Urteil des VG Saarlouis vom 21.02.2011

VG Saarlouis: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, körperliche unversehrtheit, cocain, entziehung, vollziehung, betäubungsmittel, androhung, blutprobe, fahrzeug, fahreignung

VG Saarlouis Beschluß vom 21.2.2011, 10 L 67/11
Entziehung der Fahrerlaubnis; Fahreignung; Cocain; Einwand der unbewußten Einnahme
Leitsätze
Einzelfall eines erfolgten Eilrechtschutzantrages gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert beträgt 2.500.- Euro.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom
26.01.2011 gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom
20.01.2011, durch den die Fahrerlaubnis des Antragstellers entzogen und diesem unter
Androhung von Verwaltungszwang die Abgabe des Führerscheins innerhalb einer Woche
nach Zustellung des Bescheides aufgegeben wurde, ist zulässig, insbesondere statthaft
gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 VwGO i.V.m. § 20 AGVwGO, hat aber in der
Sache keinen Erfolg.
Zunächst hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem
angefochtenen Bescheid damit begründet, dass angesichts der großen Gefahren, die durch
die Teilnahme von ungeeigneten Kraftfahrern im Straßenverkehr für die körperliche
Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer ausgingen, das private Interesse des
Antragstellers, selbst für den Fall, dass es um seine berufliche Existenz gehe, hinter dem
Interesse der Öffentlichkeit an der unverzüglichen Gewährleistung der Sicherheit des
Straßenverkehrs zurücktreten müsse. Diese Darlegungen genügen noch den formalen
Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO, zumal in Fahrerlaubnissachen der vorliegenden Art
das öffentliche Interesse am Erlass der Entziehungsverfügung in aller Regel dem
besonderen öffentlichen Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung entspricht.
Die vom Gericht in der Sache zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet
sich danach, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen
behördlichen Verfügung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs
schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Im Rahmen dieser vom Gericht
vorzunehmenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu
berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in
der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem zum Entscheidungszeitpunkt
gegebenen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird; bei
offensichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs überwiegt demgegenüber regelmäßig
das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Dies zugrunde gelegt, kann der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs nicht beanspruchen, denn die Verfügung des Antragsgegners
erweist sich im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen
Überprüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis sind die §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46
Abs. 1 FeV. Danach ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet
oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2
FeV liegt eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen insbesondere vor, wenn
Erkrankungen oder Mängeln nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder
wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und
dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Gemäß Ziffer
9.1 der Anlage 4 ist im Fall der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des
Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) von einer fehlenden Eignung zum
Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der
Universität des Saarlandes vom 21.07.2010, dass im Rahmen der toxikologischen
Untersuchungen in der dem Antragsteller am 15.06.2010 entnommenen Blutprobe Werte
von 0,490 mg/l Benzoylecgonin (Cocain) und 0,110 mg/l Methylecgonin (Paracetamol)
festgestellt wurden. Da Cocain ein Betäubungsmittel im Sinne des
Betäubungsmittelgesetzes ist (vgl. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BTMG), liegen die
Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis im Fall des Antragstellers vor. Nach
der Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte rechtfertigt bereits der
einmalige Konsum sog. harter Drogen, zu denen Cocain gehört, im Regelfall die
Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Vgl. z.B. OVG des Saarlandes, Beschluss vom
30.03.2006, 1 B 8/06 m.w.N.; VG des Saarlandes,
Beschluss vom 01.04.2009, 10 L 158/09, m.w.N.
Danach beinhaltet Ziffer 9.1 der Anlage IV zur FeV den Erfahrungssatz, dass schon die
einmalige Einnahme von Cocain regelmäßig die Fahreignung ausschließt. Der Nachweis
einer Drogenabhängigkeit, eines regelmäßigen Konsums oder auch nur, bei gelegentlichem
Konsum, des Unvermögens zur Trennung von Drogenkonsum und Kraftfahrzeugführung
bedarf es daher nicht. Ebenso wenig kommt es auf die Höhe der festgestellten
Konzentration harter Drogen an. An diese normative Einschätzung sind die Behörden und
Gerichte gebunden, solange im Einzelfall keine Umstände vorliegen, die ausnahmsweise
eine andere Beurteilung rechtfertigen, die Regelannahme also entkräften können.
Derartige, die Regelannahme entkräftende Umstände sind vorliegend mit den
Erkenntnismöglichkeiten des Eilrechtsschutzverfahrens nicht feststellbar. Dies gilt
insbesondere auch für das Vorbringen des Antragstellers, dass er bewusst keine
Betäubungsmittel zu sich genommen habe und er sich die vom Gutachten festgestellte
Konzentration nur damit erklären könne, dass ihm Betäubungsmittel in ein Getränk
gemischt worden sei. Soweit der Antragsteller hierzu ausführt, in welchen Lokalitäten und
Gaststätten er sich am 14.06.2010 nach Beendigung seiner Arbeit in einer Gaststätte in
Z. gegen 15.30 Uhr bis nach 23.30 Uhr aufgehalten und welche Getränke er hierbei
konsumiert habe, so ist dieses Vorbringen schon nicht ansatzweise geeignet, glaubhaft zu
machen oder gar zu belegen, dass er die in seinem Blut festgestellte, laut Gutachten
vergleichsweise hohe Cocainkonzentration nicht bewusst eingenommen habe. Gegen die
behauptete unbewusste Zuführung des Cocains in einem Getränk spricht auch mit
Gewicht, dass nach den Erkenntnissen der Kammer der Konsum von Kokain meist durch
eine parenterale Applikation (als wässrige Lösung subkutan oder i.v. manchmal zusammen
mit einem Opiat („Speedball“), mittels einer nasalen Aufnahme (Schnupfen als Pulver,
„koksen“), durch oralen Gebrauch (Einreiben in das Zahnfleisch, Trinken von Kokawein,
Kauen von Kokapaste oder Kokablätter) und durch Inhalation des Rauchs in Form der freien
Base erfolgt.
Vgl. Daunderer, Klinische Toxikologie, 121.
Ergänzungslieferung 10/97, S. 3, unter
www.toxcenter.de/stoff-infos/c/cocain
Von daher erscheint es unwahrscheinlich, dass dem Antragsteller das Kokain ohne seine
Kenntnis beigebracht worden sein könnte.
Schließlich muss auch noch das Verhalten des Antragstellers anlässlich der
Verkehrskontrolle berücksichtigt werden. In dem Bericht der Polizeibezirksinspektion A-
Stadt vom 15.06.2010 ist ausgeführt, dass den Polizeibeamten am 15.06.2010 gegen
03.00 Uhr das Fahrzeug des Antragstellers aufgefallen sei, als dieser mit deutlich
überhöhter Geschwindigkeit die M.-straße in A-Stadt befahren habe. Den die Verfolgung
aufnehmenden Polizeibeamten sei es trotz starker Beschleunigung des Streifenwagens
nicht gelungen, zum Fahrzeug des Antragstellers aufzuschließen, das in den J. gesteuert
und dort von den Polizeibeamten aus den Augen verloren worden sei. Nachdem die
Polizeibeamten das vom Antragsteller bewohnte Anwesen in der A-Straße angefahren
hätten, sei ihnen der PkW des Antragstellers mit abgestelltem Licht in
Schrittgeschwindigkeit entgegen gekommen. Da der Antragsteller aufgrund ungewöhnlich
großer Pupillen und seines ausgesprochen nervösen und unruhigen Verhaltens der
Beeinflussung durch berauschende Mittel verdächtig gewesen sei, hätten die
Polizeibeamten einen Drogenvortest angeordnet. Dieser in der Regel nur zwischen 5 und
10 Minuten dauernde Test habe beim Antragsteller trotz mehrfacher Versuche in einem
Zeitraum von circa 35 Minuten nicht durchgeführt werden können, weil der Antragsteller
entgegen den Anweisungen und Hilfestellungen der Polizeibeamten den Teststreifen immer
wieder aus dem Mund herausgenommen bzw. nicht korrekt im Mund behalten habe. Erst
als die Beamten die Entnahme einer Blutprobe gegenüber dem Antragsteller angeordnet
hätten, habe dieser innerhalb 5 Minuten den Test korrekt ausgeführt. Dieses gesamte
Verhalten des Antragstellers spricht mit Gewicht dafür, dass er sich zunächst dem Zugriff
der Polizeibeamten entziehen und sodann die ordnungsgemäße Durchführung des
Drogenvortests hintertreiben wollte. Eine derartige Verhaltensweise macht aber nur dann
Sinn, wenn sich der Antragsteller der Einnahme berauschender Mittel bewusst war.
Nach alledem kann jedenfalls nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden
Eilrechtsschutzverfahrens nicht von einer unfreiwilligen Einnahme des Kokains durch den
Antragsteller ausgegangen werden.
Die Verpflichtung des Antragstellers zur Ablieferung des Führerscheins folgt aus den §§ 3
Abs. 2 StVG, 47 Abs. 1 FeV. Die Androhung von Verwaltungszwang sowie die
aufschiebend bedingte Festsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 19, 20 SVwVG. Die in
dem angefochtenen Bescheid überdies verhängte Verwaltungsgebühr folgt aus § 6 a Abs.
1 StVG i.V.m. Nr. 206 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr in der zur
Zeit geltenden Fassung und ist nach Maßgabe der hier zu treffenden Entscheidung nicht zu
beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Streitwert wird, wie in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes üblich, auf die Hälfte
des Hauptsachewertes und damit auf 2.500.- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2
GKG i.V.m. Ziffer 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der
Fassung vom 07./08.07.2004).