Urteil des VG Saarlouis vom 10.07.2008

VG Saarlouis: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, psychologisches gutachten, stadt, verfügung, fahreignung, ausstellung, tschechien, vollziehung, republik, abhängigkeit

VG Saarlouis Beschluß vom 10.7.2008, 10 L 281/08
Aberkennung des Gebrauchsrechts einer ausländischen Fahrerlaubnis
Leitsätze
Einzelfall einer zu Recht ergangenen Aberkennung des Gebrauchsrechts einer
tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland unter Einbeziehung der aktuellen
Rechtsprechung des EUGH vom 26.06.2008 (z.B. C-329/06 u. C-343/06)
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert beträgt 2.500 EUR.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des
Antragstellers vom 24.03.2008 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom
19.02.2008, durch die unter Androhung der sofortigen Vollziehung dem Antragsteller das
Recht aberkannt wurde, mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland
Kraftfahrzeuge zu führen, und ihm aufgegeben wurde, nach Eintritt der Rechtskraft der
Entscheidung den Führerschein zwecks Eintragung der Aberkennung vorzulegen, ist
zulässig, insbesondere statthaft gem. § 80 Abs. 5 i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO,
hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Zunächst hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer den
Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet,
dass ein Abwarten bis zur Ausschöpfung des Instanzenweges den Vollzug des
Entziehungsbescheides auf unabsehbare Zeit vereitelte und dem Antragsteller ermöglichte,
trotz seiner - aus Sicht des Antragsgegners bestehenden – Nichteignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen.
Die vom Gericht in der Sache zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet
sich danach, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen
behördlichen Entscheidung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs
schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Im Rahmen dieser vom Gericht
vorzunehmenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu
berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in
der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem zum Entscheidungszeitpunkt
gegebenen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird; bei
offensichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs überwiegt demgegenüber regelmäßig
das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Ist die Hauptsache als offen zu bewerten,
hat das Gericht die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen.
Hiervon ausgehend kann der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs nicht beanspruchen, da die Rechtmäßigkeit der Verfügung im
Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der
Sach- und Rechtslage im Ergebnis keinen durchgreifenden Zweifeln unterliegt.
Maßgebliche (innerstaatliche) Rechtsgrundlage für die mit dem angefochtenen Bescheid
erfolgte Aberkennung des Rechts, von der vom Antragsteller erworbenen tschechischen
Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, ist § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG, weil die
Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V.
m. § 46 Abs. 1 FeV vorliegen. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren
Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere,
wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder
erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze
verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
ausgeschlossen ist.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. der Anlage 4 zur FeV wird zu Ziffer 8.1 die
Fahreignung im Falle von Alkoholmissbrauch verneint, wenn das Führen von
Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht
hinreichend sicher getrennt werden können. Hingegen wird die Fahreignung nach dem
Ende eines Alkoholmissbrauchs bejaht, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist
(Ziffer 8.2). Bei Alkoholabhängigkeit (Ziffer 8.3) besteht keine Fahreignung. Nach einer
Abhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung) ist die Eignung wieder gegeben, wenn eine
Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist.
Geht es um die Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik, so zählt § 13
FeV als speziellere Vorschrift mehrere Fälle auf, in denen die Fahrerlaubnisbehörde die
Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen muss. Danach ist
gemäß § 13 Nr. 2 FeV u. a. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn
(b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen
wurden, (c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Alkoholkonzentration von 1,6
Promille oder mehr oder eine Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt
wurde oder (d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter Buchstaben a bis c genannten
Gründe entzogen war.
In Bezug auf den Antragsteller liegen die zu § 13 Nr. 2 Buchstaben b, c und d FeV
aufgeführten Fallgruppen kumulativ vor, so dass der Antragsgegner mit Blick auf diese
normativen Vorgaben zu Recht unter Verweis auf § 11 Abs. 7 FeV davon ausgegangen ist,
dass der Antragsteller als ungeeignet zur Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr im
Inland gilt, solange er kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegt, das seine
Kraftfahreignung bestätigt.
Diese Sach- und Rechtslage ergibt sich aus folgenden Umständen: Der Antragsteller ist,
nachdem er schon durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 05.03.1981 u. a. wegen
fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden ist, durch weitere vier
Trunkenheitsfahrten strafrechtlich in Erscheinung getreten, nämlich durch Fahrten am
09.09.1989 mit 1,71 Promille, am 28.01.1992 mit 2,19 Promille, am 13.06.1994 mit
1,42 Promille sowie am 07.04.2005 mit 2,74 Promille. In dem zuletzt eingeholten
medizinisch-psychologischen Gutachten des TÜV-Rheinland vom 07.06.1996 ist
festgestellt, dass sich beim Antragsteller eine schwere Alkoholproblematik entwickelt habe,
angesichts der von ihm besuchten Selbsthilfegruppe, Alkoholberatungsstelle sowie
therapeutischen Einzelgesprächen aber von einer hinreichenden Stabilisierung der
Abstinenz ausgegangen werden könne, so dass nicht zu erwarten sei, dass der
Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Jedenfalls
durch die nachfolgende Trunkenheitsfahrt vom 07.04.2005, wegen der der Antragsteller
durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 06.09.2005 zu einer Geldstrafe verurteilt und
ihm unter Anordnung einer Sperrfrist von zehn Monaten die Fahrerlaubnis entzogen wurde,
ist erwiesen, dass von einer fortbestehenden Alkoholabstinenz des Antragstellers, wie sie
noch in dem Gutachten des TÜV-Rheinland vom 07.06.1996 angenommen worden ist,
nicht mehr ausgegangen werden kann. Von daher hat der Antragsgegner zu Recht
angenommen, dass der Antragsteller nach wie vor ungeeignet zum Führen eines
Kraftfahrzeuges ist. Allein der Umstand, dass dem Antragsteller am 27.06.2007 in
Tschechien eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt worden ist, vermag die Wiedererlangung
der Fahreignung nicht zu belegen. Daran ändert auch nichts, dass der Antragsteller
ärztliche Bescheinigungen vom 30.04.2007 und 28.05.2007 vorgelegt hat, nach denen er
geistig und körperlich fähig bzw. gesundheitlich tauglich zum Führen von Kraftfahrzeugen
sein soll. Diese Schriftstücke vermögen auch nicht ansatzweise zu belegen, dass eine der
langjährigen schweren Alkoholproblematik des Antragstellers angemessene ärztliche und
psychologische Untersuchung, wie es gerade bei einer medizinisch-psychologischen
Untersuchung im Sinne des § 13 Abs. 2 FeV der Fall ist, stattgefunden hat.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Entscheidung des Antragsgegners auch
mit der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.07.1991 in der Fassung der Richtlinie
97/26/EG des Rates vom 02.06.1997 und mit der Richtlinie 2006/126/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein
vereinbar. Nach dem zum Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins am
27.06.2007 gültigen Art. 7 Abs. 1 Buchst. (e) Richtlinie 2006/126/EG darf ein Führerschein
nur an Bewerber ausgestellt werden, die im Hoheitsgebiet des den Führerschein
ausstellenden Mitgliedstaates ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können,
dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben. Als
ordentlicher Wohnsitz gilt gemäß Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 91/439/EWG der Ort, an dem ein
Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines
Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die eine
enge Beziehung zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen,
gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Der Europäische
Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 26.06.2008 in den verbundenen Rechtssachen C –
329/06 und C – 343/06 sowie C – 334-336/06 entschieden, wie in Fällen zu verfahren ist,
in denen feststeht, dass der neue Führerschein unter Missachtung der von der Richtlinie
91/439/EWG aufgestellten Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist. Danach kann
ein Mitgliedsstaat es ablehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung
anzuerkennen, die sich aus dem nach dem Entzug der Fahrerlaubnis von einem anderen
Mitgliedsstaat außerhalb einer Sperrzeit ausgestellten Führerschein ergibt, wenn sich zwar
nicht anhand von vom Aufnahmemitgliedstaat stammenden Informationen, aber auf der
Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat
herrührenden unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1
Buchst. b Richtlinie 91/439 aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der
Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war. Diese Ausführungen, die der Europäische
Gerichtshof für die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 Richtlinie 91/439/EWG
getroffen hat, gelten entsprechend für den – weitgehend inhaltsgleichen – Art. 7 Abs. 1
Buchst. (e) Richtlinie 2006/126/EG, der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen
Verfügung in Kraft gesetzt war.
Vgl. auch OVG des Saarlandes, Beschluss vom
03.07.2008, 1 B 238/08.
Im vorliegenden Fall ergibt sich zunächst aus Informationen vom Ausstellermitgliedstaat,
dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Richtlinie 2006/126/EG aufgestellte
Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins
nicht erfüllt war. Zwar ist in dem – als Kopie in den Verwaltungsunterlagen (Bl. 141, 142) -
vorhandenen Führerschein der tschechischen Republik unter der Rubrik Nr. 8 („Obec
Pobytu“; vgl. dazu Anhang Ia Richtlinie 91/439/EWG, 2., Seite 2 Nr. 8 Wohnort …) als
Wohnsitz des als Führerscheininhaber bezeichneten Antragsstellers der Ort Trebic, eine im
Grenzgebiet zu Österreich gelegene Stadt in Tschechien, genannt. Demgegenüber ist in
dem vom Antragsteller vorgelegten Strafregisterauszug der Tschechischen Republik vom
29.05.2007 als ständiger Wohnsitz des Antragstellers seine im vorliegenden
Eilrechtsschutzverfahren angegebene Anschrift A-Straße in A-Stadt vermerkt. Im Weiteren
ist im oberen Teil des Strafregisterauszugs als „Adresse des Antragstellers, an die das
Auskunftsschreiben gesandt werden soll“ (vgl. Bl. 58 GA), der Name einer Agentur mit Sitz
in Üsti nad Labem, einer Stadt im Grenzgebiet zur Bundesrepublik Deutschland/Sachsen,
angegeben. Damit ergeben sich gerade aus Informationen des Ausstellermitgliedstaates
selbst durchschlagende Zweifel an der Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt
der Ausstellung des tschechischen Führerscheins.
Im Weiteren hat der Antragsteller auch nicht den Nachweis erbracht, dass er während
eines Mindestzeitraums von sechs Monaten in Tschechien studiert hat. Zwar hat er eine
Bescheinigung der Karel-Englis-Hochschule Brno vom 14.05.2007 in Kopie vorgelegt,
wonach er in der Zeit vom 02.10.2006 bis voraussichtlich 31.06.2007 an dem Studium
„Arbeit mit dem Computer – Kenntnisniveau P“ teilgenommen habe. Dieses Schriftstück
allein ist aber als Nachweis für die Absolvierung eines Studiums nicht ausreichend. Der
Antragsgegner hat nämlich festgestellt, dass der Antragsteller seit dem 01.01.2007 bis
29.02.2008 ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II bezogen hat und der
Leistungsbezug voraussetzt, dass sich der Empfänger in diesem Zeitraum im Landkreis A-
Stadt-Wadern aufhält und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Antragsteller ist
diesen Feststellungen, die mit der von ihm behaupteten Studienteilnahme unvereinbar sind,
nicht entgegengetreten. Er hat nicht einmal eine genaue Adresse mitgeteilt, unter der er
während des angeblichen Studiums in Brno gewohnt haben will. Entscheidend muss weiter
gesehen werden, dass die mit einem Studium notwendigerweise verbundene
Wohnsitznahme am Studienort und damit auch das Studium selbst ebenfalls nicht mit dem
Eintrag in dem Strafregisterauszug vereinbar ist, demzufolge der ständige Wohnsitz des
Antragstellers in A-Stadt, A-Straße, ist. Selbst wenn man daher der Auffassung ist, dass
auch die Nichterfüllung des Studiums aufgrund von vom Ausstellungsstaat herrührenden
Informationen belegt sein muss, wäre diese Anforderung erfüllt. Nach alledem steht das
Gemeinschaftsrecht im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
der Anwendung innerstaatlichen Rechts nicht entgegen.
Die Verpflichtung zur Vorlage der Fahrerlaubnis zwecks Eintragung der Aberkennung beruht
auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG. Die Festsetzung der Verwaltungsgebühr einschließlich der
Zustellungskosten erfolgt auf der Grundlage der Geschäftsnummer 206 der
Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr.
Erweist sich demnach die angefochtene Verfügung in allen Regelungsinhalten als
rechtmäßig, ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Der Streitwert wird in Anlehnung an die Rechtsprechung der Kammer im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte des Hauptsachewertes und damit auf 2.500 EUR
festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs 2004 i.
d. F. vom 07./08.07.2004).