Urteil des VG Saarlouis vom 18.02.2011

VG Saarlouis: ärztliches gutachten, fahreignung, epilepsie, qualifikation, ärztliche untersuchung, entziehung, facharzt, verordnung, einziehung, entziehen

VG Saarlouis Urteil vom 18.2.2011, 10 K 549/10
Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens
Leitsätze
Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen der Anordnung zur Beibringung eines
ärztlichen Gutachtens bei Bestehen hinreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen eines
Anfallsleidens (hier: Epilepsie) und der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Nichtbeibringung
des Gutachtens.
Tenor
Ziffer 4. des Bescheides des Beklagten vom 17.08.2009 – SKO-FE 15111 – wird
aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu vier Fünftel und der Beklagte zu einem
Fünftel.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines
Betrages in Höhe der aus dem jeweiligen Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen
Kostenschuld abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit vorliegender Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der
Klassen A, BE, C1E, CE, M, S und L.
Unter dem 24.11.2008 teilte die Verkehrspolizeiinspektion S-D dem Beklagten gemäß § 2
Abs. 12 Straßenverkehrsgesetz – StVG – mit, dass der Polizei Informationen über
Tatsachen vorlägen, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung bzw.
Befähigung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen ließen. Gegen den
Kläger sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weil der Verdacht bestehe, als
Konsument von Haschisch und Marihuana ein Kraftfahrzeug geführt zu haben. Zudem sei
er Epileptiker. Der Mitteilung beigefügt war ein Polizeibericht des Verkehrskommissariats M
vom 15.11.2008, ausweislich dessen der Kläger am selben Tag einer Verkehrskontrolle
unterzogen und bei ihm aufgrund festgestellter Ausfallerscheinungen mit seinem
Einverständnis zwei Drogenvorteste durchgeführt worden waren, die positiv verlaufen
waren. Nach dem Inhalt des Polizeiberichts gab der Kläger hierzu an, Epileptiker zu sein,
und brachte die festgestellten Auffälligkeiten mit seinem Krankheitsbild in Verbindung; eine
Aufnahme von Betäubungsmitteln schloss der Kläger gänzlich aus. Der ebenfalls
beigefügte, anlässlich der von der Polizei angeordneten Blutprobenentnahme erstellte
ärztliche Untersuchungsbericht vom 15.11.2008 enthält zur Anamnese die weiteren
Angaben des Klägers, keine Drogen zu konsumieren, jedoch wegen seit der Kindheit
bestehender Epilepsie multiple Medikamente einzunehmen; trotz Implantation eines
Vagusstimulationsgerätes bestehe keine Anfallsfreiheit, das Bewusstsein gehe bei den alle
paar Wochen auftretenden Anfällen allerdings nicht verloren. Weiter ist in dem ärztlichen
Untersuchungsbericht festgehalten, dass es fraglich erscheine, inwieweit bei dem Kläger
trotz seiner Grunderkrankung eine Fahrtauglichkeit im Generellen bestehe; diese sei laut
den Angaben des Klägers noch nie überprüft worden.
Diesen Sachverhalt nahm der Beklagte, nachdem die immunchemischen
Voruntersuchungen der Blutprobe des Klägers durch das Institut für Rechtsmedizin der
Universität des Saarlandes ohne Befund geblieben und das gegen den Kläger eingeleitete
staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316
StGB mangels Nachweises eingestellt worden waren, zum Anlass, den Kläger mit
Schreiben vom 26.02.2009 unter Fristsetzung bis zum 27.04.2009 zur Beibringung eines
Gutachtens eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bei einer
Begutachtungsstelle für Fahreignung aufzufordern. Zur Begründung legte der Beklagte dar,
dass die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen, obwohl bei ihm eine
Epilepsie ohne Anfallsfreiheit bestehe, noch nie überprüft worden sei. Da bei einem
Anfallsleiden die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nur unter bestimmten
Voraussetzungen gegeben sei, müsse seine Kraftfahreignung gemäß § 11 Abs. 2 FeV
durch ein ärztliches Gutachten überprüft werden. Hierzu sei mit beigefügter Erklärung
innerhalb von sieben Tagen mitzuteilen, ob er mit einer Begutachtung bei einem Arzt einer
Begutachtungsstelle für Fahreignung in Saarbrücken oder Trier einverstanden sei. Zugleich
wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er die Kosten der Begutachtung zu tragen
habe und gemäß § 11 Abs. 8 FeV von seiner Nichteignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen ausgegangen werden könne, wenn er sich ohne ausreichenden Grund
weigere, sich der geforderten Begutachtung zu unterziehen, oder die beigefügte Erklärung
nicht fristgerecht zurücksende.
Mit am 27.03.2009 unterzeichneter Formularerklärung erklärte sich der Kläger mit der
Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer amtlich anerkannten Untersuchungsstelle
für Fahreignung in M als seinem derzeitigen Wohnort einverstanden; die Begutachtung
durch eine entsprechende Untersuchungsstelle in Saarbrücken oder Trier lehnt der Kläger
wegen der räumlichen Entfernung ab.
Mit Schreiben vom 30.03.2009 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass die
Begutachtungsstelle für Fahreignung der TÜV Süd Life Service GmbH in Saarbrücken mit
der Erstellung des Eignungsgutachtens beauftragt worden sei. In M gebe es keine in
Deutschland anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung. Zudem sei die Erstellung
eines Gutachtens durch einen in Frankreich ansässigen Arzt mangels Kenntnis der
Vorschriften der Fahrerlaubnis Verordnung – FeV - sowie der Anlagen zur FeV nicht
möglich. Sofern der Kläger das geforderte Gutachten nicht bis spätestens 27.05.2009
vorlege, werde ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden.
Nachdem von dem Kläger in der Folge zwei ihm von der TÜV Süd Life Service GmbH
eingeräumte Untersuchungstermine nicht wahrgenommen worden waren, hörte der
Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 17.06.2009 zur beabsichtigten Entziehung seiner
Fahrerlaubnis an.
Auf den entsprechenden Antrag des Klägers vom 03.07.2009 hin räumte der Beklagte
dem Kläger mit Schreiben vom 06.07.2009 erneut die Gelegenheit zur Erstellung des
Eignungsgutachtens durch einen Arzt der Begutachtungsstelle für Fahreignung in
Saarbrücken bis zum 31.07.2009 ein.
Unter dem 17.07.2009 bat der Kläger unter Hinweis darauf, dass er den
Untersuchungstermin bei der TÜV Süd Life Service GmbH am 16.07.2009 wegen einer
Erkrankung nicht habe wahrnehmen können, die Frist zur Vorlage des Eignungsgutachtens
bis zum 31.08.2009 zu verlängern.
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 17.08.2009 entzog der Beklagte dem
Kläger die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen, gab ihm zugleich
auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben
und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung die Festsetzung eines
Zwangsgeldes über 500,-- Euro oder die zwangsweise Einziehung des Führerscheins durch
den Vollstreckungsdienst an. Zur Begründung heißt es, nach § 3 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1
FeV sei die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erweise. Bedenken gegen die körperliche oder gesundheitliche Eignung
zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden insbesondere, wenn Erkrankungen oder
Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorlägen. Aufgrund des Polizeiberichts vom
24.11.2008 bestünden Bedenken daran, dass der Kläger aufgrund eines Anfallsleidens
nach Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei. Diese
Bedenken machten es gemäß § 11 Abs. 2 FeV erforderlich, die Eignung des Klägers zum
Führen von Kraftfahrzeugen durch ein ärztliches Gutachten zu überprüfen. Die Behörde sei
daher berechtigt gewesen, das Gutachten eines Arztes bei einer Begutachtungsstelle für
Fahreignung zu verlangen. Da der Kläger das von ihm geforderte Gutachten innerhalb des
ihm gewährten Zeitraums von fünf Monaten nicht beigebracht habe, obwohl ihm mehrfach
die Gelegenheit hierzu geboten worden sei, habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine
Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und die Fahrerlaubnis entzogen
werden können. Auf die Folgen der Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens sei der
Kläger wiederholt hingewiesen worden. Offensichtlich sei der Kläger nicht gewillt gewesen,
ein Gutachten beizubringen und habe ständig neue Gründe angeführt, weshalb ihm dies
angeblich nicht möglich sei. So habe er telefonisch zwar mitgeteilt, dass er arbeitslos und
deshalb aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, das geforderte Gutachten
beizubringen, andererseits aber einen für den Arbeitgeber ausgestellte
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Indes sei auch die von ihm vorgelegte
Krankmeldung kein Grund für die Nichtwahrnehmung des Untersuchungstermins am
16.07.2009. Da es dem Kläger möglich gewesen sei, am 15.07.2009 einen Arzt
aufzusuchen, hätte er auch den auf den darauffolgenden Tag anberaumten
Untersuchungstermin wahrnehmen können.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2009 Widerspruch ein, zu dessen
Begründung er geltend machte, dass der Beklagte für die Führerscheinentziehung nicht
zuständig gewesen sei und er selbst auch nicht unter Epilepsie leide.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Kreisrechtsausschuss des Beklagten am
29.01.2010 erklärte die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, dass dieser bereit sei, sich
der geforderten ärztlichen Begutachtung in Deutschland zu unterziehen; daraufhin wurde
das Widerspruchsverfahren bis zum 01.05.2010 ausgesetzt.
Nachdem die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 18.03.2010 dem
Kreisrechtsausschuss des Beklagten mitgeteilt hatte, dass der Kläger nur bereit sei, sich
von einer in Frankreich zuständigen Stellen untersuchen zu lassen, wies der
Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Widerspruch des Klägers mit aufgrund Beratung
am 19.03.2010 ergangenem Widerspruchsbescheid vom 04.05.2010 zurück. Der Entzug
der Fahrerlaubnis des Klägers sei zu Recht erfolgt. Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 4 Sätze
1 und 6 und 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. q) StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV sei die Fahrerlaubnis
zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erweise. Dies gelte insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5
oder 6 zur FeV vorlägen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
ausgeschlossen sei. Würden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder
geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründeten, könne die Fahrerlaubnisbehörde
gemäß § 46 Abs. 3 FeV i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV die Beibringung eines ärztlichen
Gutachtens anordnen. Weigere sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder
bringe er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei,
dürfe diese bei ihrer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8
Satz 1 FeV auf die Nichteignung schließen. Die Voraussetzungen für die Anordnung der
Beibringung eines ärztlichen Gutachtens hätten im Fall des Klägers vorgelegen. Nach Ziffer
6.6 der Anlage 4 zur FeV bestünde bei einem Anfallsleiden die Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen ausnahmsweise nur dann, wenn kein wesentliches Risiko von
Anfallsrezidiven mehr bestehe. Da der Kläger seit seiner Kindheit an Epilepsie ohne
Anfallsfreiheit leide und anlässlich einer Verkehrskontrolle am 15.11.2008 angeblich auf
seine Erkrankung zurückzuführende Ausfallerscheinungen gezeigt habe, habe Veranlassung
bestanden, die Eignung des Klägers zu überprüfen. Die Zuständigkeit des Beklagten für die
Gutachtenanordnung ergebe sich dabei aus § 73 Abs. 3 FeV, wonach jede
Verwaltungsbehörde für Maßnahmen, die das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen
betreffen würden, zuständig sei, wenn der Betroffene keinen Wohn- oder Aufenthaltsort im
Inland habe. Da die Frage, ob der Kläger trotz seines Anfallsleidens zum Führen eines
Kraftfahrzeuges geeignet sei, aufgrund seiner Weigerung, sich in Deutschland einer
ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, nicht habe beantwortet werden können, sei von
der fehlenden Kraftfahreignung des Klägers auszugehen. Dass der Kläger sich bereit erklärt
habe, sich in Frankreich ärztlich untersuchen zu lassen, sei rechtlich irrelevant. Da der
Kläger im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis sei, richte sich die Frage seiner Fahreignung
nach deutschem Recht. Die Fahrerlaubnis-Verordnung sehe insoweit bestimmte
Anforderungen an die ärztliche Untersuchung vor, die durch entsprechende Ärzte in
Frankreich, die den Anforderungen der Fahrerlaubnis-Verordnung nicht unterlägen, nicht
erbracht werden könnten. Auf die Konsequenzen einer Weigerung, sich untersuchen zu
lassen, sei der Kläger ebenfalls hingewiesen worden, so dass die Anordnung zur
Beibringung eines ärztlichen Gutachtens auch in formeller Hinsicht den Voraussetzungen
des § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV genüge.
Gegen den ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am
07.05.2010 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 07.06.2010 Klage
erhoben.
Der Kläger beruft sich zur Begründung seiner Klage darauf, dass die Anordnung eines
ärztlichen Gutachtens zu Überprüfung seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
schon deshalb rechtswidrig sei, weil die Voraussetzungen für eine Gutachtenanordnung
nicht vorgelegen hätten. Er leide nicht an Epilepsie. Zudem hätte ihm aus Gründen der
Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, eine entsprechende
Begutachtungsstelle in Frankreich mit der Begutachtung zu betrauen oder das Gutachten
eines in Frankreich ansässigen Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation
vorzulegen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 17.08.2009 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2010
aufzuheben und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigen
für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt Bezug auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und
weist ergänzend darauf hin, dass die Fahrerlaubnisbehörde einen Auftrag zur Begutachtung
ausschließlich im Inland erteilen könne, weil nur dort die Vorschriften der Fahrerlaubnis-
Verordnung gelten würden. Nur in Deutschland sei zudem sichergestellt, dass ein den
Anforderungen der Anlage 15 zur FeV entsprechendes Gutachten erstellt werde. Ebenso
wenig habe das Gutachten eines bestimmten Facharztes angefordert werden können.
Hierzu wäre die Kenntnis der konkreten Erkrankung des Klägers erforderlich gewesen. Da
der Kläger bestritten habe, unter einem Anfallsleiden nach Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV
zu leiden, sei kein neurologisches Facharztgutachten, sondern die generelle Aufklärung der
Fahreignung des Klägers durch einen Facharzt für Verkehrsmedizin bei einer amtlich
anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung als sinnvoll angesehen worden. Die bei
den Begutachtungsstellen tätigen Ärzte seien in der Lage, fachübergreifend eine konkrete
Aussage hinsichtlich der Fahreignung zu treffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsunterlagen des Beklagten und des
Kreisrechtsausschusses des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat überwiegend keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 17.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
04.05.2010 ist, soweit dem Kläger darin die Fahrerlaubnis zum Führen von
Kraftfahrzeugen aller Klassen entzogen und zugleich die Abgabe seines Führerscheins
aufgegeben wurde, rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz
1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers sind die §§ 3 Abs. 1 Satz
1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer
Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die
Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn
Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich
oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde
und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Die hiernach
erforderlichen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung lagen hier vor.
Der Beklagte war gemäß § 73 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 FeV für die Entziehung der
Fahrerlaubnis des Klägers zuständig. Nach dieser Vorschrift ist für Maßnahmen, die das
Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen betreffen, jede untere Verwaltungsbehörde, mithin
auch der Beklagte, zuständig, sofern der Betroffene – wie hier der Kläger, der in Frankreich
wohnhaft ist – keinen Wohn- oder Aufenthaltsort im Inland hat.
Zu Recht ist der Beklagte auch auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 FeV von der fehlenden
Kraftfahreignung des Klägers ausgegangen. Nach Satz 1 dieser Regelung darf die
Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen
schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder der
Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Dies
setzt allerdings voraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anforderung eines
solchen Gutachtens vorlagen und dass der Betroffene bei der Anordnung zur Beibringung
des Gutachtens auf die Folgen einer Nichtvorlage hingewiesen wurde.
Vgl. dazu ausführlich BVerwG, Urteile vom 11.12.2008, 3
C 26.07, DAR 2009, 212, und vom 09.06.2005, 3 C
21.04, NJW 2005, 3440, m. w. N.
Beides war vorliegend der Fall.
Gemäß § 46 Abs. 3 FeV sind die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend anzuwenden, wenn
Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis
zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Dies ist
grundsätzlich anzunehmen, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte
berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen bestehen. Bloße Vermutungen
reichen insofern nicht aus. Überdies muss die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und
verhältnismäßiges Mittel sein, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel
aufzuklären.
Vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 15 b Abs. 2 StVZO:
BVerwG, Urteil vom 15.07.2001, 3 C 13.01, NJW 2002,
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Davon ausgehend waren nach dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
maßgebenden Zeitpunkt der angefochtenen Verfügungen
vgl. BVerwG, u. a. Urteile vom 28.04.2010, 3 C 2.10,
NJW 2010, 3318, und vom 25.02.2010, 3 C 15.09,
Blutalkohol 47, 251
die Voraussetzungen für die streitgegenständliche Anforderung eines Gutachtens eines
Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bei einer Begutachtungsstelle für
Fahreignung erfüllt. Beim Kläger waren anlässlich einer am 15.11.2008 durchgeführten
Verkehrskontrolle Ausfallerscheinungen, unter anderem Händezittern, verzögerte
Reaktionen, deutliche Defizite in der Aufnahmefähigkeit sowie Schwanken des Oberkörpers,
festgestellt worden, die er selbst ausweislich des Polizeiberichts des
Verkehrskommissariats Me vom selben Tag auf seine von ihm als Epilepsie angegebene
Erkrankung zurückgeführt hatte. Zudem hatte der Kläger nach dem Inhalt des ärztlichen
Untersuchungsberichts vom 15.11.2008 angegeben, dass er bereits seit seiner Kindheit
unter Epilepsie leide und trotz Implantation eines Vagusstimulationsgerätes keine
Anfallsfreiheit bestehe; vielmehr träten alle paar Wochen Anfälle auf, wobei das
Bewusstsein seinen Angaben zufolge allerdings nicht verloren ginge. Vor diesem
Hintergrund diente die Anforderung des Gutachtens eines Facharztes mit
verkehrsmedizinischer Qualifikation bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung
ersichtlich der nach den eigenen Angaben des Klägers bislang noch nicht erfolgten
ärztlichen Überprüfung, ob trotz einer bei ihm bestehenden Epilepsie von einer Eignung
zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden kann. Bei einem Anfallsleiden wie
der Epilepsie ist angesichts des Risikos einer plötzlich auftretenden Störung des
Bewusstseins und der Motorik
vgl. dazu Abschnitt 3.9.6 der Begutachtungs-Leitlinien zur
Kraftfahrereignung, Stand: 02.11.2009, Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115
gemäß Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV die Eignung oder bedingte Eignung ausnahmsweise
nur dann gegeben, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, wobei
die in diesem Zusammenhang beispielhaft erwähnten anfallsfreien Zeiträume (zwei Jahre
für die Fahrerlaubnisklassen A und B bzw. fünf Jahre für die Fahrerlaubnisklassen C und D)
deutlich machen, dass die Höhe des noch hinnehmbaren Risikos differenziert zu beurteilen
ist. Ob ein Risiko von Anfallsrezidiven aufgrund einer beim Kläger bestehenden Epilepsie
besteht und wie hoch dieses Risiko gegebenenfalls ist, kann nur durch eine
verkehrsmedizinische fachärztliche Begutachtung geklärt werden. Dass der Beklagte hierzu
eine Begutachtung durch einen entsprechenden Facharzt bei einer Begutachtungsstelle für
Fahreignung als erforderlich angesehen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV bestimmt die Behörde insoweit nach freiem Ermessen, ob
das Gutachten von einem für die Fragestellung zuständigen Facharzt mit
verkehrsmedizinischer Qualifikation, einem Arzt des Gesundheitsamtes oder einem Arzt
der öffentlichen Verwaltung, einem Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder
der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“, einem Arzt mit der Gebietsbezeichnung
„Facharzt für Rechtsmedizin“ oder einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für
Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 4 zur FeV erfüllt, erstellt werden soll,
wobei sie nach Satz 4 dieser Bestimmung auch mehrere solcher Anordnungen treffen
kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Bestimmung, die Begutachtung durch einen Facharzt
mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung
vornehmen zu lassen, mit Blick auf die Art der Eignungsbedenken nicht von sachlichen
Erwägungen getragen oder gar willkürlich wäre, bestehen nicht.
Dass der Kläger mit Widerspruchsschreiben vom 04.09.2008 in Abrede gestellt hat, an
Epilepsie zu leiden, lässt die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanforderung unberührt. Mit Blick
auf seine hierzu in Widerspruch stehenden Angaben anlässlich der polizeilichen
Verkehrskontrolle am 15.11.2008 sowie der sich daran anschließenden ärztlichen
Untersuchung lagen jedenfalls hinreichend konkrete Anhaltspunkte für ein bei ihm
bestehendes Anfallsleiden vor, welche angesichts des erheblichen Gefahrenpotenzials für
den Straßenverkehr, das sich aus einem epileptischen Anfall ergeben kann,
aufklärungsbedürftige Bedenken an der Eignung des Klägers zum Führen von
Kraftfahrzeugen begründet haben.
Durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanforderung bestehen
auch nicht deshalb, weil der Beklagte dem Kläger nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, eine
entsprechende Begutachtungsstelle in Frankreich mit seiner Untersuchung zu beauftragen
oder das Gutachten eines in Frankreich ansässigen Facharztes mit verkehrsmedizinischer
Qualifikation vorzulegen. Zwar steht es dem Kläger als Auftraggeber des Gutachtens
grundsätzlich frei, unter den in Betracht kommenden Gutachtern bzw.
Begutachtungsstellen für Fahreignung auszuwählen. Insbesondere letztere bedürfen aber
gemäß § 66 Abs. 1 FeV einer nur unter den Voraussetzungen nach Anlage 14 zur FeV zu
erteilenden amtlichen Anerkennung durch die zuständige oberste Landesbehörde oder
durch die von ihr bestimmte oder nach Landesrecht zuständige Stelle. Gleiches gilt im
Ergebnis, sofern – wie hier – die Begutachtung mit Blick auf eine sich auf die Fahreignung
auswirkende Erkrankung durch einen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation
erfolgen soll, da sich diese Qualifikation gemäß § 65 Satz 1 FeV ebenfalls nach den
maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften richtet. Dass eine entsprechende
Begutachtung durch einen in Frankreich ansässigen Arzt, der keinerlei Kenntnisse der für
die Durchführung der ärztlichen Untersuchung und die Gutachtenerstellung geltenden
Anforderungen nach der Anlage 15 zur FeV besitzt, nicht gewährleistet ist, liegt auf der
Hand und bedarf keiner weiteren Erörterung.
Neben den danach gegebenen materiellen Voraussetzungen für die Anordnung zur
Beibringung eines Gutachtens eines Facharztes mit verkehrmedizinischer Qualifikation bei
einer Begutachtungsstelle für Fahreignung genügte diese im Weiteren auch den formellen
Anforderungen des § 11 Abs. 6 Sätze 1 und 2 FeV. Danach legt die Fahrerlaubnisbehörde
unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der
Anlagen 4 und 5 zur FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche
Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu
klären sind (Satz 1). Darüber hinaus teilt die Behörde dem Betroffenen unter Darlegung der
Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in
Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr
festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten
beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen
einsehen kann (Satz 2). Dabei muss die Gutachtenanforderung im Wesentlichen aus sich
heraus verständlich sein. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret der
Anlass der Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens ist und ob die genannten Gründe
die Zweifel an seiner Eignung zu rechtfertigen vermögen.
Vgl. BVerwG, u. a. Urteil vom 05.07.2001, 3 C 13.01, a.
a. O.
Diese Vorgabe wurde gewahrt. Der Beklagte hat dem Kläger in der Anordnung zur
Beibringung eines Gutachtens eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bei
einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 26.02.2009 in einer für diesen
nachvollziehbaren Weise mitgeteilt, woraus er die Zweifel an seiner Kraftfahreignung
herleitet, indem er sich auf die bei dem Kläger nach dem ärztlichen Untersuchungsbericht
vom 15.11.2008 bestehende Epilepsie ohne Anfallsfreiheit bezogen und weiter dargelegt
hat, dass bei einem Anfallsleiden die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Ziffer
6.6. der Anlage 4 zur FeV nur unter bestimmten, hinsichtlich des Klägers noch nie
überprüften Voraussetzungen gegeben sei. Damit war für den Kläger ohne Weiteres
erkennbar, weshalb und mit welcher Fragestellung die Überprüfung seiner Fahreignung
erfolgen sollte. Die Anordnung enthält im Weiteren auch die erforderliche Fristsetzung,
einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Klägers sowie die Angabe, dass die
Begutachtung durch einen Arzt einer Begutachtungsstelle für Fahreignung in Saarbrücken
oder Trier vorzunehmen ist. Außerdem ist der Kläger auf die Folgen einer Weigerung, sich
untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Beibringung des Gutachtens
hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).
Ist die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens eines Facharztes mit
verkehrsmedizinischer Qualifikation bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung mithin
sowohl formell als auch materiell zu Recht ergangen, durfte der Beklagte gemäß § 11 Abs.
8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers schließen. Gegenüber demjenigen, der ein
rechtmäßig wegen begründeter Bedenken an seiner Kraftfahreignung von ihm gefordertes
ärztliches Gutachten verweigert, ist die Vermutung ohne Weiteres berechtigt, er wolle
einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 17.08.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.05.2010 erweist sich dagegen insoweit als rechtswidrig,
als darin gegenüber dem Kläger für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung seines
Führerscheins die Festsetzung eines Zwangsgeldes über 500,-- Euro oder die zwangsweise
Einziehung des Führerscheins durch den Vollstreckungsdienst des Beklagten angedroht
wurde; in diesem Umfange verletzen die bezeichneten Bescheide den Kläger in seinen
Rechten und unterliegen daher insoweit der Aufhebung durch das Gericht (§ 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO).
Die Androhung der Festsetzung eines Zwangsgeldes über 500,-- Euro oder die
zwangsweise Einziehung des Führerscheins durch den Vollstreckungsdienst des Beklagten
verstößt gegen das sog. Kumulationsverbot, wie es sich für das hier maßgebliche
Landesrecht aus § 19 Abs. 3 Satz 1 SVwVG ergibt. Nach dieser Vorschrift muss sich die
Androhung auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen. Sinn und Zweck dieser Vorschrift
besteht darin, dass der Betroffene die Folgen eines Verstoßes im Voraus absehen kann.
Die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel zur Durchsetzung ein- und derselben
Handlungspflicht ist damit nicht vereinbar. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die
zwangsweise Einziehung des Führerscheins des Klägers durch den Vollstreckungsdienst
des Beklagten als unmittelbarer Zwang gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SVwVG voraussetzt,
dass Zwangsgeld nicht in Betracht kommt, keinen Erfolg verspricht oder unzweckmäßig ist.
Die Kostenentscheidung orientiert sich gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO am Maß des
Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr.
11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der
Empfehlungen in Nr. 46.1, 46.5 und 46.8 des Streitwertkataloges für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 auf insgesamt 12.500,-- Euro festgesetzt.