Urteil des VG Saarlouis vom 08.03.2011

VG Saarlouis: vorläufige dienstenthebung, amnesty international, verdacht, besitz, disziplinarverfahren, beamtenverhältnis, strafakte, bindungswirkung, behörde, disziplinargericht

VG Saarlouis Beschluß vom 8.3.2011, 7 L 29/11
Landesdisziplinarrecht; Besitz von Kinderpornographie durch einen Lehrer auf privatem
Rechner
Leitsätze
a) Richtiger Rechtsbehelf gegen eine vorläufige Dienstenthebung ist ausschließlich der nicht
fristgebundene Aussetzungsantrag nach § 63 I SDG; eine auf Widerspruch oder
Anfechtungsklage gerichtete Rechtsbehelfsbelehrung ist fehlerhaft.
b) Ein Lehrer, der wegen Besitzes von 781 kinderpornographischen Bilddateien
rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden ist und der laut vorgelegter Strafakte im Besitz
von mindestens 10 solcher Bilddateien war, ist voraussichtlich aus dem Beamtenverhältnis
zu entfernen.
c) Die Bewertung einer Bilddatei als kinderpornographisch ist eine Rechtsfrage und gehört
nicht zu den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils i.S.d. §§ 23, 57 SDG.
d) Hat ein Beamter nach dem Inhalt eines rechtskräftigen Strafurteils ein Dienstvergehen
begangen, ist ohne vorherige Durchführung von Verwaltungsermittlungen ein behördliches
Disziplinarverfahren einzuleiten und der Beamte in diesem Rahmen anzuhören.
Rechtsmittel-AZ: 6 B 211/11
Tenor
I. Der Antrag wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gründe
Die am 11.01.2011 bei Gericht eingegangene "Klage", die als gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1
SDG zulässiger Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom
20.12.2010 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und der
Einbehaltung von 50 % seiner Dienstbezüge auszulegen ist (1.), ist unbegründet (2).
1. Als Rechtsbehelf gegen die genannten Maßnahmen ist allein ein Aussetzungsantrag nach
§ 63 Abs. 1 SDG statthaft. Zwar handelt es sich bei der vorläufigen Dienstenthebung nach
§ 38 Abs. 1 SDG und der Einbehaltung von Dienstbezügen nach § 38 Abs. 2 SDG um
Verwaltungsakte; auch kann die zuständige Behörde diese Verwaltungsakte gemäß § 38
Abs. 4 SDG jederzeit ganz oder teilweise "aufheben". Für den gerichtlichen Rechtsschutz
enthält § 63 SDG jedoch ein spezielles Verfahren, das Widerspruch und Anfechtungsklage
gegen diese Maßnahmen ausschließt. Der Rechtsbehelf nach § 63 Abs. 1 SDG wiederum
ist an keine Frist gebunden; die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung ist daher fehlerhaft.
2. Der als Aussetzungsantrag zu verstehende Rechtsbehelf ist jedoch unbegründet, denn
es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Maßnahmen i.S.d. § 63 Abs. 2 SDG.
Was die Tatbestandsseite des insoweit für die vorläufige Dienstenthebung maßgeblichen §
38 Abs. 1 Satz 1 SDG - auf § 38 Abs. 1 Satz 2 SDG braucht nicht eingegangen zu werden,
da der Antragsgegner diese Vorschrift nicht herangezogen hat - und des für die
Einbehaltung der Dienstbezüge maßgeblichen § 38 Abs. 2 SDG anbelangt, wonach es
darauf ankommt, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird, muss -
wie nach der Systematik des früheren Rechts - gegen den Beamten der Verdacht eines
Dienstvergehens bestehen, das als disziplinare Ahndung die Verhängung der sogenannten
Höchstmaßnahme erfordert. Dies bedeutet, dass bereits ein Sachverhalt festgestellt sein
muss, aus dem sich ein Verdacht ergibt, der die individuelle, auf den konkreten Fall
bezogene Prognose zulässt, dass der Beamte ein Dienstvergehen begangen hat, das mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit die Höchstmaßnahme erwarten lässt (vgl. zur früheren
Rechtslage nur BVerwG, Beschluss vom 06.11.1991 - 1 DB 15/91 -, BVerwGE 93, 179;
vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 29.02.1996 - 2 BvR 136/96 -, NJW 1996, 2149 = DVBl.
1996, 1123 = DRiZ 1996, 372) . Diese dem Tatbestand des § 38 Abs. 1, Abs. 2 SDG
zugeordnete Prognose gehört - entsprechend der Systematik verwaltungsrechtlicher
Normen - nicht in den Ermessensbereich der zuständigen Behörde und ist damit -
entsprechend der gerichtlichen Prüfungsbefugnis im Rahmen der Disziplinarklage -
gerichtlicherseits voll nachprüfbar. Erst wenn die Prognose im Sinne einer voraussichtlichen
Entfernung aus dem Dienst oder einer Aberkennung des Ruhegehalts beantwortet ist,
setzt das Ermessen der Behörde ein, wobei dann keine überhöhten Anforderungen an die
Ermessensbetätigung mehr zu stellen (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 09.09.1994 - 2 BvR
1089/94 -, NVwZ 1996, 1199 = ZBR 1994, 380) sind, sondern nur noch erforderlich ist,
dass sich der Dienstherr der Handlungsalternative, auf die vorläufige Dienstenthebung auch
verzichten zu können, bewusst ist und dies in der Entscheidung auch zum Ausdruck kommt
(vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar, Stand Mai 2009, § 38
BDG, Rdnr. 15) .
Zunächst besteht vorliegend der hinreichende Verdacht, dass der Antragsteller ein -
außerdienstliches - Dienstvergehen begangen hat, das mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird.
Der Verdacht eines Dienstvergehens ergibt sich aus folgenden tatsächlichen Feststellungen
des gegen den Antragsteller ergangenen - rechtskräftigen - Urteils des Amtsgerichts A-
Stadt vom 10.02.2010 - 119 Ds 24 Js 899/07 (89/09) -, mit dem er wegen Besitzes
kinderpornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt
wurde, deren Vollstreckung mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren unter der Auflage,
eine Geldbuße von 3000 EUR an Amnesty International zu zahlen, ausgesetzt wurde:
Gründe
(Abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
....
Dem Angeklagten wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
vorgeworfen, am 24.10.2007 in seiner Wohnung... auf seinem
Personalcomputer 781 Bilddateien mit Darstellungen aufbewahrt zu
haben, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich
jünger als 14 Jahre als sind und mit denen Erwachsene
Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die
von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden.
...."
An diese Feststellungen ist das Disziplinargericht - gerade auch im Rahmen des
vorliegenden, gegen eine vorläufige Maßnahme nach § 38 SDG gerichteten Verfahrens -
gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SDG gebunden (vgl. zum früheren Recht BVerwG, Entscheidung
v. 20.12.1991 - 1 DB 18/91 -, BVerwGE 93, 314 = DÖV 92, 360 = ZBR 92, 314 =
NVwZ-RR 92, 569) . Nach dieser Vorschrift sind die tatsächlichen Feststellungen eines
rechtskräftigen Urteils u.a. im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben
Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Disziplinargericht bindend. An dieser
äußeren und
inneren Tatbestand
einschließlich derjenigen zur Schuldfähigkeit, zur Schuldform, zum
Ursachenzusammenhang sowie zu Rechtfertigungs- und
Schuldausschließungsgründen
15/91 -, NVwZ-RR 92, 640; BVerwG, Urteil vom 29.11.1989 - 1 D 71/88 -, NJW 90, 2834;
BVerwG, Beschluss vom 20.12.1991 - 1 DB 18/91 -, BVerwGE 93, 314 = DÖV 92, 360 =
ZBR 92, 314 = NVwZ-RR 92, 569; Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarordnung,
Kommentar, 8. Auflage, 1996, § 18, Rdnrn. 9a ff.; Gansen, a.a.O., § 23, Rdnrn. 7 ff.) Dies
gilt grundsätzlich auch hinsichtlich gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzt abgefasster Urteile.
(vgl. nur Claussen/Janzen, a.a.O., § 18, Rdnr. 3 a; BVerwG, Urteil vom 29.11.1989 - 1 D
71/88 -, a.a.O. ; Beschluss vom 20.12.1991 - 1 DB 18/91 -, a.a.O.; Urteil vom
14.10.1997 - 1 D 60/96 -)
Vorliegend bedeutet dies, dass die Kammer grundsätzlich davon auszugehen hat, dass der
Antragsteller am 24.10.2007 in seiner Wohnung ... auf seinem Personalcomputer 781
Bilddateien, die das Amtsgericht als kinderpornographisch eingestuft hat, wissentlich und
willentlich, also vorsätzlich, aufbewahrt hatte, denn sonst hätte er diesbezüglich nicht
wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften gemäß § 184 b Abs. 4 Satz 2 StGB
verurteilt werden dürfen.
Was allerdings die rechtliche Einordnung der Dateien als kinderpornographisch anbelangt,
besteht weder die Bindungswirkung nach § 23 SDG noch diejenige nach § 57 SDG, da die
rechtliche - auch die strafrechtliche - Bewertung nicht mehr zu den tatsächlichen
die Disziplinarorgane
gehalten sind, eine eigene Bewertung vorzunehmen; gleiches gilt für die Frage, was von
den in tatsächlicher Hinsicht bindenden tatsächlichen Feststellungen zum Gegenstand eines
disziplinaren Vorwurfs gemacht werden kann.
die Disziplinarkammer
Disziplinarklage vor der Frage stehen, ob sie sich gemäß § 57 Abs. 1 S. 2 SDG von der
Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils lösen
muss. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den Deal, der Grundlage dieses Urteil war, (vgl. zur
Problematik die Urteile des BVerwG vom 14.03.2007 - 2 WD 3/06 -, BVerwGE 128, 189 =
NJW 2007, 217 = DÖV 2007, 888 und vom 07.11.2007 - 2 WD 1/07 -, BVerwGE 130;
sowie den Beschluss vom 24.07.2007 - 2 B 65/07 -) als auch im Hinblick auf die
getroffenen Feststellungen, die einerseits außerordentlich dürftig sind und keinerlei wirkliche
Konkretisierung der festgestellten Bilder - nicht einmal in Form eines konkretisierenden
Verweises auf die Strafakte - enthalten und andererseits nicht dem Inhalt der der Kammer
vorgelegten Strafakte entsprechen. In dieser sind zwar 10 Bilder enthalten, die eindeutig
als kinderpornographisch einzustufen sind; daneben finden sich in der Akte 120 sogenannte
Posing-Bilder, deren außerdienstlicher Besitz jedenfalls im Tatzeitpunkt nicht strafbar war
und auch nicht als Dienstvergehen gewertet wurde.
Diese Umstände ändern allerdings nichts daran, dass der Antragsteller nach der dem
Gericht derzeit bekannten Strafakte im Tatzeitpunkt wissentlich und willentlich im Besitz
von jedenfalls 10 als kinderpornographisch einzustufenden Bildern war, die den
tatsächlichen Missbrauch von Mädchen wiedergeben, die eindeutig jünger als 14 Jahre sind.
Auch auf dieser Grundlage hätte sich der Antragsteller eines vorsätzlich begangenen -
außerdienstlichen - Dienstvergehens gemäß § 92 Abs. 1 S. 2 SBG a.F. schuldig gemacht.
Insoweit hätte er vorsätzlich gegen § 68 S. 3 SBG a.F. verstoßen, wonach auch das
Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht
werden muss, die sein Beruf erfordert (sogenannte Wohlverhaltenspflicht); dass bereits der
bloße Besitz von Kinderpornographie in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und
Vertrauen in einer für das Amt jedes Beamten oder das Ansehen des Beamtentums
bedeutsamen Weise i.S.d. § 92 Abs. 1 S. 2 SBG a.F. zu beeinträchtigen, ist
selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Ausführungen (vgl. nur BVerfG, Beschluss
vom 18.01.2008 - 2 BvR 313/07 -, NVwZ 2008, 669 = ZBR 2008, 316) , sodass ein
außerdienstliches Dienstvergehen nicht in Frage gestellt werden kann.
Bei diesem Dienstvergehen würde es sich auch um ein (sehr) schweres handeln, durch das
der Antragsteller das Vertrauen sowohl seines Dienstherrn als auch der Allgemeinheit
endgültig verloren hätte, und damit die Prognose gerechtfertigt ist, dass er gemäß § 13
Abs. 2 Satz 1 SDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen sein wird.
Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl.zu deren näheren Begründung das allerdings
nicht rechtskräftig gewordene Urteil vom 27.02.2009 - 4 K 2118/07-, veröffentlicht sowohl
bei Juris als auch auf der kostenfreien Webseite "Saarland - Gerichtsentscheidungen" -
http://www.rechtsprechung.saarland.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/sl_frameset.py)
führt der Besitz kinderpornographischen Materials, dessen Herstellung der reale Missbrauch
von Kindern zu Grunde liegt, grundsätzlich zur Entfernung des dieses Material besitzenden
Beamten aus dem Beamtenverhältnis, weil es sich der der Menschenwürde und der
Erhaltung der physischen und psychischen Unversehrtheit insbesondere von Kindern
verpflichtete Staat glaubwürdigerweise schlicht nicht leisten kann, sich Amtswaltern zu
bedienen, die - wenn auch "nur" in ihrer Freizeit - diese verfassungsmäßigen Grundwerte
indirekt mit Füßen treten. Nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts gilt dies als "Orientierungsrahmen" jedenfalls bei Lehrern (Urteil
vom 19.08.2010 - 2 C 5/10 -) .
Ist von daher die Prognose gerechtfertigt, dass der Antragsteller aus dem
Beamtenverhältnis zu entfernen sein wird, so ergeben sich ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit seiner vorläufigen Dienstenthebung auch nicht daraus, dass das bisherige
behördliche Disziplinarverfahren nicht rechtsfehlerfrei abgelaufen ist. Zwar war es
verfahrensfehlerhaft, den Antragsteller vor der am 26.04.2010 erfolgenden Einleitung des
behördlichen Disziplinarverfahrens am 22.04.2010 laut hierüber gefertigter Niederschrift
ohne Belehrung über seine verfahrensmäßigen Rechte im Rahmen formloser
Verwaltungsermittlungen anzuhören. Denn hierin lag ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 S. 1
SDG, wonach zwingend mit der Folge, dass (weitere) Verwaltungsermittlungen unzulässig
werden, ein Disziplinarverfahren einzuleiten ist, sobald zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. (vgl. hierzu
auch BVerwG, Beschluss vom 18.11.2008 - 2 B 63/08 -; des weiteren Beschluss vom
06.08.2009 - 2 B 45/09 -) Solche zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ergaben sich
für den Antragsgegner indes schon am 13.04.2010 allein aus dem ihm bereits zu diesem
Zeitpunkt vorliegenden gegen den Antragsteller ergangenen amtsgerichtlichen Urteil vom
10.02.2010, so dass er auf dieser Grundlage das behördliche Disziplinarverfahren hätte
einleiten und den Antragsteller im Rahmen dieses Verfahrens unter Beachtung der §§ 20 ff.
SDG hätte anhören müssen. Die dies nicht beachtende Anhörung führt indes nur zur
Nichtverwertbarkeit der hieraus gewonnenen Erkenntnisse und der hierüber gefertigten
Niederschrift, nicht aber zur Rechtswidrigkeit der vorläufigen Dienstenthebung. Der hierfür
erforderliche Verdacht und die hieraus resultierende Prognose rechtfertigen sich allein aus
dem amtsgerichtlichen Urteil und der dazu gehörenden Strafakte. Einer Verwertung der
Erkenntnisse der rechtswidrigen Anhörung des Antragstellers sowie der darüber gefertigten
Niederschrift bedarf es hierzu nicht.
Im Übrigen lässt die aus dem Bescheid erkennbare Ermessensbetätigung - auch hinsichtlich
der Einbehaltung der Dienstbezüge - keine Ermessensfehler erkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 1 VwGO.