Urteil des VG Saarlouis vom 24.11.2005

VG Saarlouis: einstellung der bauarbeiten, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, landwirtschaftlicher betrieb, nachhaltigkeit, gebäude, richteramt, verfügung, hauptsache

VG Saarlouis Beschluß vom 24.11.2005, 5 F 34/05
Baueinstellungsverfügung bei formeller Baurechtswidrigkeit
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu jeweils einem Drittel.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen
die für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung des Antragsgegners vom
15.09.2005 ist zulässig, aber unbegründet.
I. Der Antragsgegner hat in einer den formalen Erfordernissen des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs.
3 Satz 1 VwGO genügenden Weise das aus seiner Sicht bestehende besondere öffentliche
Interesse an einer sofortigen Einstellung der Bauarbeiten ausreichend dargelegt, indem er
auf die formelle Illegalität des Bauwerks und damit die generelle Erforderlichkeit der
Sicherung der Ordnungsfunktion des formellen Baurechts (Baugenehmigungspflicht)
abgestellt hat. In derartigen "typischen Interessenlagen" ist der Verweis auf die im
Normalfall gebotene kurzfristig wirksame Unterbindung derartiger Gesetzesverstöße als
ausreichend anzusehen.
II. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung
eines Widerspruchs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt ganz oder
teilweise anordnen. Im Rahmen der vom Gericht dabei zu treffenden Abwägung, ob das
öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Baueinstellung das
entgegenstehende private Interesse der Antragsteller, unter Berücksichtigung von § 80 b
VwGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Rechtsbehelf von
Vollzugsmaßnahmen der Verfügung verschont zu bleiben, überwiegt, sind die
Erfolgsaussichten des Widerspruchs zu berücksichtigen. Dabei ist die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs in der Regel abzulehnen, wenn das Rechtsmittel
nach dem derzeitigen Erkenntnisstand offensichtlich aussichtslos ist; umgekehrt überwiegt
bei einer offensichtlichen Erfolgsaussicht des Widerspruchs das Aussetzungsinteresse der
Antragsteller.
Das Gericht hält den Widerspruch gegen die Baueinstellungsverfügung nach summarischer
Prüfung im einstweiligen Verfahren für aussichtslos; die Interessenabwägung muss deshalb
zu Lasten der Antragsteller ausgehen.
Der Antragsgegner hat sich als Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid auf § 81
LBO 2004 gestützt. Nach dessen Absatz 1 Nr. 2 kann die Bauaufsichtsbehörde die
Einstellung der Bauarbeiten u.a. dann anordnen, wenn die Ausführung eines
genehmigungsbedürftigen Vorhabens ohne Baugenehmigung begonnen wurde.
Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich vor. Entgegen der Einschätzung der
Antragsteller in ihrem Widerspruchsschreiben vom 02.10.2005 handelt es sich bei der
begonnenen und bereits fortgeschrittenen Baumaßnahme offenkundig nicht um die
Sanierung des Daches eines genehmigten Pferdestalles (mit den Grundmaßen 11,50 m x
9,10 m) verbunden mit dem Anbau eines nicht zur Unterbringung von Pferden bestimmten
– als Gebäude ohne Feuerstätte mit bis zum 100 m
2
Bruttogrundfläche und einer
traufseitigen Wandhöhe bis zu 5 m nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 c LBO 2004 verfahrensfreien -
Strohlagers (mit den Grundmaßen 5 m x 9,10 m), sondern um die Errichtung eines
einheitlichen Gebäudes als Neubau. Das ergibt sich ohne weiteres aus den in der
Verwaltungsakte des Antragsgegners vorhandenen Plänen und Fotografien. Ausweislich
des Bauscheins Nr. 1910/61 (Wad 266/60/61) vom 22.09.1961 wurden seinerzeit zwei
Hühnerställe mit jeweils einem Pultdach genehmigt. Einer der beiden Hühnerställe hatte die
Außenmaße 10 m x 5,75 m, der andere 9,00 x 5,00 m. Der erstgenannte Hühnerstall
war an eine Holzbaracke angebaut, die auf der Planzeichnung den Zusatz „(Auf Abbruch)“
trägt. Sowohl was die Größe der Grundfläche als auch die Nutzungsart – Großtier- anstelle
Kleintierhaltung - angeht, ist die Behauptung der Antragsteller unzutreffend, an dieser
Stelle sei ein Pferdestall mit den Maßen 11,50 m x 9,10 m genehmigt worden. Auch
spricht viel für die Annahme, dass die Baugenehmigung vom 22.09.1961 aufgrund einer
langjährigen Nutzungsaufgabe und Aufnahme einer neuen Nutzung als Pferdestall endgültig
erloschen ist.
Da es für die Rechtmäßigkeit der Baueinstellungsverfügung auf die formelle
Baurechtswidrigkeit ankommt, die vorliegend offensichtlich gegeben ist, weist das Gericht
allein darauf hin, dass das in Bau befindliche einheitliche Gebäude aufgrund seiner Lage im
Außenbereich auch keineswegs offensichtlich genehmigungsfähig ist. Bauplanungsrechtlich
wäre es an dieser Stelle nur nach § 35 BauGB zulässig, wenn es einem
landwirtschaftlichen Betrieb dienen würde. Die Notwendigkeit, einem landwirtschaftlichen
Betrieb zu dienen, besteht im Übrigen auch für die bauordnungsrechtliche
Verfahrensfreiheit gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 c LBO 2004.
Landwirtschaft im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 201 BauGB 2004 ist insbesondere
der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit das Futter
überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich
genutzten Flächen erzeugt werden kann. Hinzukommen muss, dass der Boden zum
Zwecke der Nutzung seines Ertrages planmäßig und eigenverantwortlich bewirtschaftet
wird.
Gegenstand der unmittelbaren Bodenertragsnutzung muss der dauernde Zugriff auf die
notwendigen nutzbaren Flächen sein. Das erfordert es, dass diese Flächen zumindest
überwiegend im Eigentum des Betriebsinhabers stehen. Eine Hinzupachtung benötigter
Flächen ist möglich. Eine landwirtschaftliche Betätigung ausschließlich oder überwiegend
auf fremdem Grund und Boden gewährleistet nicht die erforderliche Nachhaltigkeit eines
lebensfähigen Betriebs angesichts der spezifischen Schwäche des Pachtlandes als einer nur
schuldrechtlichen und von den Vertragsparteien jederzeit aufhebbaren Zuordnung. Hieran
hat auch die durch § 595 BGB eingeführte und verbesserte Stellung des Pächters nichts
geändert.
Der Begriff des Betriebs setzt eine organisatorische Einheit mit entsprechenden
Betriebsmitteln und menschlichem Arbeitseinsatz sowie eine Dauerhaftigkeit der
Betriebsausübung voraus. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
seit langem geklärt, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb, auch ein Nebenerwerbsbetrieb,
durch eine spezifisch betriebliche Organisation gekennzeichnet ist, dass er Nachhaltigkeit
der Bewirtschaftung erfordert und dass es sich um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer
lebensfähiges Unternehmen handeln muss. Dauerhaftigkeit des Betriebs bedeutet auch,
dass er gerade nicht auf die individuellen Verhältnisse des derzeitigen Inhabers so
zugeschnitten ist, dass nach dessen Aufgabe eine Weiterführung des Betriebs nicht
erwartet werden kann.
Die Dauer und Nachhaltigkeit des Betriebes setzt bei Nebenerwerbsbetrieben als wichtiges
Indiz die Gewinnerzielung in Abgrenzung zur bloßen Liebhaberei voraus, d.h. ein
Nebenerwerb muss dem Betriebsinhaber einen Beitrag zum Lebensunterhalt geben. Fehlt
es an der Erwirtschaftung eines Gewinns, können andere Indizien für die Nachhaltigkeit
sprechen. Als Faustregel gilt dabei: Je kleiner die landwirtschaftliche Nutzfläche, je geringer
der Kapitaleinsatz und je geringer die Zahl der Tiere und Menschen ist, um so stärkere
Bedeutung kommt dem Indiz der Gewinnerzielung zu.
Die angegriffene Verfügung erweist sich aller Voraussicht nach auch nicht als
unverhältnismäßig. Es ist Sache des Bauherrn, auf die Einhaltung der baurechtlichen
Bestimmungen zu achten. Deshalb kann derjenige, der sich darüber hinweg setzt,
grundsätzlich keinen Erfolg haben, wenn er sich etwa auf erhebliche Kosten, Mietausfälle
o.ä. durch entsprechende bauaufsichtliche Maßnahmen beruft. Hierbei handelt es sich um
das typische Risiko dessen, der ein ungenehmigtes Gebäude ins Werk setzt. Die
notwendigen Sicherungsmaßnahmen (provisorische Abdeckung des Daches) wurden den
Antragstellern im Übrigen mit Schreiben des Antragsgegners vom 18.10.2005 gestattet.
Auch die von Gesetzes wegen (§ 18 SVwVG) sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung
und -festsetzung begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rechtsgrundlage für diese Maßnahmen sind die §§ 18, 19 und 20 SVwVG. Nach § 18 Abs.
1 SVwVG kann Verwaltungszwang angewendet werden, wenn der (durchzusetzende)
Verwaltungsakt unanfechtbar ist oder ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat.
Diese Voraussetzung liegt vor, da der Antragsgegner den Sofortvollzug der Verfügung
angeordnet hat.
Insgesamt ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei geht
das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes davon aus, bei Baueinstellungsverfügungen
drei Viertel des Wertes einer Klage auf die Verpflichtung zur Erteilung einer
Baugenehmigung für das Bauwerk anzusetzen. Der Genehmigungswert für ein
Einfamilienhaus beträgt laut Streitwertkatalog 20.000 Euro. Für das vorliegende
Stallgebäude hält die Kammer einen Wert von 10.000 Euro für angemessen. Dieser Betrag
ist wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung
Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes zu.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht des Saarlandes, Kaiser-Wilhelm-Straße 15,
66740 Saarlouis, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die
Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem
Beschwerdegericht eingeht.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu
begründen. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt
worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Kaiser-Wilhelm-Straße 15,
66740 Saarlouis, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe
darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der
angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die
dargelegten Gründe.
Einlegung und Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit
Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des
öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst,
Gebietskörperschaften auch durch Beamte und Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
Gegen die in dieser Entscheidung enthaltene Festsetzung des Streitwerts steht den
Beteiligten oder sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
200,00 Euro übersteigt.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht des Saarlandes, Kaiser-Wilhelm-Straße 15,
66740 Saarlouis, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
einzulegen.
Die Beschwerde ist nur bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der
Entscheidung in der Hauptsache oder anderweitiger Erledigung zulässig