Urteil des VG Saarlouis vom 21.07.2009

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VG Saarlouis Beschluß vom 21.7.2009, 5 L 419/09
Nachbarrechtswidrigkeit einer Baugenehmigung für ein Einkaufszentrum
Leitsätze
Einzelfall eines Verstoßes einer Baugenehmigung für ein Einkaufszentrum gegen das Gebot
der Rücksichtnahme im Hinblick auf die genehmigte Ausführung der Ladezone.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 15.04.2009 gegen
die Baugenehmigung vom 30.03.2009 – Az. ...-... – wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils zur
Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert wird 7.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die der
Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Einkaufzentrums mit 118 Pkw-
Stellplätzen.
I.
Die Antragstellerin ist Miteigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Anwesens A-
Straße in A-Stadt-..., das mit seiner Nordseite an das Vorhabengrundstück angrenzt.
Mit dem im Streit stehenden Bauschein vom 30.03.2009 – – erteilte der Antragsgegner
der Beigeladenen, gestützt auf § 33 BauGB im Hinblick auf den zu diesem Zeitpunkt in
Aufstellung befindlichen Bebauungsplan „Änderung und Erweiterung des Bebauungsplans
„Einkaufszentrum A-Stadt“ mit Teiländerung des Bebauungsplans „A...“, die Genehmigung
zum Neubau eines Einkaufzentrums und zur Anlegung von 118 Pkw-Stellplätzen.
Ausweislich der genehmigten Pläne wird auf dem Vorhabengrundstück ein Einkaufszentrum
bestehend aus einem Discountmarkt (Penny), einer Bäckerei, einer Metzgerei sowie einem
Textilmarkt (Kik) errichtet. Das Einkaufszentrum steht im rückwärtigen Bereich des
Grundstücks, wobei der Discountmarkt zum Grundstück der Antragstellerin hin orientiert
ist. Die Ladezone des Discountmarktes, die sich auf der Südseite des Gebäudes befindet,
ist 8,28 m von der Grenze des Grundstücks der Antragstellerin entfernt. Die Ladezone ist
im hinteren Bereich auf eine Länge von 9,16 m überdacht, davor befindet sich zum
Grundstück der Antragstellerin hin eine 2 m hohe Lärmschutzwand. Außerdem ist auf der
Grenze eine weitere Lärmschutzwand mit einer Höhe von 2 m geplant.
Gegen die ihr am 31.03.2009 förmlich zugestellte Baugenehmigung erhob die
Antragstellerin am 15.04.2009 beim Antragsgegner Widerspruch.
Bei Gericht hat die Antragstellerin am 06.05.2009 die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung beantragt. Zur Begründung führt
sie im Wesentlichen aus, die Baugenehmigung könne nicht auf § 33 BauGB gestützt
werden, da dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der von der Gemeinde A-Stadt
beschlossene Bebauungsplan sei offensichtlich fehlerhaft. Außerdem verstoße die erteilte
Baugenehmigung gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung des Antrages und trägt vor, die
Baugenehmigung verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls die Zurückweisung des Antrages.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom
15.04.2009 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 30.03.2009
anzuordnen, ist zulässig und begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist zulässig,
insbesondere ist er nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Hs. i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO
statthaft, da Widerspruch und Anfechtungsklage bei Baugenehmigungen nach § 212 a Abs.
1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben. Er hat auch in der Sache Erfolg.
Die im Rahmen dieses Verfahrens vorzunehmende summarische Überprüfung nach
Maßgabe der §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO setzt für die begehrte Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs eine Verletzung der dem Schutz der
Antragsteller dienenden Rechte mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ voraus, die bereits
mit den Erkenntnismöglichkeiten des Eilrechtschutzverfahrens festgestellt werden kann.
Dieser Maßstab ergibt sich aus der in § 212 a Abs. 1 BauGB enthaltenen Entscheidung des
Gesetzgebers, die aufschiebende Wirkung des Nachbarwiderspruches gegen die
bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens grundsätzlich auszuschließen.
Vgl. OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 09.08.2001 -
2 V 4/01 - AS RP-SL 29, 182 = BRS 64 Nr. 191, vom
27.10.2003 - 1 W 34/03 - und vom 15.01.2009 - 2 B
376/07 - m.w.N..
Der Erfolg einer baurechtlichen Nachbaranfechtung setzt voraus, dass die angefochtene
Baugenehmigung nicht nur rechtswidrig ist, sondern darüber hinaus gerade den Nachbarn
in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt. Ob die angefochtene Baugenehmigung
insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung
allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des
um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche
Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander
als schutzwürdig ansieht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 -
Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 120 = BauR 1994,
354 = NVwZ 1994, 686 = DVBl 1994, 697 = BRS 55 Nr.
168.
Für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten
durch eine Baugenehmigung ist allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung
maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der
Baugenehmigung nicht rechtfertigen, weil der Regelungsinhalt einer Baugenehmigung
immer von einer technisch einwandfreien Ausführung des Vorhabens ausgeht.
Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23.11.1999 - 2
Q 33/99 -.
Vorliegend bestehen aus planungsrechtlichen Gründen nachbarrechtliche Bedenken gegen
das Vorhaben der Beigeladenen, da unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen
davon auszugehen, dass die erteilte Baugenehmigung gegen das nachbarschützende
Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
Aus diesem Grund kann dahin gestellt bleiben, ob der von der Antragstellerin angegriffene,
zwischenzeitlich in Kraft gesetzte Bebauungsplan fehlerhaft ist. Denn sowohl bei einer
Wirksamkeit als auch bei einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans kann sich die
Antragstellerin auf eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme berufen. Geht man
von der Unwirksamkeit des Bebauungsplanes „Änderung und Erweiterung des
Bebauungsplans „Einkaufszentrum A-Stadt“ mit Teiländerung des Bebauungsplans „A...“
aus, so ist es ohne Belang, ob die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung wegen
Verstoßes gegen § 35 BauGB objektiv rechtswidrig ist. Streitentscheidend ist vielmehr
allein, ob in einem solchen Fall eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin festzustellen
ist. Der Einwand des Nachbarn, dass für das angefochtene Vorhaben die Voraussetzungen
für die Erteilung einer Baugenehmigung nach § 35 BauGB nicht vorliegen, verleiht ihm keine
nachbarschützende Rechtsposition. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes und eine
Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Ziff. 5 BauGB) sowie
die Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Ziff. 7 BauGB) als
Folge der Errichtung eines Bauvorhabens begründen keine subjektiv öffentlichen Rechte des
Nachbarn. Die genannten Belange dienen allein dem öffentlichen Interesse, den
Außenbereich von ungeordneter bzw. störender Besiedlung freizuhalten. Der darin liegende
Konflikt mag zwar die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens im Außenbereich auf der
Grundlage des § 35 Abs. 2 BauGB in Frage stellen, gibt allerdings nichts für die
Wehrfähigkeit der ins Feld geführten Nachbarrechte der Antragstellerin her.
Die Vorschriften über das Bauen im Außenbereich vermitteln allein im Rahmen des Gebots
der Rücksichtnahme Nachbarschutz. Zwar ist das Gebot der Rücksichtnahme, nach dem
auf schutzwürdige Individualinteressen Rücksicht zu nehmen ist, in § 35 Abs. 3 BauGB nicht
ausdrücklich ausgeführt, es hat aber insoweit Niederschlag gefunden, als es sich bei dem
die Genehmigungsfähigkeit nach § 35 Abs. 2 BauGB voraussetzenden Erfordernis,
"schädliche Umwelteinwirkungen" zu vermeiden (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB), um eine
besondere gesetzliche Ausformung dieses Gebots handelt. Dies gilt nicht nur für
Außenbereichsvorhaben untereinander, sondern auch über Gebietsgrenzen hinweg und
kommt auch Eigentümern zugute, deren Grundstücke wie hier im unbeplanten
Innenbereich liegen. Allein aufgrund des Umstandes, dass das Vorhaben der Beigeladenen
für den Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans möglicherweise gegen § 35 BauGB
verstößt, kann kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme festgestellt werden. Der
Eigentümer eines Grundstücks im Innenbereich kann nämlich gegenüber einer auf dem
Nachbargrundstück im Außenbereich genehmigten Bebauung Rücksichtnahme auf seine
Interessen im Rahmen einer Abwägung mit den Interessen des Bauherrn nur insoweit
verlangen, als er über eine schutzwürdige Abwehrposition verfügt. Eine solche Position
erlangt er nicht allein dadurch, dass die auf seinem Grundstück verwirklichte Nutzung
baurechtlich zulässig, das auf dem anderen Grundstück genehmigte Vorhaben dagegen
wegen einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange, die nicht dem Schutz privater Dritter zu
dienen bestimmt sind, unzulässig ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1993, a.a.O.; OVG des
Saarlandes, Beschluss vom 27.10.2003 - 1 W 34/03 -.
Im Falle der Gültigkeit des Bebauungsplanes gilt nichts anderes: Deshalb kommt es auch
nicht darauf an, ob der Beigeladenen zu Recht gestützt auf § 33 BauGB die
streitgegenständliche Baugenehmigung erteilt worden ist, wobei bereits sehr fraglich ist, ob
sich ein Nachbar überhaupt mit Erfolg auf eine Verletzung dieser Vorschrift stützen kann.
Das von der Antragstellerin insoweit zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
01.08.2002 - 4 C 5/01 - (BVerwGE 117, 25 = UPR 2003, 35 = DVBl 2003, 62 = NVwZ
2003, 86 = ZfBR 2003, 38 = Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 352 = BRS 65 Nr. 10) ist
auf das vorliegende Verfahren nicht übertragbar. Diese Entscheidung betraf nämlich die
Klage einer Nachbargemeinde gegen eine Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen das
interkommunale Abstimmungsgebot. Dies ist jedoch mit einer Nachbarklage nicht
vergleichbar.
Entscheidend ist daher allein, ob das der Beigeladenen genehmigte Vorhaben im Verhältnis
zur Antragstellerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
Das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen
Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht,
sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts. Das
Rücksichtnahmegebot soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
gewährleisten, dass Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen
hervorzurufen, einander so zuzuordnen sind, dass ein Interessenausgleich möglich ist, der
beiden Seiten gerecht wird.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 13.03.1981 - 4 C 1.78 - DÖV
1981, 672 = DVBl 1981, 928 = Buchholz 406.19
Nachbarschutz Nr. 44 = BRS 38 Nr. 186 und vom
05.08.1983 - 4 C 96.79 - BVerwGE 67, 334 = NJW
1984, 138 = DVBl 1984, 143 = Buchholz 406.19
Nachbarschutz Nr. 55 = DÖV 1984, 295 = BRS 40, Nr.
48.
Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was
dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten
andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen
Situation der benachbarten Grundstücke. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der
konkreten Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme
belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen
verursacht, sondern auch desjenigen, der sich den Wirkungen solcher Immissionen
aussetzt. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen
sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu
nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde
Belange zu schonen. Dagegen muss er es hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von
einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als
Vorbelastungen berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.10.2002 - 4 B 60.02 -
Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 165 sowie Urteile
vom 12.12.1975 - IV C 71.73 -, BVerwGE 50, 49 = BRS
29 Nr. 135, vom 16.03.1984 - 4 C 50.80 -, NVwZ 1984,
511 = BRS 42 Nr. 73 und vom 14.01.1993 - 4 C 19.90 -,
DVBl 1993, 652 = BRS 55 Nr. 175, unter Hinweis auf die
Urteile vom 25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122
= BRS 32 Nr. 155, und vom 13.03.1981, a.a.O..
Vorliegend ist nach dem Inhalt der Baugenehmigung einschließlich der zugehörigen Auflagen
des Landesamtes für Umwelt- und Arbeitsschutz davon auszugehen, dass das Vorhaben
der Beigeladenen für die Antragstellerin schlechthin unzumutbare Auswirkungen haben
wird.
Nach Überzeugung des Gerichts gehen von der genehmigten Ausführung der Ladezone
unzumutbare Belästigungen für das Grundstück der Antragstellerin aus. Insoweit ist zu
berücksichtigen, das gerade Ladegeräusche auf Grund ihrer unregelmäßigen Frequenz,
ihrer hohen Impulshaltigkeit, z.B. durch das Klirren und Klappern leerer Glasflaschen oder
durch den Schlag von Metall auf Metall beim Bewegen von Transportbehältern und der
dadurch verursachten unangenehmen Tonlagen allgemein als die Wohnruhe sehr „störend“
empfunden werden. Es ist weiter mit dem Lärm laufender Lkw-Motoren und dem
Rauschen ihrer Kühlaggregate zu rechnen. Wie der Kammer aus einer Vielzahl von
ähnlichen Verfahren bekannt ist, kommt es häufig zu Überschreitungen der Ladezeit und
im Sommer bewirkt der Schall der auf den Anlieferungsfahrzeugen installierten
Kühlaggregate mit ständig laufenden Kompressoren eine zusätzliche Lärmbelastung eines
bisher durch Gewerbelärm unbelasteten Bereiches. Zudem ist zu berücksichtigen, dass
sich die Ladezone nur 8,28 m von der Grenze des Grundstücks der Antragstellerin in Höhe
deren Gartenbereich befindet. Gerade diese rückwärtige Ruhezone ist aber in besonderem
Maße schutzbedürftig und schutzwürdig. Denn die Zone soll bei den zur Straße hin
ausgerichteten Häusern einen Ruhebereich schaffen, in den der Straßenlärm nicht
eindringen soll. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
vgl. Urteil vom 18.09.2003 - 4 CN 3.02 - BVerwGE 119,
45 = BauR 2004, 286 = NVwZ 2004, 229= DVBl 2004,
247 = UPR 2004, 118 = ZfBR 2004, 167 = NuR 2004,
239 = Buchholz 406.11 § 12 BauGB Nr. 26 = BRS 66 Nr.
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geklärt, dass ein Nachbar im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplanes keinen
Anspruch auf den Fortbestand einer faktischen Ruhezone in dem Sinne hat, als dass er
damit die Bebauung von Nachbargrundstücken verhindern kann. Dies bedeutet jedoch
nicht, dass er jeglichen Eingriff in diese Zone vorbehaltlos hinzunehmen hat. Vielmehr ergibt
sich insoweit aus dem Gebot der Rücksichtnahme eine Grenze, wobei bei einer Ruhe- und
Erholungszone eine besondere Schutzwürdigkeit besteht. Diese Grenze wird vorliegend
überschritten, da die Ausführung der Ladezone des Discountmarktes in einer Weise
erfolgen soll, die keine ausreichende Rücksicht auf die Belange der Antragstellerin nimmt.
Die zur Dämpfung der von der Ladezone ausgehenden Geräusche vorgesehenen
Maßnahmen sind nach Ansicht des Gerichts nicht geeignet, die auf das Grundstück der
Antragstellerin einwirkenden Immissionen so weit zu vermindern, dass die Schwelle zur
Unzumutbarkeit nicht überschritten wird. Insoweit ist es unerheblich, dass nach den
Auflagen des Landesamtes für Umwelt- und Arbeitsschutz die Richtwerte für
Schallimmissionen von 59 dB (A) tags (6.00 – 22.00) und 44 dB (A) nachts (22.00 – 6.00
Uhr) nicht überschritten werden dürfen und damit die in reinen und allgemeinen
Wohngebieten geltenden Grenzwerte einzuhalten sind. Denn es verbietet sich eine starre
und schematische Anwendung der technischen Regelwerke, insbesondere der TA Lärm und
der VDI-Richtlinie 2058, die auf die Beurteilung von Gewerbelärm zugeschnitten sind, als
verbindlichen Maßstab für die Feststellung der Zumutbarkeit der Geräusche, die von nicht
nach Immissionsschutzrecht genehmigungsbedürftigen Anlagen herrühren.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24.04.1991 - 7 C 12.90 -
BVerwGE 88, 143 = UPR 1991, 340 = ZfBR 1991, 219
= NVwZ 1991, 884 = DVBl 1991, 1151 = Buchholz
406.25 § 22 BImSchG Nr. 8 = BayVBl 1992, 55 = NuR
1992, 271 = BRS 52 Nr. 191 und vom 24.09.1992 - 7 C
6.92 - BVerwGE 91, 92 = ZfBR 1993, 37 = UPR 1993,
27 = DVBl 1993, 159 = NJW 1993, 342 = Buchholz
406.25 § 22 BImSchG Nr. 11 = DÖV 1993, 255 = BauR
1993, 325 = BayVBl 1993, 630 = NVwZ 1994, 164,
Beschluss vom 03.05.1996 - 4 B 50/96 - BauR 1996,
678 = BayVBl 1996, 634 = NVwZ 1996, 1001 = ZfBR
1996, 342 = Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 28 =
NuR 1997, 538 = BRS 58 Nr. 58.
Maßgeblich ist vorliegend neben der Art der von der Ladezone ausgehenden
Lärmimmissionen der Umstand, dass der Ladebereich nicht vollständig eingehaust ist.
Nach den Plänen ist die Ladezone zur Straße hin offen und nur auf eine Tiefe von ca. 6 m,
gerechnet ab Beginn der Laderampe, überdacht und nur dieser (geringe) Teil der Ladezone
ist bislang gemäß Auflage Nr. 1.9. des Landesamtes für Umwelt- und Arbeitsschutz vom
30.03.2009 schallabsorbierend zu verkleiden. Damit ist aber davon auszugehen, dass die
bei der Be- und Entladung der anliefernden Fahrzeuge entstehenden Geräusche sich nach
vorne und nach links und damit gerade gerichtet auf das Grundstück der Antragstellerin
ausbreiten können. Die vor der Überdachung geplante Lärmschutzmauer ist wohl nicht
geeignet, diese Schallausbreitung wesentlich zu vermindern, da sie nach oben keinen
Schallschutz bietet und zudem nur eine Höhe von 2 m aufweist, so dass sie auch seitlich
nur einen geringen Schutz vermittelt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die geplante
Schallschutzwand die Laderampe nur um ca. 1 m überragt, weil diese bereits eine Höhe
von ca. 1 m besitzt. Auch die auf der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin geplante
Schallschutzwand bietet keinen ausreichenden Schutz vor den von der Ladezone
ausgehenden Lärmemissionen. Denn das Gelände fällt zum Grundstück der Antragstellerin
hin ab, so dass die geplante Schallschutzwand weniger als 1 m über der Zufahrt zur
Ladezone liegt und damit unter der Höhe der Laderampe. Sie kann daher den von der
Laderampe ausgehenden, auf das Grundstück der Antragstellerin gerichteten Lärm nicht
ausreichend dämpfen. Um sicherzustellen, dass während des Entladens der Lkw keine
unzumutbare Lärmemissionen für die Umgebung entstehen, ist es nach Ansicht des
Gerichts erforderlich, dass durch eine vollständige Einhausung des Ladebereiches des
Discountmarktes einschließlich eines vor Beginn des Ladevorganges zu schließenden
Rolltores eine Ausbreitung des Schalls auf den rückwärtigen Bereich des Grundstücks der
Antragstellerin weitgehend verhindert wird. Zumal sich eine derartige Bauausführung in
Übernahme des Hallengrundrisses zwanglos anbietet und sich der bauliche Mehraufwand in
überschaubarem Rahmen darstellen dürfte.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist nach Ansicht der Kammer davon auszugehen,
dass durch die angegriffene Baugenehmigung gegenüber der Antragstellerin das Gebot der
Rücksichtnahme verletzt wird, so dass die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs
anzuordnen ist.
Die Kostenlast des Antragsgegners und der Beigeladenen folgt aus § 154 Abs. 1 und 3
VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2
GKG. Nach der neueren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes ist
das Interesse eines privaten Wohnnachbarn, der sich gegen eine Baugenehmigung für eine
gewerbliche Nutzung wendet, hauptsachebezogen mit 15.000,- Euro festzusetzen.
Vgl. Beschluss vom 15.01.2009, a.a.O., m.w.N..
Dieser Betrag ist bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Ziffer 1.5
des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. der am 07./08. Juli 2004
beschlossenen Änderungen – NVwZ 2004, 1327).