Urteil des VG Saarlouis vom 26.01.2010
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VG Saarlouis Urteil vom 26.1.2010, 2 K 273/09
Asylrechtliches Folgeverfahren: Abschiebungsverbot - keine allgemeine Gefährdung bei
Rückkehr nach Syrien wegen der Asylantragstellung; depressive Anpassungsstörung in
Syrien behandelbar
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergericht-lichen Kosten des Verfahrens
trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin, syrische Staatsangehörige christlicher Volkszugehörigkeit, begehrt im Wege
des Asylfolgeverfahrens erneut ihre Flüchtlingsanerkennung bzw. die Feststellung von
Abschiebungsverboten.
Mit Bescheid vom 23.08.2000 lehnte die Beklagte den ersten Antrag der Klägerin auf
Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte der
Klägerin die Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland an. Zur Begründung wurde
ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin, sie sei ein Verhältnis mit dem Chef des politischen
Geheimdienstes in El Hasake, bei dem sie als Reinemachefrau gearbeitet habe
eingegangen, sei nicht glaubhaft. Damit sei auch nicht glaubhaft, dass die Klägerin von
Familienangehörigen wegen Verletzung der Familienehre bedroht gewesen sei. Die
hiergegen gerichtete Klage wurde mit Urteil der damaligen 2. Kammer des
Verwaltungsgerichts vom 30.08.2001 -2 K 62/01.A- abgewiesen. Zur Begründung ist
ausgeführt, die Klägerin könne den Schutz des syrischen Staates in Anspruch nehmen,
sofern sie von ihrer christlichen Familie wegen des Verhältnisses mit einem Moslem
bedroht werde. Außerdem könne sich die Klägerin den Nachstellungen ihrer Familie durch
einen Umzug innerhalb Syriens entziehen. Im Übrigen spreche viel dafür, dass die Familie
der Klägerin kein Interesse mehr an ihrer Tötung habe, nachdem die Beziehung zu dem
Moslem beendet sei.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil wurde mit
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.06.2002 -3 Q 70/01-
zurückgewiesen.
Am 25.08.2008 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag. Zur Begründung trug sie vor, die
Sach- und Rechtslage habe sich zwischenzeitlich zugunsten der Klägerin geändert. Zudem
lägen neue Beweismittel vor, die eine für sie günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten.
Zunächst sei festzuhalten, dass am 01.01.2005 § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG in Kraft
getreten sei, wonach politische Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren – z.B. von
einem Familienclan – ausgehen könne. Weiter gehe die Rechtsprechung der 10. Kammer
des Verwaltungsgerichts unter Bezugnahme auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom
25.07.2007 an das VG Düsseldorf sowie vom 21.08.2006 an das VG Mainz mittlerweile
davon aus, dass in Syrien Fälle von Ehrenmorden bzw. Ehrenverbrechen vorkämen, wobei
sich in den meisten Fällen gewaltsame Maßnahmen gegen Frauen richteten. Anders als
Männern stünde Frauen regelmäßig eine inländische Fluchtalternative nicht zur Verfügung.
Insoweit werde auf Auskünfte der IGFM, Mord im Namen der Ehre zwischen Migration und
Tradition, Tellenbach: Ehrenmorde an Frauen in der arabischen Welt, Hamburg 2003,
Brocks, Gutachten vom 22.12.2006 an das VG Mainz sowie auf Hajo/Savelsberg,
Gutachten vom 18.03.2005 verwiesen. Im Gegensatz zu den im Erstverfahren
ergangenen Entscheidungen stehe nunmehr ausreichendes Informationsmaterial zur
Thematik der „Ehrenmorde“ in Syrien zur Verfügung. Das Vorbringen der Klägerin
Thematik der „Ehrenmorde“ in Syrien zur Verfügung. Das Vorbringen der Klägerin
hinsichtlich der Liebesbeziehung zu dem Geheimdienstchef sei auch glaubhaft. Die Klägerin
habe sich in dieser Sache nicht rational sondern emotional verhalten.
Der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde mit Bescheid der
Beklagten vom 25.02.2009 abgelehnt; zugleich wurde der Antrag auf Abänderung des
Bescheides vom 23.08.2000 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG in der jetzt
geltenden Fassung des § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG abgelehnt. Zur Begründung ist
ausgeführt, Wiederaufgreifensgründe im Sinne der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 – 3
VwVfG habe die Klägerin nicht dargetan. Weder läge eine Änderung der Sach- oder
Rechtslage vor, noch gebe es neue Beweismittel. Bei Familienstreitigkeiten gebe es in
Syrien zwar kaum einen effektiven staatlichen Schutz. Täter von Ehrverbrechen würden in
Syrien strafrechtlich privilegiert. Allerdings gehe die Beklagte weiter davon aus, dass es bei
Familien- oder Stammesstreitigkeiten durchaus Möglichkeiten gebe, sich in anderen Teilen
des Landes den Nachstellungen durch Familienangehörige zu entziehen, wobei in jedem Fall
die effektiven Möglichkeiten von unterschiedlichen Faktoren abhingen. Auf diese inländische
Ausweichmöglichkeit sei die Klägerin in dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom
30.08.2001 -2 K 62/01.A- verwiesen worden. Insofern führe weder die Einführung des §
60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG noch die differenzierte Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichts zur Frage der Schutzwilligkeit des syrischen Staates zur anderweitigen
Sichtweise im Fall der Klägerin. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht festgestellt,
dass die Familie der Klägerin heute überhaupt kein Interesse mehr an ihrer Tötung habe
und auch eine Fortsetzung der Beziehung nicht im Raum stehe. Das Vorbringen der
Klägerin sei von dem Bundesamt zudem im Erstverfahren als nicht glaubwürdig eingestuft
worden.
Gegen den am 26.02.2009 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid richtet sich die
am 09.03.2009 bei Gericht eingegangene Klage. Zur Begründung wiederholt die Klägerin
ihr Vorbringen, als Frau stehe ihr eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz
nach Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Syrien nicht zur Verfügung. Das Vorbringen der
Klägerin sei auch glaubwürdig, zumal sich das Verwaltungsgericht in dem Erstverfahren
den vom Bundesamt erhobenen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Klägerin nicht
angeschlossen habe. Zu ihrer Cousine in Latakia in Syrien könne die Klägerin nicht mehr
zurückkehren, weil ihre Eltern herausbekommen hätten, dass sich die Klägerin vor ihrer
Flucht dort aufgehalten habe und die Cousine nicht mehr bereit sei, sie wieder
aufzunehmen. Zwischenzeitlich sei bekannt geworden, dass in Deutschland erfolglos
gebliebene syrische Asylbewerber aufgrund ihrer Asylantragstellung bei Rückkehr in Syrien
inhaftiert und gefoltert worden seien.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.02.2009 zu
verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60
Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Syrien vorliegt,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2,
3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen,
weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60
Abs. 5, 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde mit Beschluss
der Kammer vom 21.04.2009 -2 L 279/09- zurückgewiesen.
Ein Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe blieb ohne Erfolg (Beschluss
der Kammer vom 16.07.2009).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte, der Akten 2 K 62/01.A und 2 L 279/09 sowie der beigezogenen
Verwaltungsunterlagen. Er war ebenso wie die in der Sitzungsniederschrift näher
bezeichneten Teile der Dokumentation Syrien Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.02.2009 ist im für die gerichtliche
Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG
nicht zu; ebenso wenig kann sie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG
beanspruchen.
Das Bundesamt der Beklagten hat die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu
Recht mit der Begründung abgelehnt, Wiederaufgreifensgründe im Sinne der §§ 71 Abs. 1
Satz 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 – 3 VwVfG lägen nicht vor. Insoweit kann gemäß § 77 Abs. 2
AsylVfG zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen
Bescheides sowie auf die Beschlüsse der Kammer vom 21.04.2009 -2 L 279/09- in dem
Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowie vom 16.07.2009 – Versagung
von Prozesskostenhilfe – Bezug genommen werden. Die mündliche Verhandlung hat keine
Erkenntnisse erbracht, die zu einer anderen Einschätzung führen könnten. Nach wie vor ist
tragend davon auszugehen, dass sich die Klägerin Nachstellungen durch ihre Familie durch
eine Wohnsitznahme an einem ausreichend entfernten Ort innerhalb Syriens entziehen
kann. Dabei kann sie ersichtlich – worauf bereits im Beschluss der Kammer vom
21.04.2009 – 2 L 279/09 – hingewiesen ist – auf die Unterstützung ihrer Cousine in
Latakia rechnen; Hilfestellung kann sie ersichtlich auch seitens ihres Bruders M erwarten,
der nach ihrer eigenen Einschätzung „mehr Verstand habe als die anderen“ und sie bereits
während des gemeinsamen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland wegen der
angeblichen Beziehung mit dem Geheimdienstchef nicht bedroht habe. Ist es der Klägerin
von daher entsprechend den Ausführungen des Gerichts in dem im Erstverfahren
ergangenen Urteil vom 30.08.2001 – 2 K 62/01.A – zumutbar, in Syrien an einem
anderem Ort als dem Wohnort ihrer Eltern zu leben, kommt es auf ihre subjektive
Vorstellung, „es gehe einfach nicht“, dass sie in Syrien allein lebe, nicht entscheidend an.
Eine Änderung der Sachlage ergibt sich im Fall der Klägerin auch nicht mit Blick auf ihren
Auslandsaufenthalt und das Betreiben eines Asylverfahrens. Zwar ist nach den neueren
Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes
vgl. ad-hoc Ergänzungsbericht zum Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage
in der arabischen Republik Syrien (Stand: Dezember 2009) vom 28.12.2009 sowie Bericht
über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der arabischen Republik Syrien (Stand:
Juni 2009) vom 09.07.2009, jeweils in Dok. Syrien
davon auszugehen, dass zurückgeführte Personen nach der Einreise in der Regel durch die
syrische Einwanderungsbehörde und die Sicherheitsdienste befragt werden. Dabei können
Betroffene nochmals zu einer Befragung einbestellt oder für die Dauer einer
Identitätsüberprüfung von den Einreisebehörden festgehalten werden. In drei Fällen sind
zudem Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekannt geworden.
Diese von dem Auswärtigen Amt beschriebenen Einzelfälle lassen jedoch nicht den Schluss
zu, dass nunmehr jeder syrische Staatsangehörige und damit auch die Klägerin bei
Rückkehr nach Syrien Gefahr läuft, von solchen – ggfs. mit asylerheblichen Weiterungen
verbundenen – Maßnahmen betroffen zu werden. Dagegen spricht, dass die Klägerin sich
politisch nie betätigt hat und deshalb nicht in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten
ist, weshalb ein auf ihre Person gerichteter Verdacht antisyrischer Betätigung fernliegt.
Schließlich ergibt sich weder aus dem fachärztlichen Attest des D. vom 10.01.2010 noch
aus der psychologischen Bescheinigung des Dipl.-Psychologen E vom 20.01.2010, dass die
Klägerin unter dem Aspekt einer erheblichen Gefahr für ihre Gesundheit (drohende
Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit aufgrund unzureichender oder nicht
erreichbarer Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat) die Feststellung eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen könnte. In dem –
knapp gefassten - fachärztlichen Attest ist eine „depressive Anpassungsstörung mit
reaktiven Zügen“ diagnostiziert, die mit einem Antidepressivum und unterstützenden
Gesprächen behandelt werde. Die Diagnose „Anpassungsstörung“ stellt auch der
behandelnde Psychologe E, der zudem von einer „umfassenden psychischen Störung“
spricht und daraus folgert, eine Rückkehr der Klägerin sei „aus therapeutischer Sicht“
ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer nicht festzustellen, dass der Klägerin bei
Rückkehr erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Zunächst ist zu sehen, dass die Klägerin
bei ihrer informatorischen Befragung durch das Gericht erklärt hat, sie sei ungeachtet der
vorgelegten Atteste arbeitsfähig und die im Vordergrund stehenden Angstgefühle
begleiteten sie schon seit ihrer Kindheit, was dafür spricht, dass jedenfalls keine erhebliche
Verschlechterung des Krankheitsbildes bei Rückkehr zu erwarten ist. Im Weiteren ist
festzuhalten, dass die medizinische Versorgung in Syrien im Grundsatz flächendeckend und
kostenfrei durch eine öffentliche Gesundheitsversorgung gewährleistet ist, auch wenn der
Standard in öffentlichen Kliniken nicht westlichen Maßstäben entspricht und Medikamente
häufig von den Patienten bezahlt werden müssen
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 09.07.2009 a.a.O., zur Behandelbarkeit
psychischer Erkrankungen vgl.auch Deutsche Botschaft Damaskus an VG Koblenz vom
22.01.2006 in Dok. Syrien.
Auf diese Behandlungsmöglichkeiten muss sich die Klägerin verweisen lassen.
Die Klage ist nach allem mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG
abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708
Nr. 11, 711 ZPO.