Urteil des VG Saarlouis vom 28.04.2010

VG Saarlouis: ausweisung, vorzeitige entlassung, schutz des familienlebens, bewährung, stadt, gefährdung, öffentliche ordnung, erworbenes recht, aufschiebende wirkung, bedingte entlassung

VG Saarlouis Urteil vom 28.4.2010, 10 K 257/09
Anforderungen an die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen nach Art. 14 Abs. 1
ARB 1/80
Leitsätze
1. Die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen, der ein Aufenthaltsrecht nach dem
ARB 1/80 besitzt, kann nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein
persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die
ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
2. Ist die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB zur
Bewährung ausgesetzt, begründet dies ein gewichtiges Indiz, aber keine Vermutung gegen
das Bestehen einer Wiederholungsgefahr.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreit trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden
Kostenschuld abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der im Dezember 1974 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich
gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
Er reiste im Alter von 14 Jahren am 3.11.1989 mit seiner Mutter im Wege der
Familienzusammenführung zu seinem Vater, der damals bei den F.-Werken in S.
beschäftigt war, in das Bundesgebiet ein und lebte bis zum Erwachsenenalter bei seinen
Eltern. Nach Vollendung seines 16. Lebensjahres erhielt der Kläger eine befristete
Aufenthaltserlaubnis, die wiederholt, zuletzt am 23.8.2004 bis zum 22.8.2005, verlängert
wurde. Eine Berufsausbildung hat der Kläger nicht abgeschlossen.
Wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen verurteilte das Landgericht A-Stadt den
Kläger am 14.12.1994 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Dem
Strafurteil ist zu entnehmen, dass zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen gewesen sei,
dass er gleich zwei Fälle derselben Art begangen sowie in dem einen Fall ein besonders
gefährliches Tatmittel eingesetzt und dem Geschädigten damit lebensgefährliche
Verletzungen beigebracht habe. Die Untersuchungshaft in dem ersten Verfahren habe er
sich zudem nicht zur Warnung dienen lassen, sondern die Tat vom 30.4.1994 begangen,
während der Haftbefehl in dem Verfahren betreffend die Tat vom 22.8.1993 außer Vollzug
gesetzt gewesen sei.
Am 18.8.2004 ging der Kläger die zwischenzeitlich geschiedene Ehe mit einer türkischen
Staatsangehörigen ein, aus der ein am 27.8.2004 geborenes Kind hervorging, das am
19.9.2004 an den Folgen einer durch Misshandlungen des Klägers erlittenen schweren
Hirnschädigung verstarb. Wegen dieser Straftat wurde der Kläger durch Urteil des
Landgerichts A-Stadt vom 4.5.2006 wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit
mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren
verurteilt. Ausweislich der Strafzumessungserwägungen in dem Urteil habe sich für den
Kläger in erheblichem Maße strafschärfend auswirken müssen, dass er die Tat unter
Verletzung seiner ihm als Vater obliegenden Pflichten in brutaler Weise zum Nachteil des in
besonderem Maße schutz- und fürsorgebedürftigen, völlig wehr- und hilflosen Säuglings im
Alter von drei Wochen begangen habe und dem hierdurch tateinheitlich verwirklichten
Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB gegenüber dem Tatbestand des § 227 StGB insoweit
durchaus ein eigenständiges Gewicht zukomme.
Nach Gelegenheit zur Äußerung wies der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom
1.10.2008 dauerhaft aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die
Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die
Ausweisung des Klägers stehe sowohl mit nationalem Recht als auch mit Art. 14 ARB 1/80
sowie Art. 8 EMRK und Art. 3 ENA in Einklang. Gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG werde ein
Ausländer unter anderem ausgewiesen, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat
rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei.
Diese Voraussetzung sei aufgrund der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von
sieben Jahren erfüllt. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 bis 5
AufenthG genieße der Kläger nicht. Insbesondere kämen Ausweisungsschutzgründe nach §
56 Abs.1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG nicht in Frage, da diese den Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis voraussetzten, über die der Kläger nicht mehr verfüge, nachdem die
ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis bereits seit dem 22.8.2005 erloschen sei. Der Kläger
verfüge zwar über ein aus Art. 7 ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht, so dass er nur
nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aufgrund einer Ermessensentscheidung
ausgewiesen werden könne. Auch sei die Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen
zulässig. Erforderlich sei, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede
Gesetzesverletzung darstelle, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung
vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, und dass gerade der Ausländer
durch sein persönliches Verhalten Anlass zur Ausweisung gebe. Ob der türkische Migrant
durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit
tatsächlich und schwerwiegende gefährde, müsse unter Würdigung von Art und Schwere
der Straftat und der Persönlichkeit des Täters in jedem Einzelfall geprüft werden. Die
Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen dürften danach nicht allzu
gering bemessen werden. Darüber hinaus sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
beachten. Unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Klägers entspreche die
Ausweisung vorliegend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da der Kläger 1989 im
Alter von 15 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, beherrsche er noch
seine Muttersprache. Eine völlige Entfremdung von seinem Heimatland habe nicht
stattgefunden und der Kläger habe sich auch nicht wirtschaftlich integriert. Er habe seinen
Arbeitsplatz häufig gewechselt und sei zeitweise arbeitslos gewesen. Zugleich fehle es an
einer abgeschlossenen beruflichen Ausbildung, so dass es ihm zuzumuten sei, in sein
Herkunftsland zurückzukehren. Aus Art. 6 Abs. 1 GG könne der Kläger keinen besonderen
Ausweisungsschutz für sich herleiten, und seine Ausweisung stehe auch im Einklang mit
Art. 8 EMRK, dessen Schutz insoweit nicht weitergehe als der Schutz des Familienlebens
nach Art. 6 GG. Bei Abwägung aller Aspekte überwiege das öffentliche Inter- esse an der
Beendigung des Aufenthalts des Klägers sein erworbenes Recht auf einen weiteren
Verbleib im Bundesgebiet nach dem ARB 1/80. Soweit dem Kläger der Schutz aus Art. 3
Abs. 3 ENA zur Seite stehe, gehe dieser nicht über Art. 14 ARB 1/80 hinaus. Darauf, dass
seine Ausweisung wegen einer entsprechenden Anwendung des Art. 28 Richtlinie
2004/38/EG rechtswidrig sei, könne sich der Kläger nicht berufen. Art. 28 Abs. 3 a dieser
Richtlinie sei auf assoziationsberechtigte Türken nicht anwendbar.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 5.11.2008 Widerspruch ein, den der
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9.2.2009, dem Kläger zu Händen seiner
Prozessbevollmächtigten am 12.2.2009 zugestellt, zurückwies. Ergänzend zu den
Ausführungen in dem Bescheid vom 1.10.2008 ist ausgeführt, die Verurteilungen des
Klägers zeigten, dass bei ihm ein Potenzial zur Gewalttätigkeit vorhanden sei, das auch
zum Ausbruch komme. Vor dem Hintergrund, dass er in der Justizvollzugsanstalt den
Wunsch geäußert habe, an einem Anti-Gewalt-Training teilnehmen zu wollen, sei darauf zu
schließen, dass er sich selbst als gewalttätig einschätze. Nur dort, wo ein Hang zu
gewalttätigen Handlungen vorhanden sei, mache die Teilnahme an einem solchen Training
auch Sinn.
Am 11.3.2009 hat der Kläger Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 7.7.2009 setzte das Landgericht A-Stadt die Vollstreckung der
Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 4.5.2006 mit Wirkung vom
10.7.2009 für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung aus. Zur Begründung stellte es
darauf ab, dass der Kläger sich nicht nur in der Justizvollzugsanstalt A-Stadt
ordnungsgemäß geführt und befriedigende Arbeitsleistung erbracht habe, sondern seine
Haftzeit auch dazu genutzt habe, den Integrationskurs zu absolvieren. Zudem habe er
Einzeltherapiesitzungen bei einem der Anstaltspsychologen wahrgenommen, und habe die
vom Gericht beauftragte Sachverständige in ihrem Gutachten vom 8.6.2009 eine günstige
Legalprognose gestellt. Sie habe ausdrücklich festgestellt, dass von dem Kläger weder
kurz- noch mittelfristig Straftaten im Sinne der Anlassstraftat oder einer gefährlichen
Körperverletzung zu erwarten seien. Angesichts dessen könne auch in Übereinstimmung
mit dem in der Anhörung gewonnenen persönlichen Eindruck, wenn auch unter
Zurückstellung von Bedenken, schon jetzt eine vorsichtig günstige Prognose gestellt und die
bedingte Entlassung des Klägers verantwortet werden.
Am 13.7.2009 hat der Kläger bei Gericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner
Klage gegen den Bescheid vom 1.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
9.2.2009 wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Diesen Antrag hat die Kammer, nachdem
der Beklagte unter dem 28.7.2009 die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet
hatte, mit Beschluss vom 16.10.2009, 10 L 614/09, zurückgewiesen und hierzu
dargelegt, dass die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung durchaus tragfähige
Begründung für eine Gefährlichkeit des Klägers im Sinne einer gegenwärtigen Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zwar nicht mehr ausreichend
sei, nachdem mittlerweile durch das im Strafvollstreckungsverfahren eingeholte Gutachten
vom 8.6.2009 sowie den darauf gründenden Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom
7.7.2009 über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ein neuer Sachverhalt
vorliege, der eine beachtliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdungslage bedeuten
könne. Da der Beklagte das ihm bezüglich der Ausweisung des Klägers zustehende
Ermessen hinsichtlich dieser Entwicklung bislang noch nicht ausgeübt habe, habe das
Gericht dem Beklagten in gemeinschaftsrechtskonformer Anwendung des § 114 Satz 2
VwGO Gelegenheit zur Aktualisierung der Ermessensentscheidung zu geben. Da es vor
dieser noch abzuwartenden ergänzenden Ermessensausübung seitens des Beklagten im
Klageverfahren nicht möglich sei, die Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Kläger verfügten
Ausweisung abschließend zu beurteilen, seien die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu
bewerten. Bei hauptsacheoffener Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiege
dabei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung des Klägers,
zumal eine entsprechende Gefährlichkeit des Klägers im Sinne eines erheblichen Restrisikos
deutlich zu Tage trete.
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, dass er besonderen
Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG genieße. Zwar sei er nicht mehr im
Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis, da diese seit dem 22.8.2005 erloschen sei.
Zu berücksichtigen sei jedoch, dass er sich seit dem 20.9.2004 in Haft befunden habe und
ein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus der Haft heraus aussichtslos
gewesen wäre. Zudem habe er aufgrund seines Beschäftigungsverlaufs das Recht aus Art.
6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben. Dieses Recht habe er ebenso wie auch das ihm aufgrund des
Nachzugs zu seinen Eltern zustehende Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 nicht durch
die von ihm begangenen Straftaten verloren. Die von dem Beklagten behauptete
gegenwärtige Gefahr könne insbesondere nicht auf die zuletzt erfolgte Verurteilung vom
4.5.2006 zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren gestützt werden. Bei der dieser
Verurteilung zugrunde liegenden Straftat habe es sich um eine einmalige Verfehlung
gehandelt, bei welcher sein eigenes Kind ums Leben gekommen sei. Während der
Verbüßung seiner Strafe sei sein Vollzugsverhalten beanstandungsfrei gewesen. Er habe in
der Justizvollzugsanstalt alle angebotenen Therapien mit Erfolg absolviert. Insbesondere
habe er an einem Anti-Aggressions-Training teilgenommen, um der Begehung weiterer
Straftaten vorzubeugen. Auch habe er einen Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen. Er
sei bemüht, integriert in die deutsche Gesellschaft, ein straffreies Leben zu führen. Dass
eine günstige Prognose zu stellen sei, werde durch das Sachverständigengutachten vom
8.6.2009 sowie die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung belegt.
Der Kläger, der das Bundesgebiet am 8.12.2009 verlassen hat, hat schriftsätzlich
sinngemäß beantragt,
die Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 1.10.2008
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.2.2009
aufzuheben.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
In Ergänzung der von ihm zur Begründung der Ausweisung des Klägers angestellten
Ermessenserwägungen trägt der Beklagte vor, von dem Kläger gehe nach wie vor eine
gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus. Ausweislich seiner
strafrechtlichen Verurteilungen sei bei dem Kläger ein Potenzial zur Gewalttätigkeit
vorhanden, das durchaus zum Ausbruch kommen könne. Es sei weiterhin davon
auszugehen, dass der Kläger, was die Ausübung von Gewalt gegen Dritte anbelange, über
eine niedrige Hemmschwelle verfüge. Aus diesem Grund sei das spezialpräventive Ziel, zu
verhindern, dass der Kläger insbesondere gegenüber Kindern erneut gewalttätig werde,
weiter gegeben. Angesichts dessen, dass der natürliche Schutzinstinkt gegenüber dem
eigenen Kind beim Kläger versagt habe, sei nicht auszuschließen, dass er vor allem
unbeteiligten Dritten gegenüber erneut gewalttätig werde. Das Sachverständigengutachten
vom 8.6.2009, aufgrund dessen der Kläger mit Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom
7.7.2009 unter Aussetzung des Strafrests zur Bewährung aus der Haft entlassen worden
sei, rechtfertige aufenthaltsrechtlich keine andere Schlussfolgerung. Das Gutachten sei in
Bezug auf eine angeblich wesentlich verminderte Gefährlichkeit des Klägers nicht
überzeugend. Es gehe zwar kurz- und mittelfristig davon aus, dass von dem Kläger keine
Straftaten wie diejenige, die zu seiner Ausweisung geführt hätten, zu erwarten seien. Eine
langfristige Perspektive sei dabei aber vollkommen außer Acht gelassen worden. Führe
man sich die bisherige strafrechtliche Biografie des Klägers vor Augen, so folge auf einen
gewalttätigen Ausbruch eine durchaus längere Phase gesetzeskonformen Verhaltens, die
jedoch anschließend wieder durch einen plötzlichen Ausbruch außerordentlicher Gewalt
unterbrochen werde. Den Ausführungen des Gerichts in dem Eilrechtsschutzverfahren 10 L
614/09 zu der Frage der Gewalttätigkeit des Klägers schließe er sich vollinhaltlich an. In
Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens verbleibe es daher bei der Feststellung, dass
derzeit das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Fernhaltung des Klägers aus
dem Bundesgebiet dessen persönliche Interessen an einem weiteren Verbleib bzw. einer
Wiedereinreise überwiege.
Mit Schriftsätzen vom 23.02. und 03.03.2010 haben die Beteiligten auf die Durchführung
einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
des vorliegenden Verfahrens und des vorangegangenen Aussetzungsverfahrens 10 L
614/09 sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Da die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet haben, konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren
entschieden werden.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 1.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
9.2.2009, mit dem der Kläger dauerhaft aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen
sowie des Weiteren die Verpflichtung des Klägers zum Verlassen der Bundesrepublik
Deutschland ausgesprochen und ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht worden ist,
ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Prüfungsmaßstab für die angefochtene Ausweisung ist § 55 Abs. 1 AufenthG i. V. m. Art.
14 Abs. 1 Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der
Assoziation – ARB 1/80 -. Denn der Kläger hat, wie die Kammer in ihrem zwischen den
Beteiligten in dem Eilrechtsschutzverfahren 10 L 614/09 ergangenen Beschluss vom
16.10.2009 festgestellt hat, zumindest eine Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80
erlangt, die weder bei Erreichen der Volljährigkeit noch durch das Verbüßen einer
mehrjährigen Freiheitsstrafe verloren gegangen ist.
Demzufolge kann der Kläger nach dem Verständnis des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur
ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend
schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 4.10.2007, Rs. C-349/006,
Polat, NVwZ 2008, 59; ferner BVerwG, Urteile vom
9.8.2007, 1 C 47.06, InfAuslR 20207, 431, und vom
2.9.2009, 1 C 2.09, NVwZ 2010, 389 m.w.N.
Das ist hier der Fall, so dass auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gegeben sind.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.9.2009 - 1 C 2.09, a.a.O.
Die körperliche Misshandlung des neugeborenen Kindes des Klägers, an dessen Folgen
dieses verstorben ist, bilden einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht. Das
strafrechtlich durch Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 4.5.2006 als Körperverletzung mit
Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen geahndete Verhalten des
Klägers begründet eine – über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der
öffentlichen Ordnung hinausgehende – tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung,
die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens
und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten
enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei
Misshandlung von Schutzbefohlenen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen
die Eltern richten.
Bei Rechtsgütern dieser Bedeutung gelten für die im Rahmen der erforderlichen Prognose
festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen.
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 2.9.2009, 1 C 2.09 –
a.a.O., wonach für die Feststellung der
Wiederholungsgefahr ein differenzierender, mit
zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens
abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des
Schadenseintritts gilt
Dem genügt die von dem Beklagten nunmehr angestellte Prognose einer konkreten
Wiederholungsgefahr beim Kläger. Der Beklagte hat infolge des vorbezeichneten
Beschlusses der Kammer vom 16.10.2009, in dem diese die im Zeitpunkt der letzten
Behördenentscheidung durchaus tragfähige Begründung für eine Gefährlichkeit des Klägers
im Sinne einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland in Ansehung des im Strafvollstreckungsverfahren eingeholten Gutachtens vom
8.6.2009 sowie des darauf gründenden Beschlusses des Landgerichts A-Stadt über die
Aussetzung des Strafrests zur Bewährung vom 7.7.2009 als nicht mehr ausreichend
angesehen hat, die Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich
eingetretenen Entwicklung einer erneuten individuellen Würdigung unterzogen und an
seiner Auffassung festgehalten, dass von dem Kläger nach wie vor eine gegenwärtige
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die von dem Beklagten
insoweit unter eingehender Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Klägers
angestellten Erwägungen, dass das bei dem Kläger ein durchaus zum Ausbruch
kommendes Potenzial zur Gewalttätigkeit vorhanden sei und wegen seiner niedrigen
Hemmschwelle nicht ausgeschlossen werden könne, dass er vor allem unbeteiligten Dritten
gegenüber erneut gewalttätig werde, überzeugt dabei ebenso wie die Schlussfolgerung,
dass der Umstand, dass die Vollstreckung der Reststrafe des Klägers zur Bewährung
ausgesetzt worden ist, der Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entgegensteht.
Der Beklagte hat eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen und ist
an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Zwar
stellen die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 Abs. 1 StGB bei der Prognose ein
wesentliches Indiz dar. Eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer
Beweiserleichterung begründen sie indes nicht. Eine abweichende Prognoseentscheidung
kann dabei gerade bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1
StGB deshalb in Betracht kommen, weil hier schon wegen der maßgeblichen Bedeutung
der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt (§ 454 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO) naturgemäß
eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Zudem geht es bei der
Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung um die Frage, ob die vorzeitige Entlassung unter
Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann,
während die ausländerrechtliche Beurteilung eine längerfristige Gefahrenprognose
erfordert.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 02.09.2009, 1 C 2.09 -, a.a.O.,
und vom 16.11.2000, 9 C 6.00 –, NVwZ 2001, 442, m.
w. N.
Davon ausgehend hat der Beklagte dem Gesichtspunkt der Aussetzung der Vollstreckung
der Reststrafe zur Bewährung zu Recht unter Hinweis auf das dem entsprechenden
Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 7.7.2009 zugrunde liegende, seiner Auffassung
nach aber nicht überzeugende Sachverständigengutachten vom 8.6.2009 keine
maßgebliche Bedeutung in dem Sinne beigemessen, dass danach eine
Wiederholungsgefahr im Fall des Klägers nunmehr zu verneinen wäre. Zu der von dem
Beklagten an dem Sachverständigengutachten insoweit geäußerten Kritik hat die Kammer
in ihrem vorgenannten Beschluss vom 16.10.2009 folgendes ausgeführt:
„ … ist zu sehen, dass die Kritik des Antragsgegners an
dem Inhalt des Gutachtens vom 8.6.2009 nicht von der
Hand zu weisen ist. So erscheint es auch dem Gericht
nicht – jedenfalls nicht ohne Weiteres – nachvollziehbar,
dass dem Antragsteller eine günstige Legalprognose
gestellt wurde, obwohl er ausweislich des Gutachtens
gegenüber der Gutachterin keine Reue oder auch nur
Einsicht in seine Verantwortlichkeit für die von ihm
begangenen Taten gezeigt hat. Angesichts dessen ist es
ferner nicht einsichtig, dass bei der Anwendung
kriminalprognostischer Instrumente (vgl. S. 41 ff. des
Gutachtens) das Risiko einer erneuten Gewalttätigkeit des
Antragstellers als niedrig eingeschätzt wird, wobei sich
einerseits die Aussagekraft der angewendeten
Untersuchungsmethoden nicht erschließt sowie
andererseits die Abschätzung des Risikos hinsichtlich
Delikten mit einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung
wie der Anlasstat in Abgrenzung zu Körperverletzungen zu
Lasten eines zufälligen Opfers unklar bleibt. Es erscheint
im Hinblick auf einen kurz bis mittelfristigen Ausschluss
einer Gefährlichkeit des Antragstellers auch nicht
schlüssig, wenn dargelegt wird, bei Tötungsdelikten mit
einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung liege die
statistische Rückfallwahrscheinlichkeit bei 0 bis 3 %, bei
Körperverletzungsdelikten bereits bei 25 bis 50 %, und
daran anschließend festgestellt wird, dass die
Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller gegenüber
einem nahen Angehörigen bzw. einem Kind erneut
gewalttätig werde, sei niedriger als eine erneute
Gewaltstraftat zu Lasten eines zufälligen Opfers (vgl. S.
54 des Gutachtens). Dies setzt nämlich voraus, dass eine
gewisse Gefährlichkeit nach wie vor besteht, welche nicht
weiter quantifiziert wird, sondern nach dem Ergebnis eines
nicht weiter nachvollziehbaren Testverfahrens als niedrig
angegeben wird.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass der Antragsteller
vorwiegend auf der Grundlage des mit ihm geführten
Explorationsgesprächs beurteilt wurde und dabei sein
aktenkundiges Verhalten vernachlässigt worden ist,
welches Rückschlüsse auf eine besondere Brutalität bzw.
Gewaltbereitschaft zulässt sowie teilweise abnormes
Verhalten belegt, wie etwa durch die angeblichen
Liebkosungen des Neugeborenen durch Bisse bzw. dessen
Behandlung als „Yoga-Trainer“ durch Massage und durch
Aktivierung von Druckpunkten, die er auch mit Hilfe der
Zähne berührt habe (vgl. Gutachten S. 6 - 9, 59 f.). Es
erscheint dem Gericht daher auch nicht nachvollziehbar,
wenn die Gutachterin insoweit zu dem Ergebnis gelangt,
dass es sich bei einzelnen besonderen Aspekten der
Persönlichkeit des Antragstellers allenfalls um eine
Persönlichkeitsakzentuierung handele (vgl. S. 51 des
Gutachtens), die Kriminalitätsentwicklung hinsichtlich der
Körperverletzungsdelikte kein eingeschliffenes
Verhaltensmuster zeige und bei der Anlassstraftat „wohl
von einer Überforderungssituation“ gesprochen werden
müsse (vgl. S. 55 des Gutachtens). Gleichfalls wird
lediglich die verharmlosende Darstellung des Antragstellers
berücksichtigt, wenn die Gutachterin bei der Analyse der
Straftaten u.a. ausführt, dass nach den Angaben des
Antragstellers zumindest einer der von ihm begangenen
früheren Körperverletzungen ein längerer Konflikt (gemeint
ist wohl der Nachbarstreit) vorausging. Dies erscheint
nämlich nicht geeignet, die besondere Brutalität der
damaligen Tat (lebensgefährliche Stichwunde im Hals
durch abgebrochenen Flaschenhals) zu erklären, zumal
dem Gutachten selbst zu entnehmen ist, dass der
Antragsteller „in einer anderen Auseinandersetzung einer
Person mit einem Bierkrug eine Platzwunde am Hinterkopf
zugefügt hat“ und wegen zweimaliger schwerer
Körperverletzung zu der nicht gerade unerheblichen
Jugendstrafe von 3 ½ Jahren Freiheitsentziehung verurteilt
worden ist (vgl. S. 30 des Gutachtens).
Schließlich ist zu beachten, dass die Gutachterin ihr
Gutachten im Hinblick auf die beabsichtigte vorzeitige
Entlassung des Antragstellers aus der Strafhaft
angefertigt hat und die Aussage darüber, dass kurz- und
mittelfristig keine Straftaten im Sinne der Anlassstraftat
oder einer gefährlichen Körperverletzung zu erwarten
seien, sich hierauf – insbesondere auf die Bewährungszeit
– bezieht und daher nicht ohne Weiteres geeignet ist, die
im Rahmen der vorliegenden Entscheidung über die
Ausweisung des Antragstellers vorzunehmende
längerfristige Prognose abzusichern. Dies zeigt sich etwa
an der Anmerkung der Gutachterin, das
Wiederholungsrisiko hinsichtlich der Anlassstraftat
(Kindestötung) sei deshalb niedrig, weil der Tat eine ganz
spezifische Täter-Opfer-Beziehung zugrunde gelegen habe
und ein solches spezifisches Opfer (im Umfeld des
Antragstellers) derzeit gar nicht vorhanden sei (vgl. etwa
S. 63 des Gutachtens). Bei einer Entscheidung in der
Hauptsache des vorliegenden Verfahrens wird allerdings
zu berücksichtigen sein, dass der erst 34-jährige
Antragsteller durchaus innerhalb eines überschaubaren
Zeitraums nochmals Vater eines Kindes werden könnte
oder eine Ehe mit einer ein Kind alleinerziehenden Frau
eingehen kann, und seine diesbezügliche Gefährlichkeit
daher von Belang sein. Gleichfalls wird es einer Erörterung
bedürfen, wie es zu bewerten ist, dass die Gutachterin im
Falle eines Verbleibens des Antragstellers in Deutschland
für notwendig erachtet hat, dass dieser weiter in
einzeltherapeutischer Behandlung verbleibt, denn auch
dies könnte auf ein erhebliches Restrisiko hindeuten. Ein
solches Restrisiko hat die Gutachterin offenbar beim
Entstehen erneuter Belastungssituationen für den
Antragsteller gesehen (vgl. S. 64 des Gutachtens). Dies
gewinnt an Bedeutung vor dem Hintergrund, dass der
Antragsteller in eine für ihn durchaus unangenehme
Lebenssituation entlassen worden ist, in welcher er zwar
auf familiäre Unterstützung hoffen darf, er aber ohne
Berufsausbildung sowie mit Schulden (vgl. S. 45 des
Gutachtens: 36.000 EUR) dasteht und sich unter diesen
Umständen als Vorbestrafter im Erwerbsleben neu
einfinden muss …“
Diesen Ausführungen der Kammer, die sich der Beklagte bei seiner Prognoseentscheidung
in zulässiger Weise zu Eigen gemacht hat, ist der Kläger nicht entgegen getreten.
Nachdem der Kläger auch nicht dargelegt hat, dass er sich weiterhin in der von der
Gutachterin in ihrem Sachverständigengutachten vom 8.6.2009 als erforderlich
angesehenen einzeltherapeutischen Betreuung befindet und sich den von ihr ebenfalls als
angezeigt angesehenen Kontrollen einer Alkohol- und/oder Drogenabstinenz unterzieht,
kann angenommen werden, dass ungeachtet der -ohnehin nur unter Zurückstellung von
Bedenken - erfolgten Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung
durchaus eine gegenwärtige Rückfallgefährdung besteht und von dem Kläger damit eine
entsprechende Wiederholungsgefahr ausgeht. Zu Recht hat der Beklagte in diesem
Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen strafrechtlichen
Biographie des Klägers auf einen gewalttätigen Ausbruch eine durchaus längere Phase
gesetzeskonformen Verhaltens folge, die jedoch anschließend wieder durch einen
plötzlichen Ausbruch außerordentlicher Gewalt unterbrochen werde.
Auch die von dem Beklagten nunmehr aufgrund der erneuten individuellen Würdigung der
Umstände des Einzelfalles aktuell getroffene Ermessensentscheidung entspricht den
Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Es begegnet keinen Bedenken, dass der
Beklagte in Ausübung seines Ermessens das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und
durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse an einer
Ausreise bzw. nunmehr an einer Fernhaltung des Klägers aus dem Bundesgebiet höher
gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in bzw. einer kurzzeitigen Rückkehr
nach Deutschland. Mit den von ihm begangenen Straftaten hat der Kläger gegen
bedeutende und in hohem Maße schutzwürdige Rechtsgüter verstoßen. Die Gefahr
weiterer Verstöße gegen derartige Rechtsgüter wirkt daher schwer. Demgegenüber fallen
die Interessen des Klägers an einem Verzicht auf die Ausweisung nicht besonders ins
Gewicht. Allein der langjährige Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland
genügt ebenso wenig wie die von ihm im Eilrechtsschutzverfahren geäußerte Befürchtung,
in der Türkei zur Ableistung des Wehrdienstes einer selbstverständlichen staatsbürgerlichen
Pflicht in einem Land mit gesetzlicher Wehrpflicht, herangezogen zu werden, um das
öffentliche Interesse an der Abwehr der durch ihn verursachten Gefahren aufzuwiegen.
Dem 20jährigen Aufenthalt des Klägers kommt dabei schon deshalb keine allzu große
Bedeutung zu, weil es ihm in dieser Zeit nicht einmal ansatzweise gelungen ist, sich
wirtschaftlich und sozial in Deutschland zu integrieren. Dem Kläger ist ein Leben in seinem
Heimatland auch nicht schlechterdings unzumutbar. Der 35jährige Kläger ist geschieden
und kinderlos und bedarf grundsätzlich keiner Hilfestellung Dritter. In der Gesamtabwägung
aller gegenläufigen Belange erweist sich daher die Ausweisung des Klägers auch bei
Berücksichtigung der Bindungen zu seinen in Deutschland lebenden nächsten
Familienangehörigen nicht als unverhältnismäßig.
Die Ausweisung des Klägers begegnet letztlich auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken,
weil sie ohne Befristung verfügt worden ist. Angesichts der Schwere der vom Kläger
begangenen Straftat, der von ihm auch weiterhin ausgehenden Gefährdung sowie der
Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter war es auch unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bisher nicht geboten, die Ausweisung von vorneherein
zeitlich zu befristen.
Vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 02.09.2009, 1 C 2.09,
a.a.O., und vom 15.03.2005, 1 C 2/04, NVwZ 2005,
1074 m. w. N.
Die mit der Ausweisung des Klägers verbundene Abschiebungsandrohung findet ihre
Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG. Die Bestimmung einer Ausreisefrist war angesichts der
seinerzeitigen Strafhaft des Klägers gemäß §§ 59 Abs. 5, 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG
entbehrlich.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708
Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- Euro festgesetzt.