Urteil des VG Saarlouis vom 06.10.2006

VG Saarlouis: aufschiebende wirkung, befreiung, konkludentes verhalten, baulinie, gemeinde, bebauungsplan, nachbar, ruhezone, grundstück, bauarbeiten

VG Saarlouis Beschluß vom 6.10.2006, 5 F 24/06
Einstweiliger Rechtsschutz des Nachbarn gegen eine von einer Gemeinde erteilte
Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplanes.
Leitsätze
1. Die Erteilung einer Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplanes ist eine
bauaufsichtliche Zulassung des Vorhabens im Sinne von § 212 a Abs. 1 BauGB.
2. Bauaufsichtliche Maßnahmen zur Einstellung von Bauarbeiten können gleichwohl nur von
der Bauaufsichtsbehörde verlangt werden.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen
trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Bei dem bei der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts am 21.09.2006 gestellten
Antrag auf einstweilige Aufhebung des Befreiungsbescheids vom 20.07. 2006 bis zur
Entscheidung des Kreisrechtsausschusses über seinen Widerspruch verbunden mit der
Feststellung, dass ein Weiterbau der Carportanlage bis zur Entscheidung des
Rechtsausschusses nicht stattfinden darf, handelt es sich der Sache nach zu Einen um
einen gegen die Antragsgegnerin zu 1. gestellten Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen de Bescheid vom 20.07.2006 und
zum Anderen um einen gegen den Antragsgegner zu 2. gestellten Antrag auf
bauaufsichtliches Einschreiten.
Denn mit dem Bescheid vom 20.07.2006 hat die Antragsgegnerin zu 1. dem Beigeladenen
Befreiung erteilt wegen des Abweichens der Carportanlage von der festgesetzten vorderen
Baulinie“. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines
Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende
Wirkung. Dazu gehört auch die von der Gemeinde zu erteilende Abweichung von
Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 68 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 LBO 2004 i.V.m. § 31
Abs. 2 BauGB. Dementsprechend ist § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO einschlägig, demzufolge die
aufschiebende Wirkung in den durch Gesetz bestimmten Fällen entfällt.
Die im Rahmen dieses Verfahrens vorzunehmende summarische Überprüfung nach
Maßgabe der §§ 80 Abs. 3, 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO setzt für die begehrte
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs eine Verletzung der dem Schutz
des Antragstellers dienenden Rechte mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ voraus, die
bereits mit den Erkenntnismöglichkeiten des Eilrechtschutzverfahrens festgestellt werden
kann. Dieser Maßstab ergibt sich aus der in § 212 a BauGB enthaltenen Entscheidung des
Gesetzgebers, die aufschiebende Wirkung des Nachbarwiderspruches gegen die
bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens auszuschließen. Damit ist der Prüfungsrahmen
des Gerichts eng abgesteckt.
Im Falle der Nachbaranfechtung einer Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplans
nach § 68 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 LBO 2004 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB ist diese allein
daraufhin zu untersuchen, ob sie mit wehrfähigen Rechten gerade des Antragstellers
dieses Verfahrens zu vereinbaren ist. Hierbei sind allein diejenigen Vorschriften des
öffentlichen Rechts in den Blick zu nehmen, die durch die angefochtene Baugenehmigung
umgesetzt und gerade den Schutz des konkret um Rechtsschutz nachsuchenden
Nachbarn bezwecken sollen.
Welchen Vorschriften des Baurechts nachbarschützende Funktion zukommt, ist jeweils
nach Inhalt, Zweck und Wirkung der einzelnen Vorschrift darauf zu untersuchen, ob die
spezielle Norm zumindest auch den Schutz des Nachbarn bezweckt. Dabei ist
Zurückhaltung geboten und grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, um einer
Ausuferung in Richtung auf eine verdeckte Popularklage zu begegnen sowie den
verständlichen Bedürfnissen des Bauherrn nach Rechtssicherheit gerecht zu werden. Eine
besondere subjektive Rechtsstellung des Nachbarn kann nur dann anerkannt werden, wenn
der Kreis der geschützten Personen durch die Norm hinreichend klar gestellt wurde, wobei
zu fragen ist, ob die Vorschrift gerade darauf abzielt, Baumaßnahmen oder Nutzungen zu
verhindern, welche typischerweise das Nachbargrundstück schädigen oder gefährden. Ob
und gegebenenfalls in welchem Umfang das streitige Vorhaben mit den sonstigen
Rechtsvorschriften in Einklang steht, ist für das Verfahren ohne Bedeutung. Zum anderen
ergibt die Vorläufigkeit des Eilrechtsschutzverfahrens, dass das Gericht auf eine
summarische Überprüfung beschränkt ist.
Auf dieser Grundlage ist eine Verletzung öffentlich-rechtlich geschützter Nachbarrechte des
Antragstellers durch die erteilte Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten
vorderen Baulinie nicht nur nicht mit der erforderlichen „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“
zu erkennen, sondern als ausgesprochen fern liegend anzusehen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19.09.1986 (4 C 8.84 -, Buchholz
406.19 Nachbarschutz Nr. 71 = Baurecht 1987, 70 ) entschieden, dass § 31 Abs. 2
BauGB mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Funktion
hat. Dieses Urteil geht davon aus, dass bei einer fehlerhaften Befreiung von einer
nachbarschützenden
Abwehranspruch gegeben ist, dass also bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder
Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung
führen muss; das gilt auch für eine unzutreffende Beurteilung der "städtebaulichen
Vertretbarkeit" der Abweichung im Sinne von § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Hinsichtlich
nicht nachbarschützenden
Urteil vom 19.09.1986, dass auch eine fehlerhafte Befreiung von einer nicht
nachbarschützenden Festsetzung dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln kann,
wenn nämlich die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die vom Bauherrn
beantragte Befreiung nicht die gebotene Rücksicht auf die Interessen des Nachbarn
genommen hat. Zur Begründung seiner Rechtsauffassung hat sich der Senat auf den
Wortlaut und die Zielrichtung des § 31 Abs. 2 BauGB berufen, der nicht nur die
städtebauliche Ordnung - aus deren Verletzung der Nachbar keine eigenen Rechte herleiten
könnte -, sondern auch die individuellen Interessen des Nachbarn schützen wolle. Daraus
folgt, dass Drittschutz des Nachbarn bei einer rechtswidrigen Befreiung von einer nicht
nachbarschützenden Festsetzung (nur) besteht, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht
hinreichend berücksichtigt sind; alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese
und die auf ihr beruhende Baugenehmigung zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem
Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden.
Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist nach
den Maßstäben zu beurteilen, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden
Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat (BVerwG, Beschluss vom 8.7.1998 - 4 B 64.98
-, NVwZ-RR 1999, 8).
Die Festsetzung im Bebauungsplan, von der dem Beigeladenen Dispens erteilt wurde und
deren Verletzung der Antragsteller rügt, dienen nicht seinem Schutze.
Es ist grundsätzlich der Gemeinde überlassen, ob sie in einem Bebauungsplan eine
Festsetzung zum Schutze Dritter trifft (BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 - 4 C 28.91 -, BRS
55 Nr. 110). Ob einer Festsetzung im Bebauungsplan zum Maß der baulichen Nutzung und
zu den überbaubaren Grundstücksflächen nachbarschützende Wirkung zukommt, ist durch
Auslegung zu ermitteln. Anders als die Festsetzung der Nutzungsart, die wegen der mit
einer Durchbrechung der Festsetzung zutage tretenden Unverträglichkeit unterschiedlicher
Nutzungen in der Regel nachbarschützend ist, kann bei der Festsetzung der überbaubaren
Grundstücksfläche nachbarschützende Wirkung nur im Einzelfall vornehmlich aus den
Planungsabsichten im Zusammenhang mit den örtlichen Gegebenheiten geschlossen
werden, weil diese Festsetzungen in der Regel nicht zu einer besonderen "bau- und
bodenrechtlichen Schicksalgemeinschaft" (Austauschverhältnis) der Planbetroffenen
beitragen (OVG Lüneburg, Urteil vom 15.03.1979 - I A 178/76 -, BRS 35 Nr. 194).
Die Festsetzungen im Bebauungsplan über die überbaubaren Grundstücksflächen, zu
denen nach § 23 Abs. 2 BauNVO auch Baulinien gehören, die Bepflanzung, die Gestaltung
von Stellplätzen und Garagen als Außenanlagen bringen lediglich das städtebauliche
Konzept zum Ausdruck, lassen jedoch nicht erkennen, dass mit ihnen ein wechselseitiges
Austauschverhältnis begründet werden soll und sind dementsprechend grundsätzlich nicht
nachbarschützend (Hess. VGH, Beschluss vom 04.11.1991 - 4 TG 1610/91 -, BRS 52 Nr.
178).
Für den vorliegenden Fall gilt nichts anderes. Anhaltspunkte für die Annahme, die
Gemeinde habe die vordere Baulinie aus anderen als städtebaulichen Zwecken
ausgewiesen, vermag das Gericht nicht zu erkennen, weil nichts den Rückschluss auf die
vom Plangeber gewollte Schaffung eines nachbarrechtlichen Austauschverhältnisses
zulässt.
Liegt keine Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen vor, so ist die zugelassene
Abweichung von den Festsetzungen des Planes auch im Übrigen unter dem Blickwinkel des
Nachbarschutzes von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Lage und Größe des
genehmigten Baukörpers ist nämlich dem Antragsteller gegenüber nicht im Sinne der
Rechtsprechung rücksichtslos.
Das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen
Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht,
sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts. Im beplanten
Innenbereich ergibt sich das Rücksichtnahmegebot unmittelbar aus § 15 Abs. 1 BauNVO:
Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im
Einzelfall unzulässig, wenn sich nach Anzahl, Lage, Umfang oder
Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Sie sind auch
unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach
der Eigenart des Baugebietes im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung
unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen
ausgesetzt werden.
Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewähren.
Die dabei vorzunehmende Abwägung hat sich daran zu orientieren, was dem
Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage
der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des
Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je
verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so
weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.
Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu
schonen. Dagegen muss er es hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von einem legal
genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als
Vorbelastungen berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern (BVerwG, Urteil
vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175 und Hinweis auf die Urteile vom
25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 = BRS 32 Nr. 155, und vom 13.03.1981 -
4 C 1.78 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 44 = BauR 1987, 70 = BRS 38 Nr. 186).
Rücksichtnahme auf seine Interessen kann ein Nachbar nur insoweit verlangen, als er
selbst über eine schützenswerte Rechtsposition verfügt (OVG des Saarlandes, Beschluss
vom 08.09.2003 – 1 W 23/03 -). Eine solche Position erlangt er nicht schon und allein
dadurch, dass die auf seinem Grundstück verwirklichte Nutzung baurechtlich zulässig, das
auf einem anderen Grundstück genehmigte Vorhaben hingegen wegen einer Abweichung
von Vorschriften, die – wie die planerischen Festsetzungen über die überbaubaren
Grundstücksflächen – allein städtebaulichen Belangen Rechnung tragen sollen und nicht
unmittelbar drittschützend wirken, objektiv rechtswidrig ist (BVerwG, Urteil vom
28.10.1993 – 4 C 5.93 -, BRS 55 Nr. 168). Erforderlich ist vielmehr eine über bloße
Lästigkeiten und auch sonst im nachbarlichen Nebeneinander vorkommende Störungen
hinausgehende qualifizierte Betroffenheit des die Rücksichtnahme einfordernden
Nachbargrundstücks (BVerwG, Urteil vom 06.10.1989 – 4 C 14.87 -, BRS 49 Nr. 188, S.
437).
Der Antragsteller verfügt schon nicht über eine schützenswerte eigene Rechtsposition.
Denn wie sich ohne weiteres aus dem vorliegenden Katasterplan ergibt, hat er selbst sein
Wohnhaus nur zur Hälfte jener Baulinie errichtet, deren Einhaltung er vom Beigeladenen
verlangt. Die Vorderfront seiner Garage befindet sich mit einer Entfernung von etwa 14 m
sogar noch weiter hinter der Baulinie als das Vorhaben des Beigeladenen, das 10 m hinter
der Baulinie beginnen soll.
Auch die Regelung des § 47 Abs. 5 Satz 1 LBO 2004 (früher: § 50 Abs. 9 Satz 1 LBO
1996) verhilft dem Antrag nicht zum Erfolg. Nach dieser Vorschrift müssen Stellplätze und
Garagen so angeordnet und ausgeführt werden, dass ihre Benutzung die Gesundheit nicht
schädigt sowie das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung
durch Lärm, Abgase und Gerüche nicht über das zumutbare Maß hinaus stört.
Demgegenüber vermittelt Satz 2 ("Sie müssen unter Berücksichtigung eines
angemessenen Stauraumes auf möglichst kurzem Weg von den öffentlichen
Verkehrsflächen aus verkehrssicher zu erreichen sein."), auf den sich der Antragsteller
beruft, keinen unmittelbaren Nachbarschutz. Allerdings können Länge und Anordnung einer
Zufahrt im Rahmen der allgemeinen Regelung des Satzes 1 für die Beurteilung der
nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit einer Garage oder eines Stellplatzes von Bedeutung
sein (OVG des Saarlandes, Urteil vom 05.01.1994 - 2 R 23/93 -).
Nach der ständigen Rechtsprechung des OVG des Saarlandes ist davon auszugehen, dass
Garagen- oder Stellplatzemissionen heutzutage selbst in Wohnbereichen ähnlich wie das
Lärmen spielender Kinder oder die Geräusche von Rasenmähern gewissermaßen zu den
Alltagserscheinungen gehören und dort grundsätzlich hinzunehmen sind, soweit sie durch
die in dem Gebiet zur Deckung des Stellplatzbedarfs notwendigen Anlagen verursacht
werden. Deshalb sind die Auswirkungen einer Stellplatz- bzw. Garagenanlage, die aufgrund
der Stellplatzpflicht (§ 50 Abs. 1 und 2 LBO) als notwendiges „Zubehör“ zu einer auf dem
Grundstück statthaften (Haupt-) Bebauung errichtet wird, prinzipiell zu dulden. Je nach
Lage, Umfang und Situation kann allerdings ein Vorhaben, das den Rahmen des an sich
Erforderlichen nicht überschreitet, unzumutbare Nachbarbeeinträchtigungen hervorrufen;
umgekehrt besteht gleichermaßen die Möglichkeit, dass nach dem Ergebnis der - stets
gebotenen - Einzelfallbeurteilung eine dem Umfang nach über die notwendige Stellplatzzahl
hinausgehende Anlage keine erheblichen Auswirkungen auf das Nachbargrundstück hat
(OVG des Saarlandes, Urteil vom 27.09.1988 - 2 R 136/86 -, S. 9).
Nachbarrechtliche Abwehrrechte gegen Immissionen von Stellplätzen und Garagen, die der
Deckung eines entsprechenden Bedarfs einer zugelassenen Wohnnutzung dienen, kommen
nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände - insbesondere die Anordnung der
Anlagen - hinzutreten, die dazu führen, dass Nachbarn einem das Maß des regelmäßig
hinzunehmenden wesentlich übersteigenden "Mehr" an Belästigungen ausgesetzt sind (Vgl.
etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 19.01.1998 - 2 V 13/97 -).
Auch rückwärtige Freiflächen von Wohngrundstücken sind nicht von vornherein wegen einer
ihnen zukommenden Funktion als Ruhe- und Erholungszonen jeglicher Verwendung zur
Schaffung von notwendigen Fahrzeugabstellmöglichkeiten einer Wohnnutzung entzogen.
Erst eine Massierung von - in einem Falle 15 - Stellplätzen in dieser Ruhezone legt eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß gegen § 47 Abs. 5 LBO 2004 (früher: §
50 Abs. 9 LBO 1996 bzw. § 42 Abs. 7 LBO 1988) nahe (OVG des Saarlandes, Beschlüsse
vom 22.03.1995 - 2 W 4/95 -, vom 08.03.1995 2 W 2/95 - und vom 13.02.1996 - 2 W
57/95 -).
Ausgehend von diesen Maßstäben sind durch den vom Beigeladenen geplanten Carport
keine nicht mehr hinnehmbaren Störungen für das Wohnanwesen des Antragstellers zu
befürchten. Die Zufahrt zum Carport weist weder ein nennenswertes Gefälle noch sonstige
Besonderheiten auf, die - bei der typischen Nutzung des Carports für Wohnzwecke - einen
Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen § 47 Abs. 5 Satz 1 LBO 2004 geben könnte. Im
übrigen hat der Antragsteller selbst seine Garage im Bereich der hinteren rechten
Hausecke und damit der rückwärtigen Ruhezone errichtet. Um sie zu erreichen, mutet er
dem rechten Nachbarn eine längere Tourstrecke zu und bewirkt PKW-Emissionen, die tiefer
in die rückwärtige Ruhezone eindringen, als dies im Falle des Antragstellers zu erwarten ist.
Aus dem zusätzlichen Abstellen eines Wohnmobils ergeben sich keine beachtlichen
Sonderbelastungen.
Soweit der Antragsteller die Verpflichtung begehrt, dass die Bauarbeiten an dem Carport
eingestellt werden, ist dafür nicht die Gemeinde, sondern nach § 57 Abs. 1 und 2 i.V.m. §
59 Abs. 1 LBO 2004 allein die Untere Bauaufsichtsbehörde zuständig. Nach § 57 Abs. 2
LBO 2004 (= § 61 Abs. 2 LBO 1996) ist es Sache der Bauaufsichtsbehörde darüber zu
wachen, dass bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung, dem Abbruch
sowie der Instandhaltung und Instandsetzung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und
Einrichtungen die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften
erlassenen Anordnungen eingehalten werden; in Wahrung dieser Aufgaben kann (nur) die
Bauaufsichtsbehörde die "erforderlichen Maßnahmen" treffen. Im Falle der Nichtbeachtung
nachbarschützender Bestimmungen des öffentlichen Baurechts hat der betroffene Nachbar
vorbehaltlich eines individuellen Rechtsverlustes im Einzelfall
subjektiven Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber baurechtswidrigen
Anlagen und/oder deren Nutzung. Dieser Anspruch umfasst regelmäßig auch ein Recht auf
gegebenenfalls zwangsweise Realisierung entsprechender Anordnungen im Wege des
Verwaltungszwanges, im Einzelfall sogar unter Anwendung eines bestimmten
Zwangsmittels (OVG des Saarlandes, Urteil vom 12.12.1986 - 2 R 144/86 -, S. 12 unter
Hinweis auf die ständige Senatsrechtsprechung, z.B. Beschluss vom 08.09.1975 - II W
40/75 -, AS 14, 214 = BRS 29 Nr. 142, und Urteil vom 22.10.1982 - 2 R 209/81 -, AS
19, 129 = NVwZ 1983, 685; ebenso Beschlüsse vom 07.09.1988 - 2 W 422/86 - und
vom 31.01.1995 - 2 W 51/94 -). Das gilt allerdings dann nicht, wenn die Abwehrrechte der
betroffenen Anlieger - sei es durch ausdrückliche Erklärung oder konkludentes Verhalten,
sei es durch Verwirkung - untergegangen sind (OVG des Saarlandes, Urteil vom
12.12.1986 - 2 R 144/86 -, S. 12).
Der Antrag ist deshalb dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Verpflichtung
des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO
begehrt, die Bauarbeiten zur Errichtung des Carports durch eine für sofort vollziehbar zu
erklärende Ordnungsverfügung vorläufig stillzulegen. Dieser Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Gewährung den begehrten Eilrechtsschutz liegen nicht vor.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen,
wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt
oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Dem Antragsteller steht offenkundig weder ein Anordnungsgrund noch ein
Anordnungsanspruch zu.
Das Vorbringen des Antragstellers lässt bereits keinen Anordnungsgrund erkennen. Denn
mit der Errichtung eines Carports wird bereits kein nicht oder nur schwer rückgängig zu
machender Tatbestand geschaffen, der eine einstweilige Entscheidung erfordert. Vielmehr
sind Carports regelmäßig wieder einfach zu entfernen. Befürchteten Immissionen ließe sich
- sollten sie rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen – zudem im
Nachhinein durch eine Nutzungsuntersagung begegnen.
In der Sache steht dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch zu, weil er – wie oben
ausgeführt – keinen subjektiven Anspruch auf Aufhebung der Abweichung und damit auf
Beseitigung des Carports des Beigeladenen hat. Ob der Carport baugenehmigungspflichtig
ist oder nicht, berührt den Antragsteller ebenfalls nicht, weil die Vorschriften über die
Genehmigungspflicht oder –freiheit nicht dem Schutze des Nachbarn zu dienen bestimmt
sind. Die an ein Grenzbauwerk dieser Art nach §§ 7,8 LBO zu stehenden Anforderungen
werden nach den vorliegenden Plänen eingehalten. Dass der Beigeladene davon
abweichend baut wird nicht behauptet.
Ob der Beigeladene den Carport schließlich auch an einer anderen Stelle hätte errichten
können, haben weder die Antragsgegner noch das Gericht zu überprüfen. Die
Zweckmäßigkeit eines Bauvorhabens ist grundsätzlich allein Sache des Bauherrn.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Der Billigkeit im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO entspricht es nicht, eventuelle
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da dieser
keinen Antrag gestellt und damit selbst kein Kostenrisiko übernommen hat (§ 154 Abs. 3
VwGO).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2
GKG. Dieser Betrag ist bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl.
Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. der am 07./08.
Juli 2004 beschlossenen Änderungen).