Urteil des VG Saarlouis vom 20.07.2010

VG Saarlouis: russische föderation, explosion, ausreise, flüchtlingseigenschaft, tod, menschenrechte, anerkennung, hausfrau, fernsehen, verhaftung

VG Saarlouis Urteil vom 20.7.2010, 2 K 538/09
Asylrecht - Einzelfall: Keine Sippenhaft in der Russischen Föderation (Inguschetien)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens
tragen die Klägerinnen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerinnen, russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit, stellten
am 22.04.2009 Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung erklärte die Klägerin zu 1) zu ihrem Reiseweg, sie seien am 28.03.2009
aus Blagodarnoje, wo sie sich bei einer Freundin versteckt gehalten hätten, über Rostow
und Moskau mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Ausreise
habe ihre Freundin organisiert; auf dem Reiseweg seien sie von einem Schlepper begleitet
worden. Wo sie in Deutschland gelandet seien und zu welcher Uhrzeit, wisse sie nicht.
Zur Sache erklärte die Klägerin zu 1), am 15.08.2000 habe sie Herrn A. D. geheiratet. Ihr
Ehemann sei offiziell bei dem russischen Ministerium für Innere Angelegenheiten beschäftigt
gewesen, habe aber ein Doppelleben geführt, weil er mit Wahabiten zusammengearbeitet
habe und an Waffenschiebereien beteiligt gewesen sei. Im Hause der Familie seien deshalb
immer Waffen und größere Geldsummen vorhanden gewesen. Am 15.06.2006 habe man
den Ehemann verhaftet; dieser habe die Klägerin aber noch telefonisch auffordern können,
zu verschwinden und das im Haus befindliche Geld, etwa 200.000 US-Dollar,
mitzunehmen. Sie seien dann zu einer Freundin nach Blagodarnoje im Stavropolski-Bezirk
geflüchtet. Bei ihrer Freundin sei sie dann darüber informiert worden, dass ihr Ehemann in
Wladikavkas in U-Haft sei; man werfe ihm vor, bei einem Vorfall am 21.06.2004, einem
Überfall von tschetschenischen Rebellen in Inguschetien, beteiligt gewesen zu sein. Mit Hilfe
ihrer Freundin und gegen Zahlung von 100.000 US-Dollar sei es gelungen, dass ihr
Ehemann im April 2008 freigelassen worden sei. Am 31.05.2008 sei er dann aber in
Karabulak bei einer Schießerei umgekommen, was die Klägerin zu 1) von ihrer Freundin
erfahren habe. Nach dem Tod ihres Ehemannes habe sie den Entschluss gefasst, das Land
zu verlassen. Etwa ein Jahr nach seiner Inhaftierung habe sie von ihrer Freundin, die sich in
Inguschetien kurzzeitig aufgehalten habe, erfahren, dass es dort bei der Durchsuchung
ihres Wohnhauses eine große Explosion gegeben habe, bei der 10 Angehörige der
Sondereinheiten getötet und viele Leute verletzt worden seien. Darüber sei im Fernsehen
berichtet und ein Bild der Klägerin zu 1) gezeigt worden. Es sei gesagt worden, dass nach
ihr gefahndet werde. Die Klägerin zu 1) vermute, dass man ihr staatlicherseits unterstelle,
für diese Explosion verantwortlich zu sein. Politisch habe sich die Klägerin zu 1) nie
engagiert und sich nach der Eheschließung allein um den Haushalt gekümmert. Die
Ausreise habe insgesamt 15.000 US-Dollar gekostet, der Restbetrag der Summe von
200.000 US-Dollar, also abzüglich des Lösegeldes für den Ehemann, sei für Auslagen der
Freundin, bei der sie gewohnt hätten, aufgewendet worden.
Mit Bescheid vom 02.06.2009 lehnte das Bundesamt der Beklagten den Antrag auf
Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG nicht vorliegen und forderte die Klägerinnen unter Androhung der Abschiebung in
die Russische Föderation zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf. Zur
Begründung ist unter Darlegung im Einzelnen ausgeführt, die Berufung auf das
Asylgrundrecht sei deswegen ausgeschlossen, weil davon auszugehen sei, dass die
Klägerinnen illegal auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien.
Die behauptete Einreise auf dem Luftweg sei völlig unbelegt geblieben; die entsprechenden
Angaben zu den Flugdaten seien völlig unsubstantiiert und unscharf.
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG
bestehe ebenfalls nicht. Es sei nicht glaubhaft, dass die Klägerinnen deshalb in die
Bundesrepublik Deutschland gekommen seien, weil Sicherheitsorgane ihres Heimatlandes
nach ihnen gefahndet hätten und Grund für die Fahndung gewesen sei, dass sie für eine
Explosion verantwortlich gemacht worden seien, die sich während der Durchsuchung ihres
Hauses in Inguschetien ereignet habe. Diese angebliche Explosion sei im Gegensatz zu den
Ereignissen um die Person des A. D. nicht dokumentiert. Die Klägerin zu 1) habe erklärt, sie
habe erst ein Jahr nach dem Vorfall von ihrer Freundin davon erfahren, wobei diese es
wiederum von Dritten gehört habe. An dem Ereignis bestünden von daher bereits Zweifel.
Selbst wenn die Explosion stattgefunden habe, lasse sich daraus eine Gefährdung der
Klägerinnen nicht ableiten. Anlass, davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1) damit
irgendetwas zu tun haben könnte, habe für die russischen Sicherheitsorgane in keiner
Weise bestanden. Ein anderes Bild als das einer Hausfrau und Mutter hätten die russischen
Sicherheitsorgane von der Klägerin zu 1) nicht haben können. Sie habe selbst erklärt, ihr
Mann habe sie von solchen Dingen immer ferngehalten. Nach dem Tod des Ehemannes am
31.05.2008 habe erst recht kein Grund mehr bestanden, die Klägerinnen zu belangen.
Nicht ersichtlich sei im Weiteren, dass es in ihrem Heimatland bereits zu konkreten
Nachstellungen von Seiten der Wahabiten gekommen sei. Mangels einer konkreten
Gefährdungslage und mangels einer existenziellen Bedrohung habe allenfalls die Suche
nach eine insgesamt besseren Lebensperspektive das Motiv für das Verlassen des
Heimatlandes sein können. Für die Klägerinnen bestehe in der Russischen Föderation auch
unter dem Gesichtspunkt ihrer ethnischen Zugehörigkeit eine inländische Fluchtalternative.
Dies gelte insbesondere für Regionen, in denen auf vorhandene Sozialstrukturen bereits
ansässiger Tschetschenen zurückgegriffen werden könne oder für Orte, an denen durch
Zuwendungen Dritter oder durch den Einsatz der eigenen Arbeitskraft die Erzielung eines
Einkommens möglich sei. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Klägerin zu 1) bei einer
Rückkehr nicht erneut Hilfestellung bekommen sollte, zumal sie noch immer über
beträchtliche finanzielle Mittel verfügen dürfte.
Europarechtliche Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls
nicht vor. Auch die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien
nicht gegeben. Von einer Existenzbedrohung der Klägerinnen im Fall einer Rückkehr in die
Russische Föderation sei auch mit Blick auf die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse
dort nicht auszugehen.
Gegen den ihnen am 05.06.2009 zugestellten Bescheid richtet sich die am 17.06.2009
bei Gericht eingegangene Klage.
Zur Begründung wiederholen die Klägerinnen ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren, das
auch glaubhaft sei. Als Ehefrau eines „Terroristen“ habe die Klägerin zu 1) befürchten
müssen, von Seiten der russischen Sicherheitsorgane mit der Explosion in Zusammenhang
gebracht zu werden. In Russland seien Sippenhaft und Willkür an der Tagesordnung.
Ausschlaggebend für die Verfolgungsgefahr sei allein die eheliche Verbindung. Ein weiterer
Aufenthalt bei der Freundin der Klägerin zu 1), bei der sie in ständiger Angst gelebt hätten,
sei nicht möglich gewesen. Abgesehen von der Verfolgung durch die russischen
Sicherheitskräfte sehe sich die Klägerin zu 1) auch von Seiten der Wahabiten gefährdet.
Die Klägerinnen beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
02.06.2009 zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich
der Klägerinnen die Voraussetzungen für ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs.
2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen,
weiterhin hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs.
5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss vom 21.01.2010 ist den Klägerinnen für die Klage – mit Ausnahme des
Begehrens auf Anerkennung als Asylberechtigte – Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die
Asylklage ist nach Rücknahme abgetrennt und das Verfahren eingestellt worden
(Geschäfts-Nr. 2 K 696/10).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Asyl- und Ausländerakten. Er war ebenso wie die in der
Sitzungsniederschrift näher bezeichneten Teile der Dokumentation Russische Föderation
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Den Klägerinnen steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
nach § 60 Abs. 1 AufenthG noch eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG zu. Der angefochtene ablehnende Bescheid der Beklagten vom 02.06.2009 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
Zur Begründung kann zunächst auf die Gründe des ablehnenden Bescheides der Beklagten
Bezug genommen werden (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
Auch nach den Erkenntnissen des gerichtlichen Verfahrens können die Klägerinnen die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine
Verfolgung ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder
wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren,
sofern staatliche oder staatsähnliche Akteure einschließlich internationaler Organisationen
erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu
bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht
vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative. Für die
Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel
7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für
die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über
den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – so genannte Qualifikationsrichtlinie – ergänzend
anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
Nach Artikel 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten als Verfolgung in diesem Sinne Handlungen, die
a) aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind,
dass sie eine schwerwiegende Verletzung der
grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere
der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Abs. 2 der
Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine
Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen,
einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte
bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon
in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen
Weise betroffen ist.
Artikel 9 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10
genannten Verfolgungsgründen und den in Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen
bestehen muss.
Vgl. zu Vorstehendem auch BVerwG, Urteil vom
19.01.2009 – 10 C 52/07 – E 133, 55.
In diesem Sinne hat die Kammer nicht feststellen können, dass die Klägerin zu 1) vor ihrer
Ausreise gegen ihre Person gerichtete politisch motivierte Verfolgung – etwa wegen einer
bei ihr vermuteten antirussischen bzw. mutmaßlich terroristischen Gesinnung- ernsthaft
befürchten musste. Die Kammer ist vielmehr überzeugt, dass die Klägerinnen nicht
vorverfolgt ausgereist sind.
Selbst wenn es zutrifft, dass es sich bei dem A. D. um den Ehemann der Klägerin zu 1)
handelte und dieser am 15.06.2006 insbesondere wegen des Verdachts, an Anschlägen
tschetschenischer Extremisten in Inguschetien im Juni 2004 beteiligt gewesen zu sein,
verhaftet wurde, fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass sich dieser Verdacht
auch gegen die Klägerin zu 1) richtete. Dagegen spricht, dass die Klägerin zu 1) selbst
unbehelligt geblieben ist, obwohl der Zugriff auch auf ihre Person unschwer möglich
gewesen sein dürfte; dass er unterblieben ist, lässt sich ohne Weiteres damit erklären,
dass die Klägerin zu 1) nach eigenem Bekunden politisch nie in Erscheinung getreten ist
und damals lediglich als Hausfrau und Mutter ihrer Tochter tätig gewesen war. Von daher
ist die Kammer auch überzeugt, dass es bei der von der Klägerin zu 1) geschilderten
telefonischen Warnung ihres Ehemannes kurz vor seiner Verhaftung, sie solle in der
Ehewohnung versteckte 200.000 US-Dollar an sich nehmen und bei einer Freundin in
Blagodarnoje in der Region Stawropol Unterschlupf suchen, darum ging, diesen Geldbetrag
dem Zugriff der Sicherheitskräfte zu entziehen und nicht die Klägerinnen vor zu
erwartenden Nachstellungen der Sicherheitskräfte zu schützen. Hierfür spricht mit
Gewicht, dass der Kammer Berichte über Vorfälle in der Russischen Föderation, die als
„Sippenhaft“ gewertet werden könnten, nicht vorliegen und es lediglich für Tschetschenien
Erkenntnisse gibt, dass gegen Familienangehörige mutmaßlicher Rebellen Gewalt
angewandt wird, um diese zur Aufgabe zu zwingen bzw. die Behörden nach glaubhaften
Angaben von Menschenrechtsorganisationen in einigen Fällen mit dem Abbrennen der
Wohnhäuser der Familien von Personen, die sich den Rebellen angeschlossen haben,
reagiert haben.
Vgl. dazu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
vom 04.04.2010, Nr. 421 der Dok. Russische Föderation;
Sippenhaft ebenfalls verneinend, Bay. VGH, Urteil vom
21.06.2010 – 11 B 08.30103 – juris; Auswärtiges Amt an
VG Ansbach vom 26.04.1996, Nr. 82 a der Dok.
Russische Föderation
Eines Einwirkens der Sicherheitsorgane auf die Klägerinnen, um Informationen über den
Aufenthaltsort des Ehemanns der Klägerin zu 1) zu erhalten, bedurfte es nach dessen
Verhaftung nicht mehr. Sonstige Gründe, die dafür sprechen könnten, die Klägerinnen
seien – wie es die Klägerin zu 1) vermutet - in eigener Person gefährdet gewesen, vermag
die Kammer nicht zu erkennen.
Was die angebliche Explosion in ihrer ehemaligen Ehewohnung angeht, bei der
Sicherheitskräfte uns Leben gekommen seien, teilt die Kammer die Auffassung der
Beklagten, dass ein nachvollziehbarer Grund für die Sicherheitsorgane, anzunehmen, die
Klägerin zu 1) sei dafür verantwortlich, nicht ersichtlich ist. Auch insoweit gilt, dass ein
entsprechender Verdacht bezogen auf die unpolitische und unauffällige Klägerin zu 1)
lebensfremd erscheint. Soweit die Klägerin ihre entsprechende Vermutung auf Berichte von
Dritten gründet – ihre Freundin habe bei einem Besuch vor Ort wiederum von Dritten die
Mitteilung erhalten, über den Vorfall sei im Fernsehen berichtet und ein Bild der Klägerin zu
1) gezeigt worden – führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Dies gilt umso mehr, als
die Klägerin zu 1) die entsprechende Einlassung bei ihrer gerichtlichen Befragung noch
dahin erweitert hat, Fahndungsplakate mit ihrem Konterfei hätten auch in Busbahnhöfen
und an anderen öffentlichen Orten ausgehangen. Das damit gesteigerte Vorbringen hält die
Kammer schon nicht für glaubhaft.
Auch in der Folgezeit bis zu ihrer Ausreise sind Anhaltspunkte für die Annahme, die Klägerin
zu 1) sei in das Visier der Sicherheitskräfte geraten, nicht erkennbar. Auch insoweit teilt die
Kammer die Einschätzung der Beklagten, dass es gerade nach dem Tod ihres Ehemannes
am 31.05.2008 keinen plausiblen Grund mehr für die Annahme gegeben habe, die
Klägerinnen würden in eigener Person von Sicherheitskräften belangt. Die gerichtliche
Anhörung der Klägerin zu 1) hat gegenteilige Erkenntnisse nicht erbracht.
Von daher bedarf es keiner Vertiefung, ob die von der Klägerin behauptete Lösegeldzahlung
mit dem Zweck der Freilassung ihres Ehemannes einen realen Hintergrund hat; es bedarf
ferner keines Eingehens auf die Frage, ob das Vorbringen der Klägerin zu 1) insoweit
glaubhaft ist, als sie erstmals im gerichtlichen Verfahren angegeben hat, ihr Ehemann sei
am Tage seines Todes gleich beerdigt worden, bei der Beerdigung seien Sicherheitskräfte
anwesend gewesen und hätten umliegende Häuser durchsucht, was sie ebenfalls
wiederum nur über ihre Freundin erfahren habe.
Vor diesem Hintergrund ist die Kammer mit der Beklagten davon überzeugt, dass es der
Klägerin zu 1) bei der Ausreise darum ging, in der Bundesrepublik Deutschland für sich und
ihre Tochter eine bessere Lebensperspektive zu finden, wobei es der Klägerin zu 1) zugute
kam, dass sie – ihr Vorbringen insoweit als wahr unterstellt – über eine größere
Geldsumme verfügte, die es ihr auch ermöglichte, die Hilfe eines Schleppers in Anspruch zu
nehmen.
Nach allem steht weiter fest, dass die Klägerinnen gegenwärtig bei Rückkehr politische
Verfolgungsmaßnahmen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssen.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerinnen Nachstellungen durch nichtstaatliche
Gruppierungen (Wahabiten) zu befürchten hätten, sind nicht feststellbar.
Letztlich bleiben auch die hilfsweise geltend gemachten Begehren erfolglos.
Abschiebungsverbote in diesem Sinne haben die Klägerinnen weder geltend gemacht, noch
sind sie sonst ersichtlich. Auch insoweit kann auf die Ausführungen in dem angefochtenen
Bescheid der Beklagten gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 83 b AsylVfG, 154 Abs. 1, 159 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr.
11, 711 ZPO.