Urteil des VG Saarlouis vom 28.10.2009

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VG Saarlouis Beschluß vom 28.10.2009, 10 L 733/09
Vorläufiger Rechtsschutz auf Feststellung des visumspflichtfreien Aufenthalts eines
türkischen Staatsangehörigen als Tourist
Leitsätze
Zur Frage der Anwendung des Soysal-Urteils des EuGH auf türkische Touristen, die sich mit
Schengen-Visum im Bundesgebiet aufhalten und auch nach Ablauf des Visums weiter
aufhalten wollen.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert für das Verfahren wird auf 3.750 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Anträge mit denen der Antragsteller, bezogen auf die von ihm zeitgleich eingereichte
Klage im Verfahren 10 K 732/09, die Feststellung begehrt, dass er sich als als ein mit
einem Schengen-Visum eingereister türkischer Tourist weiter ohne Visum im Bundesgebiet
aufhalten darf, und die Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Bescheinigung über die
Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet auszustellen, beantragt, haben keinen
Erfolg.
Was den diesbezüglich gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung der erhobenen Feststellungsklage anbelangt, beruft er sich darauf, dass sein
Aussetzungsantrag in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 81 Abs. 4 und
5 AufenthG, wonach dem Ausländer eine Bescheinigung über die Wirkung seiner
Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in Form einer Fiktionsbescheinigung
auszustellen ist, statthaft sei, nachdem er am 02.07.2009 nach Einreise mit einem
befristeten Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 29.04. bis 28.06. 2009 als Tourist in die
Bundesrepublik eingereist ist, einen entsprechenden Antrag beim Antragsgegner
insbesondere unter Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom
19.02.2009, C-228/06 (Soysal) eingereicht und diese mit Schreiben vom 14.07.2009 ihm
die gewünschte Bescheinigung, dass er sich als visumsfreier Tourist weiterhin im
Bundesgebiet aufhalten darf, mit dem Hinweis abgelehnt hat, dass die Gründe der
herangezogenen Entscheidung auf den Antragsteller nicht anwendbar seien.
Hiervon ausgehend vertritt die Kammer die Auffassung, dass der von dem Antragsteller
gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der von ihm erhobenen
Feststellungsklage nicht statthaft ist. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auf die Fälle der Anfechtungsklage beschränkt. Gegenstand des
Hauptsacheverfahrens ist vorliegend indes keine mit Rechtsbehelfen bzw. Rechtsmitteln
anfechtbare Entscheidung des Antragsgegners. Vielmehr begehrt der Antragsteller vom
Antragsgegner als türkischer Staatsangehöriger unter Berufung auf europäisches Recht die
Feststellung, dass sein Aufenthalt als türkischer Staatsangehöriger generell und damit auch
weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet visumsfrei erlaubt ist und die Ausstellung generell
einer diese Rechtsauffassung bestätigenden Bescheinigung zum Nachweis im
Rechtsverkehr, insbesondere bei polizeilichen bzw. behördlichen Kontrollen (etwa
entsprechend § 4 Abs. 5 AufenthG). Für den Regelungszusammenhang von Antragstellung
und Fiktionswirkung im Sinne von § 81 AufenthG ist geklärt, dass Rechtsschutz nach § 80
Abs. 5 Satz 1 VwGO zu gewähren ist, da in diesen Fällen im Hauptsacheverfahren die
Anfechtungsklage gegeben ist und der Betroffene ohne Anordnung der aufschiebenden
Wirkung das fiktive Bleiberecht und, soweit die Fortbestandsfiktion betroffen ist, darüber
hinaus weitere Begleitrechte verliert.
Vgl. dazu Störr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kom. zum
Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 81 AufenthG Rdn. 25 f.;
Renner, AuslR, 8. Anlage 2005, § 81 AufenthG Rdn. 9 ff.;
Finkelnburg/Dombert/Külpmann, vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage 2008, Rdn. 1210 f.
Die gesetzlichen Fiktionswirkungen aus § 81 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG tragen jeweils
speziellen Situationen Rechnung, wobei der vom Antragsteller für sich in angesprochenen
Anspruchsposition am ehesten die Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG entspricht.
Nach dieser Vorschrift gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im
Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung einer
von diesem beantragten Erteilung eines Aufenthaltstitels, als erlaubt. Dem ist die von dem
Antragsteller an die Behörde und das Gericht herangetragene Sachlage, wonach er sich
generell erlaubnisfrei im Bundesgebiet aufhält, nicht zu vergleichen, da er, solange er einen
anderen Aufenthaltszweck nicht geltend macht, - folgt man seiner Argumentation – gar
keinen Aufenthaltstitel beantragen muss. Von daher entsteht auch keine Situation, in der
die durch den Antrag ausgelöste Fiktionswirkung, an die eine Anfechtungsklage im Falle des
§ 81 AufenthG anknüpft, im Wege der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels gesichert werden kann. In der Situation des
Antragstellers genügt in Anknüpfung an seine Rechtsauffassung, wie er dies im
Hauptsacheverfahren beantragt hat, die Feststellung bzw. die Verpflichtung der Behörde
zur Feststellung des rechtmäßigen Aufenthalts. Dieses Begehren ist im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren statthafterweise im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123
VwGO ebenso sicherbar, wie die weiter begehrte Ausstellung einer dem entsprechenden
Bescheinigung. Eine andere Situation könnte sich nur dann ergeben, wenn die
Ausländerbehörde gegen den Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergreift und
gegen eine etwaige Abschiebungsandrohung unter Fristsetzung des Rechtsbehelfs des
Widerspruchs gegeben und deshalb vorläufigen Rechtsschutz nach § 81 Abs. 5 VwGO zu
gewähren wäre. Hiervon ist nach der vorliegend gegebenen Sachlage aber nicht
auszugehen. Vielmehr hat der Antragsgegner dem Antragsteller bisher lediglich seine
dessen Ansinnen entgegenstehende Rechtsauffassung mitgeteilt, die begehrte Feststellung
ebenso wie die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung abgelehnt und zur
Vermeidung von Nachteilen geraten, das Bundesgebiet nach Ablauf des ihm erteilten
Visums wieder zu verlassen.
Nach allem ist vorläufiger Rechtsschutz im Wege von § 123 VwGO zu gewähren und das
Aussetzungsbegehren des Antragstellers von Amts wegen entsprechend umzudeuten. Der
geltend gemachte Anordnungsantrag bleibt indes ohne Erfolg.
Zwar ist dem Antragsteller ein Anordnungsgrund zuzubilligen, da er nach Ablauf des ihm
erteilten Visums und weiterem Aufenthalt im Bundesgebiet rechtliche und tatsächliche
Nachteile insbesondere bei polizeilichen Kontrollen befürchten muss. Hingegen ist der von
ihm geltend gemachte Anordnungsanspruch nach der im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes gegebenen summarischen Prüfung nicht glaubhaft gemacht, weil die von
ihm aufgrund der o. a. Entscheidung es Europäischen Gerichtshofes reklamierte
„Superfreiheit“
vgl. dazu etwa Hailbronner, Visafreiheit für türkische
Staatsangehörige ?, NVwZ 2009, 760, 764; Dienelt, Die Visafreiheit
türkischer Touristen und anderer Dienstleistungsempfänger, InfAuslR
2001, 473; ders., Auswirkungen der Soysal-Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs auf das Visumverfahren türkischer
Staatsangehöriger, ZAR 2009, 182; Welte, Visumpflicht – türkische
Staatsangehörige, InfAuslR 2004, 177; Westphal, Visumbefreiung für
türkische Staatsangehörige nach der Rechtslage am 1.1.1973,
InfAuslR 2009, 133; AG Erding, Urteil vom 29.04.2009, InfAuslR
2009, 268
sich jedenfalls für diejenigen türkischen Staatsangehörigen nicht herleiten lässt, die als
Touristen eingereist sind und sich, wie der Antragsteller bereits drei Monate mit einem
Touristenvisum hier aufgehalten haben. Im Einzelnen ergibt sich dies aus folgenden
Erwägungen:
Dem Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass nicht auszuschließen ist, dass die
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
vom 19.02.2009, C-228/06 (Soysal), zit. nach juris,
auch auf die Einreise von türkischen Staatsangehörigen als Touristen in das Bundesgebiet
und die Frage des für diese derzeit geltenden Visazwangs Auswirkungen haben kann. Der
Entscheidung ist zu entnehmen,
a. a. O. Rdnr. 55 ff.
dass „hinsichtlich türkischer Staatsangehöriger wie der Kläger“ des dortigen
Ausgangsverfahrens, das heißt Arbeitnehmern i. S. v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 DVAuslG vom
12.03.1969, BGBl. S. 207, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates von der
Dienstleistungsfreiheit nach dem Assoziierungsabkommen Gebrauch machen wollen, eine
nationale Regelung, die diese Tätigkeit von der Erteilung eines Visums abhängig macht, das
von Gemeinschaftsangehörigen nicht verlangt werden kann, geeignet ist, die tatsächliche
Ausübung dieser Freiheit zu beeinträchtigen. Hieraus ergibt sich, dass eine visumsbewehrte
Einreise, die am 01. Januar 1973, dem In-Kraft-Treten insbesondere der Stillhalteklausel
aus Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll, die den Mitgliedsstaaten verbietet, neue
Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs
hinsichtlich der Türkei auszubringen, zumindest zur Folge hat, dass die Ausübung der im
Assoziierungsabkommen garantierten wirtschaftlichen Freiheit durch türkische
Staatsangehörige strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen, werden als sie
in dem betreffenden Mitgliedsstaat zum Zeitpunkt des In-Krafttretens des Zusatzprotokolls
galten. Danach ist Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass er es ab
dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Protokolls verbietet, ein Visum für die Einreise
türkischer Staatsangehöriger - was der EuGH in der o.a. Entscheidung immer wieder
herausstellt -„wie der Kläger des Ausgangsverfahrens“ in das Hoheitsgebiet eines
Mitgliedsstaats zu verlangen, die dort Dienstleistungen für ein in der Türkei ansässiges
Unternehmen erbringen wollen, wenn ein solches Visum zu jenem Zeitpunkt nicht verlangt
wurde.
Hieraus leitet der Antragsteller weiter ab, dass das fragliche Diskriminierungsverbot auch
diejenigen türkischen Staatsangehörigen generell privilegiert, die sich auf ein vor dem In-
Kraft-Treten des Zusatzprotokolls geltendes innerstaatliches Recht über die Visumsfreiheit,
wie es aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG hervorgeht, berufen können. Folgt man dieser
Rechtsauffassung, dann ist für die unter das Assoziierungsabkommen fallenden türkischen
Staatsangehörigen das nationale „alte Recht“ anzuwenden, und besteht für diese, solange
sie im Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben, sich
nicht länger als drei Monate im Geltungsbereich des Ausländergesetzes aufhalten wollen,
die vom Antragsteller reklamierte Visumsfreiheit. Diese Problematik bedarf vorliegend indes
keiner Entscheidung.
Folgt man der vom Antragsteller vertretenen Rechtsauffassung, ist festzustellen, dass ihm
die von ihm in Anspruch genommene Visumsfreiheit vorliegend zwar nicht zugestanden
worden ist; vielmehr konnte er mit einem befristeten Schengen-Visum einreisen. Der somit
nach dem angegebenen alten Recht und dem neuen Recht jeweils auf maximal drei
Monate beschränkte Aufenthalt ist indes inzwischen abgelaufen, ohne dass es darauf
ankommt, dass der konkrete Aufenthalt hier nur visumsbewehrt gewährt worden ist.
Soweit der Antragsteller daran anknüpfend nunmehr einen über den aktuell
abgeschlossenen durch ein Visum vermittelten rechtmäßigen Aufenthalt hinausgehenden
unbegrenzten Aufenthalt, mit der konkreten Absicht bis zu sieben Monate zu touristischen
Zwecken im Bundesgebiet aufenthaltsam zu sein, begehrt, kann er sich nach Auffassung
der Kammer auf die hier einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs indes
nicht berufen – und zwar auch nicht bezüglich der von ihm geltend gemachten passiven
Dienstleistungsfreiheit, wie sie etwa aus dem
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 02.02.1989, Rs. 186/87
(Cowan), InfAuslR 1989, 147 f.,
hervorgeht. Nach dieser Rechtsprechung sind auch Touristen aus anderen EG-Ländern als
Dienstleistungsempfänger anzusehen, denen das Gemeinschaftsrecht die Freiheit
garantiert, in einem anderen Mitgliedsstaat, insbesondere als Dienstleistungsempfänger,
einreisen zu dürfen. Dem korrespondiert im Prinzip die dem von dem Antragsteller
herangezogenen alten nationalen Recht zu entnehmende Einreisemöglichkeit für Touristen,
wobei diese allerdings auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkt war.
Hieran anknüpfend ist entscheidungserheblich in den Blick zu nehmen, dass es sich bei
türkischen Staatsangehörigen nicht um Angehörige der Mitgliedsstaaten der Europäischen
Gemeinschaft handelt, sondern um Angehörige eines assoziierten Staates, dessen
Assoziation noch nicht abgeschlossen ist, sondern von den assoziationsrechtlichen
Regelungen und dem sich daraus ergebenden Stand der Entwicklung der Assoziation
abhängig ist. Von daher ist von Bedeutung, dass der Assoziationsvertrag und das dazu
ergangene Zusatzabkommen einschließlich des Assoziationsratsbeschlusses ARB 1/80
türkischen Staatsangehörigen bisher keinen unbeschränkten Anspruch auf Einreise in die
Mitgliedsstaaten der EU gewährt. Vielmehr ist von einer schrittweisen Annäherung
auszugehen, die insofern verwirklicht ist, als Freiheiten für Arbeitnehmer und ihre
Angehörigen gewährt werden, während assoziationsrechtlich reine Touristen und damit
passive Dienstleistungsempfänger noch nicht in vollem Umfang privilegiert werden. Für sie
gilt indes das Diskriminierungsverbot aus Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll zum
Assoziationsvertrag mit der Folge der Geltung des vor dessen In-Kraft-Treten geltenden
nationalen deutschen Rechts. Hierdurch wird der Antragsteller wiederum nur im Rahmen
von § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG privilegiert mit der Folge, dass er sich nicht länger als drei
Monate visumsfrei im Bundesgebiet aufhalten darf. Hat er diese Zeit überschritten, kann er
sich vor einer Ausreise aus dem Bundesgebiet bzw. dem Schengen-Raum (je nach Visum)
nicht auf einen visumsfreien Aufenthalt und erst Recht nicht auf einen über drei Monate
hinausgehenden visumsfreien Aufenthalt berufen.
Nach alledem besteht kein Anspruch des Antragstellers auf die von ihm begehrte
Feststellung mit der Folge, dass der insoweit begehrte Anspruch auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO wegen fehlendem Anordnungsanspruch
ausscheidet und sich hieraus zugleich ergibt, dass es auch an einem Anspruch auf Erteilung
einer insoweit bestätigenden Bescheinigung über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts
mangelt.
Die Anträge sind daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG
und orientiert sich, was das Feststellungsbegehren anbelangt, an Ziffer 8.1 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand: Juli 2004), wobei für die
begehrte Ausstellung einer Bescheinigung zur Hauptsache der halbe Auffangwert
festzusetzen ist, so dass sich bei Halbierung im Hinblick auf das vorläufige
Rechtsschutzverfahren ein Gesamtstreitwert von (2.500 + 1.250) = 3.750 EUR ergibt.