Urteil des VG Saarlouis vom 20.02.2009

VG Saarlouis: aufrechterhaltung der ordnung, aufenthaltserlaubnis, emrk, europäischer gerichtshof für menschenrechte, aufschiebende wirkung, abschiebung, schutz der familie, achtung des privatlebens

VG Saarlouis Beschluß vom 20.2.2009, 5 L 1845/08
Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung gegen einen mehrfach straffällig gewordenen
Ausländer mit deutschen Kindern
Leitsätze
1. Ein mehr als zwei Monate nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellter Antrag auf
Verlängerung löst nicht die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG aus.
2. Die Abschiebungsandrohung gegen einen Ausländer, der auf Grund mehrerer
strafrechtlicher Verurteilungen die Ausweisungsgründe der §§ 54 Nr. 3 und 55 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG erfüllt, ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu
beanstanden, weil er Vater zweier deutscher Kinder ist und für diese das alleinige
Sorgerecht besitzt, wenn sich die Kinder seit mehr als fünf Jahren bei Pflegefamilien
aufhalten und es in der Vergangenheit allenfalls zu tage- oder stundenweisen Begegnungen
gekommen ist und auch für die Zukunft nicht zu erkennen ist, dass es zu einem engeren
Kontakt zwischen Vater und Kindern kommen wird.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs
vom 11.11.2008 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 30.10.2008, mit dem
sein Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, und er aus der
Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm die Abschiebung nach Algerien
angedroht worden ist.
I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger und wurde 1969 in Algerien geboren.
Im Jahr 1993 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die
Anerkennung als Asylberechtigter. Nach seinen Angaben leben seine Eltern sowie weitere
Familienmitglieder noch in Algerien. Nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens
scheiterten in den Jahren 1998 und 1999 zwei Versuche den Antragsteller nach Algerien
abzuschieben. Nachfolgend wurde er geduldet.
Am 01.10.1999 heiratete der Antragsteller die deutsche Staatsangehörige …. Die
Eheleute trennten sich im Juni 2002 und ein Scheidungsverfahren wurde eingeleitet. Die
Ehefrau verstarb am 19.07.2003. Aus der Beziehung gingen zwei Kinder hervor, nämlich
die am 31.08.1999 geborenen Töchter T und T, die nach dem Tod der Ehefrau seit
Dezember 2003 in einer Pflegefamilie untergebracht worden sind und für die dem
Antragsteller das Sorgerecht übertragen wurde. Dem Antragsteller war auf Grund der
Eheschließung vom Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten am
13.03.2001 eine bis zum 30.10.2001 befristete Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3
AusIG erteilt worden. Diese wurde nachfolgend mehrfach verlängert, zuletzt am
19.04.2004 und zwar befristet bis zum 18.08.2006. Am 31.10.2006 beantragte der
Antragsteller letztmals die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Ihm wurden
nachfolgend Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt.
Der Antragsteller wurde wie folgt strafrechtlich verurteilt:
1.) Am 08.08.1995, AG …-Stadt: 16 Monate Haft,
wegen Anstiftung zum Diebstahl in einem besonders schwerem Fall in
wegen Anstiftung zum Diebstahl in einem besonders schwerem Fall in
Tatmehrheit mit Hehlerei.
2.) Am 21.03.1996, AG B-Stadt: 2 Jahre Haft auf Bewährung,
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in drei Fällen in Tateinheit mit Abgabe von
Betäubungsmitteln an eine Person unter achtzehn Jahren als Person
über einundzwanzig Jahre.
3.) Am 09.07.1998, AG A-Stadt: Geldstrafe 30 Tagessätze,
wegen gemeinschaftlichen Diebstahls.
4.) Am 01.10.1998, AG A-Stadt: 4 Monate Haft auf Bewährung,
wegen Diebstahls.
5.) Am 27.06.2003, AG A-Stadt: Geldstrafe 15 Tagessätze,
wegen Sachbeschädigung.
6.) Am 16.06.2005, AG A-Stadt: 6 Monate Haft,
wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit versuchter
Strafvereitelung.
7.) Am 06.06.2006, AG A-Stadt: 1 Jahr Haft auf Bewährung
wegen gefährlicher Körperverletzung.
Wegen Nichterfüllung der Bewährungsauflagen wurde die Strafaussetzung widerrufen und
der Antragsteller befindet sich in Strafhaft, die er derzeit in der verbüßt.
Außerdem wurde gegen den Antragsteller in den Jahre 2003 bis 2007 eine Vielzahl von
staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren eingeleitet, die jedoch soweit ersichtlich eingestellt
worden sind. Bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung auf Betäubungsmittel wurde
am 07.02.2007 festgestellt, dass der Antragsteller Kokain konsumiert hatte.
Mit Schreiben vom 15.05.2008 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass
beabsichtigt sei, ihn aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen und ihn in sein
Heimatland zurückzuführen, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum
29.05.2008. Unter dem 30.10.2008 erließ der Antragsgegner den streitgegenständlichen
Bescheid, mit dem der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und der
Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden ist. Außerdem
wurde ihm die Abschiebung nach Algerien angedroht. Zur Begründung wird auf seinen
Drogenkonsum, seine strafrechtlichen Verurteilungen sowie seine Erwerbslosigkeit und den
anhaltenden Bezug von Sozialhilfeleistungen verwiesen. Die auf Grund des
Ausweisungsschutzes aus Art. 8 EMRK i. V. m. Art. 6 GG zu treffende
Ermessensentscheidung gehe zu Lasten des Antragstellers aus, da auch unter
Berücksichtigung der familiären Beziehung zu seinen Kindern, die Ausweisung
verhältnismäßig sei.
Gegen den am 03.11.2008 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller am 11.11.2008
Widerspruch erhoben.
Am 03.12.2008 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
gestellt. Er trägt vor, er halte sich seit nahezu 15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland
auf; dieser Aufenthalt sei seit seiner Eheschließung rechtmäßig. Bereits vor der Ehe seien
aus der Verbindung zwei Kinder hervorgegangen. Bei den ihm in der Ausweisung
vorgehaltenen sieben strafrechtlichen Verurteilungen seien bei zweien gemäß § 46 Abs. 1
Nr. 1 a BZRG die Tilgungsfrist zwischenzeitlich abgelaufen, so dass diese ihm gemäß § 51
BZRG nicht mehr entgegen gehalten werden dürften. Außerdem seien die Verurteilungen
aus den Jahren 1995 bis 1998 zwischenzeitlich verwirkt. Bei den restlichen Verurteilungen
gehe es um Freiheitsstrafen in Höhe von insgesamt eineinhalb Jahren. Die Verwirkung gelte
insbesondere für die Verurteilung vom 21.03.1996 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei
Fällen in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren.
Neuere Strafverfahren hätten bislang nicht zu einer erneuten Verurteilung im
Zusammenhang mit Drogen geführt. Die im Bescheid genannten Ermittlungsverfahren
seien eingestellt worden. Der Antragsgegner habe es versäumt, den seiner Entscheidung
zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig zu erforschen. Die Behauptung, er sei weiterhin
ins Drogenmilieu verstrickt, sei unzutreffend. So habe der Gefängnisarzt festgestellt, dass
bei ihm keine Drogenproblematik vorliege. Er nehme freiwillig wöchentlich an der
Drogenberatung in der JVA teil. Nach seiner Entlassung wolle er eine ambulante Therapie
beginnen. Die Vorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG sei nicht einschlägig, da im
Bescheid nicht dargelegt sei, welche gefährlichen Betäubungsmittel er konsumiert haben
solle. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass die Verurteilungen mehrfach zur
Bewährung ausgesetzt worden seien.
Er habe sich in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert, spreche Deutsch und beherrsche
die Sprache auch schriftlich ganz passabel. Nach seiner Haftentlassung werde er eine
Wohnung zur Verfügung haben, worum sich eine Bekannte, die ihn auch regelmäßig in der
JVA besuche, kümmere. In der JVA habe er zwischenzeitlich gelernt, regelmäßig zu arbeiten
und zwar täglich acht Stunden auf der dortigen Kammer, in der Wäscherei sowie in der
Bücherei.
Er habe ein nach Art. 8 EMRK zu achtendes Privatleben in Deutschland. Da er sich seit
nahezu 15 Jahre nicht mehr in seinem Heimatland Algerien aufgehalten habe, werde er
nach einer Abschiebung dort entwurzelt sein. Seine Ausweisung und Abschiebung verstoße
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Außerdem hätten seine beiden
minderjährigen Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit. Insoweit habe der Antragsgegner
die sich aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK zu seinen Gunsten ergebenden Rechte nicht
ausreichend und ordnungsgemäß gewürdigt.
Zum Zeitpunkt des Ablebens seiner Ehefrau am 19.07.2003 sei zwar noch ein
Scheidungsverfahren beim Familiengericht A-Stadt anhängig gewesen, die Ehefrau habe
jedoch wieder mit ihm zusammengelebt und den Scheidungsantrag zurücknehmen wollen.
Er habe im Hinblick auf Besuchskontakte mit seinen Kindern mit dem Jugendamt gut
zusammengearbeitet. Die positive Darstellung seiner Person durch das Kreisjugendamt
habe sich ab dem Zeitpunkt geändert, ab dem bekannt geworden sei, dass er
ausgewiesen und abgeschoben werden solle. Dessen spätere Äußerungen stünden im
Widerspruch zu seinen früheren Ausführungen. Er habe sich seit Beginn seiner Inhaftierung
immer wieder um die Besuchskontakte mit den Kindern bemüht. Am 03.11.2008 habe er
gemeinsam mit einem Sozialarbeiter die Kinder beim Kreisjugendamt abgeholt und sich mit
diesen in ein Eiscafe im Saarpark-Center in A-Stadt begeben. Die Kinder hätten sich
gefreut, den Vater wiederzusehen und ausdrücklich gefragt, wann sie ihn noch einmal
sehen könnten und ob er zu ihrer Kommunion komme. Er habe bedingt durch seine
Inhaftierung und gegen seinen Willen für eine Zeit lang den Kontakt zu seinen Kindern
abbrechen müssen, sich aber immer darum bemüht hat, den Kontakt auch während der
Zeit seiner Inhaftierung aufrecht zu erhalten. Es treffe auch nicht zu, dass er dem
Kreisjugendamt eine falsche Adresse angegeben habe; er habe lediglich einmal irrtümlich
eine falsche Hausnummer genannt, als er obdachlos gewesen sei und bei einem Freund
geschlafen habe, dessen Hausnummer er nicht richtig gewusst habe. Zur Obdachlosigkeit
sei es gekommen, als der Hausbesitzer, in dessen Anwesen er gewohnt habe, inhaftiert
worden sei und während der Haft dessen Ehefrau das Anwesen habe versteigern lassen.
Nachdem er eine ihm gesetzte Räumungsfrist verstreichen gelassen habe, sei er
zwangsgeräumt worden. Aufgrund der Obdachlosigkeit habe er auch die Gültigkeit seines
algerischen Reisepasses nicht verlängern können, weshalb er dann auch verspätet, erst
am 11.10.2006, die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt habe.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom
11.11.2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners
vom 30.10.2008 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er führt aus, es seien für die Gefahrenprognose alle Verurteilungen des Antragstellers zu
berücksichtigen, da die fortgesetzte Begehung von Straftaten Anlass für die Ausweisung
gewesen sei. Es sei auf Grund polizeilicher Erkenntnisse davon auszugehen, dass der
Antragsteller in das Drogenmilieu verwickelt sei. Er habe auch falsche Angaben zu seiner
Adresse gemacht. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller künftig für seine
Kinder in angemessener Weise Sorge tragen könne.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom
11.11.2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.10.2008 ist bereits
unstatthaft, soweit er sich gegen die im Bescheid enthaltene Ausweisung richtet. Denn der
Widerspruch des Antragstellers hat insoweit nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende
Wirkung. Denn der Antragsgegner hat bzgl. der Ausweisung keinen Sofortvollzug
angeordnet und § 84 Abs. 1 AufenthG erfasst die Ausweisung nicht.
Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs
gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 30.10.2008 enthaltene Ablehnung der
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zwar statthaft aber trotzdem unzulässig.
Denn die ablehnende Entscheidung der Ausländerbehörde hatte nicht den Verlust einer
bereits bestehenden Rechtsposition des Antragstellers zur Folge, so dass durch die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung keine Wiederherstellung einer für den Antragsteller
günstigen Rechtslage erfolgte.
Vgl. Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum
Aufenthaltsgesetz (GK-AufenthG), § 81 AufenthG, Rdnrn.
60 ff..
Der mit Antrag vom 30.10.2006 gestellte und am 31.10.2006 beim Antragsgegner
eingegangene Antrag auf Verlängerung der zuletzt bis zum 18.08.2006 befristeten
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG ist verspätet gestellt worden und
vermochte nicht - mehr - die hier allein in Betracht zu ziehende Fiktionswirkung des § 81
Abs. 4 AufenthG auszulösen.
Vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 81 AufenthG, Rdnr.
43.
Nach § 81 Abs. 4 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel als fortbestehend, wenn ein
Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die Erteilung eines anderen
Aufenthaltstitels beantragt. Die fiktive Fortgeltung des Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4
AufenthG setzt nach Systematik und Zielsetzung der Vorschrift grundsätzlich voraus, dass
der Ausländer im Zeitpunkt der Antragstellung noch im Besitz eines gültigen
Aufenthaltstitels ist und sich aufgrund dessen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Der
Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels muss also grundsätzlich vor dessen Ablauf
gestellt werden.
Vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, a.a.O., § 81 Rdnr. 41
ff.; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 81 AufenthG Rdnr.
15 ff.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 05.03.2007 - 24
CS 07.207 -, zit. nach juris.
Eine Ausnahme wird in einem Teil der Rechtsprechung allerdings dann anerkannt, wenn der
Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels zwar erst nach Ablauf der Geltungsdauer des
Titels und damit verspätet gestellt worden ist, die Verspätung aber nur so geringfügig war,
dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und
dem Antrag gewahrt ist. Insbesondere bei einer Säumnis um nur wenige Tage sei es nicht
nur möglich, sondern dränge es sich auf, den Antrag als einen die Fortgeltungsfiktion
bewirkenden Verlängerungsantrag anzusehen.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom
23.03.2006 - 18 B 120/06 – (für einen fünf Tage nach
Ablauf des Aufenthaltstitels gestellten
Verlängerungsantrag) und vom 06.07.2007 - 18 B
2184/06 -, (für einen elf Tage nach Ablauf des
Aufenthaltstitels gestellten Verlängerungsantrag), jew. zit.
nach juris; für einen generellen Ausschluss der
Fortgeltungsfiktion bei einem verspäteten Antrag dagegen
wohl Bayerischer VGH, Beschluss vom 05.03.2007,
a.a.O..
An einem solchen inneren, namentlich zeitlichen Zusammenhang zwischen dem
Verlängerungsantrag und dem Ablauf der Geltungsdauer der zuletzt erteilten
Aufenthaltserlaubnis fehlt es hier. Denn der Antragsteller hat erst am 31.10.2006 und
damit mehr als zwei Monate nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung
beantragt. Bei einer solchen zeitlichen Verzögerung kann der nach den vorstehenden
Grundsätzen erforderliche innere Zusammenhang nicht mehr als gewahrt angesehen
werden.
Vgl. ebenso Bayerischer VGH, Beschlüsse vom
30.06.2006 - 24 CS 06.1249 - (Verspätung von mehr als
6 Wochen) und vom 24.06.2008 - 19 CE 08.1038 -
(Verspätung von mehr als 3 Monaten), jew. zit. nach juris.
Der Vortrag des Antragstellers, auf Grund seiner Obdachlosigkeit habe er die Gültigkeit
seines algerischen Reisepasses nicht verlängern lassen können und deshalb auch verspätet
die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt, vermag seine Verspätung nicht zu
rechtfertigen: Es ist Sache des Ausländers, dafür Sorge zu tragen, dass die für eine
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erforderlichen Unterlagen vorliegen. Im Übrigen
ergibt sich schon aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers, dass die Obdachlosigkeit auf
seinem eigenen Verschulden beruhte, da er eine Räumungsfrist für seine frühere Wohnung
unbeachtet ließ und sich nachfolgend nicht ausreichend um einen neuen Wohnsitz
bemühte. Im Übrigen war der Antragsteller in keiner Weise gehindert, trotz des Ablaufens
seines algerischen Reisepasses rechtzeitig die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu
beantragen. Denn auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine
Verlängerung wegen der mangelhaften Personalpapiere nicht vorgelegen hätten, wären
gleichwohl eine rechtzeitige Stellung des Antrages und die Nachreichung eines gültigen
Reisepasses problemlos möglich gewesen.
Die dem Antragsteller am 02.11.2006 (deklaratorisch gemeinte) auf der Basis von § 81
Abs. 4 AufenthG bescheinigte Erlaubnisfiktion beruhte erkennbar auf einem Irrtum der
Ausländerbehörde, da sich aus der Behördenakte kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass die
Fristüberschreitung bei der Ausstellung der Fiktionsbescheinigung erkannt worden war,
zumal wenn - wie hier – gegenüber der Behörde keine nachvollziehbaren Gründe für die
Säumnis dargetan worden sind.
In Bezug auf die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung ist der
Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 20 AGVwGO statthaft und
auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Die hier vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse
und dem Individualinteresse des Betroffenen an einem einstweiligen Aufschub der
Vollziehung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil sich die Abschiebungsandrohung als
offensichtlich rechtmäßig erweist.
Die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 50
Abs. 1, 58, 59 AufenthG sind gegeben. Der Antragsteller ist trotz der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs hinsichtlich der im Bescheid vom 30.10.2008 enthaltenen
Ausweisung bereits deswegen ausreisepflichtig, weil er nach Ablauf der Geltungsdauer
seiner zuletzt bis zum 18.08.2006 befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht mehr im Besitz
eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG). Die Vollziehbarkeit der
Ausreisepflicht ergibt sich aus § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, weil sein Antrag auf
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis - wie dargelegt - nicht die Fiktionswirkung des § 81
Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Das Vorliegen von Abschiebungsverboten steht nach der
Regelung des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung
ebenso wenig entgegen wie das Bestehen von etwaigen Duldungsgründen nach § 60 a
Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).
Der Antragsteller hat die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz
nicht glaubhaft dargelegt. Er hat nicht mit der erforderlichen überwiegenden
Wahrscheinlichkeit dargetan, dass seine Abschiebung im Sinne des § 60 a Abs. 2 Satz 1
AufenthG rechtlich oder tatsächlich unmöglich wäre oder Gründe im Sinne von § 60 a Abs.
2 Sätze 2, 3 AufenthG seine Anwesenheit im Bundesgebiet erforderten.
Dabei versteht die Kammer den Antrag des Antragstellers wegen der Geltendmachung
eines unverhältnismäßigen Eingriffs in Art. 8 EMRK und Art. 6 GG dahin, dass dieser nicht
nur Abschiebungsschutz wegen des gestellten Antrags auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis und für die Dauer des Erteilungsverfahrens beansprucht. Ein derart
beschränkter Antrag wäre nämlich unzulässig, da einem Ausländer ein Anspruch auf
vorübergehende Aussetzung der Abschiebung bzw. auf Gewährung von
Abschiebungsschutz nicht allein im Hinblick darauf zustehen kann, dass er die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat. Wenn der Antrag - wie hier - ein fiktives
Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG nicht auszulösen vermochte,
scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung allein wegen
des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und für die
Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus.
Vgl. etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
01.06.2005 - 18 B 677/05 -, zit. nach juris.
In der Sache lässt sich die rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung oder
das Erfordernis seiner Anwesenheit im Bundesgebiet … -entgegen der Auffassung des
Antragstellers – nicht aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK im Hinblick auf seine familiäre und
private Situation herleiten.
Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Vaterschaft des Antragstellers zu den beiden Mädchen
T und T, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
Nach Art. 6 GG sind grundsätzlich hohe Anforderungen an die
Verhältnismäßigkeitsentscheidung der Ausländerbehörde bzw. der Gerichte in Bezug auf
die Berücksichtigung der familiären Beziehungen des Ausländers in der Bundesrepublik
Deutschland zu stellen. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss
vom 09.01.2009 (2 BvR 1064/08 – zit. nach juris) ausgeführt:
„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG
keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 76, 1
<47>; 80, 81 <93>). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2
GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu
schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über
aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt
begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet
aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren
Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum
Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG
darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das
Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen
angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>). Dabei ist
grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die
familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des
Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, S. 171 <173>;
BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des
Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August
1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67 <68>; Beschluss der 2. Kammer des
Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).
Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund
formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche
Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 <42 f.>). Bei der
Bewertung der familiären Beziehungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf
an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich
erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfGE
80, 81 <95>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August
1996 - 2 BvR 1119/96 -, FamRZ 1996, S. 1266; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten
Senats vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, juris). Die Entwicklung eines Kindes wird
nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die
geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.).
Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen
Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im
Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst
Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein
(BVerfGK 7, 49 <58>, vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats
vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 -, Umdr. S. 10-14).
Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer
vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist,
das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht
begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S.
682 <683>).“
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist vorliegend jedoch festzustellen, dass die
Interessen des Antragstellers und auch seiner Kinder an seinem Verbleib in der
Bundesrepublik Deutschland hinter den öffentlichen Interessen an seiner Rückführung nach
Algerien zurückbleiben.
So ist bei der Bestimmung der Schutzwirkung des Art. 6 GG zwar zugunsten des
Antragstellers zu berücksichtigen, dass er der Inhaber des alleinigen Sorgerechts für seine
beiden Töchter und nach dem Tod der Mutter und der Großmutter der Kinder – soweit
ersichtlich – der einzige noch in der Bundesrepublik Deutschland lebende Verwandte ist.
Allerdings wird dieser sich deshalb aus Art. 6 GG ergebende Schutz des Antragstellers ganz
wesentlich dadurch gemindert, dass sich die Kinder seit dem Tod der Mutter im Jahr 2003
durchgängig bei Pflegefamilien bzw. Pflegeeinrichtungen aufgehalten haben und es daher
seit Jahren nur zu tage- bzw. zuletzt nur stundenweisen Begegnungen zwischen den
Kindern und dem Antragsteller gekommen ist. Eine enge Vater-Kind-Beziehung erscheint
unter diesen Umständen äußerst zweifelhaft. Ebenso wenig kann angenommen werden,
dass eine tatsächliche Teilnahme am Leben und Aufwachsen der bei einer Pflegefamilie
untergebrachten Kinder stattgefunden hat und der Antragsteller in der Vergangenheit
Einfluss auf die Entwicklung der Kinder genommen hat. Wie der Antragsteller selbst
vorgetragen hat, ist es zeitweise sogar zu einem völligen Abbruch des Kontaktes
gekommen. Weiter ist zu sehen: Beide mittlerweile neunjährigen Mädchen sind bereits seit
nunmehr fünf Jahren bei einer Pflegefamilie untergebracht. Sie waren damit einen
erheblichen und für die Eltern-Kind-Beziehung bedeutenden Teil, nämlich von drei bis
nahezu 10 Jahren, ständig von ihrem Vater getrennt. Sie haben offenbar auch keine
sonstigen Kontakte in dessen Familie mehr, die ohnehin überwiegend in Algerien lebt. Nach
Lage der Dinge ist angesichts dieser Umstände eher von einer völligen Entfremdung
auszugehen.
Der Antragsteller ist auch offensichtlich zukünftig nicht in der Lage, die Kinder dauerhaft bei
sich aufzunehmen und für diese Sorge zu tragen. So hat der Antragsteller keinen Beruf
erlernt und auch keine Arbeitsstelle in Aussicht. Auch in der Vergangenheit hat er im
Wesentlichen von öffentlichen Mitteln gelebt. Er hat auch derzeit noch keine Wohnung,
selbst wenn er insoweit vorträgt, diese stünde ihm nach seiner Haftentlassung zur
Verfügung. Wie er zukünftig beabsichtigt einen engeren Kontakt zu seinen Kindern
aufzunehmen der über gelegentliche stundenweise Begegnungen hinausgeht, ist nicht
dargetan.
Auf Grund der sich aus den vorliegenden Verwaltungsunterlagen sowie die vorgelegten
Unterlagen ergebenden privaten Verhältnisse des Antragstellers erscheint es Hinblick auf
das Wohl der Kinder auch kaum angezeigt, dass die dauernde Anwesenheit des
Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist. So hat der Antragsteller
selbst vorgetragen, dass er zeitweise obdachlos gewesen ist, weil er einen
Räumungstermin für seine Wohnung versäumte. Aber auch ansonsten sind die
Wohnverhältnisse des Antragstellers zumindest in jüngerer Zeit völlig ungeeignet gewesen,
um die Kinder ihrem Wohl entsprechend aufnehmen zu können. So heißt es im Protokoll
der Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers am 16.04.2007: „Erwähnenswert ist
an dieser Stelle, dass sich die Wohnung in einem verwahrlosten und unhygienischen
Zustand befindet. Überall liegen Kleidungsstücke, Müll und Möbelteile herum. In der Küche
kommt einem Schimmelgeruch entgegen, was auf die verdorbenen Lebensmittel und
verschimmelten Müll zurückzuführen ist. Die Behauptung des Beschuldigten, man habe ihm
das Wasser abgestellt, kann durch das Betätigen der Toilettenspülung widerlegt werden.“
Derartige Verhältnisse sind jedoch für eine gesunde Entwicklung der Kinder eher
kontraproduktiv.
Den deshalb nur mit geringem Gewicht zu berücksichtigenden Interessen des
Antragstellers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK stehen jedoch überragende öffentliche
Interessen an einer baldigen Beendigung seines Aufenthalts in der Bundesrepublik
Deutschland gegenüber:
So ist der Antragsteller in der Zeit vom 1995 bis 2006 sieben Mal wegen der Begehung
von Straftaten rechtskräftig verurteilt worden und hat damit mehrere Ausweisungsgründe
nach den §§ 54 und 55 AufenthG verwirklicht. Dabei ist zunächst festzustellen, dass in der
Zentralregister Auskunft vom 08.05.2008 die strafrechtlichen Verurteilungen des
Antragstellers aus den Jahren 1995 und 1996 noch enthalten waren, so dass von einer
Löschung nach fünf Jahren, wie von ihm vorgetragen, nicht ausgegangen werden kann.
Insofern bestehen auch keine Bedenken diese Verurteilungen zur Begründung der
Ausweisungsverfügung anzuführen. Im Übrigen wären auch die noch verbleibenden
Verurteilungen zur Begründung der Ausweisung des Antragstellers ausreichend. Dass der
Antragsgegner seine Ausweisung auch auf die Verurteilung vom 21.03.1996 wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen in
Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter achtzehn Jahren als
Person über einundzwanzig Jahre zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren gestützt hat,
begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Allein dadurch, dass er bzw. die früher zuständige
Ausländerbehörde zugunsten des Antragstellers zunächst nicht unmittelbar nach den
Straftaten eine Ausweisung verfügt hat, wurde eine spätere Anwendung dieser
Rechtsgrundlage nicht etwa verwirkt. Vielmehr stand es der Ausländerbehörde frei,
zunächst auf eine Ausweisung zu verzichten und erst nachdem noch mehrere
strafrechtliche Verurteilungen hinzutraten und weitere Ausweisungsgründe vom
Antragsteller verwirklicht worden sind, die Ausweisung zu verfügen.
Hinsichtlich der vom Antragsteller verwirklichten Ausweisungsgründe kann auf die
zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 30.10.2008 Bezug genommen werden. Der
Vortrag des Antragstellers vermag keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Ausführungen zu
begründen. So liegt zunächst auf Grund der Verurteilung vom 21.03.1996 offensichtlich
der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 3 AufenthG vor. Auch der Ausweisungsgrund des § 55
Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist im Hinblick auf die nunmehr sieben Verurteilungen des
Antragstellers ebenfalls gegeben. Außerdem ist auf Grund des Sozialhilfebezuges des
Antragstellers vor Antritt seiner Strafhaft auch der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr.
6 AufenthG erfüllt.
Ob zusätzlich die Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG
bestehen, kann letztlich dahin stehen. Dabei steht aber nach den vorliegenden Unterlagen
fest, dass der Antragsteller Kokain konsumiert hat und dass er zumindest in der
Vergangenheit drogenabhängig war. Dies ergibt sich insbesondere auch aus den von ihm
selbst vorgelegten Unterlagen. So heißt es in der Bescheinigung der Beratungsstelle „Die
B.“ vom 24.11.2008, „Herr A. zeigt bezüglich seiner Abhängigkeitserkrankung eine
emotionale und rationale Krankheitseinsicht, er übernimmt Verantwortung und ist im
Rahmen der Beratung motiviert“. Dies beweist aber, ebenso wie das Ergebnis der
gerichtsmedizinischen Untersuchung auf Betäubungsmittel am 07.02.2007, dass eine
Suchterkrankung beim Antragsteller offensichtlich vorliegt und zumindest auch den Konsum
von Kokain umfasste. Ob der Antragsteller durch die Teilnahme an den Sitzungen der
Beratungsstelle sowie seine vorgetragene Bereitschaft zu einer ambulanten Therapie
ausreichende Rehabilitationsmaßnahmen i.S. des § 55 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG vornimmt,
kann letztlich dahin gestellt bleiben, da bereits die übrigen von ihm verwirklichten
Ausweisungstatbestände seine Abschiebung nach Algerien rechtfertigen.
Auf die weiteren, noch gegen den Antragsteller eingeleiteten staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahren, kommt es deshalb nicht an. Es ist folglich auch ohne Belang, dass
diese Verfahren soweit ersichtlich alle eingestellt worden sind. Dabei ist allerdings darauf
hinzuweisen, dass ein Teil der Verfahren nur vorläufig eingestellt wurde, so dass eine
Weiterführung der Ermittlungen nicht ausgeschlossen ist.
Auch aus der Bestimmung des Art. 8 Abs. 1 EMRK unter dem Gesichtspunkt des Schutzes
des Privatlebens kann der Antragsteller vorliegend kein Aufenthaltsrecht ableiten. Denn
bereits nach der im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen
summarischen Prüfung begründet die Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im
Bundesgebiet keine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 EMRK.
Die beabsichtigte Abschiebung stellt zwar einen Eingriff in das Recht auf Achtung des
Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK dar. Dieses Recht ist weit zu verstehen und umfasst
seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das
Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu
entwickeln, und damit die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen
Bindungen.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
07.02.2006 - 18 E 1534/05 -, NVwZ-RR 2006, 576.
Art. 8 Abs. 1 EMRK ist aber nicht so auszulegen, als verbiete er allgemein die Abschiebung
eines fremden Staatsangehörigen oder vermittle diesem ein Aufenthaltsrecht allein
deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates
aufgehalten hat.
Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
- III. Sektion -, Entscheidungen vom 16.09.2004 -
11103/03 - (Ghiban), NVwZ 2005, 1046 und vom
07.10.2004 - 33743/03 - (Dragan), NVwZ 2005, 1043.
Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche
und familiäre Bindungen verfügt, aufgrund derer er sich in seiner gesamten Entwicklung
derart in die dortigen Lebensverhältnisse integriert hat, dass ihm ein Verlassen des
Aufnahmestaates nicht zuzumuten ist. Dem ist gegenüber zu stellen, inwieweit ein
Ausländer noch im Land seiner Staatsangehörigkeit verwurzelt ist. Vorliegend wird der
Antragsteller, der im Alter von 24 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist,
seitdem ununterbrochen - in der Zeit von 2001 bis 2006 zudem mit einem Aufenthaltstitel
- hier gelebt hat, durch die drohende Abschiebung in seinem Recht auf Privatleben
betroffen.
Der Eingriff ist jedoch nach Maßgabe von Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Die
Abschiebung in Vollzug der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen
Vorliegens von Ausweisungsgründen infolge strafrechtlicher Verurteilungen des
Antragstellers erfolgt gemäß den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und verfolgt ein
legitimes Ziel im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung
und die Verhütung von Straftaten. Die Abschiebung erweist sich unter Berücksichtigung
dieses Ziels insbesondere auch als verhältnismäßig.
Im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zu
ermitteln, ob dem Ausländer wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben im Staat
seiner Staatsangehörigkeit nicht zugemutet werden kann. Dabei ist die nach Art. 8 Abs. 1
EMRK geschützte Rechtsposition des Betroffenen gegenüber dem Recht der
Bundesrepublik auf Einwanderungskontrolle - insbesondere der Aufrechterhaltung der
Ordnung im Fremdenwesen - in einer Weise abzuwägen, dass ein ausgewogenes
Gleichgewicht zwischen den beiderseitigen Interessen gewahrt ist.
Vgl. EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 - (Keles),
InfAuslR 2006, 3, und Urteil vom 30.11.1999 - 34374/97
- (Baghli), InfAuslR 2000, 53.
Auf der einen Seite ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter
Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Dabei
sind als Gesichtspunkte seine wirtschaftliche und soziale Integration, sein rechtlicher
Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer seines
Aufenthalts in Deutschland, seine Kenntnisse der deutschen Sprache und seine persönliche
Befähigung von Bedeutung. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, inwieweit der
Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und
seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit
entwurzelt ist. Eine Aufenthaltsbeendigung stellt nur dann einen konventionswidrigen
Eingriff in das „Privatleben“ dar, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren)
Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum
„Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem
Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem
Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings
nicht mehr zugemutet werden kann.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
30.01.2008 - 18 B 1252/07 -; OVG des Saarlandes,
Beschluss vom 08.07.2008, m.w.N., jew. zit. nach juris.
In Anwendung dieser Grundsätze, die der EGMR in erster Linie für die Beurteilung von
Ausweisungen entwickelt hat, die jedoch in gleicher Weise bei der Bewertung der
Zulässigkeit der Abschiebung eines Ausländers in Vollzug der Versagung des weiteren
Aufenthalts wegen strafrechtlicher Verurteilungen anzuwenden sind, erweist sich die
Abschiebung des Antragstellers nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK.
Zwar sind auf der Seite des Antragstellers gewichtige Interessen an einem Verbleib im
Bundesgebiet zu verzeichnen, wobei insbesondere sein langjähriger Aufenthalt im
Bundesgebiet von mittlerweile mehr als 15 Jahren zu berücksichtigen ist. Jedenfalls in der
Zeit des rechtmäßigen Aufenthaltes nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Jahr
2001 konnte der Antragsteller im Grundsatz darauf vertrauen, weiterhin im Bundesgebiet
verbleiben zu dürfen. Auf der anderen Seite sprechen schwerwiegende Gründe gegen eine
nachhaltige und feste Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse.
Zum einen ist er in der Vergangenheit in ganz erheblichem Umfang straffällig geworden,
wobei in keiner Weise ersichtlich ist, dass er sich von früheren Verurteilungen von der
weiteren Begehung von Straftaten abhalten ließ. So heißt es z.B. im Urteil des
Amtsgerichts A-Stadt vom 06.06.2006, „Jedoch musste die erhöhte Gewaltbereitschaft
gewürdigt werden, die sich durch insbesondere den einen Tritt gegen den Kopf des am
Boden liegenden Zeugen manifestiert hat.“. Dies zeigt aber, dass beim Antragsteller trotz
mehrfacher Verurteilungen nach wie vor eine starke Bereitschaft zur Begehung von
Straftaten vorhanden ist, die sich insbesondere auch in der Begehung von
Körperverletzungsdelikten manifestiert. Hierauf deuten auch die fünf weiteren wegen
Körperverletzung eingeleiteten Ermittlungsverfahren hin, wobei zwei Verfahren nur gemäß
§ 170 Abs. 2 StPO wegen des Bestehens von Verfahrenshindernissen, also wohl dem
Fehlen von Strafanträgen, eingestellt worden sind. Auf jeden Fall lässt die bisherige
kriminelle Karriere des Antragstellers in keiner Weise erkennen, dass er auf Grund früherer
Verurteilungen seinen Lebenswandel geändert hätte und zu einem rechtstreuen Bürger
geworden wäre. Hierfür spricht auch, dass die im Urteil vom 06.06.2006 ausgesprochene
Bewährung wegen Verstoßes des Antragstellers gegen die Bewährungsauflagen widerrufen
worden ist. Dabei ist auch zu beachten, dass die Bewährung wie sich aus den Gründen des
Urteils ergibt nur ausgesprochen wurde, um dem Antragsteller „trotz bestehender
Bedenken“ „mit geschlossenen Augen“ erneut eine Bewährungschance einzuräumen.
Die ganz erhebliche Straffälligkeit des Antragstellers rechtfertigt darüber hinaus auch die
begründete Besorgnis, dass der Antragsteller eine ernsthafte Gefährdung für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung darstellt. Soweit er geltend macht, dass er sich während der
Haftzeit geändert habe und beabsichtige, zukünftig ein straffreies Leben zu führen und
auch zu arbeiten, da er in der JVA „zwischenzeitlich gelernt“ habe, „regelmäßig“ zu
arbeiten, hat er für den behaupteten Einstellungswandel nichts Konkretes bzw.
Nachvollziehbares dargetan. Allein der Hinweis darauf, dass er nunmehr an einer
Drogenberatung teilnehme, erlaubt angesichts seiner ganz erheblichen kriminellen
Vorgeschichte und offensichtlich langjährigen Drogenabhängigkeit (vgl. Urteil des
Amtsgerichts A-Stadt vom 01.10.1998) nicht den Schluss auf einen grundlegenden
Einstellungswandel und auf eine günstige Sozialprognose.
Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung ist ferner in Rechnung zu stellen, dass
der Antragsteller trotz seines langjährigen Aufenthalts außer den punktuellen Kontakten mit
seinen Töchtern, die wie bereits ausgeführt bei Pflegeeltern leben, nicht über feste familiäre
oder soziale Bindungen im Bundesgebiet verfügt. Der Antragsteller hat ferner soweit
ersichtlich in der Bundesrepublik Deutschland weder eine Berufsausbildung erhalten noch
längerfristig einen Beruf ausgeübt.
Dagegen bestehen nach wie vor nähere Bindungen des Antragstellers zu seinem
Herkunftsland. Dort leben noch seine Eltern und sowie weitere Familienmitglieder, mit
denen er zumindest telefonisch auch noch in Kontakt stand. Da er sich darüber hinaus bis
zu seinem 24. Lebensjahr in Algerien aufgehalten hat, also die Sprache ausreichend
spricht, dürfte es ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland trotz eventueller
Anfangsschwierigkeiten möglich sein, sich in die dortigen Verhältnissen wieder einzufinden.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erweist sich die Abschiebung in Vollziehung der
Versagung der Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens von Ausweisungsgründen trotz der
familiären Verhältnisse und des langjährigen Aufenthalts des Antragstellers im
Bundesgebiet nicht als unverhältnismäßig. Bei dieser Bewertung schlägt durch, dass es
dem Antragsteller während seines gesamten Aufenthalts in Deutschland nicht gelungen ist,
sich nachhaltig in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren, und zwar sowohl in
rechtlicher als auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Er hat eine Vielzahl schwerer
Straftaten begangen und mangels fester persönlicher oder sozialer Bindungen fehlt es an
stabilen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2
GKG, wobei eine Halbierung des Auffangstreitwerts gerechtfertigt erscheint.