,
deren Antrag durch diese Entscheidung entsprochen wird, wird Erstattung ihrer
außergerichtlichen Kosten gewährt, da sie ein Kostenrisiko übernommen hatte, § 154 Abs.
3 VwGO.
III.
Der Streitwert wird, da lediglich eine einstweilige Regelung in Bezug auf eine Teilfrage
Gegenstand des Verfahrens ist, in Höhe eines Viertels des vom Antragsteller wegen des
Vorgehens der Antragsgegnerin befürchteten und bezifferten entgangenen Gewinns
festgesetzt, §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3, 63 Abs. 2 GKG.