Urteil des VG Saarlouis vom 31.10.2008

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VG Saarlouis Urteil vom 31.10.2008, 11 K 436/07
Bemessung des Kostenbeitrags für jugendhilferechtliche Leistungen, insbesondere die
Berücksichtigung eines Eigenheims sowie bestehender Schuldverpflichtungen
Leitsätze
1. Ein Kostenbeitrag für Jugendhilfeleistungen kann regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt
erhoben werden, ab welchem der Pflichtige förmlich über seine Leistungspflicht unterrichtet
worden ist.
2. Nach der Reform des Jugendhilferechts gilt insoweit ein im Verhältnis zum
Sozialhilferecht ei-genständiger Einkommensbegriff.
3. Der Abzug der Belastungen vom (bereinigten) Einkommen erfolgt grundsätzlich durch
dessen pauschale Kürzung um 25 % (§ 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII).
4. Zu den nach ihrer konkreten Höhe abzugsfähigen Belastungen zählen insbesondere auch
Schuldverpflichtungen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII).
5. Zum Erwerb eines Eigenheims eingegangene Schulden können nur insoweit als (konkret)
ab-zugsfähige Belastungen angesehen werden, als der Wohnvorteil beim Wohnen in einem
Eigenheim berücksichtigt wird; vor der Anrechnung einer entsprechenden Belastung ist
demzufolge ein angemessener Wohnwert abzuziehen.
6. Für die Annahme einer besonderen Härte bedarf es entsprechender Anhaltspunkte (§ 92
Abs. 5 SGB VIII).
Tenor
1. Der Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 03.05.2006 und der aufgrund
mündlicher Verhandlung vom 08.12.2006 ergangene Widerspruchsbescheid werden
insoweit aufgehoben, als darin gegenüber der Klägerin für die Monate Februar und März
2006 ein Kostenbeitrag von mehr als 154,00 EUR festgesetzt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Kostengläubigerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss
ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht die jeweilige Kostenschuldnerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung gegen den die Klage abweisenden Teil des Urteils wird zugelassen.
Tatbestand
Der am … 1987 geborene Sohn der alleinerziehenden Klägerin, der zwischenzeitlich bei
seinem Vater wohnte, erhält von der Beklagten seit dem 16.01.2006 Hilfe für junge
Volljährige in Form des Betreuten Wohnens in einer Einrichtung (§§ 35 a, 41 SGB VIII). Die
Maßnahme wurde zuletzt bis vorerst 31.10.2008 verlängert. Die Klägerin ist Beamtin und
lebt mit ihrem weiteren Sohn, der ein Studium an der Universität des Saarlandes
absolviert, in einem 1998 erworbenen Eigenheim in A-Stadt; die Wohnfläche des 1997/98
erbauten Einfamilienreihenhauses wird mit ca. 100 m², der Verkehrswert mit ca.
130.000.- EUR und die monatliche Finanzierungsbelastung mit 558,94 EUR angegeben.
Die Beklagte unterrichtete die Klägerin mit Bescheid vom 27.03.2006, zugestellt am
29.03.2006, über die Hilfeleistung und wies sie auf eine etwaige Kostenbeitragspflicht und
auf einen in jedem Falle anfallenden vorläufigen Mindestkostenbeitrag in Höhe des
entsprechenden Kindergeldes hin. Dementsprechend überwies die Klägerin das Kindergeld
in Höhe von monatlich 154.- EUR ab April 2006 an die Beklagte.
Mit Kostenbeitragsbescheid vom 03.05.2006 setzte die Beklagte einen Kostenbeitrag in
Höhe von monatlich 250.- EUR ab 01.02.2006 fest; dem Bescheid war ein
Berechnungsblatt beigefügt. Gegen diesen Kostenbeitragsbescheid legte die Klägerin am
17.05.2006 Widerspruch ein, den sie näher begründete.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 26.05.2006 u.a. mit, eine
Neuberechnung unter Berücksichtigung des Pflegeversicherungsbeitrags habe im Ergebnis
zu keiner Änderung geführt.
Der Kreisrechtsausschuss wies den Widerspruch mit aufgrund mündlicher Verhandlung
vom 08.12.2006 ergangenem Widerspruchsbescheid zurück. Der Widerspruchsbescheid
wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 14.02.2007 zugestellt.
Die Klägerin hat am 12.03.2007 Klage erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, die
angefochtenen Bescheide seien ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Die Beklagte
habe nicht berücksichtigt, dass sie, die Klägerin, ihre monatlichen Belastungen gar nicht
reduzieren könne. Für ihr Wohnhaus habe sie sich auch nicht leichtfertig verschuldet. Das
kleine Reihenhaus habe sie nach ihrer Scheidung für sich und ihre kleinen Kinder und
zugleich als eigene Altersvorsorge erworben. Dabei habe sie als Beamtin in Kauf
genommen, dass der Wohnbedarf teuerer gewesen sei, als sie es sich es eigentlich habe
leisten können; es sei auf jeglichen anderen Luxus verzichtet worden. Ein Verkauf der
Immobilie sei aufgrund der derzeitigen Marktsituation und anfallender
Vorfälligkeitsentschädigungen nicht möglich.
Die Klägerin beantragt,
den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom
03.05.2006 in der Form des Widerspruchsbescheides
vom 09.02.2007 aufzuheben, soweit ein monatlicher
Betrag von 154,-- EUR überschritten wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt auf ihr vorgerichtliches Vorbringen und den angefochtenen
Widerspruchsbescheid Bezug und trägt ergänzend im Wesentlichen vor, mit dem
Pauschalabzug von 25 % vom einzusetzenden Einkommen (§ 94 Abs. 1 SGB VIII) seien alle
Aufwendungen für Versicherungen, Werbungskosten und Schuldverpflichtungen
abgegolten. Kosten der Unterkunft würden nicht weiter berücksichtigt, auch nicht als
Schuldverpflichtungen (im Sinne des § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII). Da auch die
Wohnungsmiete nicht als abzugsfähige Belastung angesehen werden könne, könnten
Immobilienschulden nur insoweit als angemessen behandelt werden, als sie den
Wohnvorteil beim Wohnen in einem Eigenheim berücksichtigten. Von einer entsprechenden
Belastung sei deshalb immer ein angemessener Wohnwert abzuziehen. Die Klägerin habe
aber angegeben, dass die laufenden monatlichen Zins- und Tilgungsraten nicht wesentlich
höher lägen als eine angemessene Miete. Somit überstiegen die Hausverbindlichkeiten
nicht den Wohnvorteil und fänden somit auch keine weitere Anerkennung (nach § 93 Abs.
3 Sätze 4 und 5 SGB VIII)
Der Klägerin wurde mit Beschluss der Kammer vom 06.05.2008 Prozesskostenhilfe
bewilligt.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten des
vorliegenden Verfahrens sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten. Ihr
Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist allerdings
nur teilweise begründet und im Übrigen unbegründet. Der angefochtene
Kostenbeitragsbescheid und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit mit ihnen auch für die
Monate Februar und März 2006 ein Kostenbeitrag von mehr als 154,00 EUR angefordert
worden ist (I.). Im Übrigen, d.h. hinsichtlich des Zeitraums ab April 2006, ist die Klage
hingegen unbegründet (II.).
I.
Gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII (in der vom 01.10.2005 bis 31.12.2006 gültigen
Fassung, die insoweit im Übrigen mit der ab dem 01.01.2007 gültigen Fassung
übereinstimmt) kann ein Kostenbeitrag (erst) ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab
welchem der Pflichtige förmlich über seine Leistungspflicht unterrichtet wurde. Das ist
gegenüber der Klägerin mit dem ihr am 29.03.2006 zugestellten Bescheid der Beklagten
vom 27.03.2006 geschehen. Der Kostenbeitrag wird von der Beklagten mit dem hier
angefochtenen Bescheid vom 03.05.2006 jedoch bereits rückwirkend zum 01.02.2006
erhoben. Es sind auch keine eine Mitteilung hindernden Gründe im Sinne des § 93 Abs. 3
Satz 2 SGB VIII ersichtlich, zumal eine entsprechende Unterrichtung im Sinne des Satzes 3
der Vorschrift ebenfalls unterblieben ist.
Da davon auszugehen ist, dass regelmäßig nur eine monatsweise Beitragserhebung
erfolgt, ist der angefochtene Kostenbeitrag, soweit er die Monate Februar und März 2006
betrifft, (jedenfalls) aus diesem Grunde rechtswidrig. Die Aufhebung beschränkt sich dabei
auf den Teilbetrag, der von der Klägerin auch angefochten worden ist (§ 88 VwGO), d.h.
nach dem Klageantrag auf den - den Betrag von monatlich 154,00 EUR übersteigenden -
Teilbetrag von je (250,00 EUR - 154,00 EUR =) 96,00 EUR.
II.
Rechtsgrundlagen für den erhobenen Kostenbeitrag hinsichtlich der in Rede stehenden
Hilfemaßnahme sind – im Zeitraum ab dem 01.04.2006 - §§ 91 Abs. 1 Nrn. 8 und 6, 92
Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 1 und Abs. 2 i.V.m. §§ 35 a, 41 SGB VIII (in den im maßgeblichen
Zeitraum gültigen Fassungen).
Dem Grunde nach ist die Beitragspflicht der Klägerin im Übrigen zwischen den Beteiligten
ebenso wenig streitig wie der von ihr nach § 93 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII (in den im
maßgeblichen Zeitraum gültigen Fassungen) zu leistende Mindestkostenbeitrag in Höhe
des Kindergeldes von monatlich 154,00 EUR. Streitig ist der angeforderte Kostenbeitrag
indes der Höhe nach, und zwar im Umfang des darüber hinausgehenden Differenzbetrags
von monatlich (250,00 EUR - 154,00 EUR =) 96,00 EUR. Die Klägerin begehrt insoweit im
Wesentlichen die Anrechnung ihrer finanziellen Belastungen aus der Finanzierung ihres
Eigenheims nach § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII in Höhe von monatlich 558,45 EUR Zins und
Tilgung sowie weiterer im Zusammenhang mit ihrem Eigenheim stehender Kosten. Die
Voraussetzungen für einen individuellen Abzug (nach § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII) sind
jedoch vorliegend zu verneinen.
Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII (in den im maßgeblichen Zeitraum gültigen Fassungen)
sind vom (bereinigten) Einkommen Belastungen abzuziehen.
Dabei gilt im Jugendhilferecht (nach dessen Reform) ein eigenständiger Einkommensbegriff
(und nicht mehr derjenige des Sozialhilferechts).
vgl. Schellhorn u.a., SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 93 Rdnr. 2; Wiesner
u.a., SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 93 Rdnr. 1
Der Abzug der Belastungen vom (bereinigten) Einkommen erfolgt (nunmehr) gemäß § 93
Abs. 3 Satz 3 SGB VIII grundsätzlich durch dessen pauschale Kürzung um 25 %. Sind die
Belastungen höher als der pauschale Abzug, so können sie abgezogen werden, soweit sie
nach Grund und Höhe angemessen sind, die Grundsätze einer wirtschaftlichen
Lebensführung nicht verletzen sowie vom Pflichtigen nachgewiesen sind, § 93 Abs. 3 Sätze
4 und 5 SGB VIII. Zu den nach ihrer konkreten Höhe abzugsfähigen Belastungen zählen
insbesondere auch Schuldverpflichtungen, § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII.
Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten – und hier im Sinne des § 93 Abs. 3
Satz 5 SGB VIII auch im Einzelnen belegten – Finanzierungskosten hat der
Kreisrechtsausschuss im angefochtenen Widerspruchsbescheid allerdings im Wesentlichen
folgendes ausgeführt:
Diesen Ausführungen ist, soweit es den Zeitraum ab April 2006 betrifft, nach Auffassung
der Kammer zu folgen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Sie entsprechen der herrschenden Meinung
in Literatur und Rechtsprechung. Nach ihr können Schulden wegen eines Hauskaufs – da
auch die Wohnungsmiete nicht als abzugsfähige Belastung betrachtet wird – nur insoweit
als angemessen angesehen werden, als der Wohnvorteil beim Wohnen in einem Eigenheim
berücksichtigt wird. Vor der Anrechnung einer entsprechenden Belastung ist demzufolge
ein angemessener Wohnwert abzuziehen.
vgl. Wiesner u.a., a.a.O., § 93 Rdnr. 24; ebenso Münder u.a., FK-
SGB VIII, 5. Aufl. 2006, § 93 Rdnr. 30; vgl. auch Kunkel u.a., LPK-SGB
VIII, 3. Aufl. 2006, § 93 Rdnr. 17 (wonach Schulden für
Wohneigentum - offenbar generell - nicht zu berücksichtigen sein
sollen); VG Münster, Urteil vom 03.09.2008 -6 K 795/07-, juris-Rdnr.
19; VG Oldenburg, Urteil vom 31.03.2008 -13 A 5496/05-, juris-
Rdnr. 30; VG Augsburg, Beschluss vom 25.02.2008 –Au 3 S
08.167-, juris-Rdnr. 27 f.; VG Neustadt, Urteil vom 19.07.2007 -2 K
15.07.NW-, juris-Rdnrn. 39 f.; VG Ansbach, Urteil vom 29.11.2007 –
AN 14 K 07.00014-, juris-Rdnr. 39; VG Stuttgart, Urteil vom
05.06.2007 -9 K 2738/06-, juris-Rdnrn. 31 ff.; VG Schleswig-
Holstein, Beschluss vom 12.06.2006 -15 B 24/06-, juris-Rdnr. 14;
a.A.
Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine besondere Härte im Sinne des § 92 Abs. 5 SGB
VIII vor.
Nach allem war der Klage (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben
und diese im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden
nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die
Fragen der Anrechnung von Schuldverbindlichkeiten auf das Einkommen von
Beitragspflichtigen hinsichtlich Kostenbeiträgen neuen Rechts nicht unumstritten sind, in
mehreren weiteren Streitigkeiten aufgeworfen werden und vom Oberverwaltungsgericht
des Saarlandes, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden wurden.
Beschluss
Der Gegenstandswert wird gemäß §§ 2 Abs. 1, 23 Abs. 1 RVG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG – in
Orientierung an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, Ziff. 21.4
– auf (12 x 96,00 EUR =) 1.152,00 EUR festgesetzt.