Urteil des VG Saarlouis vom 12.05.2010

VG Saarlouis: einstellung der bauarbeiten, gemeinde, stadt, bauherr, öffentlich, firma, grundstück, genehmigungsverfahren, vollstreckung, vervielfältigung

VG Saarlouis Urteil vom 12.5.2010, 5 K 28/10
Kein Anspruch auf Baugenehmigung für Euronorm-Werbetafel bei vom Bauherrn gewählter
Verfahrensfreiheit
Leitsätze
1. Die Verpflichtungsklage auf eine Baugenehmigung ist unzulässig, wenn der Bauherr bei
der Bauaufsichtsbehörde keine Baugenehmigung beantragt hat.
2. Die Anzeige eines verfahrensfreien Vorhabens bei der Gemeinde ist nicht in einen
Bauanttag umzudeuten.
3. Bei verfahrensfreien Vorhaben ist die Erteilung einer Baugenehmigung ausgeschlossen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung von zwei
einseitigen Euronorm-Werbetafeln in D..
Mit dem Vordruck Verfahrensfreiheit nach § 61 Abs. 2 LBO und § 1 BauVorlVO vom
23.12.2008 zeigte die Klägerin bei der Stadt D. die Errichtung von zwei freistehenden
Werbetafeln im Euronorm-Format auf dem Grundstück in D., … an.
Das Grundstück befindet sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
Die Stadt D. teilte der Klägerin mit Schreiben vom 07.01.2009 mit, die Anzeige sei am
29.12.2008 eingegangen. Der beabsichtige Standort der Werbetafeln befinde sich in einem
Allgemeinen Wohngebiet, in dem nach § 12 Abs. 4 LBO Werbeanlagen nur an der Stätte
der Leistung zulässig seien. Das Vorhaben könne daher an dem Ort nicht durchgeführt
werden.
Die Klägerin teilte der Stadt D. mit Schriftsatz vom 22.01.2009 mit, dass die Werbeanlage
in den nächsten Wochen errichtet werde, da eine vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 1
Satz 2 BauGB nicht beantragt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 17.02.2009 zeigte die Firma S. Außenwerbung GmbH der Stadt D. an,
dass sie die Vorgänge zur Errichtung der Werbeanlagen von der Klägerin käuflich
übernommen habe. Wegen der massiven Probleme werde um Übersendung des
Schreibens gebeten, mit dem die Einwilligung zur Errichtung der Werbeanlagen versagt
worden sei.
Am 20.04.2009 erklärte die Grundstücksnachbarin, sie habe vor ca. 6 Wochen der
Eigentümerin des Vorhabengrundstücks die schriftliche Zustimmung zur Errichtung der
Werbeanlage in einem Abstand von 1,50 m von ihrer Grundstücksgrenze erteilt. Dieses
Einverständnis widerrufe sie, da sie nicht damit einverstanden sei, dass die Werbeanlage in
unmittelbarer Nähe ihres Hauses aufgestellt werde.
Mit Schreiben vom 20.02.2009 wandte sich die Klägerin an den Beklagten: Mangels
Bebauungsplans komme es nach § 34 BauGB auf die tatsächliche bauliche Nutzung in der
näheren Umgebung an. Dort gebe es diverse Gewerbebetriebe und Tankstellen, die nicht
allein der örtlichen Versorgung dienten. Das Vorhabengrundstück selbst werde von dem
großen Sägewerk maßgeblich geprägt. Auf dem Nachbargrundstück weise eine wesentlich
größere Werbetafel auf das „Kaufland“ hin, zu dem man gelange, wenn man nach 800 m
nach rechts abbiege. Da die Stadt D. keine vorläufige Untersagung beantragt habe, sei die
Aufstellung der Werbetafel legal. Die Einstellung der Bauarbeiten durch die Bauaufsicht sei
Amtsbeugung und Nötigung. Die Tafeln würden jetzt errichtet werden.
Unter dem 21.04.2009 wandte sich die Stadt D. an den Beklagten: Die Werbetafeln seien
von der Klägerin trotz des Hinweises im Schreiben vom 07.01.2009, dass es sich bei der
näheren Umgebung um ein Allgemeines Wohngebiet handele, Ende März 2009 von der
Firma S. Außenwerbung GmbH errichtet worden. Es werde um ein bauaufsichtliches
Einschreiten gebeten, zumal die Werbeanlage das Straßen- und Stadtbild verunstalte.
Außerdem habe die Eigentümerin des Nachbargrundstücks ihre Zustimmung zur
Unterschreitung der Abstandsfläche widerrufen.
Nachdem die Firma S. Außenwerbung GmbH zur beabsichtigten Anordnung der
Beseitigung der Werbeanlagen vom Beklagten Ende Juli 2009 angehört worden war,
wurden die Werbetafeln im September 2009 entfernt.
Mit Schreiben vom 22.10.2009 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und machte
geltend, dass sie Antragsteller und Bauherr des Vorhabens sei. Da nunmehr die Ansicht
vertreten werde, dem Vorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, gelte
wohl keine Verfahrensfreiheit gemäß § 61 Abs. 2 LBO. Deshalb werde um einen
rechtsmittelfähigen Bescheid gebeten.
Der Beklagte erwiderte der Klägerin unter dem 03.11.2009, durch den Verkauf der
Vorgänge zur Errichtung der Werbeanlagen, deren Mitteilung an die Stadt D. und deren
Weiterleitung an die Bauaufsichtsbehörde sei die Firma S. Außenwerbung GmbH nach § 53
LBO neuer Bauherr geworden. Damit sei die Klägerin nicht mehr am Verfahren zu
beteiligen (§ 13 SVwVfG).
Die Klägerin machte mit Schriftsatz vom 12.11.2009 gegenüber dem Beklagten geltend,
ein Bauherrenwechsel habe nicht stattgefunden. Anbei werde der Antrag auf
Verfahrensfreiheit erneut übersandt. Sollte nicht bis zum 15.12.2009 ein
rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt werden, werde Klage erhoben.
Der Beklagte erwiderte auf dieses Schreiben, er habe den neuen „Antrag“ nach § 61 Abs.
2 LBO und § 2 BauVorlVO vom 13.11.2009 mit den jeweils einfach beigefügten Anlagen
„Produktbeschreibung für Großflächen“ und „Flurkarte“ zuständigkeitshalber an die Stadt
D. weitergeleitet. Der guten Ordnung halber werde darauf hingewiesen, dass weder ein
Lageplan noch zwei Fotoblätter beigefügt gewesen seien.
Am 12.01.2010 hat die Klägerin bei Gericht Untätigkeitsklage erhoben. Zu deren
Begründung macht sie geltend, sie habe das Vorhaben der Stadt D. gemäß § 61 Abs. 2
LBO angezeigt und die Stadt habe keine vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 2 BauGB
beantragt. Der Beklagte weigere sich seit Monaten ihr einen rechtsmittelfähigen Bescheid
zu erteilen. Er weigere sich sogar, sie als Bauantragsteller anzuerkennen. Öffentlich-
rechtlich stünden der Errichtung der Werbeanlage keine Vorschriften entgegen. Die nähere
Umgebung stelle sich als Mischgebiet dar, eine Verunstaltung oder Verkehrsgefährdung sei
nicht zu besorgen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihr die Baugenehmigung zur Errichtung
von zwei Werbetafeln gemäß ihrem Antrag zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf den Inhalt der dem Gericht vorgelegten Verwaltungsakten.
Das Gericht hat die Klägerin mit Verfügung vom 05.03.2010 darauf hingewiesen, dass
wenn der Bauherr allein bei der Gemeinde eine Anzeige des Vorhabens nach § 61 Abs. 2
LBO einreicht und die Gemeinde keine vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 1 S. 2
BauGB beantragt, die Erteilung einer Baugenehmigung nicht in Betracht komme. Die
Klägerin hat sich dazu nicht geäußert.
Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts ergeben sich aus dem Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Das Ausbleiben der Klägerin steht der Verhandlung und Entscheidung nicht entgegen, da
alle Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf die Rechtsfolgen des § 102
Abs. 2 VwGO hingewiesen wurden.
Die auf die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete
Klage ist unzulässig, weil die Klägerin eine solche bisher nicht beim Beklagten beantragt
hat.
Die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage hängt grundsätzlich von einem zuvor im
Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten
Verwaltungsakts ab. (BVerwG, Urteil vom 16.12.2009 – 6 C 40.07 – Rdnr. 17 mit
umfangreichen Nachweisen) Vorliegend hat die Klägerin zunächst ihr beabsichtigtes
Vorhaben durch Einreichung der nach § 1 Abs. 2 BauVorlVO erforderlichen Unterlagen der
Gemeinde zur Kenntnis gegeben und hat damit keine Baugenehmigung beantragt, sondern
ist den Weg der Verfahrensfreiheit nach § 61 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 LBO gegangen. In
verfahrensfreien Verfahren kommt die Erteilung einer Baugenehmigung nicht in Betracht.
Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Baugenehmigung ist § 73 Abs. 1 LBO. Danach ist
die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen
Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen
sind. Diese Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung liegen nicht vor, weil
nach der Gesetzeslage aufgrund der Landesbauordnung vom 18.02.2004 (LBO 2004) in
verfahrensfreien Verfahren keine Prüfung im bauordnungsrechtlichen Verfahren vorgesehen
ist.
Nach § 60 Abs. 1 LBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von
Anlagen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 61 bis 63 und 77 (LBO) nichts anderes
bestimmt ist.
Vorliegend bestimmt § 61 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 LBO 2004 in diesem Sinne „anderes“.
Danach sind Werbeanlagen bis zu 10 m Höhe verfahrensfrei, wenn die Bauherrin der
Gemeinde das beabsichtigte Vorhaben durch Einreichung der erforderlichen Unterlagen zur
Kenntnis gegeben hat und die Gemeinde nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine
vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB beantragt. Dieser Fall ist hier
gegeben: Die Klägerin hat die Unterlagen zur Verfahrensfreiheit nach § 61 Abs. 2 LBO bei
der Gemeinde eingereicht, die wiederum nicht binnen zwei Wochen beim Beklagten eine
vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauGB beantragt hat.
Auch im weiteren Laufe des Verwaltungsverfahrens hat die Klägerin beim Beklagten keine
Baugenehmigung beantragt und zwar weder mit dem Schreiben vom 22.10.2009 noch
mit dem vom 12.11.2009. Mit beiden Schreiben vertritt sie die Auffassung, die
Verfahrensfreiheit gelte nicht, wenn die Gemeinde und/oder die Bauaufsichtsbehörde der
Auffassung seien, dem Vorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen. Diese
Auffassung trifft nicht zu. Grundsätzlich bestimmt allein der Bauherr, ob er eine
Baugenehmigung beantragt oder aber der Gemeinde ein verfahrensfreies Vorhaben zur
Kenntnis gibt. Des Weiteren bestimmt die Bauvorlagenverordnung – BauVorlVO – welche
Unterlagen bei den unterschiedlichen Verfahrensarten einzureichen sind. Bei
verfahrensfreien Vorhaben nach § 61 Abs. 2 LBO sind nach § 1 Abs. 2 BauVorlVO als
erforderliche Unterlagen eine Lageplanskizze mit Angabe des Baugrundstücks (Anschrift,
Gemarkung, Flurstück) und der Lage des Bauvorhabens auf dem Grundstück und eine
einfache Beschreibung des Vorhabens einzureichen, und alles nach § 1 Abs. 3 Buchstabe a)
BauVorlVO in zweifacher Ausfertigung. Demgegenüber verlangt die Einreichung eines
Bauantrages für Werbeanlagen im vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 64 LBO) nach
§ 1 Abs. 1 und 3 Buchstabe c) BauVorlVO u.a. die Vorlage einer Vervielfältigung der
Flurkarte (§ 2), des Lageplans (§ 3), der Bauzeichnungen (§ 4), der Bau- und
Nutzungsbeschreibung (§ 5), der bautechnischen Nachweise (§ 8), und alles in dreifacher
Ausfertigung.
Die Klägerin hat bereits ausweislich der eingereichten Vordrucke ein verfahrensfreies
Vorhaben angezeigt und keine Baugenehmigung beantragt. Auch in der der Anzeige
beigefügten „Beschreibung der Baumaßnahme geringen Umfanges, (Einfriedungen,
Stützmauern, kleinere Um-, An- und Aufbauten, Kleingaragen) Werbeanlagen und
Warenautomaten“ heißt es eingangs: An die Gemeinde/untere Bauaufsichtsbehörde: Name
D., Stelle Bauordnungsamt. Die Flurkarte ist eine Fotokopie, die nicht den Anforderungen
des § 2 BauVorlVO entspricht, die eine Beglaubigung des Landesamtes für
Kataster/Vermessungs- und Kartenwesen (LKVK) neustens Datums mit der Bezeichnung
des Eigentümers des Baugrundstücks und der benachbarten Grundstücke und der
Grundstücksfläche verlangt. Weiterhin lag der Anzeige keine Lageplan im Sinne von § 3
BauVorlVO bei.
Keine Bedeutung für die Frage des Ausschlusses der Erteilung einer Baugenehmigung
kommt dem Umstand zu, dass vorliegend die Gemeinde und der Beklagte der Auffassung
sind, dass das Vorhaben – die Errichtung von zwei Euronorm-Werbetafeln – in einem
Allgemeinen Wohngebiet verwirklicht werden soll, wo es nach § 12 Abs. 4 LBO unzulässig
ist, während die Klägerin die Ansicht vertritt die nähere Umgebung stelle sich als
Mischgebiet dar. Zwar entbinden die Genehmigungsfreiheit sowie die Beschränkung der
bauaufsichtlichen Prüfung (§§ 64, 65 und 67 Abs. 4 LBO) nicht von der Verpflichtung zur
Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen
gestellt werden und lassen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt. Das
bedeutet, dass im Falle der Verfahrensfreiheit die Erteilung einer Baugenehmigung und
damit auch eines Bauvorbescheides nach § 76 LBO ausgeschlossen ist und der Bauherr in
Eigenverantwortung entscheiden muss, ob er das Vorhaben mit dem Risiko realisiert,
anschließend mit einer Beseitigungsanordnung (§ 82 Abs. 1 LBO) rechnen zu müssen. Die
Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist im Falle der
Verfahrensfreiheit erst im Anfechtungsverfahren gegen die Beseitigungsanordnung
rechtsverbindlich zu klären.
Da die Klägerin beim Beklagten keine Baugenehmigung beantragt hat, was allerdings
durchaus noch möglich ist, ist die Verpflichtungsklage unzulässig.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Anzeiger eines
verfahrensfreien Vorhabens auch dann eine Baugenehmigung förmlich beantragen kann,
wenn er zuvor die Rechte an dem verfahrensfreien Vorhaben zivilrechtlich an einen Dritten
abgetreten hat und der Dritte das Vorhaben zunächst realisiert, dann aber wieder beseitigt
hat. Denn die Baugenehmigung ergeht nach § 73 Abs. 4 LBO unbeschadet privater Rechte
Dritter und bestätigt deshalb nur die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-
rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Damit ist die Klage mit der Kostenfolge aus den § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Berufung wird nicht gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO zugelassen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung
mit den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG in
Verbindung mit den Tz. 9.1.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.