Urteil des VG Saarlouis vom 10.06.2008

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VG Saarlouis Urteil vom 10.6.2008, 3 K 369/06
Eigenanteil von 15 % bei der Beihilfe für Beamte
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auf seine am 15.11.2004, 20.04.2005,
19.09.2005 und 31.05.2006 eingegangenen Beihilfeanträge zu den darin geltend
gemachten Aufwendungen für Heilbehandlungen Beihilfe ohne Berücksichtigung eines
Eigenanteils (15 %) zu gewähren.
Die Beihilfebescheide vom 16.11.2004, 21.04.2005, 06.10.2005 und vom 01.06.2006
sowie der Widerspruchsbescheid vom 24.07.2006 werden aufgehoben, soweit sie der
vorstehenden Verpflichtung entgegenstehen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Beklagte darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der am ... 1957 geborene, als Polizeibeamter in Diensten des Saarlandes mit einem
Bemessungssatz von 70 vom Hundert beihilfeberechtigte Kläger wendet sich gegen die
Kürzung seiner vom Beklagten als beihilfefähig anerkannten Aufwendungen für
Heilbehandlungen um einen Eigenanteil von jeweils 15 vom Hundert. In den diesbezüglich
angefochtenen Beihilfebescheiden vom 16.11.2004, 21.04.2005, 06.10.2005 und vom
01.06.2006 ist insoweit jeweils darauf hingewiesen, dass sich nach dem Erlass des
Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.06.2003 die beihilfefähigen
Aufwendungen für Heilbehandlungen um einen Eigenanteil von 15 % verminderten, wobei
der Bescheid vom 01.06.2006 erstmals den weiteren Hinweis enthält, dass der Eigenanteil
bei Personen unter 18 Jahren und bei chronisch Kranken, die wegen derselben Krankheit in
Dauerbehandlung sind, nicht abgezogen werde.
Die vom Kläger hiergegen erhobenen Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom
24.07.2006 im Wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Bescheide
zurückgewiesen. Ergänzend heißt es, beim Kläger sei keine schwerwiegende chronische
Erkrankung nachgewiesen, weshalb eine Ausnahme vom Abzug eines Eigenanteils nicht in
Betracht komme.
Mit am 24.08.2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben.
Er hält den vom Beklagten angewandten ministeriellen Erlass vom 20.06.2003 für
rechtswidrig, weil er nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des
Gesetzesvorbehalts genüge und beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung der Kammer
zur ursprünglichen Fassung des Erlasses. Außerdem macht er geltend, er benötige die ihm
verordneten Heilbehandlungen wegen eines chronischen Wirbelsäulensyndroms auf Dauer;
insoweit verweist er auf eine ärztliche Bescheinigung vom 19.07.2006.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihm auf seine am
15.11.2004, 20.04.2005, 19.09.2005 und 31.05.2006
eingegangenen Beihilfeanträge zu den darin geltend
gemachten Aufwendungen für Heilbehandlungen Beihilfe
ohne Berücksichtigung eines Eigenanteils (15 %) zu
gewähren und die Beihilfebescheide vom 16.11.2004,
21.04.2005, 06.10.2005 und vom 01.06.2006 sowie
den Widerspruchsbescheid vom 24.07.2006 aufzuheben,
soweit sie der vorstehend beantragten Verpflichtung
entgegenstehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an den angefochtenen Bescheiden aus den darin aufgeführten Gründen fest.
Aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26.04.2007 hat die Kammer beschlossen, über
Bestehen, Art und Auswirkungen der vom Kläger behaupteten Erkrankung Beweis durch
Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Den Beweisbeschluss hat die
Kammer durch Beschluss vom 08.05.2008 mit Rücksicht auf ihre aktuelle Rechtsprechung
zur Rechtmäßigkeit des Eigenanteils wieder aufgehoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung erklärten Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsunterlagen des Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage war gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit dem Beschluss der
Kammer vom 09.03.2007 durch den Einzelrichter zu entscheiden.
Die als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alternative 2 VwGO statthafte und auch im
Übrigen zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf weitere Beihilfe zu den strittigen
Aufwendungen für Heilbehandlungen ohne Abzug eines Eigenanteils von 15 % von den
festgesetzten Höchstbeträgen. Die Bescheide des Beklagten vom 16.11.2004,
21.04.2005, 06.10.2005 und vom 01.06.2006 sowie der Widerspruchsbescheid vom
24.07.2006 sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BhVO sind in Krankheitsfällen u.a. zur Wiedererlangung der
Gesundheit, zur Besserung oder Linderung von Leiden, für die Beseitigung oder zum
Ausgleich erworbener Körperschäden die notwendigen Aufwendungen in angemessenem
Umfang beihilfefähig, wobei über die Notwendigkeit und die Angemessenheit der
Aufwendungen die Festsetzungsstelle entscheidet (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BhVO). Gemäß § 5
Abs. 1 Nr. 8 BhVO umfassen die beihilfefähigen Aufwendungen in Krankheitsfällen unter
anderem die Kosten für vom Arzt schriftlich angeordnete Heilbehandlungen wie etwa
Krankengymnastik oder Lymphdrainage unter der hier unumstrittenen Voraussetzung,
dass die Krankengymnastik von einem Physiotherapeuten oder Krankengymnasten bzw.
die Lymphdrainage von einem Masseur oder Masseur und medizinischen Bademeister
durchgeführt wird.
Der in diesen Vorschriften begründete Beihilfeanspruch des Klägers wurde durch den vom
Beklagten angewandten Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport betreffend
Aufwendungen für ärztlich verordnete Heilbehandlungen vom 20.06.2003 (GMBl. Saar S.
262 ff) in seiner ursprünglichen Fassung sowie in der Fassung vom 13.12.2005 (Amtsblatt
S. 2062) nicht rechtswirksam um einen Eigenbehalt in Höhe von 15% der festgesetzten
Höchstbeträge vermindert. Soweit der Erlass bestimmt, dass bei Aufwendungen für
Heilbehandlungen ein Eigenanteil von 15% als angemessen anzusehen ist, so dass die in
anliegendem Leistungsverzeichnis aufgeführten (Höchst-)Beträge nur in Höhe von 85%
beihilfefähig sind, ist dieser unwirksam. Zu einer derartigen Regelung in Form eines
Erlasses war das Ministerium für Inneres und Sport nämlich nicht wirksam ermächtigt
(siehe Urteil der Kammer vom 06.05.2008 –3 K
1320/07–).
Zwar besagt § 5 Abs. 2 lit. b BhVO (u.a.), dass das Ministerium für Inneres und Sport die
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Heilbehandlungen nach Abs. 1 Nr. 8 ganz oder
teilweise von einer vorherigen Anerkennung abhängig machen, begrenzen oder
ausschließen kann. Darin kann aber keine wirksame Ermächtigung zu einer erheblichen
Minderung der Beihilfeansprüche um einen Eigenanteil von 15% gesehen werden. Denn die
Übertragung der Befugnis zu einer (solch) erheblichen Einschränkung der Beihilfeansprüche
auf die Verwaltung läuft sowohl § 98 Abs. 1 Satz 2 und 3 SBG in der zum Zeitpunkt des
Entstehens der Aufwendungen noch in Kraft gewesenen und daher hier maßgeblichen alten
Fassung als auch der im Juli 2007 in Kraft getretenen geänderten Fassung des § 98 Abs.
1, 2 und 4 SBG vom 04.07.2007 (Amtsblatt S. 1450) zuwider. (Auch in der neuen
Fassung des § 98 findet sich in Absatz 4 lediglich die Ermächtigung des Ministeriums für
Inneres, Familie, Frauen und Sport zur Regelung der näheren Einzelheiten der
Beihilfegewährung im Einvernehmen mit dem Ministerium der Finanzen durch
Rechtsverordnung.)
Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SBG a.F. werden – in Ausgestaltung der in § 94 SBG normierten
Fürsorgepflicht – Beamten und Versorgungsempfängern zu den notwendigen und
angemessenen Aufwendungen u.a. in Krankheitsfällen Beihilfen gewährt. In Satz 2 der
Vorschrift hat sich der Saarländische Gesetzgeber – im Gegensatz etwa zum
Bundesgesetzgeber – dafür entschieden, dass die Pflicht zur Gewährung von Beihilfe durch
Rechtsverordnung des Ministeriums für Inneres und Sport im Einvernehmen mit dem
Ministerium der Finanzen und nicht durch Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu
konkretisieren ist. In § 98 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 4 SBG a.F. ist hierzu festgelegt, dass
in dieser Rechtsverordnung insbesondere „Art und Umfang der beihilfefähigen
Aufwendungen“, „die Voraussetzungen für die Gewährung einer Beihilfe“ und „die
Bemessung der Beihilfe“ zu bestimmen sind. Damit hat der Saarländische Gesetzgeber
den Regelungsgegenstand und die Form, in der die einschlägigen Bestimmungen zu treffen
sind, verbindlich festgelegt. Die Entscheidung wurde dahingehend getroffen, das
Beihilferecht u.a., was Art und Umfang der beihilfefähigen Aufwendungen und die
Bemessung der Beihilfe anlangt, abschließend durch Rechtsverordnung und nicht durch
Verwaltungsvorschrift zu regeln. Auch wenn § 98 SBG a.F. nach der Rechtsprechung der
Kammer
(vgl. Urteil vom 21.09.2004 – 3 K 80/04 –)
dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt nicht in vollem Umfang gerecht wurde, so
kam das darin angelegte System für den von der Vorschrift erfassten Zeitraum ("für eine
Übergangszeit") weiterhin zur Anwendung. Raum für Verwaltungsvorschriften besteht in
diesem System lediglich, um Bestimmungen der BhVO zu interpretieren und zu
konkretisieren. Unstatthaft ist es dagegen, das dem Verordnungsgeber eingeräumte
Regelungsrecht in der Verordnung auch nur teilweise auf die Verwaltung zu übertragen. Die
Zulässigkeit einer derartigen Subdelegation hätte gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 4 der
Saarländischen Landesverfassung – SVerf – vorausgesetzt, dass in der ermächtigenden
Gesetzesnorm selbst eine Weiterübertragung der Regelungsbefugnis vorgesehen wäre,
was in § 98 SBG a.F. jedoch nicht der Fall ist. Ebenso wenig ist eine solche Subdelegation
in der neuen Fassung des § 98 SBG vorgesehen
(vgl. zu den Voraussetzungen einer Subdelegation im
Rahmen des insoweit inhaltsgleichen Art. 80 GG u.a.:
Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Stand: Februar 2005,
Art. 80 GG Rz. 43, 44; Oberverwaltungsgericht des
Saarlandes, Urteile vom 13.11.1997 – 1 R 238/96 – und
vom 13.6.1995 – 1 R 23/94 -, SKZ 1995, 257 und – 1 R
47/94 – betreffend die Frage einer Voranerkennung als
Anspruchsvoraussetzung einer Beihilfegewährung),
– abgesehen davon, dass für die hier geltend gemachten Aufwendungen wie bereits
dargelegt die Rechtslage vor dem 1. Juli 2007 maßgeblich ist –.
Anlass, von der zitierten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes
abzuweichen, besteht nicht. Vielmehr beanspruchen die in den vorgenannten Urteilen
aufgestellten Grundsätze vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, in der hinsichtlich der tragenden Strukturprinzipien der
Fürsorge im Falle von Krankheit nunmehr sogar ein Parlamentsvorbehalt angenommen
wird, um so mehr Geltung.
Zwar statuiert der Erlass vom 20.06.2003 anders als die in den vorgenannten Verfahren
streitgegenständliche Festlegung einer Voranerkennungspflicht keine Voraussetzung der
Beihilfegewährung als solcher; er vermindert jedoch durch die Festsetzung eines
Eigenanteils von 15% den Umfang der Beihilfe im Falle von Heilbehandlungen erheblich. Ein
solcher Eigenanteil musste daher als Einschränkung der aus § 98 SBG alter und neuer
Fassung grundsätzlich resultierenden Verpflichtung des Dienstherrn zur Gewährung von
Beihilfe zu notwendigen und angemessenen Aufwendungen in der Beihilfeverordnung selbst
geregelt werden und durfte nicht der Bestimmung durch die Verwaltung mittels Erlasses
überlassen bleiben. Dies hat der Saarländische Verordnungsgeber im Falle der Festsetzung
einer Eigenbeteiligung an den Kosten für Arzneimittel, Verbandmittel und dergleichen auch
befolgt. Dort sind in § 5 Abs. 1 Nr. 6 BhVO entsprechende Abzugsbeträge festgelegt. Dem
gegenüber beinhaltet § 5 Abs. 1 Nr. 8 BhVO selbst keinen Eigenbehalt; vielmehr wird in § 5
Abs. 2 lit. b BhVO insoweit die Begrenzung oder sogar der Ausschluss der Beihilfefähigkeit
dem Ministerium für Inneres und Sport überlassen. Dies ist jedoch wegen Verstoßes gegen
§ 98 SBG unstatthaft. Von daher vermag der Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport
vom 20.06.2003 eine Einschränkung der grundsätzlichen Verpflichtung des Dienstherrn zur
Gewährung von Beihilfe zu den notwendigen Aufwendungen für Heilbehandlungen um einen
Eigenanteil von 15% nicht zu begründen.
Ob die in dem Erlass getroffene Regelung der Eigenbeteiligung, etwa wegen Fehlens einer
Belastungsgrenze bzw. sonstiger Ausnahmetatbestände oder, wie die Kammer im Urteil
vom 21.09.2004 - 3 K 80/04 - des Weiteren angenommen hat, wegen Verstoßes gegen
das Gebot der Realitätsbezogenheit der Höchstsätze, auch inhaltlich zu beanstanden ist,
kann vorliegend dahin stehen, da der Erlass, soweit er die hier allein beanstandete
15prozentige Eigenbeteiligung vorsieht, bereits aus formalen Gründen nicht rechtswirksam
ist.
Von dem 15prozentigen Eigenanteil abgesehen besteht über Grund und Höhe des geltend
gemachten Beihilfeanspruchs kein Streit und auch ansonsten kein Anlass zu dahingehenden
Bedenken.
Daher war der Beklagte antragsgemäß zur Gewährung einer weiteren Beihilfe in dem sich
aus dem Tenor ergebenden Umfange zu verpflichten, ohne dass es darauf ankam, ob der
Kläger auf die verordneten Heilbehandlungen wegen einer chronischen Erkrankung
dauerhaft angewiesen ist und daher ein Ausnahmefall im Sinne der Neufassung des
Erlasses vorliegt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Für eine Zulassung der Berufung besteht kein Anlass (vgl. § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §
124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO).
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG der Höhe der mit der Klage geltend
100,00 Euro