Urteil des VG Saarlouis vom 11.10.2010

VG Saarlouis: von Wohngeld, grobe fahrlässigkeit, beginn der frist, rechtlich geschütztes interesse, verwaltungsakt, rücknahme, leistungsbezug, unterkunftskosten, einsichtsfähigkeit

VG Saarlouis Beschluß vom 11.10.2010, 11 K 764/10
Rückforderung von Wohngeld
Leitsätze
a) Ein Wohngeldbewilligungsbescheid wird kraft Gesetzes von dem Zeitpunkt an
unwirksam, ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach den §§ 7 und 8 Abs
1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Der Bewilligungsbescheid wird dabei kraft
Gesetzes unwirksam. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides ist nicht erforderlich.
b) Zur Jahresfrist nach §§ 48 Abs 4 Satz 2, 45 Abs 4 Satz 2 SGB X.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Kläger beantragte am 02.07.2007 bei der Beklagten Wohngeld in Form eines
Lastenzuschusses. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Wohngeldbescheid Nr. 1 vom
19.09.2007 für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.06.2008 Wohngeld in Höhe von 229,00
Euro monatlich. Am 23. September 2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen
Wiederholungsantrag. Mit Wohngeldbescheid Nr. 2 vom 21.10.2008 bewilligte die Beklagte
dem Kläger Wohngeld vom 01.09.2008 bis zum 30.11.2008 in Höhe von 137,00 Euro
monatlich. Im August 2009 wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger im Zeitraum
von November 2007 bis Dezember 2007, im Februar und Mai 2008 sowie im September
2008 Arbeitslosengeld II bezogen hat. Den Bezug dieser Leistungen hatte der Kläger der
Beklagten nicht mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 28.08.2009 wurde der Kläger zur beabsichtigten Rücknahme der
Wohngeldbescheide vom 19.09.2007 und 21.10.2008 und zur beabsichtigten Erstattung
zu Unrecht erhaltener Wohngeldleistungen angehört. Mit Schreiben seines jetzigen
Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2009 teilte der Kläger daraufhin mit, dass er zum
Zeitpunkt der Antragstellung auf Wohngeld am 02.07.2007 keine Leistungen nach SGB II
bezogen habe. Diese Situation habe sich jedoch am 30.10.2007 geändert. An diesem
Tage habe seine Ehefrau einen folgenschweren Verkehrsunfall erlitten, der monatelange
Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte notwendig gemacht habe. Als Folge dieses Unfalles
seien die Arbeitseinkünfte der Ehefrau weggefallen. Er habe sich um den Haushalt und die
gemeinsamen Kinder kümmern müssen. Mit dieser Situation sei er völlig überfordert
gewesen. Erst sein Prozessbevollmächtigter habe ihm vor wenigen Tagen verständlich
machen können, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II grundsätzlich von Wohngeld
ausgeschlossen seien. Bis dahin sei er davon ausgegangen, dass die gesamten
Wohnkosten teilweise durch das Wohngeld, teilweise durch die Unterkunftskosten gedeckt
würden. Insofern sei er in gutem Glauben gewesen. Durch den Bezug von SGB II-
Leistungen sei nämlich nur ein geringer Teil der tatsächlichen Wohnkosten gedeckt worden.
Aus seiner laienhaften, aber durchaus nachvollziehbaren Sicht habe er es für zwingend
notwendig gehalten, dass das Wohngeld zusätzlich zu den Unterkunftskosten nach SGB II
gezahlt werde. Er sei deshalb nicht bösgläubig gewesen. Zudem komme eine Rücknahme
nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X nur bis zum Ablauf von zwei Jahren in Betracht. Bezüglich
des Wohngeldbescheides vom 19.09.2007 sei diese Zweijahresfrist bereits abgelaufen.
Selbst wenn man jedoch von seiner Bösgläubigkeit ausgehe, scheitere eine Rückerstattung
des Wohngeldes für die Vergangenheit an § 45 Abs. 4 SGB X. Danach sei die Rücknahme
des Bescheides nämlich nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der maßgeblichen
Tatsachen möglich. Die Beklagte sei jedoch sowohl Träger der Kreisagentur für Arbeit und
Soziales als auch Träger der Wohngeldstelle. Nach der Beantragung von Wohngeld am
02.07.2007 einerseits und der späteren Beantragung von SGB II-Leistungen andererseits
seien der Beklagten die Fakten bekannt gewesen. Man müsse sich schon die Frage stellen,
weshalb die Beklagte nicht sofort reagiert habe. Nach alldem könne von einem bewussten
Verschweigen oder gar arglistiger Täuschung durch ihn keine Rede sein.
Mit Wohngeldbescheid Nr. 4 der Beklagten vom 29.10.2009 wurde dem Kläger für die Zeit
vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2008 Wohngeld in Höhe von monatlich 229,00 Euro,
insgesamt 2.748,00 Euro bewilligt. In dem Bescheid ist ausgeführt:
„Der vorherige Bescheid über den oben genannten Zeitraum wird
hiermit gemäß §§ 45 Abs. 2 Nr. 3 des 10. Buches Sozialgesetzbuch
(SGB X) insoweit zurückgenommen, als er von diesem Bescheid
abweicht. Im vorgenannten Zeitraum bereits geleistete
Wohngeldzahlungen werden angerechnet.
Die Neuberechnung für einen früheren Zeitraum hat ergeben, dass
zuviel Wohngeld gezahlt wurde (s. den hierzu ergangenen Bescheid).
Der überzahlte Betrag in Höhe von 916,00 Euro wird wie
nachstehend aufgeführt verrechnet. Bitte beachten Sie die
Erläuterungen im Bescheid unter Sonstiges … Bei dem
Überzahlungsbetrag handelt es sich um die Monate November 2007
bis Dezember 2007, Februar 2008 sowie Mai 2008 (parallel ALG II-
Leistungsbezug)“.
Ein entsprechender Bescheid erging für die Zeit vom 01.09.2008 bis 30.11.2008
(Wohngeldbescheid Nr. 5 der Beklagten vom 29.10.2009 für den „Überzahlungsbetrag“
Monat September 2008).
Mit „Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nach den §§ 45 und 50 des Sozialgesetzbuches
X (SGB X) -Wohngeldrückforderung-„ des Beklagten vom 19.11.2009 wurde von dem
Kläger für den Zeitraum November 2007 bis Dezember 2007, Februar, Mai und
September 2008 eine Wohngeldleistung in Höhe von 1.053,00 Euro zurückgefordert. Zur
Begründung wird ausgeführt, für die angegebenen Monate habe der Kläger parallel zu den
Leistungen nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gleichzeitig Leistungen nach dem
Wohngeldgesetz (WoGG) erhalten. Den Bezug der SGB II-Leistungen habe er jedoch nicht
mitgeteilt. Somit seien dem Kläger Leistungen der Unterkunft doppelt gewährt worden,
was unrechtmäßig sei. Die Bewilligung des Wohngeldes werde aus dem vorbezeichneten
Grund unter Bezugnahme auf § 45 Abs. 2 SGB X für die genannten Bewilligungszeiträume
in dem angeführten Umfang aufgehoben. Der dieser Bewilligung zugrunde liegende
Verwaltungsakt werde zurückgenommen. Er gelte damit als aufgehoben im Sinne des § 50
SGB X. Der Kläger sei daher verpflichtet, den ihm unrechtmäßig gezahlten Betrag zu
erstatten. Diese Verpflichtung zur Erstattung ergebe sich aus § 45 Abs. 4 i. V. m. § 50
SGB X.
Gegen diese Bescheide, dem Kläger am 21.11.2009 zugestellt, legte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 01.12.2009 mit der Begründung
Widerspruch ein, der Kläger habe, wie schon vorgetragen, gutgläubig gehandelt. Von daher
sei § 45 Abs. 4 SGB X, der Bösgläubigkeit voraussetze, nicht anwendbar. Hinzu komme,
dass die Behörde die Rücknahme nach § 45 Abs. 4 SGB X innerhalb eines Jahres seit
Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme begründeten, veranlassen müsse. Diese
Jahresfrist sei vorliegend nicht eingehalten. Die Beklagte habe als Trägerin der Kreisagentur
sowie als Trägerin der Wohngeldstelle am 30.11.2007 aufgrund der Beantragung der ALG
II-Leistungen durch den Kläger von dem Doppelbezug Kenntnis erlangt. Der Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 19.11.2009 sei daher verspätet. Die Aufhebung der alten
Wohngeldbescheide sowie deren Ersetzung durch die Wohngeldbescheide Nr. 4 und Nr. 5
ändere an dieser Verfristung nichts. Die Aufhebung der alten Bescheide erfolge
ausschließlich und allein zu dem Zweck, die verpasste Jahresfrist nachträglich irgendwie zu
retten. Ein solches Vorgehen sei rechtswidrig.
Der Widerspruch wurde durch aufgrund mündlicher Verhandlung vom 04.07.2010
ergangenen Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Landkreises Merzig-A-
Stadt zurückgewiesen. Zuvor hatte der Kreisrechtsausschuss dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 11.01.2010 mitgeteilt, dass die
Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 11.01.2010 mitgeteilt, dass die
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten ergehen werde. Weder
der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter wurden zur mündlichen Verhandlung am
04.07.2010 geladen; eine Vertreterin der Beklagten war anwesend.
Am 10.08.2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Er hält unter Berufung auf sein bisheriges Vorbringen die Bescheide der Beklagten für
rechtswidrig und begehrt deren Aufhebung. Zudem ist er der Auffassung, die Durchführung
der mündlichen Verhandlung vor dem Kreisrechtsausschuss ohne seine vorherige Ladung
müsse zur Aufhebung des Widerspruchsbescheids führen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und meint, der Kläger habe den Bezug seiner SGB II-
Leistungen verschwiegen, so dass es zu einem Doppelbezug von Unterkunftskosten und
zur Überzahlung des Wohngeldes gekommen sei. Der Kläger und seine Familie seien
durchaus in der Lage, in deutscher Sprache gemachte Ausführungen zu verstehen. Dies sei
der beigefügten Wohngeldakte zu entnehmen. Ihm sei daher grobe Fahrlässigkeit
vorzuwerfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der beigezogenen Verwaltungsunterlagen verwiesen, der Gegenstand der
Entscheidungsfindung war.
II.
Der Prozesskostenhilfeantrag ist unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung
nicht die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114
Abs. 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Anfechtungsklage ist zwar gemäß §§ 45, 42 Abs. 1, 68 ff. VwGO zulässig, aber
unbegründet.
Der angefochtene Erstattungsbescheid der Beklagten vom 19.11.2009 und die
Wohngeldbescheide Nr. 4 und Nr. 5 der Beklagten vom 29.10.2009 sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat im Ergebnis zu Recht das dem Kläger gewährte Wohngeld in Höhe von
1.053,00 Euro gemäß §§ 28 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 WoGG, §§ 50 Abs. 2, 48 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2, Abs. 4, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zurückgefordert.
Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG wird der Bewilligungsbescheid von dem Zeitpunkt an
unwirksam, ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach den §§ 7 und 8 Abs.
1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Der Bewilligungsbescheid über die Leistung
von Wohngeld wird dabei kraft Gesetzes unwirksam, wenn auch nur ein bei der
Berechnung des Wohngeldes berücksichtigtes Familienmitglied vom Wohngeld nach § 7
Abs. 1 WoGG ausgeschlossen ist. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids ist nicht
erforderlich (vgl. auch Ziffer 28.01 WoGVwV 2009) . Vielmehr ist der Wohngeldempfänger
gemäß § 28 Abs. 5 WoGG von der Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides nur zu
unterrichten.
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Wohngeldbewilligungsbescheide Nr. 1 vom
19.09.2007 und Nr. 2 vom 21.10.2008 für den Zeitraum ab November 2007 bis
Dezember 2007, Februar, Mai und September 2008 kraft Gesetzes unwirksam gewesen
sind. Denn der Kläger ist als ein bei der Berechnung des Wohngeldes berücksichtigtes
Familienmitglied nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen. Gemäß § 7
Abs. 1 Nr. 1 WoGG sind Empfänger von Leistungen des Arbeitslosengeldes II, bei deren
Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind, von Wohngeld nach diesem
Gesetz ausgeschlossen. Das ist hier der Fall, weil der Kläger unstreitig im Zeitraum
November 2007 bis Dezember 2007, Februar, Mai und September 2008 solche
Leistungen für sich und seine Familie bezogen hat.
Aus der Unwirksamkeit der Bewilligungsbescheide für den Zeitraum des ALG II-Bezuges
folgt der Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 2 SGB X (a.a.O.) . § 50 Abs. 1 SGB X, der
die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen anordnet, soweit ein Verwaltungsakt
aufgehoben worden ist, ist nicht einschlägig. Mit Aufhebung in diesem Sinn ist ein
Verwaltungsakt gemeint, durch den der der Leistung zugrunde liegende
Bewilligungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben wird.
Eine derartige Aufhebung liegt hier nicht vor, da die Unwirksamkeit des
Bewilligungsbescheides gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG kraft Gesetzes eintritt. Als Folge
gilt nur § 50 Abs. 2 SGB X, nach dessen Satz 1 ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachte
Leistungen zu erstatten sind und nach dessen Satz 2 die §§ 45 und 48 SGB X
entsprechend gelten (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2006 -12 S
2403/05-, NVwZ-RR 2006, 703, zitiert nach juris.) .
Da mit Blick auf den erst nach der Bekanntgabe der Wohngeldbewilligungsbescheide
erfolgten ALG II-Leistungsbezug diese nicht von Anfang an rechtswidrig waren, folglich § 45
SGB X keine Anwendung findet (BVerwG, Urteil vom 21.1.2001 -5 C 10/00-; Schütze in
von Wulfen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 Rdnr. 31.) , kann hier im Rahmen von § 50 Abs.
2 Satz 2 SGB X nur die entsprechende Anwendung von § 48 SGB X in Betracht kommen.
Dass die Beklagte daher die falsche Rechtsgrundlage herangezogen hat, ist aufgrund des
gebundenen Charakters auch der Entscheidung über die Erstattung nach § 50 Abs. 2 SGB
X ohne Belang (BVerwG, Urteil vom 21.01.2001 -5 C 10/00-; BSG, Urteil vom 21.01.1960
-8 RV 549/58-; BVerwG, Urteil vom 08.05.1958 -IV C 108/57-, jeweils zit. nach juris) .
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse unter anderem aufgehoben werden, wenn der
Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung
wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderung der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig
nicht nachgekommen ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§§ 48 Abs. 4, Abs. 1 Satz
2 Nr. 2, 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Das ist hier der Fall. Gemäß § 28 Abs. 4 WoGG
müssen die wohngeldberechtigte Person und das Haushaltsmitglied, an welches das
Wohngeld gezahlt wird, der Wohngeldbehörde unverzüglich mitteilen, wenn für ein zu
berücksichtigendes Haushaltsmitglied ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung von Grund
und Höhe einer Leistung nach § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 WoGG begonnen hat oder ein zu
berücksichtigendes Haushaltsmitglied eine Leistung nach § 7 Abs. 1 WoGG empfängt. Dies
alles dient der Durchsetzung des Wohngeldausschlusses nach § 7 WoGG (in der Zeit vom
01. Januar 2005 bis zum 01.01.2009 ergab sich dies aus den insoweit inhaltsgleichen §§
30 Abs. 4, Abs. 4 a WoGG). Über die gesetzliche Verpflichtung zur Angabe gerade des
Bezuges von ALG II-Leistungen ist der Kläger ausweislich des Wohngeldbescheides Nr. 1
vom 19.09.2007 belehrt worden ("Dieser Bewilligungsbescheid wird gemäß § 30 Abs. 4
WoGG unwirksam, wenn in dem Bewilligungszeitraum ein bei der Berechnung des
Wohngeldes berücksichtigtes Familienmitglied eine Leistung beantragt hat oder erhält, bei
der Kosten der Unterkunft in die Berechnung einbezogen werden bzw. berücksichtigt
worden sind und den Wohngeldbezug daher ausschließen. Sie sind gemäß § 30 Abs. 4 a
WoGG auch verpflichtet, der Wohngeldstelle unverzüglich mitzuteilen, wenn ein bei der
Berechnung des Wohngeldes berücksichtigtes Familienmitglied eine der folgenden
Leistungen beantragt hat oder erhält: Arbeitslosengeld II …"; vgl. Bl. 22 der Gerichtsakte).
Über die "gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährung von Wohngeld", insbesondere
auch darüber, dass "ausgeschlossen vom Wohngeld Empfänger der nachfolgenden
Transferleistungen (sind) Arbeitslosengeld II (ALG-II)", wurde der Kläger zudem nochmals
bei seiner Antragstellung im September 2008 belehrt (vgl. den Antrag auf Wohngeld-
Lastenzuschuss vom 22.09.2008, Bl. 49 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten). Den
Sinn dieser Belehrungen konnte und musste der Kläger, der ausweislich der vorliegenden
Verwaltungsunterlagen in der Lage ist und war, ihn betreffende Verwaltungsverfahren in
Gang zu setzen und zu betreiben, ohne weiteres verstehen. Daher kann dem Kläger der
Vorwurf der grob fahrlässigen Verletzung dieser Mitteilungspflicht nicht erspart werden;
gerade mit Blick auf diese unmissverständlichen Belehrungen kann sich der Kläger auch
nicht darauf berufen, er sei im festen Glauben gewesen, es habe mit den Leistungen seine
Richtigkeit gehabt. Zwar mag es sein, dass der Kläger zunächst mit den Folgen und
Konsequenzen des schweren Verkehrsunfalls seiner Frau völlig überfordert war. Diese für
ihn mit Sicherheit außergewöhnliche Situation durfte ihn wegen der ihm bekannten
Mitteilungspflichten jedoch nicht davon abhalten, überhaupt keine Mitteilung über den ALG-II
Leistungsbezug zu machen. So hat er weder bei seiner erneuten Antragstellung im
September 2008 noch bei seinen späteren Eingaben an die Wohngeldbehörde auf diesen
Bezug hingewiesen. Soweit § 50 Abs. 2 SGB X mit der Anordnung der entsprechenden
Geltung des § 48 SGB X auch den Weg in eine Ermessensentscheidung eröffnet, kann sich
Geltung des § 48 SGB X auch den Weg in eine Ermessensentscheidung eröffnet, kann sich
dies beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X jedoch nur in
einem atypischen Fall auswirken, während es für den Regelfall, von dem unter
Berücksichtigung der oben genannten Umstände vorliegend auszugehen ist, bei einer
insoweit gebundenen Entscheidung verbleibt (BVerwG, Urteil vom 21.1.2001 -5 C 10/00-)
.
Entgegen der klägerischen Auffassung ist auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 2, § 45
Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Der Einjahreszeitraum beginnt mit der Kenntnis der
Tatsachen. In diesem Sinne sind Tatsachen alle tatsächlichen Umstände, die nach Maßgabe
der §§ 45, 48 SGB X zur tatbestandlichen Prüfung der Aufhebbarkeit des begünstigenden
Verwaltungsaktes erforderlich sind. Dies sind, da es nach § 48 Abs. 1 SGB X auch auf die
individuelle Einsichtsfähigkeit des Begünstigten ankommt, auch die Tatsachen, die für den
subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff von Bedeutung sind (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7.
Auflage 2010, § 45 Rdnr. 81; Gerichtsbescheid der Kammer vom 18.11.2009 -11 K
308/08-) . Deshalb liegen die erforderlichen Tatsachen erst nach Abschluss der gebotenen
Ermittlungen zur Einsichtsfähigkeit vor, wobei der Umfang der Ermittlungen im Ermessen
der Behörden liegt (Schütze in von Wulffen, a.a.O.; Gerichtbescheid der Kammer vom
18.11.2009 -11 K 308/08-) . Dabei kommt es auf die Kenntnis der Dienststelle an, die die
Aufhebung des Verwaltungsaktes vorzubereiten und über sie zu entscheiden hat (Schütze
in von Wulffen, a.a.O., § 45 Rdnr. 85) . Hiervon ausgehend ist die Jahresfrist eingehalten
worden. Mit Schreiben der Beklagten vom 28.08.2009 wurde der Kläger zur
beabsichtigten Aufhebung der Wohngeldbescheide angehört. Der Prozessbevollmächtigte
des Klägers nahm zu dem Anhörungsschreiben mit Schreiben vom 24.09.2009 Stellung,
wobei er insbesondere Ausführungen zur individuellen Einsichtsfähigkeit des Klägers
machte. Ab diesem Zeitpunkt waren der Wohngeldstelle der Beklagten, auf deren Kenntnis
es allein ankommt, die Tatsachen im Sinne des § 48 Abs. 4, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X
bekannt und die Jahresfrist begann zu laufen. Dies verkennt der Kläger, wenn er für den
Beginn der Frist allein auf den Zeitpunkt seiner Beantragung der ALG-II Leistungen abstellt.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X erging am 19.11.2009, die
Wohngeldbescheide Nr. 4 und Nr. 5 ergingen am 29.10.2009 und damit innerhalb der
Jahresfrist.
2. Die aufgrund mündlicher Verhandlung vom 04.07.2010 ergangene
Widerspruchsentscheidung ist zwar wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs des
Klägers (weder er noch sein Prozessbevollmächtigter wurden zur mündlichen Verhandlung
vor dem Kreisrechtsausschuss geladen) rechtsfehlerhaft, verletzt den Kläger aber nicht in
seinen Rechten, so dass er keinen Anspruch darauf hat, dass die
Widerspruchsentscheidung als solche aufgehoben wird.
Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Rechtswidrigkeit nur des Widerspruchsbescheids
differenziert das Bundesverwaltungsgericht nach folgenden Kriterien:
In den Fällen, in denen weder für Ermessens- noch für Zweckmäßigkeitserwägungen der
Widerspruchsbehörde Raum ist, noch sonstige beachtliche Interessen des Klägers an einer
verfahrensfehlerfreien Entscheidung gerade der Widerspruchsbehörde ersichtlich sind und
der Verfahrensfehler durch das Gericht heilbar ist, besteht kein rechtlich schützenswertes
Interesse an einer lediglich auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids gerichteten Klage, so
dass eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids nicht in Betracht kommt, die
Klage daher insgesamt abzuweisen ist (BVerwG, Urteil vom 03.08.1990, Buchholz 310.65
Nr. 99; BVerwGE 49, 307, 308 f.; BVerwGE 61, 45, 47 ff.; ebenso OVG des Saarlandes,
Urteil vom 24.04.1995 -1 R 39/93-, amtl. Abdruck S. 12 und Gerichtbescheid der
Kammer vom 09.09.2010 -11 K 2145/09-.) .
So liegt der Fall hier.
Wie oben eingehend dargetan handelt es sich bei dem vorliegend in Streit stehenden
Erstattungsanspruch um eine gebundene Entscheidung, wobei in der Sache die Beklagte
mit Bescheid vom 19.11.2009 vom Kläger zu Recht die Erstattung des überzahlten
Wohngelds verlangt hat.
Mithin besteht kein rechtlich geschütztes Interesse an einer verfahrensfehlerfreien
Entscheidung gerade der Widerspruchsbehörde mehr, da keine andere Entscheidung in der
Sache ergehen kann. Die isolierte Anfechtung nur der Widerspruchsentscheidung mit dem
Ziel, den Weg zu einer erneuten Entscheidung der Widerspruchsbehörde zu eröffnen, ist
daher unzulässig.