Urteil des VG Saarlouis vom 03.11.2005

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VG Saarlouis Beschluß vom 3.11.2005, 5 F 32/05
Begründung einer Sofortvollzugsanordnung bei mehreren Regelungen
Tenor
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom
28.09.2005 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert wird auf 500.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die im
Bescheid des Antragsgegners vom 28.09.2005 angeordnete
- Durchführung des Hydro-Frac-Verfahrens (1.1),
- messtechnische Begleitung durch einen Sachverständigen (1.2),
- sofortige Einstellung des Abbaus des Strebs 20.3-Ost, Flöz Grangeleisen (1.3)
und angekündigte Absicht für den Fall des Scheiterns des Hydro-Frac-Verfahrens einen
endgültigen Abbaustopp für diesen Streb zu erlassen, wiederherzustellen bzw. hilfsweise
die Sofortvollzugsanordnung aufzuheben, ist zulässig und hat hinsichtlich des hilfsweise
gestellten Antrages Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der im Bescheid
angeordneten Maßnahmen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO kann schon deshalb keinen
Bestand haben, da sie nicht gemäß § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet und damit
rechtswidrig ist.
Grundsätzlich hat der Widerspruch gegen behördliche Maßnahmen die Wirkung, dass diese
solange nicht befolgt werden müssen, bis über den Widerspruch (negativ) entschieden
worden ist (§ 80 Abs. 1 VwGO-Suspensiveffekt). Das ist der gesetzliche Normalfall.
In besonderen Fällen, die in § 80 Abs. 2 VwGO abschließend aufgezählt sind, kann dieser
Aufschub durch eine Anordnung des Sofortvollzuges (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) außer Kraft
gesetzt werden. Hierzu schreibt das Gesetz eine besondere Begründung vor (§ 80 Abs. 3
VwGO).
Der Regelungsgehalt des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO und die daraus folgenden Anforderungen an eine behördliche Vollziehungsanordnung
erschließen sich aus dem Wortlaut, vor allem aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift.
Das Begründungserfordernis gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll die Behörde dazu
anhalten, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung mit Blick auf den
grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 VwGO durch einen Rechtsbehelf eintretenden
Suspensiveffekt bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzugs sorgfältig zu prüfen.
Zugleich soll der Betroffene über die für die Behörde maßgeblichen Gründe des von ihr
angenommenen überwiegenden Sofortvollzugsinteresses informiert werden, damit darüber
hinaus in einem möglichen Rechtsschutzverfahren dem Gericht die Erwägungen der
Behörde zur Kenntnis gebracht und zur Überprüfung gestellt werden können.
Dem Erfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist nicht schon dann genügt, wenn
überhaupt eine Begründung vorhanden ist. Vielmehr sind in der Begründung die
maßgebenden Gründe für den Eingriff, den die Anordnung der sofortigen Vollziehung für
den Betroffenen darstellt, bekannt zu geben. Daran fehlt es hier.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.07.1994 - 18 B 1171/94 - NWVBl.
1994, 424, m.w.N; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.03.1996 - 8 W 2/96 -,
m.w.N; OVG Brandenburg, Beschluss vom 05.02.1998 - 4 B 134/97 -, NJ 1998, 271.
Im streitgegenständlichen Bescheid beschränkt sich die Begründung für die Anordnung der
sofortigen Vollziehung auf den folgenden Satz:
„Die sofortige Vollziehung war anzuordnen, um eine zügige Umsetzung des „Hydro-Frac-
Verfahrens“ zu gewährleisten und weiteren Erderschütterungen vorzubeugen.“
Diese Begründung der Vollzugsanordnung genügt nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3
VwGO, da sie die maßgeblichen Überlegungen des Antragsgegners nicht erkennen lässt.
Hierbei ist zu beachten, dass die Begründung für die getroffene Maßnahme „als solche“
(sog. Erlassinteresse) gerade nicht zur Rechtfertigung für deren sofortige Umsetzung (sog.
Vollzugsinteresse) ausreicht. Vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, warum und weshalb ein
sofortiges Handeln geboten ist und deshalb der in der Verfassung verbriefte Rechtsschutz
(Art. 19 Abs. 4 GG) vorerst zurücktreten muss.
Dies gilt umso mehr, wenn der Bescheid – wie hier – mehrere unterschiedlich bedeutsame
Anordnungen enthält und bei der Begründung der Vollzugsanordnung insoweit keine
Unterscheidung getroffen worden ist. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach Ansicht des
Gerichts die Ziffer 1.4 des Bescheides ohnehin keine Regelung trifft, sondern nur den
Hinweis enthält, dass bei einem negativen Ausgang der Versuche mit dem „Hydro-Frac-
Verfahren“ beabsichtigt sei, einen endgültigen Abbaustopp für das Streb 20.3-Ost im Flöz
Grangeleisen anzuordnen.
Deshalb ist es für das vorliegende Verfahren auch unerheblich, ob die Regelungen des
Berggesetzes überhaupt eine ausreichende Rechtsgrundlage für einen endgültigen
Abbaustopp enthalten oder ob dies nur gemäß § 49 Abs. 2 VwVfG möglich ist.
Hinsichtlich der Regelungen der Ziffern 1.1. bis 1.3 enthält der Bescheid vom 28.09.2005
weder in seiner allgemeinen Begründung noch in der Begründung der
Sofortvollzugsanordnung eine Unterscheidung zwischen diesen Maßnahmen. Die
Sofortvollzugsbegründung lässt auch in keiner Weise erkennen, warum es für die
Durchführung des „Hydro-Frac-Verfahrens“ erforderlich ist, den Abbau im Flöz Grangeleisen
mit sofortiger Wirkung einzustellen. Insbesondere im Hinblick auf den doch erheblichen
Eingriff in die Rechte der Antragstellerin aus Art. 14 Abs. 1 GG hätte es dem
Antragsgegner oblegen in ausreichender Weise zu begründen, warum es insbesondere
hinsichtlich des einstweiligen Abbaustopps einer Anordnung der sofortigen Vollziehung
bedurfte.
Der Hinweis auf drohende Erderschütterung allein ist dazu in seiner lapidaren Kürze nicht
ausreichend. Im Grundsatz ist auch die Gleichzeitigkeit von Abbau und
Gebirgsentspannungsmaßnahmen denkbar. Dass sich aus der Vorgeschichte
möglicherweise anderes ergibt, ist nicht dargelegt. Darauf hat aber jeder durch behördliche
Anordnungen betroffene Bürger im Einzelfall Anspruch. Schon damit er gegebenenfalls
weniger weit reichende Maßnahmen als Austauschmittel anbieten kann. Das gilt auch für
ein Bergbauunternehmen.
Der Antragsgegner hat auch in seiner Antragserwiderung keine Ausführungen gemacht,
aus denen sich ein Nachschieben von Gründen für die Sofortvollzugsanordnung ergeben
könnte, obwohl die Antragstellerin das Fehlen einer ausreichenden Begründung in ihrer
Antragschrift vom 19.10.2005 sehr umfänglich gerügt hatte.
Aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit war die Sofortvollzugsanordnung aufzuheben, um dem
Antragsgegner ggf. die Gelegenheit zu geben, die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung
zu überdenken und dann ggf. den Bescheid mit einer nachvollziehbaren Begründung erneut
für sofort vollziehbar zu erklären. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs war dagegen nicht auszusprechen (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom
27.03.1996, a.a.O.; a.A.: OVG Brandenburg, Beschluss vom 05.02.1998 -, a.a.O. und
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.12.1993 - 4 M 10/93 -, DÖV 1994, 352 = DVBl
1994, 808).
Im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Sofortvollzugsanordnung bedarf es im vorliegenden
Verfahren keines Eingehens auf die von der Antragstellerin gerügten materiellen Fehler des
Bescheides, insbesondere auf die Frage, ob § 56 Abs. 1 BBergG überhaupt eine geeignete
Rechtsgrundlage für einen vorübergehenden Abbaustopp darstellt oder ob dies nur nach §
71 Abs. 2 BBergG erfolgen kann (vgl. auch Beschluss der Kammer vom 10.06.2005 - 5 F
12/05 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und trägt dem Umstand Rechnung,
dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren, von der angeordneten Vollziehung des
Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, voll durchgedrungen ist (vgl. OVG des Saarlandes,
Beschluss vom 27.03.1996, a.a.O.).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1
GKG. Die Kammer schätzt dabei das finanzielle Interesse der Antragstellerin an der
Aufhebung der angegriffenen Verfügungen unter Berücksichtigung der Kosten für das
„Hydro-Frac-Verfahren“ sowie den Förderausfall auf Grund des vorübergehenden
Abbaustopps auf 1.000.000,-- Euro. Dieser Betrag ist bei Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. der am 07./08. Juli 2004 beschlossenen Änderungen).
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung
Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes zu.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht des Saarlandes, Kaiser-Wilhelm-Straße 15,
66740 Saarlouis, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die
Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei
dem Beschwerdegericht eingeht.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu
begründen. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt
worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Kaiser-Wilhelm-Straße 15,
66740 Saarlouis, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe
darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der
angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die
dargelegten Gründe.
Einlegung und Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit
Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des
öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst,
Gebietskörperschaften auch durch Beamte und Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
Gegen die in dieser Entscheidung enthaltene Festsetzung des Streitwerts steht den
Beteiligten oder sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
200,00 Euro übersteigt.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht des Saarlandes, Kaiser-Wilhelm-Straße 15,
66740 Saarlouis, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
einzulegen.
Die Beschwerde ist nur bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der
Entscheidung in der Hauptsache oder anderweitiger Erledigung zulässig.