Urteil des VG Saarlouis vom 01.03.2011

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VG Saarlouis Urteil vom 1.3.2011, 2 K 835/09
Zum Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG betr. Libanon
(hier wegen fortbestehender Verfolgungsgefahr verneint)
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 13.08.2009 wird aufgehoben.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten des Ver-fahrens
trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss erge-benden
Kostenschuld abwenden, falls nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der
derselben Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger, libanesische Staatsangehörige, reisten 1999 in die Bundesrepublik Deutschland
ein und stellten Asylantrag.
Der Kläger zu 1. trug vor, er sei einfaches Mitglied der Baath-Partei gewesen. Die Partei
habe ihm aufgetragen, im Südlibanon im militärischen Bereich eingesetzt zu werden, was
er abgelehnt habe. Deshalb habe man ihm Hochverrat vorgeworfen, ihn inhaftiert und
gefoltert. Die Klägerin zu 2. trug vor, während des Gefängnisaufenthalts ihres Mannes sei
der Geheimdienst erschienen und habe sie zur Zusammenarbeit bewegen wollen.
Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 24.11.1999 abgelehnt.
Mit Urteil vom 28.11.2002 – 11 K 56/01.A – verpflichtete die 11. Kammer des
erkennenden Gerichts die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides
hinsichtlich der Kläger festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
hinsichtlich einer Abschiebung in den Libanon vorliegen. Zur Begründung heißt es, das
Gericht sei auf der Grundlage des Vorbringens der Kläger und des Ergebnisses der
durchgeführten Beweisaufnahme (Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes und
des Deutschen Orientinstitutes) zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger den Libanon
aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen hätten und nicht
ausgeschlossen werden könne, dass ihnen bei Rückkehr in den Libanon erneut politische
Verfolgung drohe. Die Kläger seien glaubwürdig, ihr Vorbringen glaubhaft. Der Kläger zu 1.
habe widerspruchsfrei, in sich schlüssig und zeitgeschichtlich nachvollziehbar die
Beziehungen seiner Eltern zur syrischen Baath-Partei und zur Saiqa darlegen und vor
diesem Hintergrund plausibel machen können, dass die Saiqa bzw. die syrische Baath-
Partei auch ihn von Kindheit an zu ihrer Gefolgschaft gezählt und von ihm bedingungslose
Unterstützung ihrer Vorhaben erwartet habe. Ebenso habe die Klägerin zu 2. darlegen
können, dass sie in die syrische Baath-Partei hineingewachsen sei und sich seit jungen
Jahren in dieser Partei engagiert habe. Der Kläger zu 1. habe sein Vorbringen, die syrische
Baath-Partei habe ihm als Sohn getreuer Anhänger das Architekturstudium durch
Übernahme der Studiengebühren teilfinanziert und schließlich von ihm verlangt, sein Wissen
in ihre Dienste zu stellen, um geplante Aktivitäten im Südlibanon zu unterstützen,
woraufhin er aufgrund seiner Weigerung inhaftiert und gefoltert worden sei, detailreich
bekräftigt und spezifiziert. Dies habe auch die Klägerin zu 2. hinsichtlich ihres Vortrags
getan, aufgrund der Weigerung ihres Ehemannes sei sie in Bedrängnis geraten. Das
Auswärtige Amt habe in seiner Stellungnahme mitgeteilt, die Angaben der Kläger seien als
glaubhaft zu erachten. In Anbetracht ihres Vorbringens sei eine Inhaftierung bei Rückkehr in
den Libanon nicht auszuschließen. Das Deutsche Orientinstitut sei zu dem Ergebnis
gekommen, dass die Angaben des Klägers zu 1. eine „gewisse Verfolgungsgefahr“
begründeten.
Mit Bescheid vom 18.02.2003 stellte die Beklagte daraufhin fest, dass im Fall der Kläger
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Libanon vorliegen.
Nachdem die Beklagte in dem Einbürgerungsverfahren der Kläger um Mitteilung gebeten
worden war, ob die Voraussetzungen für die Flüchtlingsanerkennung noch vorlägen, leitete
sie unter dem 20.03.2009 ein Widerrufsverfahren ein.
Mit Schreiben vom 02.04.2009 gab die Beklagte den Klägern Gelegenheit zur
Stellungnahme.
Mit Anwaltsschreiben vom 04.05.2009 trugen die Kläger vor, die 11. Kammer des
Verwaltungsgerichts des Saarlandes sei zu dem Ergebnis gelangt, dass den Klägern von
Seiten der syrischen Baath-Partei Verfolgung drohe. Hintergrund sei der Umstand, dass der
Kläger zu 1. vom syrischen Geheimdienst festgenommen und inhaftiert worden sei. Die
Folter habe einen Monat gedauert und der Kläger zu 1. sei in dieser Zeit in einer 1 x 1,5 m
großen Zelle inhaftiert worden. Die Kläger hätten im Libanon Kontakt sowohl zu der
syrischen Baath-Partei als auch zu der Al-Saiqa-Organisation gehabt. Bei der Al Saiqa
handele es sich um den militärischen Arm der arabisch-sozialistischen Baath-Partei, die
zum damaligen Zeitpunkt in der „libanesischen Front“ im Südlibanon operiert habe. In der
libanesischen Front hätten sich zum damaligen Zeitpunkt neben der Al Saiqa auch
Kommunisten und andere gegen Israel gerichtete Kräfte befunden. Al Saiqa habe damals
auch in dem von der Hisbollah geführten „Nationalen Widerstand“ im Südlibanon operiert.
Etwa 1998/1999 hätten die Syrer die Organisation „Libanesische Einheiten“ bzw.
„Libanesische Saraya“ gegründet, um ihre Interessen im Libanon zu vertreten. Die Saraya
sei mit der Organisation „Nationaler Widerstand“ identisch gewesen. Syrien habe sowohl
über die Hisbollah als auch über die Saraya seine Interessen im Libanon vertreten und
durchgesetzt. Heutzutage hätten die syrischen Truppen den Libanon zwar verlassen; dies
bedeute aber nicht, dass Syrien im Libanon über keinen Einfluss mehr verfüge. Über die
Hisbollah übe Syrien trotz Abzug seiner Truppen im Libanon weiterhin Einfluss aus.
Insbesondere sei die Hisbollah in der Lage, Personen, deren die Syrer habhaft werden
wollen, für diese zu verhaften und nach Syrien zu überstellen, ohne dass die libanesische
Regierung etwas entgegensetzen könne.
Im Rahmen eines Widerrufsverfahrens sei für vorverfolgt ausgereiste Personen der
herabgestufte Prognosemaßstab anzuwenden. Darüber hinaus sei für den Kläger zu 1.
angesichts der erlittenen Folter § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einschlägig.
Mit Bescheid vom 13.08.2009 widerrief die Beklagte die Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und stellte fest, dass die
Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ebenso wenig vorliegen
wie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes. Zur Begründung
ist unter Darlegung im Einzelnen ausgeführt, bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für
das festgestellte Abschiebungsverbot nicht mehr vorlägen, seien dieselben Grundsätze
über die Verfolgungswahrscheinlichkeit anzuwenden wie bei der Erstentscheidung. Zu
berücksichtigen sei auch hier eine bereits erlittene Vorverfolgung mit der Folge, dass ein
Widerruf hinreichende Sicherheit vor einer Wiederholung der Verfolgung erfordere. Seien die
Ausländer von konkreten Verfolgungsmaßnahmen bedroht gewesen, sei der Wegfall der
Anerkennungsvoraussetzungen nach dem herabgeminderten Prognosemaßstab zu
beurteilen. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entspreche somit seinem Inhalt nach der
„Beendigungs“ oder „Wegfall - der – Umstände-Klausel“ in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GfK, die
sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung beziehe.
Im Libanon sei eine Ära zu Ende gegangen: Nach 29 Jahren hätten die Syrer am
26.04.2005 endgültig ihre Truppen aus dem Land abgezogen. Libanon sei eine
parlamentarische Demokratie auf der Basis eines Konfessionsproporzes. Politische Parteien
seien zugelassen, vorherrschend seien aber Zweckbündnisse aufgrund religiöser
Zugehörigkeit. Das libanesische System werde von der Zusammenarbeit der
verschiedenen Konfession getragen, daneben spielten jedoch auch Familien – und regionale
Interessen eine große Rolle. Die politische Situation im Libanon habe sich nach einem
Bericht der Vereinten Nationen deutlich verbessert. Der libanesische Präsident arbeite hart
an der nationalen Einheit. Zwingende auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäß
§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG seien nicht ersichtlich. Demnach lägen die Voraussetzungen für
die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr vor, weil
sich die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung nicht treffen lasse.
Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs.
1 AufenthG lägen nicht vor. Nach dem Abzug der syrischen Truppen seien die Möglichkeiten
der unmittelbaren Einflussnahme der Syrer im Libanon erheblich geringer geworden.
Insbesondere die im Begünstigungszeitpunkt gegebene Einflussnahme an den Grenzstellen,
wie etwa dem Flughafen Beirut, sei weggefallen. Syrische Stellen könnten nicht mehr
eigenmächtig im Libanon vorgehen und Hoheitsgewalt ausüben. Eine asylrechtlich relevante
Verfolgung könne dem Ausländer nicht mehr drohen. Der libanesische Staat sei in der Lage
und willens, seine Bürger vor Übergriffen Dritter zu schützen. Zwar verfüge er nicht immer
und überall über die ausschließliche Hoheitsgewalt; von einer Schutzversagung des Staates
könne jedoch nicht schon dann ausgegangen werden, wenn ein lückenloser Schutz vor
politisch motivierten Übergriffen durch staatliche Stellen oder Einzelpersonen fehle. Das
seitens des Verwaltungsgerichts festgestellte Interesse der Syrer an den Klägern sei allein
schon angesichts des Zeitablaufs – seit ihrer Ausreise seien fast 10 Jahre vergangen –
geschwunden.
Nicht nachvollziehbar sei der Vortrag, die Hisbollah könne auf die Kläger zugreifen und sie
den Syrern ausliefern. Die Hisbollah sei eine dem Islamismus zugeordnete libanesische
Organisation. Im Gegensatz zu ihrer Frühphase sei sie heute ein Bespiel für die
Privatisierung des Terrorismus. Neben ihren terroristischen Netzwerken präsentiere sich die
Hisbollah im Libanon auch als sehr gut organisierte Partei, die seit 1992 auch im
libanesischen Parlament vertreten sei. Sie rekrutiere ihre Anhänger fast ausschließlich
innerhalb der schiitischen Bevölkerungsgruppe und sei insbesondere im Südlibanon präsent.
Bei etwaigen Nachstellungen von Seiten der Hisbollah, die es im Einzelfall geben möge,
könne sich der Betroffene an die Polizei wenden, wobei auch hier gelte, dass von einer
Schutzversagung des Staates nicht ausgegangen werden könne, wenn ein lückenloser
Schutz vor politisch motivierten Übergriffen fehle. Die Kläger hätten bei einer Rückkehr in
den Libanon auch die Möglichkeit, sich den Nachstellungen durch die Hisbollah zu entziehen,
indem sie sich in einem Landesteil niederließen, der unter libanesischer Staatsgewalt stehe
und nicht als direktes Einflussgebiet der Hisbollah gelte.
Die Machtbefugnisse des syrischen Geheimdienstes auf libanesischem Gebiet seien
beendet.
Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
Gegen den den Klägern mit am 20.08.2009 zur Post gegebenen Einschreiben zugestellten
Bescheid richtet sich die am 02.09.2009 bei Gericht eingegangene Klage.
Zur Begründung haben die Kläger ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt
und vertieft.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 13.08.2009 aufzuheben,
hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung
ihres Bescheides vom 13.08.2009 zu verpflichten,
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG vorliegen,
hilfsweise, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot
nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Abs. 2 AufenthG vorliegt,
weiter hilfsweise, festzustellen, dass ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1
AufenthG vorliegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsakten und Ausländerakten. Er war ebenso wie die in
der Sitzungsniederschrift näher bezeichneten Teile der Dokumentation Libanon Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes der Beklagten vom 13.08.2009 ist
rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts
sind die Voraussetzungen für einen Widerruf der mit Bescheid vom 18.02.2003 aufgrund
rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28.11.2002 – 11 K
56/01.A – getroffenen Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
hinsichtlich des Libanon vorliegen, nicht gegeben.
Rechtsgrundlage des Widerrufs ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach sind die
Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Nach
Satz 2 ist dies insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die
zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu
nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage
ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies gilt
nach Satz 3 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen
beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hatte.
§ 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 entspricht inhaltlich der „Beendigungs- oder Wegfall - der -
Umstände-Klausel“ in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 11
Abs. 1 Buchst. e und f der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Asyl- und
Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der
Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur
vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen
Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen
auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen
Gründen erneut Verfolgung droht.
BVerwG, Urteil vom 01.11.2005 – 1 C 21/04 -, juris.
Auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts hat der EuGH mit Urteil vom 02.03.2010 – u.
a. C 175/08 – NVwZ 2010, 505 zur Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der
Qualifikationsrichtlinie ausgeführt, die Flüchtlingseigenschaft erlösche, wenn in Anbetracht
einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem
fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete
Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG
genannten Gründe gehabt habe und als Flüchtling anerkannt worden sei, weggefallen seien
und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst.
c der Richtlinie haben müsse.
Vor diesem Hintergrund liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf derzeit nicht vor.
Zwar haben die sich zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Umstände im
Heimatland der Kläger mit dem offiziellen Rückzug der syrischen Streitkräfte und
Sicherheitsdienste Mitte des Jahres 2005 aus dem Libanon durchaus erheblich und nicht
nur vorübergehend geändert. Mit Blick auf die von der 11. Kammer des erkennenden
Gerichts seinerzeit festgestellten Verfolgungsgründe kann aber gegenwärtig nicht mit der
erforderlichen hinreichenden Sicherheit ausgeschlossen werden, dass den Klägern erneut
Verfolgungsmaßnahmen drohen.
Die 11. Kammer hat seinerzeit festgestellt, dass die Kläger den Libanon aus begründeter
Furcht vor politischer Verfolgung verlassen hätten sowie des Weiteren nicht
ausgeschlossen werden könne, dass ihnen bei Rückkehr in den Libanon erneut politische
Verfolgung drohe. Der Kläger zu 1. habe glaubhaft geschildert, dass ihm die syrische
Baath-Partei das Architekturstudium durch Übernahme der Studiengebühren teilfinanziert
habe und schließlich im März 1999 von ihm verlangt habe, sein Wissen in ihre Dienste zu
stellen, um geplante Aktivitäten im Südlibanon zu unterstützen. Infolge seiner Weigerung
sei er inhaftiert und gefoltert worden. Die Klägerin zu 2. sei als Parteimitglied nach ihrem
Umzug in den Libanon und der Befehlsverweigerung ihres Ehemannes intensiver
Überwachung seitens der syrischen Baath-Partei und des syrischen Geheimdienstes
ausgesetzt gewesen, immer wieder zur Parteitreue und Mitarbeit aufgefordert und dabei
regelrecht unter Druck gesetzt worden.
Aus heutiger Sicht ist daher ausgehend von der damals festgestellten Verfolgungssituation
zu prüfen, ob die Kläger heute vor einem Zugriff der syrischen Baath-Partei oder des
syrischen Geheimdienstes im Libanon sicher wären bzw. seitens libanesischer Behörden
ausreichend geschützt würden. Dies vermag das Gericht nicht mit der erforderlichen
Überzeugung festzustellen.
Zur Begründung ihres Bescheides hat sich die Beklagte im Wesentlichen unter Bezug auf
den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008 – in Dok. Libanon – darauf
berufen, nach 29 Jahren Besatzung seien die Syrer endgültig aus dem Libanon abgezogen.
Ferner ist in dem Bescheid die politische Entwicklung seither dargestellt und ausgeführt, die
politische Situation im Libanon habe sich deutlich verbessert. Ein Bezug zu dem
Verfolgungsschicksal der Kläger wird aber nicht hergestellt, insbesondere verhält sich der
Bescheid weder zu einem Agieren des syrischen Geheimdienstes noch zu der Frage einer
syrischen Einflussnahme über offizielle Stellen und sonstige pro-syrische Gruppierungen.
Aus dem für die Kammer maßgeblichen aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom
19.03.2010 – in Dok. Libanon – ist zu entnehmen, dass derzeit keine politischen Häftlinge
bekannt seien. Die verschiedenen Sicherheitsdienste hätten in der Vergangenheit immer
wieder willkürliche und rechtswidrige Festnahmen ohne gültige Haftbefehle sowie
Hausdurchsuchungen vorgenommen; diese Praxis komme seit dem Abzug der syrischen
Streitkräfte und Sicherheitsdienste 2005 kaum noch vor. Allerdings halte Syrien weiterhin
eine unbekannte Anzahl libanesischer Staatsbürger fest (nach belastbaren Schätzungen
mindestens 270), die im Verlaufe der letzten 15 Jahre aus dem Libanon nach Syrien
verbracht und dort zumeist ohne Anklageerhebung inhaftiert worden seien. Dies vor dem
Hintergrund, dass Personen oder Gruppen, die gegen syrische Interessen gehandelt hätten,
in der Vergangenheit mit Verfolgung und Straf- bzw. Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen
gehabt hätten. Ungeklärt seien die Hintergründe mehrerer Mordversuche und Morde in der
Zeit zwischen Oktober 2004 und Dezember 2007, wobei alle Ermordeten durch ihre anti-
syrischen Positionen bekannt gewesen seien. Ende 2008 habe der militärische
Nachrichtendienst in Tripolis ein Mitglied einer syrischen Oppositionsgruppe verhaftet. Die
Behörden hätten angegeben, ihn am Folgetag entlassen zu haben, doch sei der Betroffene
seitdem verschollen und nicht auszuschließen, dass er nach Syrien verschleppt worden sei
(Seiten 10, 14, 17 und 20 des Lageberichts).
Aus der Veränderung der allgemein-politischen Lage lässt sich zwar schließen, dass eine
Gefährdung der Kläger heute deutlich geringer sein dürfte als zur Zeit ihrer Ausreise bzw.
des stattgebenden Urteils der 11. Kammer des Gerichts im Jahr 2002. Damit ist aber nicht
gesagt, dass die Kläger bei einer heutigen Rückkehr vor erneuten Verfolgungsmaßnahmen
hinreichend sicher wären. Es ist vielmehr nicht auszuschließen, dass auch unter den
heutigen Gegebenheiten Personen, die vor Jahren in das Visier des syrischen
Geheimdienstes bzw. der Baath-Partei geraten waren, noch wegen (unterstellter) anti-
syrischer Bestrebungen belangt werden. Ersichtlich ist der syrische Staat dazu in seinem
Nachbarland Libanon – wenn auch nunmehr inoffiziell – weiter in der Lage. Dabei mag sich
der syrische Staat durchaus der Unterstützung der Hisbollah bedienen, deren Miliz in Teilen
des Libanon die beherrschende Ordnungsmacht darstellt und die mit Ministern im Kabinett
vertreten ist. Hinzu kommt der ohne Weiteres naheliegende Einsatz geheimdienstlicher
Mittel, um die syrischen Interessen im Libanon zu wahren. Anhaltspunkte dafür, dass der
libanesische Staat den Klägern vor etwaigen Zugriffen effektiven Schutz gewähren könnte,
vermag die Kammer nicht zu erkennen.
Vgl. ebenso Urteile des VG Meiningen vom 08.06.2010 –
2 K 20109/09 ME – sowie des VG Düsseldorf vom
27.09.2010 – 21 K 1441/07.A – jeweils juris.
Nach allem fehlt es an positiven Feststellungen darüber, dass die Kläger bei einer Rückkehr
in den Libanon nunmehr vor der erlebten Verfolgung hinreichend sicher wären, was zur
Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11,
711 ZPO.